Kapitel 28 - Heliantheas Vermächtnis

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Willow wollte unbedingt zu Naoise laufen, doch Jesiah hielt sie sanft aber bestimmend an der Schulter zurück. »Auf ein Wort, Miss Willow.«

Willow war hin und hergerissen zwischen ihrem Respekt für den Generalvikar und dem Drang, sich umgehend bei Naoise zu entschuldigen. Doch die Polizisten führten Naoise grob und ohne zu warten aus der Halle. Tante Elmira folgte ihm, mit einem letzten, selbstgefälligen Blick über die Schulter der Willow galt.

»Jawohl, Generalvikar«, sagte sie daher erschlagen und ließ sich von Jesiah die Galerie entlang in sein Büro führen.

Auch hier waren Intarsien in die Bodenbretter aus dunklem Holz eingelegt, doch anstatt der funkelnden Steine im Kirchenschiff, bestanden diese hier aus heller Eiche und Birke. Ihre Schritte knarzten leise über den Boden und Jesiah bedeutete ihr mit der Hand, in einem der Sessel vor dem niedrigen Couchtisch Platz zu nehmen. Die gläserne Platte des kniehohen Tisches ruhte auf geschnitzten Abbildern der Sonnen- und Monddrachen, welche die polierte Oberfläche auf ihren Köpfen balancierten.

An der Wand über dem kleinen Gebetsschrein hing ein Ölgemälde, welches einen Sonnendrachen darstellte, der sein goldenes Licht als Segen auf die Gestalt unter ihm hauchte. Sein schlangenähnlicher Leib rollte sich über den Himmel, der von einer atemberaubenden Dämmerung zeugte, die sich von Gold in Blau wandelte. Seine langen Haarsträhnen flossen in feinen Pinselstrichen verewigt über das Firmament und seine dünnen reiherähnlichen Beine waren beschützend nach der Gestalt unter ihm ausgestreckt.

Auf dem schneebedeckten Gipfel eines Gebirgszuges stand eine Frau in weißem Gewand, das ihr in Fetzen über den Oberkörper hing und zu ihren nackten Füßen auf die Schneewehen wallte. Ihre linke Hand hatte sie geöffnet dem Sonnendrachen über ihrem Kopf entgegengereckt und das Haupt mit geschlossenen Augen in ehrfürchtiger Demut gesenkt, sodass ihr langes Haar über ihre Schultern und Brüste bis zu ihren Hüften fiel.

Ihre rechte Hand deutete nach unten, war ausgestreckt, als wollte sie einem am Bodenliegenden ihre Hilfe anbieten und im Schatten zu ihren Füßen, gut versteckt in den feinen Pinselstrichen des bläulichen Schnees und des funkelnden Gesteins, wand sich ein Monddrache mit geschraubten Hörnern um sich selbst. Sein steinerner Körper war weniger elegant, dafür umso kraftvoller. Er kroch über die Felsvorsprünge und seine kräftigen Tatzen, die denen einer Raubkatze ähnelten, gruben sich fest in den Fels, um der Schwerkraft zu trotzen.

Willow blieb gefesselt stehen und studierte die Gesichtszüge der ärmlich aussehenden Frau, die so friedlich und feierlich in bitterer Kälte stand, während der mächtige Sonnendrache seinen feurigen Atem auf sie nieder blies und der Monddrache seinen Kopf mit wohlwollender Miene – anders konnte Willow den perfekt gefangenen Ausdruck in seinen lavendelfarbenen Augen nicht erklären – zu ihr nach oben reckte. Dort, wo der goldene Staub ihr Haar berührte, wandelte sich das verwaschene Schwarz in strahlendes Gold und funkelndes weiß.

»Das ist Helianthea«, sagte Jesiah nach einer Weile der Stille, in welcher er Willow ganz ihrem Staunen überlassen hatte. »Sie sieht ein wenig anders aus, als die Bildnisse der Ikonostase, nicht?«

Willow blinzelte verdutzt und blickte zu Jesiah zurück, der aus dem Nebenraum mit einer Kanne frischem Tee an den Tisch trat und zwei Gläser darauf platzierte. »Das stimmt«, gab Willow zu und ließ ihren Blick erneut über das Gemälde schweifen. »Ich habe sie noch nie ohne ihre Rüstung gesehen. Oder im Beisein eines Monddrachen.«

Jesiah lachte leise und füllte den dampfenden Tee in ihre Tassen. »Das verwundert mich nicht. Die moderne Sonnenkirche vergisst gerne, dass die Wurzeln unserer Welt in beiden Gestirnen ruhen.«

Willow warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Die Monddrachen tragen nur leider nicht unbedingt positiv zum Gleichgewicht bei.«

Jesiahs Stirn runzelte sich daraufhin ein wenig und er deutet Willow, sich zu ihm zu setzen. »So hat es den Anschein, ja. Doch Gegenstücke sind nicht ohne Grund zwei Hälften eines Ganzen. Vergessen Sie nicht das Mantra der Sonnenkirche: Lex terrae es de caelum. Das Gesetz der Erde ist das des Himmels. Ihre Urahnin Helianthea hat nicht nur in das Licht, sondern auch in das Muttergestein unserer Erde gelauscht, ein Gestein, das dem der Monddrachen ähnelt. Die Legende um sie ist uralt, älter als die Sonnenkirche und bestimmt älter als die moderne Geschichtsschreibung. Das Mysterium um Heliantheas unglaubliche Gabe bleibt ein gewisses Rätsel.«

Willow blickte beunruhigt zum Gemälde nach oben. Der Monddrache sah nicht bösartig aus, ganz im Gegenteil.

»Die Sonnenkirche verbietet diese Darstellung aus gutem Grund. Dieses Gemälde ist daher auch bloß ein Sammlerstück«, lächelte Jesiah und nippte an seinem Tee. »Und nicht der Grund, weshalb ich mit Ihnen sprechen wollte.«

Willow nickte nervös und griff nach der Tasse, um ihren unruhigen Händen etwas zu tun zu geben.

»Ich weiß, dass Sie jung und ungestüm sind und es kaum erwarten können, Ihren Beitrag zum Erhalt der Sonnendrachen zu leisten«, fing Jesiah gutmütig an, »doch möchte ich mit Ihnen ein ernstes Wort sprechen.«

Willow schlug beschämt die Augen nieder. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Generalvikar. Ich bin mir bewusst, welches Vertrauen Sie in mich gesetzt haben und wie undankbar mein Verhalten erscheint.«

Jesiah lächelte. »Ich verurteile nicht Ihr unerprobtes Gemüt, Miss Willow, doch ja. Ich bürge für Sie und ihre Souveränität vor dem Bischof persönlich. Ich möchte Ihnen eine Chance geben, sich zu beweisen«, fuhr er mit Nachdruck fort und deutete auf das Gemälde Heliantheas. »Sie sind eine Nachfahrin der größten Kriegerin, die je gelebt hat! Es ist Ihnen vorbestimmt die Sonnendrachen zu schützen und zum Leben zu erwecken. Seit Generationen schlummern ihre Kinder nun schon unter ihren Schalen hinter unzähligen Wällen aus schützendem Stein und lassen sich durch keine Zeremonie wecken. Wir brauchen Sie, Miss Willow. Als Phyteuma, als Trägerin der ewigen Blutlinie ruht die Hoffnung auf ihre Erweckung in Ihren Händen. Nur noch wenige wissen, was in den heiligen Schriften geschrieben steht und ein großer Anteil derjenigen, die sie gelesen haben, ziehen es vor, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.«

Willow schluckte beklommen und ließ ihre Teetasse auf ihre Oberschenkel sinken. Der Schnitt unter dem Verband brannte leicht dabei. »Ich soll die Sonnendrachenkinder wecken?«, hinterfragte sie und konnte die Ironie nicht aus ihrer Stimme zwingen.

Natürlich hörte jeder die Geschichten und Legenden, doch mit dem Ausbleiben einer Erweckung von nun mehr als fünfhundert Jahren, war es schwierig, diesen Legenden Glaubwürdigkeit beizumessen. Über die vergangenen Generationen hatte sich die Sonnenkirche mehr und mehr dem alleinigen Schutz der verbliebenen Sonnendracheneier gewidmet und war in ein striktes Dogma des Verschlusses gedriftet.

Da die Erweckung der Sonnendrachen keine Früchte trug, wurde immer weniger Mitgliedern gestattet, die heiligen Schriften zu studieren, aus Furcht vor Verrätern. Und zu Recht. Dabei war es unerlässlich, diese Schriften zu analysieren, denn in ihnen waren die Rituale enthalten, die zur Erweckung der Sonnendrachen dienten. Warum wollte der Papst dieses Wissen unter Verschluss halten? Willow wurde von einer knochentiefen Müdigkeit überrollt.

»Niemand lässt mich mehr in die Nähe irgendeines Heiligtums. Gerade wegen meiner Erscheinung. Meine Eltern haben wirklich Mist gebaut«, murmelte sie erschlagen. »Ich stehe kurz vor einer Exkommunizierung, meine Tante und mein Onkel wollen mich wegen der Verbrechen meiner Eltern am besten direkt in das Verlies zu ihnen stecken. Verzeiht, wenn ich undankbar erscheine, doch es gibt kein Szenario dieser Welt, in welchem mich Onkel Kaleigh auch nur in die Nähe der Dracheneier lässt.«

Jesiah nickte bekümmert. »Ja, der Bischof ist bei Zeiten recht streng. Doch deswegen müssen Sie sich von Ihrer besten Seite zeigen. Ich ließ das Gericht ihren einwandfreien Leumund bestätigen, weil der Bischof in seiner Exzellenz zu beschäftigt mit weltlichen Belangen ist, als meiner Wenigkeit Gehör zu schenken. Das vermeintliche Verbrechen Ihrer Eltern ist zudem noch lange nicht bestätigt. Die Ermittlungen ziehen sich hin, weil der Bischof durch die unzähligen Vermissten völlig überfordert ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Vorwurf, die Heilige Schrift zu stehlen, welche für die Erweckung der Sonnendrachen unerlässlich ist, ist selbst in einer hypothetischen Anklage kein Vergehen, das wir auf die leichte Schulter nehmen sollten.«

»Aber der Fokus sollte momentan nicht auf einem verhinderten Verbrechen liegen, sondern darauf, was kontinuierlich uneingeschränkt Devonshire heimsucht«, ergänzte Willow zerknirscht und Jesiah nickte mit einem Seufzen.

»So leid es mir auch tut. Aber Sie sind eine unbescholtene junge Dame, die hierbei ein großer Gewinn sein könnte.«

Willow schlug beschämt die Augen nieder. »Ich habe es vermasselt.«

»Aber nein«, stritt Jesiah lächelnd ab. »Sie haben sich nichts zu Schulden kommen lassen. Aber um weitere missgeleitete Ausflüge zu vermeiden, würde ich mich gerne wöchentlich mit Ihnen zusammensetzen. So können wir über die Dinge reden, die Sie belasten. Am besten treffen wir uns am Wochende, samstags.«

Jesiah streckte seine Hand über den Couchtisch und legte sie Willow behutsam auf den Unterarm. »Und Ihr Onkel wird früh genug merken, dass Sie nicht wie Ihre Eltern sind. Tun Sie mir bis dahin nur einen Gefallen, ja? Halten Sie sich aus Schwierigkeiten heraus und von Kavanaugh fern.«

Willow verzog den Mund zu einem erschlagenen Lächeln. »Wieso? Weil er ein Taugenichts ist?«

Jesiahs Miene wurde daraufhin ernst und er schüttelte einmal kurz den Kopf. »Nein, Miss Willow. Seine Familie wurde zwar schwer vom Schicksal getroffen, doch waren die Kavanaughs immer schon ein Dorn im Auge der Sonnenkirche. Ich sage das nicht leichtfertig, doch diese Familie hat eine Geschichte, da würde es Ihnen die Haare zu Berge stehen lassen. Ich möchte Sie nicht beunruhigen, trotzdem warne ich Sie. Die Kavanaughs sind kein guter Einfluss für eine Löwin. Und ihr Sohn hat seine ungenügenden Qualitäten – wenn ich so frei sein darf – eben erst an den Tag gelegt.«

Willow senkte beschämt den Blick. Ihre Wangen glühten und die Röte stieg ihr den Kragen hinauf bis zu den Ohren.

»Sollte er sich erneut gegen die Anweisung des Bischofs stellen, zögern Sie nicht, zu mir zu kommen.«

Willow hob gepeinigt den Blick und brachte ein halbes Lächeln zustande. »Vielen Dank, Generalvikar.«

»Nichts zu danken, meine Liebe«, lächelte er und forderte sie auf, ihren Tee auszutrinken, ehe Jakob kam, um sie abzuholen.


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