Träume ändern sich

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2. Platz in Runde IV des Shining Silmarilli Writing Contests von LinaewenFinduilas 

━━━༺❀༻━━━

Durch die riesige Glasfront meines Büros sehe ich hinunter auf das Gedränge in den Straßen. Vom Lärm des Feierabendverkehrs ist hier oben nicht viel zu hören und auch die grellen Lichter der Stadt verblassen. Nur ein schwacher Abschein hüllt mich und meine Möbel ein.

Es ist zu einem Ritual geworden, abends hier zu stehen und die Ruhe zu genießen, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Seit einiger Zeit empfinde ich jedoch keine Zufriedenheit mehr dabei. Der Anblick des geschäftigen Treibens dort unten macht mich eher traurig als glücklich. Denn dieser Elfenbeinturm, in dem ich Tag für Tag sitze, ist nur ein weiteres Gefängnis.

Ich habe mich mühsam aus der Armut heraus gekämpft. Wollte kein Niemand mehr sein, mich nie wieder minderwertig fühlen. Die Fesseln der Vergangenheit ablegen und endlich frei sein.

Und was hat es mir gebracht?

Ja, ich habe meine Träume verwirklicht. Ich habe Jura studiert, mich in der Hackordnung hochgearbeitet und meine eigene Kanzlei zur Nummer eins in Sachen Scheidungsrecht gemacht. Ich bin die Beste auf diesem Gebiet und jeder in New York City weiß es. Vermutlich reicht mein Ruf sogar bis über die Stadtgrenzen hinaus. Aber das ist nur ein Job, nicht mein Leben.

Keine Ahnung, warum mir das erst jetzt bewusst wird. Ich habe so viele Jahre nur für meinen Beruf gelebt und alle sozialen Kontakte hintangestellt. Meine Ehe ist gescheitert, meine Eltern inzwischen tot und für Freunde hatte ich nie Zeit. Die Mitarbeiter hier raspeln nur Süßholz, reden mir nach dem Mund und sind genauso karrieregeil wie ich damals. Inzwischen weiß ich es besser.

Erfolg allein macht nicht glücklich. Leider.

Jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher als Menschen, die wirklich mich sehen – nicht die taffe Rechtsanwältin mit der spitzen Zunge und dem scharfen Verstand. Mich, die Tochter einer einfachen Kassiererin und eines Taxifahrers, die nie genug Geld für Kleidung und Nahrung hatten. Mich. Mit all meinen Sorgen und Ängsten, über die ich nie rede. Selbst mit meinem Ehemann habe ich nicht darüber gesprochen ...

Es hat schon seinen Grund, dass er inzwischen mein Ex-Ehemann ist.

In letzter Zeit denke ich oft an Maurice. Diese Gedanken lassen mich jedes Mal wehmütig zurück. Auch jetzt fühle ich mich wieder wie betäubt, wie eine leere Hülle. Gar nicht mehr wie ich selbst. Ich wünsche mir so sehr, dass nach getaner Arbeit jemand zu Hause auf mich wartet. Jemand, der mich bedingungslos liebt.

Dummerweise habe ich das verbockt.

Maurice hat es wirklich versucht. Er wollte mich unterstützen, für mich da sein. Er wollte mir den Rücken freihalten. Mich lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet.

Ich habe es nicht erkannt, war zu verblendet von den Erfahrungen im Büro. All die gescheiterten Ehen um mich herum haben mich blind für seine Liebe gemacht. Ich war so sehr in die Arbeit verstrickt, dass ich die Probleme meiner Klienten mit nach Hause gebracht habe. Maurice war dann der Leidtragende. Ich habe ihm all das Schlechte unterstellt, das ich Tag für Tag sehen muss. Von Untreue bis Unterschlagung war alles dabei. Doch er hatte Geduld mit mir. Zumindest einige Jahre lang ...

Für das Scheitern unserer Ehe bin allein ich verantwortlich. Das ist mir inzwischen klar.

Jetzt träume ich nicht mehr von einer eigenen Kanzlei, von Erfolg, Reichtum und Reputation. Ich träume von Liebe und einer Familie. Von richtigen Freunden, die mit mir durch dick und dünn gehen. Ich träume davon, dieses furchtbare Gefühl der Einsamkeit durch Freude zu ersetzen. Durch Glück und ein erfülltes Leben.

Aber nichts hat sich je geändert, nur weil man davon geträumt hat. Das weiß ich nur zu gut.

Ich müsste etwas tun, aktiv meine Einsamkeit beenden. Das ist mir klar. Aber ich weiß leider nicht, wie ich das anstellen soll. Im Job habe ich immer die richtige Antwort parat, im Privatleben bin ich völlig hilflos.

Was soll ich tun? Wo fange ich an – und wie?

Ob ich Maurice vielleicht anrufen und um eine zweite Chance bitten sollte? Kopfschüttelnd verwerfe ich diesen Gedanken. Nein, das geht nicht. Er ist inzwischen wieder verheiratet und vor Kurzem Vater einer süßen kleinen Tochter geworden. Ein scharfer Stich fährt mir durchs Herz und ich atme zischend aus. Warum tut es immer noch so weh, wenn ich an das Scheitern meiner Ehe denke? Ich sehe so etwas jeden Tag. Bei Klienten kann ich damit umgehen. Warum nicht bei mir?

Eines weiß ich jedoch: Mir macht die Tatsache zu schaffen, dass er ein Baby hat – mit einer anderen Frau. Einer jüngeren Frau, die ihn vergöttert. Dabei wollten wir doch Kinder haben! Er und ich. Aber die Karriere stand für mich an erster Stelle und ich habe ihn immer wieder vertröstet. Irgendwann hat er das Thema nicht mehr angesprochen. Sicher war er von meinen ewigen Anschuldigungen so desillusioniert, dass er gar kein Kind mehr mit mir wollte.

Ich wünschte, ich hätte mich damals anders verhalten.

Heute kann ich nur noch von einem Baby träumen und muss dann beim Aufwachen der Realität ins Auge schauen: Träume werden in den seltensten Fällen wahr. Ich gehöre jedenfalls nicht zu den Glücklichen, habe mein Zeitfenster verpasst. Vorzeitige Menopause. Wer hätte das gedacht? Erst wollte ich kein Kind und nun ist es unmöglich.

Ich war mir so sicher, dass ich noch Zeit habe. Ich wollte Karriere machen und danach eine Familie gründen. Und nun? Was bringt mir die Karriere, wenn ich die Früchte meiner Arbeit mit niemandem teilen kann? Wenn keiner da ist, der sich für mich interessiert?

Ich will doch nur geliebt werden ...


━━━ 888 Wörter ━━━

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