6. Brief

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Liebe Lucy,

oh ja, wie recht Du doch hast. Der Frühling ist da, es grünt und zwitschert überall um mich herum. Ich fühle mich schlechter denn je.

Früher war der Frühling meine Lieblingsjahreszeit. Ich rannte stundenlang unter den Blättern der regennassen Bäume entlang, pflückte Blumen und versuchte, die Lieder der Vögel auf meinem Cello nachzuahmen.

Jetzt ist das einzige, was mir noch Freude macht, raues Pergament, auf dem in schwarzer Tinte Wörter geschrieben sind. Wörter in Deiner Handschrift. Wörter, die so viel mehr sind als nur Wörter, da sie einen von innen wärmen und es schaffen, dass man bis in die späte Nacht nur noch leise vor sich hinlächelt.

Wörter sind wahre Zauberdinge, findest Du nicht? Deine Wörter jedenfalls vermögen es, mich unglaublich glücklich zu machen.

Oh ja, Vertrauen. Mein Vertrauen habe ich schon lange verloren. Das naive Vertrauen, dass alles gut wird, dass Menschen gute Wesen sind.

Denn Du hast Recht. Menschen sind grausam und ich weiß nicht, ob ich diese Erkenntnis jemals wieder zurücknehmen werde.

Aber weißt Du was, Lucy? Durch Dich, allein durch Deine wunderbaren Worte, habe ich ein bisschen an Vertrauen zurückgewonnen. Denn ich kann nun darauf vertrauen, dass wenigstens Du da bist, mich ernst nimmst, meine Probleme und Sorgen verstehst und letztere durch Deine Briefe zu vertreiben vermagst.

Und dafür kann ich Dir nicht genug danken, liebste Lucy.

Aber genug der großen Worte, ich möchte Dir von meinem Verlobten erzählen. Vor vier Tagen traf ihn zum ersten Mal, eine Menge Puder auf den ohnehin schon bleichen Wangen und in mein teuerstes Kleid gezwängt, das Korsett so fest zugeschnürt, dass ich kaum zum Atmen kam.

Seine Villa ist fast größer als die, die ich mein Zuhause nennen muss und liegt am Stadtrand. Ich konnte sie vom ersten Moment an nicht ausstehen.

Mein Vater führte mich aus unserer Kutsche heraus und geleitete mich zu dem schrecklich großen Eingang, der schon für uns geöffnet worden war.

Ich kann mich kaum noch an alles erinnern, spätestens als wir das Haus traten, war eine Leere in mir und ich gedanklich an einem ganz anderen Ort. Bei Dir und bei meinem Cello.

Erst, als man mich meinem Verlobten vorstellte, wachte ich auf und betrachtete ihn. Er sieht sehr gut aus. Er ist unheimlich höflich und behandelte mich wie die Königin der Welt.

Er verdient es nicht, mit einer Person wie mir verheiratet zu sein und ich würde ihm von Herzen jemand anderes gönnen. Jemanden perfekteres.
Aber der Hochzeitstermin steht jetzt. Fünfter Juni. Ich will das nicht, Lucy.

Meinen Vater kümmert das alles nicht. Er ist nur auf Besitz fixiert, auf Geld und andere weltliche Güter. Ihm ist egal, ob ich oder irgendeine andere Person auf dieser Welt glücklich ist.

Manchmal wünsche ich mir wirklich, in einem anderen Leben zu sein, ohne diese Eltern und ohne die Regeln der Gesellschaft, die mein Leben zerstören.

Aber ich will Dir nun nicht mehr mit meinen Problemen in den Ohren liegen. In Selbstmitleid zu versinken ist zwar das einfachste, aber nicht immer die Lösung, die einem guttut. Ich sollte mich vielleicht freuen, dass ich immerhin Dich habe.

Denn Du bist mein Anker, meine Trösterin, mein täglicher Grund, aufzustehen.

Ich danke Dir mehr, als dass man es mit einfachen Worten ausdrücken könnte.

Ich liebe Dich auch.

PS: Du hattest ja nach meinem Wohnort gefragt. Ich wurde in Berlin geboren und lebe jetzt auch dort in der Nähe eines großen Parkes. Wo wohnst Du?
Doch egal, wo Du wohnst, wir sehen nachts den gleichen Mond und das tröstet mich.

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