𝟑.𝟏 | 𝐀𝐝𝐥𝐞𝐫, 𝐁ä𝐫 𝐮𝐧𝐝 𝐅𝐮𝐜𝐡𝐬

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» In den Körpern der Velier leben zwei Seelen: eine melancholische und eine heitere. Bestes Spiegelbild dieser merkwürdigen Spaltung findet sich in ihrer Hauptstadt Altingrad selbst, wo sich Kirchen an Schenken reihen. Zu tieftraurigen, unseren Legenden entsprungenen Liedern wiegen sich dort die edlen Damen und Herren und prosten einander lachend zu – doch womit? Nicht mit unserem hochgelobten Aspravskaja. Nicht mit Rakia, Krupnik oder Pelinovec. Nein, mit Avançant! Und ihre Künstler berauschen sich mit dem nordischen Absinth! «

aus »Über die velische Seele«
Kornel Tacit
499 n. G.


MIKHAIL ROMANOVICH DRAGANOV verfolgte zwar das Treiben im Güldenen Bär, hätte gedanklich aber nicht weiter davon entfernt sein können. All das Lachen, Klirren der Gläser, Funkeln der edlen Lüster und die Musik fanden in seinem Inneren keinen Widerhall, sondern stießen auf eine eiserne Mauer. Nicht einmal der legendäre und berüchtigte Feuertanz hatte ihn aus seiner Nachdenklichkeit reißen können, auch, wenn es ihn faszinierte, wie solche Kunst ohne Magie möglich war.

„Ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen, ja? Nichts geht über den Güldenen Bär. Sie werden es ja im hauseigenen Casino sehen oder bei den Boxkämpfen, wenn das eher Ihren Geschmack trifft. Gäbe es hier noch eine Pferderennbahn, müsste ich nie wieder nach Hause gehen." Graf Lisitsyn lachte sein schönes Lachen, das sein ganzes junges Gesicht erstrahlen ließ und damit für gewöhnlich auch die Augen so mancher Frauen.
„Ich fürchte, ich werde Sie davor verlassen müssen."

Lisitsyns Augenbrauen schossen in die Höhe.
„Sie langweilen sich doch nicht etwa?", fragte er wie immer gut gelaunt, doch in seiner Stimme schwang ein fast beleidigter Ton mit. Was man auch von ihm hielt, langweilig fand ihn niemand und diesen Ruf verteidigte er energischer als seine Ehre.

„Natürlich nicht, aber die Pflicht ruft", antwortete Mikhail als erkläre das alles. Für ihn tat es das.
Der Graf schob den Vorhang beiseite, der in den angrenzenden Raum führte, wohin das merkwürdige Mädchen an der Bar zuvor eben verschwunden war. In dem Saal, an dem sich Spieltisch an Spieltisch reihte, konnte er sie allerdings nicht mehr finden, weshalb er vermutete, dass man durch ihn auch zu den Boxkämpfen gelangte.

„Welche Pflichten könnten Sie denn um diese Zeit haben, die wichtiger wären, als mich – uns –", der Graf vollführte eine kleine ausladende Geste zu den anderen Offizieren hin, „zu begleiten?"
„Der Besuch des Kaisers von Asen'ja und seines Sohnes." War das nicht offensichtlich?
Mikhails Worte ließen Lisitsyn nur für einen Augenblick aufsehen, ehe er sich wieder mit sichtlicher Vorfreude der Auswahl eines Tisches widmete. Er ertappte sich dabei, wie er den Grafen aufmerksam beobachtete und in seinen eleganten Bewegungen nach feinen Unregelmäßigkeiten suchte, nach Abhängigkeit von seinem Gehstock. Schließlich rankten sich die wildesten Ondits um seine angebliche Kriegsverletzung. Nicht, dass man diesen für gewöhnlich trauen durfte. Gerüchte besaßen die Eigenart, mehr über die Menschen zu verraten, die darüber sprachen, als über den Betroffenen. Wie zu erwarten fand Mikhail nichts, außer ein weiteres Zeichen für Lisitsyns Dekadenz: der Gehstock, dessen Griff aus daywasischem Elfenbein sich kunstvoll zu einem Fuchs formte.

„Und was wollen Sie um diese Zeit noch für seine Majestät tun? Ihm ein Glas Honigwein ans Bett bringen?", fragte der Graf lachend. „Ich enttäusche Sie nur ungern, aber dafür wird er Ihnen wahrscheinlich eine hübsche Bedienstete vorziehen, mein lieber Draganov. Nicht wahr, Bjalski?"
Der angesprochene Offizier zollte dem Scherz, der Mikhail nicht einmal zum Schmunzeln brachte, mit einem Lachen Beifall. 

Ohne darauf einzugehen, antwortete er in vollem Ernst. „Es gibt noch Vorkehrungen für die Parade zu treffen und die Sicherheit des Imperators muss immer gewährleistet sein, auch ohne die Leibgardisten der Kresniknina. Sie wissen, er duldet sie nicht in seiner Nähe. Nur der leiseste Fehltritt und wir befinden uns wieder mitten im Krieg."

Lisitsyn ließ sich an einem der Spieltische nieder und winkte einem Lakaien, sein Glas sei wieder zu füllen, ohne von den Karten, die verteilt wurden aufzusehen. „Und das würde Sie stören?", fragte er so leichthin und beiläufig, dass es selbst Mikhail die Sprache verschlug und er keine passende Antwort dazu finden wollte. Selbstverständlich!, wollte ein Teil von ihm rufen, doch ein anderer hielt diesen im Zaum.

Mit einem geradezu unschuldigen Lächeln sah der Graf zu ihm hoch. „Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Aber ich hatte den Eindruck gewonnen, Sie würden den Krieg vermissen. Sie waren noch nie jemand, der den ...", er suchte nach den richtigen Worten und hob schließlich, sie unterstreichend sein frisch gefülltes Glas, „Feuerstrom der Reben schätzt, sondern den der Geschütze."

Sein erster Impuls war Widerspruch, doch in seinem Inneren wusste er, dass Lisitsyn damit nicht vollkommen falsch lag. Mikhail fühlte sich, als würde er hier in Altingrad lediglich auf der Stelle treten, ohne eine Chance auf Aufstieg, Herausforderung oder auch nur die Befriedigung eine besondere Aufgabe erfüllen zu müssen. Und ganz besonders ohne die Position am Tisch mit den Generälen, in der er sich vor Jahren heute bereits gesehen hatte. Vielleicht lag es bloß daran, dass er manchmal die Trommeln, den Geruch von Schießpulver und das Adrenalin beim Zusammenprall mit dem Feind vermisste. Vielleicht sehnte er sich aber tatsächlich danach.

Ein fast höhnisches, aber doch in seinem üblichen Maß charmantes Lächeln hob Mikhails Lippen. In den Kreisen der Armee und des Hofes sagte man, die Vereinigung solcher Gegensätze wie spöttischer Kühle und doch anziehender Eleganz beherrsche niemand besser als er. Wie jetzt, ließ es nie erahnen, was tatsächlich in seinem Inneren vorging.
„Es ist eben wie immer: Wir wollen einen erneuten Krieg um jeden Preis vermeiden, aber wäre die Welt ganz frei von ihm, wären wir arbeitslos. Ein Paradoxon. Das werden Sie doch verstehen. Die aktuelle Lage ..."
„... sollte Sie nicht daran hindern, den Abend zu genießen, Draganov."

„Aber Agvila ist ein Pulverfass. Asen'jas Imperator und der Zar unterstützen andere Parteien in fremden Kriegen. Die Partnerschaft mit Aspravej bleibt ein dünnes Band – es gäbe einige Fürsten, die es begrüßen würden mit dem Norden in den Krieg zu ziehen und unseren Einfluss abzuschütteln. Und sogar im eigenen Land sind wir vor Feinden nicht sicher. Diese radikale Iskra scheint sich zu vergrößern", riss Mikhail wieder das Wort an sich und damit Lisitsyn aus seiner Konzentration auf sein Blatt.

„Genug damit, genug. Sie kennen meine Regel für solche Abende: keine Arbeit, kein Trübsinn, kein Krieg – außer er wird mit Karten und Würfeln ausgetragen."

Sonst konnte Draganov solche Nächte auch durchaus genießen, aber heute schien ihm die ausgelassene Laune im Raum unangebracht und er sich überflüssig, gäbe es doch weitaus wichtigeres, was er jetzt hätte tun können.
„Genießen Sie endlich den Abend und dann ... werde ich sehen, was ich für Sie tun kann." Der Graf blinzelte ihm über sein Glas hinweg verschwörerisch zu und ließ Mikhail dann über diese kryptischen Worte grübelnd zurück, indem er sich ins Spiel stürzte. Damit war das Gespräch beendet.

Während sich Lisitsyn sofort beim Glücksspiel prächtig amüsierte, vielleicht mehr als ihm gut tat, konnte er sich trotz allem zu keiner guten Stimmung durchringen. Nicht angesichts der brodelnden Atmosphäre in Agvila, die all das zu einem irrsinnigen Tanz auf dem Vulkan machte, und zu derlei hatte er sich noch hinreißen lassen. Er war der, der den Säbel in der Hand zum Kampf bereithielt statt ein Glas Avonçant zur Zerstreuung – und damit wohl das exakte Gegenteil des Grafen, der sich für seinen Geschmack zu wenig für das politische Geschehen um ihn interessierte und zu vielen fragwürdigen Vergnügungen frönte.

Nun war Mikhail das besonders unangenehm. Die gespannte Atmosphäre zwischen Velija und Finience – oder Asen'ja, wie man das Land in velischer Sprache nannte – mochte zwar nichts Neues sein, doch wog sie umso schwerer, seit der Kaiser des Reichs im Norden Altingrad besuchte und beim kleinsten Fehltritt abermals über Krieg oder Frieden entscheiden konnte. Viele hielten seine Sorgen vielleicht für Irrsinn, feierte man doch bald den Hundertjährigen Frieden, doch Draganov wusste, dass das alles lächerliches Schmierentheater war, der letzte Krieg nicht vor hundert, sondern vor gerade einmal zehn Jahren stattgefunden und Tote gefordert hatte, deren Familie keine Beileidsbekundungen erhielten, die nicht in allen Ehren mit Orden bestattet wurden und deren Namen niemals auf Gedenktafeln stehen würden. 

Diese kleine „Meinungsverschiedenheit" hatten die hohen Herren hinter verschlossenen Türen mit Papier, Tinte und hoheitlichem Siegel beigelegt und sich darauf geeinigt, dass sie offiziell als nicht geschehen anzusehen wäre und der Frieden nie unterbrochen wurde. Das Blut, das den Boden in Limanopol getränkt hatte, erzählte eine andere Geschichte.

Als wäre die außenpolitische Lage nicht genug, gab es da noch den Unruheherd, den die Iskra zu schaffen im Begriff war. Freiheit den Unterdrückten! Freiheit den Kresniki!, entsann er sich der Aufschrift eines ihrer Flugblätter auf dem Weg hierher, das alte Zeiten wieder aufleben lassen wollte, in denen Magier sich erhoben und unzählige Unschuldige niedergemetzelt worden waren. Die Zeiten der Wilden Jagd.
Sie wären damit nicht die ersten. Beim bloßen Gedanken daran glaubte Mikhail wieder den erstickenden Gestank der Verbrennung auf der Zunge zu spüren und er wünschte sich, er hätte ihn mit irgendwas hinunterspülen können. Doch er widerstand dem Drang, schob wie zur Bestätigung sein ohnehin leeres Glas weiter von sich.
Die Spannung in Altingrad war nahezu spürbar. Nur wusste niemand, worin sie sich entladen würde.
Letztendlich ging es immer um dasselbe: Sklaverei, Vorherrschaft und Magie. Ein ewiger, tief verworrener Teufelskreis.

Gerade als wären seine Gedanken von einer höheren Macht gehört worden, schob sich der rote Samtvorhang, der das Spielzimmer vom Rest des Güldenen Bär trennte, zur Seite und gewährte einer Gruppe Männern in schwarzen Uniformen Einlass. In diesem Fall musste diese Macht ihm wenig wohlgesinnt sein, wenn sie ihm ausgerechnet die Kresniknina an den Hals hetzte.
Die übrigen Gäste hielten instinktiv den Atem an.

Keine Würfel rollten mehr, keine Karten wurden mit der energischen Hand eines euphorischen Gewinners oder wütenden Verlierers auf die Tische geknallt, kein Wort gesprochen. Da waren bloß Blicke voller Ehrfurcht, Ablehnung oder stiller Angst, die unter dem dunklen, mit elektrumfarbenen Schnüren verzierten Stoff nach der verräterischen Form einer Kresnik-Pistole suchten. Bloß ein Junge mit dunklem Haar, ganz in der hintersten Ecke des Casinos, starrte sie geradezu mit unhöflicher Begeisterung an.
Reicher Tourist oder Iskra-Sympathisant?

„Ich dachte, wir wären eingeladen?", durchschnitt eine kühle Frauenstimme die drückende Stille, die zu der Person an der Spitze gehörte. Beinahe abschätzig musterte sie die Menschen im Raum, als widere sie ihr Erschrecken vor den Uniformen mit dem Abzeichen des Feuerrades an und verschaffte ihr doch zur selben Zeit eine gewisse Befriedigung.

„Kapitan Zatsepina! Ich dachte schon, Sie versetzen uns heute. Kommen Sie!"
Alleine Lisitsyn war so ungezwungen freundlich wie immer – und er schien sich tatsächlich zu freuen – und löste damit zumindest einige wieder aus ihrer Starre, die zu ihrer vorherigen Beschäftigung zurückkehrten.

Hielt er das etwa für eine gute Idee? Es war ein stilles Gesetz, dass Kresniknina und Armee nicht mehr miteinander zu tun hatten, als notwendig und selbst, wenn Draganov sich aus Regeln allein um der Regeln willen nichts machte, schien ihm diese durchaus sinnvoll. Zugegeben, einige Mitglieder der wiederauferstandenen Magiergilde waren ihm suspekt. Allen voran Ergena Zatsepina, die ihn jetzt mit ihren eisgrauen Augen durchbohrte, als wollte sie es lieber mit einer der messerscharfen Haarnadeln tun, die ihre aufwendige Frisur zusammenhielten.

 Mikhail respektierte sie für ihre schier unmögliche Errungenschaft es als erste Frau, zudem halbe Vargaja, in eine kämpfende Einheit geschafft zu haben und dann auch noch mit nur siebzehn Jahren bis zum Rang eines Kapitans aufgestiegen zu sein. Neben ihren außerordentlichen Fähigkeiten musste freilich die Macht ihres Vaters dazu beigetragen haben.

Doch ihm gefielen ihr Führungsstil, ihre radikale politische Meinung und ihre Arroganz nicht, hinter deren Fassade er zudem einen gewissen Hang zum Sadismus vermutete. Dieses Verhältnis beruhte auf Gegenseitigkeit, denn abseits von einem Zugeständnis seiner Fähigkeiten, konnte sie ihn ebenso wenig leiden.

„Oh, Polkovnik Draganov, wie schön Sie hier zu sehen." In ihrer kristallklaren Stimme schwang ein Hauch von Spott, so fein, dass nur er selbst ihn bemerkt hatte.
„Kapitan", begrüßte er sie knapp.
„Eine schöne Gelegenheit uns noch einmal etwas besser kennenzulernen, finden Sie nicht?" Ergenas rote Lippen hoben sich zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.
Mikhail runzelte die Stirn. „Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz ..."

„Sie wissen es noch nicht?" Mit ihren schmalen Fingern, die ihn mit den langen, spitzgefeilten Nägeln an die Krallen einer Wildkatze erinnerten, entfernte sie einen unsichtbaren Fussel von ihrer Uniform. „Ich wurde diesmal für den Dienst an der Militärakademie ausgewählt. Sie wissen ja, wie das ist. Das heißt, wir werden in Zukunft enger zusammenarbeiten."
Man hätte meinen können, ihre letzten Worte wären eine Drohung, doch selbst wenn, beeindruckte sie Mikhail nicht. Allerdings vergällte ihm diese Nachricht den Abend noch ein wenig mehr.

Durch die Tradition, dass Soldaten der Kresniknina einen Teil der Ausbildung an der Akademie leitet, um die zukünftige Generation Offiziere auf den Kampf gegen und mit Magie vorzubereiten, hatte er so einige Kresniki besser kennenlernen dürfen. Bei Zatsepina verspürte er nicht das geringste Verlangen danach. Aber wenn sie dachte, damit echten Ärger in ihm zu wecken, nahm sie sich zu wichtig.
Ich bin schon mit weit Schlimmerem fertig geworden als einem hochnäsigen Gör.

„Tatsächlich? Das hat der Generalfeldmarschall letztens gar nicht erwähnt. Nebensächliche Details ... Sie wissen ja, wie das ist." Draganov lächelte kühl und hob sein Glas zu einem angedeuteten Toast. „Nun, dann auf eine gute Zusammenarbeit."

Lisitsyns Blatt landete in einer eleganten Bewegung auf dem filzbespannten Spieltisch und unterbrach ihre nette Plauderei.
„Na sieh an, schon wieder gewonnen! Heute muss mein Glückstag sein", verkündete er fröhlich. „Es wäre wohl nur gerecht, das zu teilen. Euren teuersten Sekt für meine Gäste! Den besten Avonçant!"

Sofort eilte ein Lakai los, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, um kurz später mit der Bärin zurückzukehren, die in einer Mischung aus beeindruckender Eleganz und Tapsigkeit auf Hinterbeinen zum Grafen tänzelte, um ihm die das edle Getränk selbst zur Verkostung zu präsentieren. Ein sonderbarer Anblick, den der Fes zwischen den runden Ohren und ihr verziertes Jäckchen noch verstärkten.

Fast ein wenig schuldbewusst starrte nur wenig danach Draganov auf sein neues Glas, dessen Inhalt ein kleines Vermögen wert sein musste, wusste er doch, dass er keinen Tropfen davon trinken würde.

„Sind Sie sicher, dass Sie es nicht versuchen wollen, Draganov?"
Das Lächeln in Valentin Lisitsyns Gesicht besaß beinahe etwas Kindliches und wie ein Bettlerjunge, dem man in einem Spielzeugladen in der Glänzenden Stadt erlaubt hatte, sich alles auszusuchen, was sein Herz begehrte, schien er sich auch zu fühlen.
Mikhail wusste von den Gerüchten um seine Spielsucht, wie viele andere auch, doch er erlaubte sich keine Bemerkung dazu.

„Danke, ich verzichte, svjetlost'", lehnte er stattdessen höflich ab. Zwar hätte man annehmen müssen, dass vielmehr Lisitsyn ihm – einem an Alter überlegenen Fürst – gegenüber einen solchen Ton anschlug, doch in der velischen Armee stand Mikhail als Polkovnik, ein Oberst, unter ihm. Im Übrigen zählte man den Titel seiner Familie zu jenem nach der Wilden Jagd entstandenen Neuadel, der in der Realität immer noch vor alteingesessenen Geschlechtern wie den Lisitsyns buckeln musste – und wenn sie „bloß" Grafen im Vergleich zu ihm waren. Wahrscheinlich war es auch eben dieser Umstand, der aus Lisitsyn in seinem zarten Alter einen Generalleutnant und neuerdings Diplomaten machte und ihm selbst einen Polkovnik.
Mikhail konnte nicht behaupten, dass er Lisitsyn nicht mochte. Der Graf war ein liebenswürdiger, harmloser Hedonist, aber er verdiente seine hohen Posten nicht.

„Ich wette lieber auf Können als auf etwas Unzuverlässiges wie Glück."
„Sieh an, der erste vierte Mann scheut das Risiko", stichelte die junge Kresnitsa. Auf ihren Lippen erhielt selbst sein inoffizieller Titel eine unverkennbare Spitze. „Ich hoffe, Sie wären im Falle eines Krieges nicht auch so zurückhaltend. Ein Mann, der sich so vor Gefahr ziert, schlägt diese vor ihrem Seint Ael kriechenden Fanatiker wohl kaum."

„Sie müssten nicht hoffen, wären Sie mit mir auf dem Schlachtfeld gewesen." Auch, wenn ihr Gesicht verschlossen blieb, wusste er, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Ihre mangelnde Erfahrung in einem wirklichen Gefecht war der einzige Makel ihrer Karriere. Doch er wusste auch, dass das nicht ihre Schuld war und vermutlich hob sie gerade zu einer entsprechenden Erwiderung an, jedenfalls wurde ihr Blick noch kälter.

„Aber Sie spielen doch mit mir, Kapitan?", unterbrach Lisitsyn, bevor sich ihrer Zankerei noch ein tatsächlicher Streit entwachsen konnte.
Ergenas Mundwinkel hoben sich. „Wenn Sie sich damit abfinden können, dass Ihre Glückssträhne damit endet, General-lejtenant."
„Ich liebe Herausforderungen." Valentin lachte vergnügt und Draganov tauschte im Bruchteil einer Sekunde sein volles Glas gegen das leere eines Kameraden, das dieser nur kurz unbedacht vor sich abgestellt hatte.

Für einen Moment fragte Mikhail sich, als er das von den Rauchwölkchen der keck-schief zwischen den Lippen steckenden Papirossa verschwommene Gesicht betrachtete, in welcher Beziehung die beiden wirklich zueinander standen; Wissen, das irgendwann vielleicht einmal nützlich gewesen wäre, schließlich sollte man seinen Freund besser kennen als seinen Feind.

In vielerlei Hinsicht eilte Valentins Ruf ihm voraus, auch in der seiner weiblichen Bekanntschaften. So mancher dichtete ihm glatt eine Affäre mit der Zarin oder einer ihrer Töchter an, was wahrscheinlich wie die vielen anderen Gerüchte um ihn, Unsinn war.
Vielleicht basierte seine Sympathie für Zatsepina aber auch auf etwas ganz anderem: Magie, deren letzte Spuren auch durch sein Blut floss. Selbst, wenn sich der Alte Adel längst davon gesäubert hatte.

Während die Karten neu gemischt wurden, wandte sich Lisitsyn erneut an Mikhail: „Sie haben zu wenig Spaß, mein lieber Draganov. Und arbeiten zu viel."
Der Graf prostete ihm lächelnd zu und trank von dem teuren Getränk, das nicht bloß glänzte wie durchscheinendes, perlendes Gold – und damit in einen Wettstreit mit seinem Siegelring trat –, sondern wohl auch dessen Wert entsprach, als wäre es nur Wasser.

„Das Leben ist kein Spiel", antwortete Mikhail schlicht.
„Ist es nicht?" In Valentins grünen Augen funkelte das Wissen über eine Wahrheit, die sich dem Fürsten nicht erschloss und die er vielleicht auch gar nicht verstehen wollte.
Dann griff Lisitsyn nach seinen Karten und schob alle Jetons, der Wert Mikhail lieber nicht zählen wollte, vor sich in die Mitte des Tisches.
„Alles oder nichts."

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A N M E R K U N G E N

Jemand hier auf Watty sagte mal, dass man Author's Notes nur benutzt, wenn man unsicher ist und ja - schuldig im Sinne der Anklage. Bin ich.

Also frage ich ganz schüchtern, was ihr von Ergena, Mikhail und Valentin bisher so haltet. Gerade bei den ersten beiden hatte ich echt Angst, dass ihr Missfallen einander gegenüber zu kindisch wirkt. Und letzterer zu normal. Irgendwie hab ich seine ganze wilde Dekadenz in all of its glory noch nicht recht rübergebracht. Aber weil ich nicht ewig daran rumfeilen wollte, again, sage ich mir, dass ich mir das Beste zwar nicht für den Schluss aber definitiv für später aufbewahre und man den Leser ja auch mal sanfter an die Verrücktheiten der Charaktere gewöhnen kann. Er muss nicht wie Dolochow in Krieg und Frieden gleich saufend und lebensmüde aus dem Fenster hängen :'D

Und zu guter Letzt hoffe ich, dass ich hier keine zu großes Infodumping betrieben habe.

Sagt mir gerne, was ihr vom Kapitel haltet ^^

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