𝟏.𝟏 | 𝐒𝐜𝐡𝐚𝐭𝐭𝐞𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐕𝐞𝐫𝐠𝐚𝐧𝐠𝐞𝐧𝐡𝐞𝐢𝐭

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»Mit diesem Tag unterliegt die Anwendung jedweder Form von Magie der ausdrücklichen Erlaubnis des Zaren. Sie beschränkt sich auf notwendige Dienste und die Mitglieder der hoheitlichen Garde. Blutmagie, Nekromantie, Verwirrung des Geistes und Gestaltwandlung sind fortan verboten. Jeder Verstoß wird mit dem Tode bestraft.«

- Erlass Zar Vsevolod II. aus dem Jahre 342


„TRAUE NIEMALS einem Kresnik." Diesen Leitsatz hatte man Zarja schon früh beigebracht und man wiederholte ihn wie die Akklamation im Gebet, einen Schwur, den man immer aufs Neue leisten musste, damit man ihn bloß nicht vergaß. Für sie war er fast so allgegenwärtig wie die Erinnerung daran, wo ihr Platz war und wie sie sich zu benehmen hatte.
Nur steckte dahinter ... mehr.

Denn im Gegensatz zu den vielen anderen Ermahnungen lag in dieser ein bitteres Gemisch aus Abscheu und Angst. Beinahe so als beschwöre man mit dem reinen Wort einen bösen Zauberer herauf, fassten sich die Menschen an ihren Talisman, flüsterten ein Gebet oder blickten sich auch nur verstohlen über die Schulter.

Diese Geschichten waren nicht wie die albernen Märchen, die man Kindern erzählte, damit sie ihren Teller leeraßen. Nicht, dass das bei den kleinen Portionen hier schwer gewesen wäre. An diese glaubten die Erwachsenen.

Sogar Jelisaveta, die sonst immer ihre strenge Miene aufgesetzt hatte, die die anderen abschreckte, aber Zarja die Frau auf eine merkwürdige Art sympathisch machte, erschauderte über ihre eigenen Erzählungen. Das musste doch etwas bedeuten? Schließlich war sie nicht leichtgläubig – das dachte sie zumindest.

Eigentlich kannte das Mädchen die Köchin kaum. Sie wusste bloß, dass sie hier die Einzige war, die sie als Verbündete hätte bezeichnen können, in deren von Dämpfen gefüllten Stube sie gerne saß und etwas fühlen konnte, das Geborgenheit wohl am nächsten kam. Dazu trugen der Tee und der ihn hin und wieder begleitende Zephyr einen nicht unwesentlichen Teil bei. Dass sie all das nicht bekommen sollte oder durfte, verrieten ihr Jelisavetas eindringliche Worte, niemandem davon zu erzählen. Es war ihr Geheimnis. Freunde hatten doch Geheimnisse, oder nicht? 

„Wieso?", wagte Zarja zu fragen und blickte von ihrer leeren Tasse auf, als Jelisaveta sie aufs Neue daran erinnerte, nachdem sie mit einer ihrer Schauergeschichten geendet hatte. Diesmal von einer Kresnitsa, einer Zauberin, die einen jungen Mann dazu brachte, sich in sie zu verlieben, um ihn schließlich in den Stenwald zu locken, aus dem er nie wieder entkommen sollte.

Bei der Vorstellung hatte sich trotz der Wärme in der Küche eine zarte Gänsehaut über Zarjas blasse Arme ausgebreitet. Ob man nachts wirklich noch seine Rufe hören konnte? Sollte sie heute heimlich das Fenster öffnen und lauschen?

Die alte Frau legte die Stirn in Falten und sah Zarja mit einem Blick an, der dem Mädchen verriet, dass man solche Fragen nicht stellte.

„Weil sie das Böse in unserer Welt sind, Dämonen in Menschengestalt. Ihr einziges Ziel ist es, uns zu schaden. Vergiss das nicht, sonst tappst du noch einem in die Falle."

Obwohl sie ahnte, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte, hakte sie weiter nach. Es gab so viel, das sie daran nicht verstehen wollte. „Aber unser Beschützer Kresnik hat sie doch erschaffen. Wieso sollte er böse Wesen zu seinen Dienern machen?"

Jelisaveta schüttelte den Kopf. „Was bringt man euch hier nur bei...", murmelte sie mehr zu sich selbst, ehe sie das Mädchen wieder ernst ansah. „Kresnik hat vor vielen Jahrhunderten entschieden, einige ausgewählte Menschen zu seinen Kriegern zu machen, ja. Sie sollten ihre Familien, Dörfer und Städte beschützen, vor allem gegen die dunklen Magier, die sein größter Feind auf uns gehetzt hat. Lange haben sie das auch getan. Viele der größten Helden Velijas waren Kresniki. Doch irgendwann entschieden sie sich gegen uns und verbrüderten sich mit ihren Gegnern."

Ein Schatten huschte durch ihre Augen, als sähe sie all das vor sich, obwohl – so viel wusste Zarja – die Kriege gegen die Magier ebenso bereits über hundert Jahre zurücklagen. Dennoch hing sie gebannt an den Lippen der Köchin, die ihr diese Geschichten aus fremden Zeiten erzählten. „Unzählige Menschen mussten damals sterben wegen diesem Verrat. Und deshalb, Mädchen, traut man keinem Kresnik. Früher oder später hintergeht er dich."

Betreten starrte Zarja ihre Schuhspitzen an, mit denen sie am staubigen Küchenboden scharrte. „Bin ... bin ich eine von ihnen?"
„Was? Wer behauptet denn so etwas?", fragte Jelisaveta empört. Ihre braunen, faltenumrahmten Augen weiteten sich erschrocken; ihr Herz setzte einen Schlag aus.

„Die anderen." Das Geständnis kam dem Mädchen kaum über die Lippen. Es lag an ihrem Aussehen, dessen war sie sich sicher. Die verfluchten roten Haare und hellen Augen, das Geburtsmal in ihrem Nacken, das allen entblößt worden war, als man ihr bei ihrer Ankunft hier die feuerfarbene Mähne kurz geschnitten hatte, entsprachen dem, was man sich unter einer Kresnitsa vorstellen würde. Deswegen mussten die anderen Bewohner des Lagerhauses Zarja auch ständig damit aufziehen. Zumindest hatte es so seinen Anfang genommen und wäre es bei derlei albernen Hänseleien geblieben, hätte sie vielleicht lernen können, irgendwann nicht mehr hinzuhören.

Doch man zwang sie, den Hass zu spüren, der sich in der Bevölkerung auf Magier richtete.
Geschah etwas Eigenartiges im Lagerhaus, beschuldigte man sie.
Verschwand eine der wenigen Habseligkeiten der anderen, behauptete man, sie hätte gestohlen.
Wurde eines der Kinder krank, bezichtigte man sie, sie hätte es verhext.
Und jedes Mal fiel die Rache dafür schlimmer aus. Vor kurzem erst hatte man Zarja den Brennstoff aus den Öllampen heimlich ins Essen gekippt und ihre Bettlaken zerschnitten. Natürlich war für Letzteres sie selbst bestraft worden. Niemand glaubte ihr.

„Unsinn." Mit festem Griff packte die Frau sie an den Schultern und zwang sie, sie anzusehen. „Hör gar nicht hin, Mädchen. Das sind Dummköpfe. Du bist keine Kresnitsa – die sind das reine Böse."

Zarja wollte ihr glauben, doch sie sah in ihrem Blick einen Funken von Scham und konnte ihre Nervosität geradezu spüren, so als wäre ihr selbst dieser Gedanke nicht fremd, als hätte sie sich auch schon gefragt, ob sich unter dem unschuldigen Kindergesicht magische Kräfte verbergen könnten. Sogar Jelisaveta hatte vermutet, dass sie eine der Verfluchten war.

Schnell wandte sich die Köchin wieder der merkwürdig riechenden Brühe zu, die über dem Feuer brodelte und vermutlich das Abendessen darstellen sollte. Zarja zwang sich, nicht das Gesicht zu verziehen. Sie wusste nicht, ob es an Jelisavetas Kochkünsten scheiterte oder an den Zutaten selbst, aber keine der Mahlzeiten hier hatte jemals gut geschmeckt.
„Danke für den Tee", nuschelte sie noch.

Vielleicht bin ich ja das Böse.
Der Gedanke verfolgte sie, während sie die Küche verließ, die für sie eine eigenartige Mischung aus Heimeligkeit und haarsträubenden Horrorgeschichten darstellte. Verrückterweise war es der einzige Ort, an dem sie sich ein wenig sicher fühlte, obwohl man Jelisaveta nicht gerade als Inbegriff von Herzlichkeit bezeichnen konnte.

Als Zarja aus dem schäbigen Gebäude in den Garten des Lagerhauses trat, schlug ihr sofort die eiskalte Winterluft entgegen. Mittlerweile waren ihr die tausenden kleinen Stiche auf der Haut fast lieb geworden, denn sie versicherten ihr, dass sie hier alleine sein würde. Niemand sonst wagte sich bei diesem Wetter unnötig vor die Tür. Schließlich war es in den schlecht beheizten Schlafsälen schon kalt genug.

Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, die ihn nur kurz daran hindern konnten, ihre Socken zu durchnässen. Wie jedes Mal zog sie sich an ihren Platz in den Ästen des Ahorns zurück, der sich nun kahl in den Himmel erhob. Von hier aus schien das Gebäude, ihr Zuhause, schon ein wenig weiter weg. Nicht weit genug, dass sie es vergessen konnte, doch so, dass es nicht mehr ganz so furchteinflößend vor ihr hochragte. Das Lagerhaus, wie die meisten seiner Bewohner das Kinderheim nannten, das offiziell den Namen Sveti Medard trug. 

Dieser heilige Medard war nicht mehr als eine Ikone im Foyer, ein Name. „Lagerhaus" dagegen beschrieb die wahre Natur der Institution: Ein Ort, an dem Waren gesammelt wurden, zu welchen Zarja sich selbst zählen durfte.

Die unterschiedlichsten Kinder endeten an Plätzen wie Sveti Medard. Dima, ihr einziger gelegentlicher Spielkamerad, war hier, weil er beim Diebstahl für seine vagabundierenden Familie erwischt worden war. Natasha und Grigori, weil sich niemand fand, der sich um die Waisen kümmern konnte. Kolja, weil seine Eltern sich für ihren krank geborenen Sohn schämten.
Und sie selbst war verkauft worden.

Warum konnte oder wollte man Zarja nicht sagen. Vielleicht aus Geldnot, wie das häufiger der Fall war. Letzten Endes wollte sie aber gar nicht wissen, warum ihre Eltern sie verstoßen hatten.
Verrat blieb Verrat.
Die Gründe spielten immerhin auch keine Rolle. Sie alle waren hier vom Glück Verlassene, die nur einen Schritt entfernt von den Ketten der Sklaverei standen.

Ihre Blicke wanderten zu den Wipfeln des Stenwaldes, die sich gegen den trüben Himmel abhoben, dessen Farbe so grau und ungastlich war, als wolle er damit diesem Ort gerecht werden. Ob dort wirklich die Wesen aus Jelisavetas Geschichten lauerten?
Magier? Ein Lesovik? Kikimorij? Oder Chatezhi?

Vielleicht hätte sie sich irgendwann dorthin schleichen können, doch ihre Angst wog schwerer als ihre Neugierde. Für einen verbotenen Ausflug würde sie wohl eher Shirokov als Ziel wählen.
Mit geschlossenen Augen lauschte sie auf irgendein verräterisches Geräusch. Doch da war nichts, außer einem Eichhörnchen, das sich in dem verwitterten Vogelhaus einquartiert hatte, und dem Leben innerhalb der Wände des Lagerhauses. Jelisaveta werkte noch in ihrer Küche, Marija Alexeijevna saß in ihrem Büro. 

Einige schienen heute zum Waschdienst eingeteilt, keine dankbare Aufgabe an einem solchen Tag. Die anderen verkrochen sich wie Kolja, dessen Fieber seit Tagen nicht sinken wollte, unter warmen Decken. Wäre er allein gewesen, säße sie jetzt an seinem Bett wie sonst auch, erzählte Jelisavetas Sagen nach oder bastelte ihm Spielzeug aus Reisig oder Stoffresten. Ging es ihm besser, las er ihr im Gegenzug aus einem der wenigen Bücher hier vor. Vielleicht war sein Körper krank, doch sein Geist stand hoch über dem aller übrigen Kinder. Nur schien das niemand zu beachten.

Zarja mochte Kolja, weil auch er anders war. Und weil sie ihn mochte, wollte sie, dass jeder dachte, sie würde ihn hassen. Im Moment war er ein Unsichtbarer, geduldet, liebgewonnen und doch die meiste Zeit übersehen; ihre Freundschaft hätte ihn zum Geächteten gemacht und damit zu einem leichten Opfer. Hungrige Wölfe stürzten sich immer auf die Schwächsten.
Sie hätte Kolja nicht beschützen können und ignorierte ihn deshalb von allen am meisten, sobald man sie zusammen sah, oder sprach nur in den bösesten Worten von ihm, damit nie jemand von ihrer Verbindung erfuhr. 

Eine zarte Taubheit begann sich in ihren Fingern auszubreiten, die Zarja gekonnt missachtete. Lieber hier draußen frieren als drinnen bei den anderen zu sein.
Plötzlich mischte sich zu den übrigen Geräuschen ein weiteres. Jemand kam auf sie zu. Und es war zu spät für eine Flucht.

„Hier versteckt sich die kleine Ved'ma also." 


𝐀 𝐍 𝐌 𝐄 𝐑 𝐊 𝐔 𝐍 𝐆 𝐄 𝐍

Und hier ist es auch schon, das erste Kapitel! 

Ich dachte, nachdem ich hin und wieder in den Kommentaren anderer Geschichten gelesen habe, dass kürzere Kapitel eher erwünscht sind, versuche ich's hier mal mit einer Länge von ca. 1.500 - 2.500 Wörtern. Ist das angenehm so? Ist länger doch besser? 


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