Kapitel 24 - Schreckgestalt

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|| Dieses Mal gibt ein etwas längeres Kapitel, dafür aber auch doppelt so viel Action! :D Ich bin schon sehr gespannt, was ihr davon haltet!
Viel Spaß beim Lesen und bis bald! <3 ||

Willow blickte immer wieder nervös auf die kleine Standuhr in ihrem Zimmer. Jakob saß unten mit Maisy im Wohnzimmer und unterhielt sich über das kommende Frühlingsfest. Jedes Jahr richtete die Sonnenkirche ein gigantisches Fest zu Ehren der wärmer werdenden Monate ein, an dem auf der großen Festwiese zwischen Wispmoore und Sickersbridge Speis, Trank, Spiel und Spaß angeboten wurde. Es war das größte Fest in Devonshire und selbst Leute aus den ferneren Städten reisten an, um diesem Event beizuwohnen.

Es erstreckte sich über mehrere Tage und jeden Abend gab es glanzvolle Galen in den wichtigsten Familienanwesen der Provinz. Willow erinnerte sich an die Festlichkeiten in Flenridge, die Ausritte in die sicheren Haine diesseitig der Mauer und die herrlichen Speisen, die mitsamt prickelndem Sekt und süßem Wein selbst an die Jüngeren ausgeteilt wurden. Kommenden Mai war es auch dieses Jahr wieder so weit und Willow dachte mit einem mulmigen Gefühl der Vorfreude an diese bedeutende Woche. Seit vier Jahren hatte sie schon dem Sonnenfest entsagen müssen.

Vielleicht würde das dieses Jahr anders sein und sie sogar als Ehrenmitglied der Jägergemeinschaft daran teilnehmen. Es wurde neun und als es auch vor Willows Tür langsam still wurde, machte sie sich an die Arbeit.

In ihr schwarzes Trainingsgewand aus dem Sportunterricht gehüllt und Violas Maske in der ledernen Umhängetasche machte sie sich auf den Weg. Die Gürteltaschen ihrer Mutter hingen schwer und großteils leer um ihre Hüften und das Küchenmesser lag gut verstaut in einer Lederscheide in einer von ihnen.

Die Monddrachen zogen über ihrem Kopf durch den bewölkten Himmel und verteilten ihr diesiges, milchiges Licht auf der Kleinstadt. Willow war leise durch die Vordertür geschlichen, weil sie wusste, dass dieser Ausgang am weitesten von Jakobs Räumlichkeiten entfernt lag. Die Straßen waren verlassen und bloß einige Nachteulen waren noch unterwegs, um von den Pubs nach Hause zu ziehen. Obwohl nicht jede Nacht giftiger Staub auf sie hernieder regnete, war es dennoch nicht unüblich, dass die Straßen nach dem Aufgehen der Monddrachen verlassen dalagen. Die drückende Aura ihrer steinernen Körper war von ihrem Aufgehen, bis zu ihrem Untergehen beinahe spürbar, so auch jetzt, als Willow samt ihres Regencapes durch die kalte Nacht huschte, um sich mit Viola an der Mauer zu treffen.

Willow war nervös, umrundete das Schulgebäude am äußeren Zaun und folgte dann dem von monddrachenlichterhellten Weg bis zu der Stelle, die Beth ihr genannt hatte. Willows Herz hämmerte ihr laut in der Brust und sie zuckte zusammen, als sich ein Schemen aus dem Schatten des Blattwerks löste und ins Licht trat.

»Du bist wirklich gekommen«, grüßte sie Viola mit einem diebischen Funkeln in den Augen und Willow grinste hysterisch zurück.

»Ich hab furchtbare Angst«, lachte sie nervös und fummelte an den Riemen der Knochenmaske herum.

Viola ging ihr zur Hand und löste die Schnallen. »Brauchst du nicht. Ich hab die letzten Tage immer wieder den älteren Jägern gelauscht, es ist derzeit wirklich ruhig. Nach der Staubwarnung vergangene Woche, haben sich die meisten Herde beruhigt. Ich bin aber auch aufgeregt«, gestand sie dann grinsend.

Die Knochenmasken, welche die Jäger für ihre Patrouillen benutzten, waren allesamt nach der strengen Vorschrift der Sonnenkirche hergestellt worden. Die obere Hälfte der Gesichtsmaske bestand aus dem Viszeralschädel* eines herkömmlichen Tieres, in welchen zerriebener Sonnendrachenknochenstaub eingearbeitet war, der durch Prozesse der künstlich verstärkten Biomineralisation* der Kalziumphosphatstruktur* eine übernatürliche Robustheit verlieh.

Den Knochen der Sonnendrachen wohnten besondere Eigenschaften inne, welche die anderer Elemente verstärken konnte. So wurden die Knochenmasken in dieser Hinsicht beständiger und die lichtfangenden Linsen der Augengläser effektiver. Die Nachtsicht, welche durch die lichtverstärkenden Partikel des Sonnendrachenstaubs entstand, half den Nachtwächtern erheblich und schaffte es, die Verluste trotz unwirtlicher Lichtverhältnisse bei Nacht gering zu halten. Zudem filterten sie das milchige Monddrachenlicht und erlaubten es, auch durch die tiefen, unnatürlichen Schatten der von Chimären heraufbeschworenen Fetzen aus Dunkelheit zu blicken.

Willows Augen mussten sich erst daran gewöhnen die Welt so gestochen klar zu sehen, obwohl sie zuvor kaum mehr, als Violas Schemen erkannt hatte. Es fühlte sich wie eine zweite Welt an, die sich über die diesige schob und sämtliche Strukturen wie einen präzisen Holzschnitt hervortreten ließ.

»Beeindruckend, oder?«, grinste Viola und Willow nickte. Zwar blieb die Welt größtenteils in dunkle Farben geteilt, doch haftete den Kanten sämtlicher Formen ein sanfter, goldener Umriss an.

»Es ist fantastisch«, hauchte Willow und blinzelte mehrere Male. Viola, welche die Zeit an ihrer Armbanduhr erfasste, spornte Willow dazu an, sich zu beeilen.

Sie schloss auch den unteren Teil der Maske und fühlte, wie die metallene Schiene der unteren Maske in der der Knochenmaske einrastete. Jeder Atemzug wurde von einem leichten Pfeifen begleitet, das durch die beiden Filter, die am unteren Teil der Gesichtsmaske angebracht waren, rauschte. Sie roch schwach nach Viola, trockene Blumen auf flechtenbedecktem Stein, was Willow entfernt an ihren Besuch in Marokko erinnerte.

»Du siehst fast aus, wie eine richtige Jägerin«, grinste Viola und Willow lachte atemlos. Hierfür war sie gemacht worden. Das hier zu tragen, sich in den Wald zu begeben und durch die Umrisse, getaucht in Sonnendrachen, Chimären zu töten. Eine unbändige Begeisterung kroch ihr durch die Venen, erfüllte ihr Blut und rauschte in ihren Ohren. Tante Elmira konnte sie nicht auf die Ersatzbank verbannen, schlichtweg durfte nicht.

Viola deutete auf die Mauer und Willow, die sich Sorgen gemacht hatte, ob sie die Trittsteine in der Dunkelheit überhaupt erkennen würde, sah sie wie ein leicht zu erklimmendes Muster in der Waagrechten.

»Es ist halb neun«, sagte Viola und startete ihre Stoppuhr. »Beth wartet auf der anderen Seite auf dich.«

Willow nickte, zögerte jedoch, die Mauer zu erklimmen. »Viola?«, flüsterte sie.

»Na los«, wisperte sie zurück, hielt jedoch inne, alsbald sie merkte, dass Willow etwas auf dem Herzen lag. »Was ist denn?«

»Hast du mit Connor gesprochen?«

»Nein, warum?«

Das übermächtige Gefühl, das richtige zu tun, verließ Willows Brust ebenso schnell, wie es diese geflutet hatte. »Letzte Wochen haben er und ein paar deiner Mitschüler auf mich gelauert. Auf dem Heimweg. Sie waren grob zu mir.«

Viola verzog die Brauen und spähte erneut nach oben zur Mauer. »Connor?«

»Ja. Hat Beth nichts gesagt?«

»Nein, aber ich bin mir sicher, dass das ein Missverständnis war. Connor ist doch dein Cousin! Hätte er tatsächlich etwas Böses gemacht, hätte Beth ihm eine reingehauen. Die beiden sind schließlich hetairos.«

»Ja«, bestätigte Willow mit zugeschnürtem Hals. Dass ihr gerade das Sorgen bereitete, verschwieg sie. Viola schien Beth wirklich sehr gerne zu haben und obendrein war aktuell kein guter Zeitpunkt, sich über diese Dinge zu unterhalten. Viola machte ihr das auch klar und deutete energisch auf die Mauer, gab ihr zwei Daumen hoch und prüfte ihre Armbanduhr.

Willow würde sich morgen darum kümmern. Der Stein fühlte sich trotz lederner Handschuhe rau und kalt unter ihren Fingern an und war so anders als die Kletterwand am Hindernisparkour. Realer und gefährlicher. Sie zog sich auf die Mauer und mit einem Schlag war die drohende Aura des Waldes greifbar nahe. Hier oben zog ein unheimlicher Wind durch das Geäst und fuhr Willow unter das schwarze Trainingshemd. Sie atmete tief durch und blickte auf der anderen Seite der Mauer hinunter. Sie verlief als hell schimmerndes Band von West nach Ost und durchschnitt den Wald wie ein feiner Bachlauf. Die Mauer um den Wald war eine Grenze, der nicht einmal die Bäume zu nahe kommen wollten. Entlang des steinernen Walls beugten sich Tannen und Buchen von den grauen Granitsteinen fort, als könnten sie sich alleine bei einer Berührung verbrennen. Außerdem wurden die meisten Bäume entlang der mauer geschlägert, um Übersetzern keine Chance zu bieten.

»Willow!«, zischte Beth zu Willows Füßen und sie blickte rasch nach unten. Ihre Cousine stand neben einer der Buchen und deutete ihr mit dem Arm, zu ihr herabzusteigen. »Los, beeil dich.«

Willow nickte und ließ sich auf der Innenseite der Mauer vorsichtig nach unten gleiten, suchte zwischen den Steinen nach Trittmöglichkeiten und wurde das letzte Stück von Beth gestützt.

Diese packte sie an der Hand und zog sie sogleich in den Wald hinein. Willow lief ihr nach, merkte aber rasch, dass sie in diesem unwirtlichen Terrain keine Erfahrung hatte. Obwohl sie mit der Knochenmaske erkannte, was sich in scharf umrissenen Schemen vor ihr auftat, war die Dimension dieser Sicht etwas, woran sie nicht gewöhnt war. Immer wieder stolperte sie über unebene, aus dem Boden ragende Wurzeln und stieß mit dornigem Gestrüpp zusammen, das sie in der neuen Perspektive nicht als solches erkannte.

»Warte«, keuchte sie und dann entglitt ihr Beths Hand. Sie strauchelte und bemühte sich, Beths Cape nicht aus den Augen zu lassen, doch ihre Schritte entfernten sich immer weiter von ihr.

Willow stolperte und blieb keuchend stehen. Sie versuchte, ihren lauten Atem zu kontrollieren. »Beth«, zischte sie und hielt die Luft an, um in die schwarze Nacht zu lauschen. In der Ferne rief ein Uhu, doch von ihrer Cousine fehlte jegliche Spur.

Willow atmete langsam aus. Die Panik kroch ihren Nacken nach oben und brachte ihre Hände zum Zittern. »Beth?«, wiederholte sie im Flüsterton und westlich von ihr knackte das Unterholz.

Willow fuhr herum und blinzelte. Die goldenen Linien begannen vor ihren Augen zu verschwimmen und sie nahm Bewegungen aus dem Augenwinkel wahr, die gar nicht da waren. Oder doch? Das Blut rauschte laut in ihren Ohren und das Zittern breitete sich unweigerlich zu ihren Knien aus, sodass Willow ein Gefühl der Ohnmacht überkam. Was hatte sie sich dabei gedacht?

»Shht«, erklang eine Stimme nicht unweit von ihrer Position und Willows Herz setzte für einige Schläge lang aus. »Nicht so laut.«

Connors Gestalt löste sich aus dem Unterholz und trat an sie heran.

»Hast du mich erschreckt«, wisperte Willow und beäugte ihren Cousin misstrauisch. »Ich dachte, du wartest am Schutzhaus?«

»Planänderung.« Das dreckige Grinsen war selbst durch die gedämpfte Knochenmaske in jeder Silbe des Wortes zu vernehmen. »Es ist schon fast traurig, wie naiv du bist.«

Willow schüttelte den Kopf. »Sei kein Dummkopf, Connor. Wir befinden uns im Wald, in Gefahr. Was auch immer du für ein Problem mit mir hast, kann bis nachher warten.«

»Du befindest dich in Gefahr«, widersprach er und holte einen langen Gegenstand unter seinem Schutzcape hervor. »Ich fühl mich prima.«

Wieder knackte es, dieses Mal näher und Willow hörte ein feines, langgezogenes Wispern durch das dichte Unterholz streichen.

»Grüß deine Eltern im Knast von mir.« Mit diesen Worten holte Connor weit aus und hieb ihr seinen Kampfstab fest in den Magen, sodass Willow mit einem erstickten Keuchen vornüber kippte.

»Vorausgesetzt, du kommst hier überhaupt lebend heraus. Dreckige Missgeburt.«

Willow rang laut nach Luft und presste sich die Hände auf den unteren Rippenbogen, der sich durch den heftigen Schlag verkrampfte und ihr das Atmen untersagte. Sie sank auf die Knie und fiel in nassen Farn, der sich mit seinen großen Wedeln über ihr schloss, wie ein Sargdeckel.

Langsam entspannte sich ihr Zwerchfell und Willow rappelte sich hektisch nach Atem ringend auf. Schwindelnd stützte sie sich gegen den nächsten Baumstamm und zog sich auf die Beine. Ihr Verstand begriff noch nicht, was sich eben zugetragen hatte und klammerte sich an die einzige logische Tatsache, die ihr zu diesem Verrat einfiel.

Connor hatte einen Fehler gemacht und Beth hatte sie nicht allein gelassen, denn das würde bedeuten, dass sie beide ihren Eid an die Sonnenkirche brachen, Zivilisten zu schützen. Und Willow war allen Kriterien entsprechend eine solche. Daran änderte auch Tinte auf Papier nichts. Und weder Beth noch Connor besaßen die kriminelle Ader, welche nötig war, um diesen Eid zu entehren. Das war eine moralische Unmöglichkeit. Sie waren Familie.

Willow schüttelte den Kopf und rief flüsternd nach Beth, doch der Wald blieb bis auf das merkwürdige Knistern gespenstisch still.

Ein Schemen bewegte sich durch die schwarze Nacht, die unter den dichten Kronen der Bäume zu einer beinahe greifbaren Dichte zusammen klumpte.

Es war nicht Beth. Es war auch nicht Connor.

Bloß einen Steinwurf von Willow entfernt rührte sich etwas im Unterholz, das dieses marode Knacken erzeugte. Ein Schemen wölbte sich auf dem Erdboden, in dem Versuch, sich aufzurichten, drückte die Wirbelsäule durch und stemmte sich gegen die dornigen Brombeerhecken, die zwischen den knorrigen Eichen emporkrochen.

Willow sah mit wachsendem Entsetzen zu, wie sich zuerst ein Rücken und dann ein Schultergürtel aus dem Erdreich erhob, die spitzen Dornen der Brombeeren ignorierend gegen den Zug des Bodens aufbegehrte und jede Ranke, die sich in den zotteligen, von Moos durchwachsenen Pelz grub, mit achtloser Leichtigkeit zerriss. Das Knistern und Knarzen von strapaziertem Holz dröhnte durch den stillen Wald und schließlich reckte sich eine spitze Schnauze aus dem Dickicht.

Willows Atem beschleunigte sich erschüttert, als sie sämtliche Abbildungen in ihren Lehrbüchern über Chimären vor sich aufblitzen sah. Madenzerfressene Bäuche, vermoderte Rippenbögen, leere Augenhöhlen und verwesende Flanken. Die Chimäre, die sich einen Meter vom Waldboden aufrichtete, besaß im Gesicht die Fellzeichnung eines Dachses, doch der blanke Knochen seiner rechten Gesichtshälfte bestand aus dem Unterkiefer eines Hirsches, so viel stellte Willow fest.

Die lange, schwarze Zunge rollte seitlich zwischen den Mahlzähnen aus ihrem Maul und im selben Moment blies die Chimäre heißen Atem in die kalte Luft. Der ganze Schädel dampfte und Willows Knie wurden weich wie Butter. Das eine gute Auge richtete sich gemeinsam mit der leeren Augenhöhle auf sie, während zäher Speichel die Zunge herabtropfte und in der Stille laut auf die Brombeerblätter traf.

»Wiii«, krächzte die Chimäre und stemmte sich gegen den Zug der Ranken, bis ihr Bauch unter fürchterlichem Knistern aufriss. Die Bauchdecke verblieb fest mit dem Erdreich verwachsen, während der nun freigelegte Brustkorb mit zerborstnen Rippen über vertrockneten Organen im Mondlicht pulsierte.

Willow wurde übel. Der bläuliche Schimmer von Mondstaub wirbelte in der Bewegung der Chimäre, löste sich aus den gebrochenen Rippen und rieselte wie ein feiner Regen an Glühwürmchen zwischen das blutbesprenkelte Laub zu Boden. Ihre Organe waren halb zersetzt, von wuchernden Bovisten überzogen, die bei jedem Schritt, den die Chimäre in Willows Richtung machte, ächzten und rauchten.

Willow wühlte mit haltlos zitternder Hand in ihrer Tasche nach dem Küchenmesser und stolperte gleichzeitig mit einer Faust auf den Magen gepresst wie fremdgesteuert rückwärts.

Ein hoher Ton erklang aus der gehäuteten Nasenöffnung der Chimäre, der Willow an einen pfeifenden Teekessel erinnerte und sie wendete im selben Augenblick, in dem sie ihre Beine in die Hand nahm und rannte.

Von einer Sekunde auf die nächste war die unheimliche Stille vorüber und Willow konnte den heftigen Einschlag eines weiteren Beinpaares dicht in ihrem Rücken durch den feuchten Boden spüren. Die schmalen Stämme der Jungbäume, denen Willow schlitternd auswich, riss die Chimäre widerstandslos aus der Erde. Nasse Farnwedel peitschten ihr gegen die eiskalten Finger, die immer noch das Messer umklammerten, klatschten ihr ins Gesicht und verstärkten die kribbelnde Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper.

Willow stieß ein Schluchzen aus, das ihr den Atem raubte und riskierte einen Blick über die Schulter. Die Chimäre hetzte ihr vornübergebeugt, doch auf zwei erschreckend menschlichen Beinen nach und reckte ihr die klauenbewehrten Hände entgegen. Ihr blaues, modriges Herz war komplett zu Mondgestein gewandelt worden und schimmerte hell wie ein Monddrache zwischen den zerbröckelnden Rippen. Keine Abbildung hätte Willow auf diesen Anblick vorbereiten können, wenn das Licht schaurig lebendig mit den tiefen Schatten um die Oberhand kämpfte und dabei den ausgehöhlten Brustkorb in kränkliches Flimmern tauchte.

Die Chimäre stieß ein weiteres Pfeifen aus, das nach »Wiii« klang und einer menschlichen Silbe schauerlich ähnelte. Dann holte sie mit den gehäuteten Fingergliedern aus, von denen zwei langsam aber doch die Form von Hufen angenommen hatten und Willows Herz setzte für einen Schlag aus.

Mit einem entsetzten Keuchen duckte sich Willow unter dem Hieb hindurch und rollte sich blind im brusthohen Farn ab. Sie stieß sich den Ellenbogen und winkelte die Hand mit dem Messer instinktiv so, dass es flach auf die Erde gedrückt wurde, anstatt sich in ihren eigenen Brustkorb zu bohren. Doch das Manöver kostete ihr sämtlichen Vorsprung und Willow stolperte mit einem verausgabten Keuchen über die nächste Unebenheit am Waldboden.

Mit einem Ächzen richtete sie sich auf und drehte sich zu ihrem Verfolger um. Willows Herz hämmerte ihr unaufhörlich Adrenalin durch den Körper und mit einem Mal rastete etwas in ihrem Geist ein. Die überschäumende Panik wich einer prickelnden Erregung, die sämtliche Nerven unter Strom setzte. Ihre Beine beugten sich wie von Geisterhand und sie hob den Arm mit dem Messer vor ihr Gesicht. Ein loderndes Feuer peitschte durch ihre Adern und ließ ihre Umgebung durch ihre Sinne aufleuchten. Sie war ihrer Furcht nicht ausgeliefert, sondern wusste mit einem Mal, diese heftige Regung zu lenken. Ihr Körper schrie danach, das Adrenalin zu nutzen, die Bereitschaft ihrer Muskeln in diesem alles entscheidenden und einzigen, ihr verbliebenen Augenblick nicht für die Flucht zu verschwenden, sondern für den Kampf.

Die Chimäre prallte heftig gegen Willows gehobenen Arm und spießte sich an dem langen Küchenmesser auf. Der Impakt presste Willow die Luft aus den Lungen und die Wucht schleuderte sie samt Chimäre rückwärts auf den Waldboden. Das Messer steckte bis zum Heft tief in der Brust des Hirschkörpers, erreichte jedoch nicht das steinerne Herz, sondern verkeilte sich zwischen den ebenso steinernen Rippen. Willow rammte ihren Ellenbogen nach dem Kopf der Chimäre und renkte ihr mit einem ekelhaften Knirschen den Unterkiefer aus der Gelenksgrube am Schläfenbein, wodurch der Dachsschädel mit einem Knacken zur Seite ausschlug. Das dickflüssige Blut, das eher an Teer erinnerte, spritzte über Willows Maske und fiel in klebrigen, schweren Tropfen auf ihre Arme.

Willow stieß ein ersticktes Keuchen aus. Ein Tier wäre gestorben, die Chimäre hingegen ignorierte ihren gebrochenen Atlaswirbel und bohrte ihre knochigen Finger in Willows Oberschenkel. Sie stieß einen Schrei aus und trat nach der Chimäre, versuchte, ihren verstörend menschlichen Griff zu lösen, doch ein gänzlich neuer und ihr bisher unbekannter Schmerz stach ihr an der Innenseite ihres linken Schenkels bis tief ins Fleisch. Sie presste einen Schrei hervor und zog das Messer aus dem Brustkorb, der unter dem Hieb weitere Rippen verlor.

Die Chimäre holte mit dem Arm aus, löste ihren Griff von Willows Bein und packte ihr Hemd, zog sich vorwärts, um Willow unter sich zu begraben.

»Wiii«, pfiff sie nun deutlich unpräziser durch ihren ausgerenkten Kiefer und Willow erkannte unter dem schwarzen Blut die eingerissenen Stimmbänder des ehemaligen Daches vibrieren. »Looow

Willow gefror das Blut in den Adern und sämtliche Versuche, unter dem schweren, zerfallenden Körper der Chimäre fortzukriechen, fanden ein Ende.

»Wiii-looow«, wiederholte die Chimäre und grub ihre halb zu Hufen mutierten Hände in Willows Hemdkragen. Die Tatsache, dass diese Chimäre der menschlichen Sprache fähig war, reichte, um schreckenerregend zu sein, doch Willows Name aus dem verzerrten Mund des Monsters zu hören, grenzte an einen Albtraum.

Willows Atem kam nur noch in abgehackten Schüben und eine taube Kälte breitete sich in ihrem linken Bein aus. Das Gefühl der absoluten Kontrolle und des Nervenkitzels war ebenso schnell vorüber, wie es gekommen war, und ließ Willow in ernüchtertem Entsetzen mit der kalten Erde im Rücken zurück. Das war ihr Ende. Der giftige Mondstaub quoll aus den zerbrochenen Knochen über ihr, splitterte von dem schlagenden Herz aus Stein und färbte die Farne schimmernd blau.

Wo blieben die anderen Wächter? Hatte sie denn niemand gehört?

Willow stemmte sich gegen den grauenvollen Griff der Chimäre, weil sie garantiert starb, wenn sie hier weiter herumlag wie ein Sack Kohlen. Die Chimäre schob ihren Kopf über Willows Gesicht und ihr ausgerenkter Kiefer klapperte gegen die Knochenmaske, im lächerlichen Versuch, sich in ihren Schädel zu verbeißen. Willow konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen, als sich die knochigen Finger um ihren Hals wanden.

|| Jetzt wirds ernst! >:) Na, ob sie da noch rauskommt ... wir dürfen ja durchaus an ihrem Verstand zweifeln, das ganze war wirklich eine offensichtliche Falle! Aber wer kennt das nicht? Man will manches nicht wahrhaben, weil Sturheit und Starrköpfigkeit Hand in Hand mit Verleugnung geht :(

Aber Naoise wird ihr in dieser Hinsicht bestimmt noch mal den Kopf waschen ... 

Ich hoffe, es hat euch gefallen und die Spannung war zu spüren! n_n |

|| Wissensecke :D

Viszeralschädel: das ist einfach die wissenschaftliche Bedeutung für das, was jedes Wirbeltier auf dem Kopf trägt - der Gesichtsknochen!

Biomineralisation: das ist ein Vorgang in der Biologie, bei dem ein Lebewesen Mineralien (wie im Namen haha), aus der Umgebung filtert (im Meerwasser sind das zum Beispiel Muscheln, Brachiopoden, aber auch Schnecken und Foraminiferen) und im eigenen Organismus "anbaut"

Kalziumphosphat: das ist das Molekül, aus dem unsere Knochen bestehen; Muscheln und Korallen hingegen haben oft Kalziumkarbonat eingebaut und Schwämme nehmen manchmal gleich Kieselsäure!

Interessante evolutionäre Theorie: Wie kommt denn der Knochen IN uns, wenn wir die Mineralien von AUSSEN aufnehmen?

Einige behaupten, dass der Ursprung des Endoskeletts (also des Skeletts, das innenliegt; Vergleich Exoskelett -> außenliegend, bei Spinnentieren, Insekten und auch bei Krebsen der Fall), daher stammt, dass unsere meergebundenen Vorfahren durch das Einverleiben giftiger Mineralien einen Ablagerungsort gebraucht haben, um diese Stoffe aus der Blutbahn zu filtern. Daraus sollen sich dann die Knochen entwickelt haben.

Und wie immer: bei Fragen gerne melden! ^-^ Das wars dann auch schon! ||


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