𝐄𝐢𝐧𝐮𝐧𝐝𝐳𝐰𝐚𝐧𝐳𝐢𝐠

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Wintersonnenwende
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Der Tag im Jahr, an dem die Nacht über den Tag siegt. Der Tag im Jahr, an dem allerlei verbrecherisches Gesindel aus dunklen Winkeln kriecht, um diesen Triumph zu zelebrieren. Der Tag im Jahr, an dem High Heels die Handlung eines One-Shots bestimmen.

Eine Vitrine. Nachdem er wenige Stunden zuvor die Alarmanlage in einem einseitigen Duell vor seinem Computer aus k. o. gehen ließ, hatte er es geschafft, unbemerkt durch den Hintereingang zu schlüpfen, mithilfe des digitalen Lageplans das richtige Zimmer aufzuspüren und das begehrte Amulett zu stehlen.

Es war ein großes, herrschaftliches Gebäude, in dem sie wohnte. Alt und kostspielig. Das war sie und so roch ihr Reich. Durch eine Handvoll naiver Taschendiebe, die letzten Monat kläglich dabei scheiterten, all die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen, hatte er eine ziemlich exakte Vorstellung derer. Ihr Pech war sein Glück.
Es war alles gut verlaufen, fast schon zu gut für einen Anfänger wie ihn, war er doch die Male zuvor nur Theaterbesucher und nicht Hauptdarsteller gewesen. Der Plan seiner Drehbuchautorin, der gefürchtetsten Frau der Stadt, war aufgegangen. Wieder einmal.

Ira Incensus. Lippen in der Farbe von getrocknetem Blut, hunderte kleine Schlangen aus pechschwarzem Haar, die sich an ihrem berechnenden Lächeln entlang wanden, zwei starrende Abgründe, die bereits den Großteil der Oberschicht in die Verdammnis gestürzt hatten.

Jeder in dieser Stadt, der noch halb bei Verstand war, fürchtete sie. Fürchtete ihren Zorn, denn war sie einmal in Fahrt, brannte dieser nicht nur ihren Nebenmann nieder. Die Albträume kleiner und großer verängstigter Jungen und Mädchen bestanden aus den Geschichten ihrer Taten, die flüsternd im Sonnenlicht weitergegeben wurden. In der Dunkelheit war die Angst vor ihrer Gestalt zu groß.

Die erfolgreichste Geschäftsfrau und cleverste Hehlerin unserer Stadt.

Seine beste Freundin, die sich den Fuß bei dem Versuch gebrochen hatte, auf High Heels zu laufen. Und ihn schließlich zum äußerst kurzfristigen Einspringen in das mit ihr als Star erprobte Stück überredet hatte, hätte sie doch nur noch den roten Vorhang für die Premiere Gäste lüften müssen. Nach dieser Aktion war sie ihm mehr als eine Tafel Schokolade schuldig, so viel war sicher.

Rafael war es nicht gewohnt, der Mittelpunkt der Handlung zu sein. Mit seiner Arbeit als Computernerd und Hacker war er bisher vollkommen zufrieden gewesen. Er hatte nie vorgehabt, selbst die Erfahrung des rauschenden Adrenalins in den Adern zu machen, jeder Schritt in dem Bewusstsein, dass ein Fehler das Ende von allem bedeuten konnte. Viele, die er kannte, waren nach und nach süchtig geworden. Süchtig nach dem Kick. Er selbst konnte es nicht nachvollziehen, er war nicht geeignet für seine jetzige Rolle, er wollte seinen alten Posten zurück. Doch es war zu spät. Der eine Fehler, der das Ende von allem bedeuten konnte. Vielen fiel ihr Hochmut, ihr Stolz zum Verrat. Doch seine Achilles Verse war eine andere. Eine Vitrine.

Cremefarben durchbrochen von einem Hauch an rosa, verziert mit kleinen, funkelnden Kristallen, waren es Diamanten? Vier Bänder der gleichen Farbe trafen sich schwebend über der Sohle zu einer Schleife. Freude strahlten sie aus, Begierde, als könnten sie gar nicht erwarten, den nächsten Fuß zu umschlingen. Oder war das er? Glänzende Absätze, vielleicht sieben Zentimeter hoch und spitz zulaufend, an ihren Enden zwei glitzernde Kugeln aus noch mehr Kristallen. High Heels. Die schönsten, die er je gesehen hatte.

Als die Tür aufschwang, war es zu spät. Warum hatte man ihn auch in die Villa einer ehemaligen Schauspielerin geschickt? Licht durchflutete den Raum. Ein weißes Nachthemd, das Amulett wog schwer in seiner Tasche. „El!", fauchte es da über den Kopfhörer in seinem rechten Ohr. Er schluckte, der Blick wanderte hektisch hin und her. Einen Schritt nach vorne, doch wozu? „El, verdammt!", Iras Versuch, ihn zum Bewegen zu bringen, scheiterte. Die Tür offenbarte ein Gesicht. Das Gesicht einer alten Frau. „Sie ist kein Hindernis. Du kannst immer noch fliehen. Beeil dich. RafaEL!"

Die Tür schloss sich mit einem Knarzen.

„Guten Abend." Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte und sie war neben ihm. Seine Augen wichen ihren aus, die sich augenblicklich in dem nun durch den imposanten Kronleuchter erzeugten Lichtspiel der Kristalle verfingen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden und keine Worte. Er hielt den Atem an. „Sie sind faszinierend, nicht?"

Er wagte einen Blick zu der alten Dame, diese warf ihm ein Lächeln zu. Ein seltsames, unangebrachtes, wissendes Lächeln. Er räusperte sich. Ein Wimpernschlag, zwei Wimpernschläge, drei Wimpernschläge und er antwortete. „Mehr als faszinierend. Die schönsten, die ich je gesehen habe."

Da Ira anfing, gegen seine Handlungen zu protestieren, zog er sich den Kopfhörer aus dem Ohr und steckte ihn in seine Tasche. Es klirrte. Er musste Bekanntschaft mit dem Amulett gemacht haben. Die Dame zog eine Augenbraue hoch. Ihr Blick fiel auf eine weitere Vitrine, die sich am anderen Ende des Raumes befand. Kleiner und leer.

„Lassen Sie mich raten", sagte sie. „Sie sind Mitglied des städtischen Vereins für freies Verbrechen und haben dieses Jahr beim Weinnachts Wichteln das blutbefleckte Los des Charles gezogen." Er wiegte den Kopf. Sie streckte die Hand aus. Ein kleiner Anhänger fiel in rechtmäßige Hände zurück.

„So langsam bin ich es leid, jedes Jahr eine neue Kopie anzufertigen. Hier hast du das Original." Sie löste eine Kette von ihrem Hals, die unter ihrem Nachthemd verschwand. Zum Vorschein kam das echte Schmuckstück. „Mein Anwalt hat mir empfohlen, es Tag und Nacht um den Hals zu tragen. Doch es ist recht unförmig." Sie blickte auf die spitzen Kanten des Anhängers. „Seitdem habe ich Schlafstörungen. Und alles nur wegen ein bisschen Glitzer." Sie streckte die Hand aus. Rafael bewegte sich kein Stück. „Jetzt nehmen Sie's schon!", ihre Hand zuckte auffordernd. Da kam er ihrem Wunsch nach.

Der rechte Anhänger fiel in kleine Hände zurück.

Kleine Hände, passend zu dem schmalen Körper mit geringer Höhe, an den sie gehörten. Ein schmaler Körper mit einer hellen Stimme, die praktisch war, wenn er wieder einmal vor der Polizei behaupten musste, er sei nur ein unschuldiger Teenager, der ein paar falsche Tasten gedrückt hatte. Er, der nie ein Problem mit sich gehabt hatte. Das hatten nur sie.

Ein Glitzern, eine Geste, ein Geschenk.

Cremefarben durchbrochen von einem Hauch an rosa, verziert mit kleinen, funkelnden Kristallen.

Zwei Gestalten. Das dumpfe Aufsetzen eines Ballerina Schuhs, das schleifende Geräusch zweier Krücken und die hellen Töne Schritt für Schritt selbstbewusst gesetzter Stiletto-Absätze waren ihre Wegbegleiter. Eine Frau, die selbst auf Krücken ihre furchteinflößende Aura nicht verlor und ein Mann, dessen Schuhwerk ihm zu neuer Größe verhalf. Im Gepäck zwei mehr oder weniger liebevoll verpackte Wichtelgeschenke.

Die massive Tür aus dunklem Holz schwang nach einigem Kraftaufwand auf. Sie quietschte unangenehm. Die anderen hatten bereits an der langen, festlich geschmückten Tafel Platz genommen. Riesen und Zwerge, rundliche Kürbisse und dürre Bohnenstangen, Hochbegabte und einfache Bürger, Frauen und Männer und keins von beidem, Studenten und Rentner, Allesfresser und Veganer, Kinderlose und Eltern, Taschendiebe und Steuerhinterzieher. Verbrecher. Menschen.

Zwei nebeneinanderliegende Plätze waren unbelegt. „Die Nachzügler", lautete das Urteil der Greisin am Kopfende des Tisches. Sie winkte ihnen zu und mit ihrem überdimensional großen Hut waren die Parallelen zu Queen Elizabeth II. nicht abzuschlagen. Ebenso wenig wie dem Mann, der an der Tafel rechts neben ihr saß und ihre Hand hielt. Ihr Prinzgemahl Phillip. Ein Scherz umspielte seine Lippen, der ihm jedoch nicht entfloh, als er bemerkte, worauf die allgemeine Aufmerksamkeit lag. Dem Schuhschmuck eines Nachzüglers.

Keiner gab auch nur einen Ton von sich, während sie zu ihren Plätzen schritten. Ein dumpfes Aufsetzen, ein schleifendes Geräusch und helle Töne. Die gebeugte Prinzessin und der aufrechte Kammerdiener. Er half ihr mit den Krücken und zog ihr den Stuhl zurecht, bevor er sich selbst setzte.

„Willkommen, Louisa." Rafael drehte verletzt den Kopf. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Der Diener erhob das Wort nicht gegen seinen Herrn. Still und urteilend saß der Mann mit den grausamen Augen links der Königin. Der Charles der Runde. Seit Jahren warteten alle darauf, dass Elizabeth den Herrscherstab weiterreichen würde. Doch nichts der Gleichen geschah. Charles wartete. Charles war zornig. Charles war traurig. Charles wollte herrschen.

Er war ein verzogenes kleines Kind, das war allgemein bekannt. Wollte er etwas, bekam er es. Wenn dem nicht so war, bedeutete dies unangenehme Konsequenzen für den Verantwortlichen. So war es im letzten Jahr dem armen Hund ergangen, der ihn beim Wichteln gezogen und den ausdrücklichen Auftrag erhalten hatte, ein gewisses Schmuckstück zu stehlen. Ein zittriger, unerfahrener Taschendieb, dessen Hauptbeschäftigung darin bestanden hatte, sich durch die ungepflegten rostfarbenen Haare zu fahren. Seit der Feier im letzten Jahr hatte Rafael ihn nicht gesehen.

Keiner wusste, warum Charles nach diesem Amulett trachtete. Er tat es seit einigen Jahren, erfolglos. Nicht einer war dazu im Stande gewesen, ihm das zu bescheren, was Inhalt seiner inoffiziellen Wunschliste war. Die Neuen bibberten Jahr für Jahr bei der Auslosung der Wichtel, in der Hoffnung, nicht „das blutbefleckte Los" zu ziehen. Sein diesjähriges Opfer kannte der Thronfolger noch nicht. Anders als Rafael, der wusste, dass es in diesem Jahr keine Opferzeremonie geben würde.

Das Wichteln war eine Tradition der Weihnachtsfeier des Vereins für freies Verbrechen. Seit er Mitglied war, hatten sie sich am Morgen des 24. versammelt, um Geschenke auszutauschen. Es war kein herkömmliches Wichteln, nein. Noch nie hatten langweilige Kosmetikprodukte oder Pralinenschachteln, hektisch Stunden zuvor bei dem Discounter um die Ecke gekauft, die Seiten des mächtigen Eichentisches gewechselt.

Nicht umsonst war es ein Verbrecherverein. Die Geschenke mussten gestohlen, seinen vorherigen Besitzern gewaltsam und mutwillig entrissen worden sein, das war die einzige Bedingung. Er selbst hatte die 45-jährige Familienmutter und Ehefrau Hana gezogen, die trotz dessen einen unsagbar großen Celebrity Crush auf Kendall Jenner hatte. Das war so ziemlich das Einzige, was er über sie wusste und so hatte er sich sein Wissen zum Nutzen gemacht. Es hatte ihn einige Zeit, Können und Kontakte gekostet, aber schließlich war es ihm gelungen, die iCloud des Models zu hacken und auf diesem Weg an... nun ja, privatere Bilder zu kommen.

„Ich kann das Übergeben der Geschenke nicht erwarten", der Goldzahn in Charles' Mund blitzte auf. Eine Warnung. Trotzdem wirkte er mit diesem Satz im Mund auf Rafael wie ein kleines Kind, das nun endlich seine Geschenke auspacken wollte.
„Er meint wohl: Auf das anschließende Foltern", murmelte eine mutige Seele.

Rafael tauschte einen wissenden Blick mit Ira neben ihm und konnte ein kleines Schmunzeln nicht zurückhalten. Ein weiteres Mal amüsierte ihn der Gedanke an die vollkommen umsonst getroffen Foltervorbereitungen. Keine Folterparty für den Prinzen.
„Du grinst Louisa – Bist du etwa die Auserwählte?", wurde er erneut angesprochen und erneut mit dem so verhassten Spitznamen. Die Anwesenden (ausgenommen Ira) kannten ihn nur unter dem Pseudonym „Louis", das man sich besser anlegte, wenn man eine solche Welt betrat. Schon damals hatten ihn die Ähnlichkeiten der Vereinsstruktur zu der Royal Family fasziniert und da er sich, als 19-jähriger Frischling, noch nicht als Teil dieser Institution gefühlt hatte, wurden die französischen Könige zu seiner Inspiration. Auf welchen er sich berief, wusste er selbst nicht so genau. Es gab schließlich genügend Auswahlmöglichkeiten.

Mittlerweile hatte er die Vorteile des Vereins für freies Verbrechen erkannt und über die Jahre hatte sich die Rückendeckung zu einer kleinen zweiten Familie entwickelt. Nun, zumindest ein Teil des der Mitglieder. Der andere Teil konnte einfach nicht aufhören, ihn für Begebenheiten zu verurteilen, auf die er keinerlei Einfluss gehabt hatte. Louisa. Er war keine Frau. Hier mit High Heels aufzukreuzen würde nicht zur Besserung beitragen, er hätte es wissen müssen. Doch mit dem wohlig warmen Gefühl im Bauch, einmal in seinem Leben direkt akzeptiert worden zu sein und diesem teuren Geschenk an den Füßen, waren seinen Gedanken Flügeln gewachsen.

Dieses Mal jedoch sah es jemand als seine Pflicht, für ihn einzustehen. Der mächtige Blick Elizabeths brannte über das Festessen. „Es ist Weihnachten", sagte sie. Charles feuerte zurück. Die Szene erinnerte Rafael an das finale Duell zwischen Harry und Voldemort, Momente voller Feuer, bis Harrys grünes Voldys rotes verschlang. Ganz so episch war das Gefecht dann doch nicht, aber es zeigte Wirkung. Charles resignierte. Er senkte den Kopf. Rafael nickte der Greisin dankbar zu. Sie schenkte ihm augenblicklich das warme Lächeln einer Großmutter und er fühlte sich in den Raum mit den beiden Vitrinen zurückversetzt. Die Freude übertrug sich auf ihn.

Auch als man ihn später am Tag mit der privaten Nagellacksammlung Gigi Hadids beschenkte (mit dem Zusatz „für das Mädchen in der Runde"), brach das Lächeln nicht von seinem Gesicht. Nur weil sein Herz die Form eines Schuhs hatte, hieß das nicht, dass er eine Frau war. Nur weil seine Stimme „zu hoch" und sein Körper „zu klein" war, hieß das nicht, dass er ein Schuljunge war. Nur weil seine Partnerin die Meisterin des Einbruchs war, hieß das nicht, dass er dasselbe können musste. Nur weil seine Macken für andere Menschen komisch erscheinen mochten, hieß das nicht, dass er nicht er sein konnte.

Rafael öffnete den Karton und besah sein Geschenk. Gigi hatte Geschmack.

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© Lady_Melody_Potter

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