KAPITEL 42

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Kelly und John beschlossen aus ihrem Besuch in Innerforks einen kleinen Urlaub zu machen.
Sie hatten sich seit ewigen Zeiten keine wirkliche Auszeit mehr genommen, in der sie sich auf die wesentlichen Dinge besinnt hatten.
In Innerforks waren sie zwangsläufig mit sich selbst konfrontiert. Hier gab es niemanden, der sie einfach so auf dem Handy erreichen konnte, keine Paparazzi oder Geschäftspartner. Keine Köche, Butler oder Designer.
Sie waren auf sich allein gestellt – so merkwürdig das auch klingen mochte.

Kelly glaubte aufblühen zu können. Sie war nicht nur höflich, wenn sie sagte, es gefiele ihr Innerforks, trotz des schrecklichen Erlebnisses, das sie alle hier teilten.
Nein, es gefiel ihr wirklich und dass sagte sie, als Tochter eines angesehenen Designers und einer Chirurgin, die in einem Schloss aufgewachsen war. Sie hatte immer schon alles gehabt, aber erst mit John auch sich selbst. In Innerforks waren sie beide irgendwie wieder die jungen Liebenden, die sie mit zwanzig gewesen waren, als sie sich gegen ihre Eltern aufgesetzt hatten, um zusammenbleiben zu können.

Gemütlich saß das Ehepaar am Abend auf einem der Liegestühle in Willows Garten. John hielt Kelly im Arm und gemeinsam sahen sie der Sonne am Horizont beim Untergang zu.
Heaver hatte sich den Tag über ebenfalls mit den beiden angefreundet.
Seit Kelly sie als originell betitelt und sie hinter den Ohren gekrault hatte, ließ Heaver nicht mehr von ihr ab. Sie lag still und zufrieden im kühlen Gras neben den beiden.

»Ich bin froh, dass wir mitgekommen sind. Dass es hier so schön sein würde, hätte ich niemals erwartet«, stellte Kelly fest und schmiegte sich mit der Wange an Johns Halsbeuge.
Er strich verlorene Kreise über den Stoff der Bluse, die seine Frau angezogen hatte.

»Die Idylle erinnert mich an die ersten heimlichen Treffen, die wir damals im Rock Creek Park hatten. Du hast dich immer unter der kleinen Bruchsteinbrücke versteckt und bist erst herausgekommen, wenn ich diese abstrusen Vogelgeräusche nachgeahmt habe. Damals meintest du, wir müssen sowas wie eine geheime Sprache verwenden, damit uns niemand erwischt.«

Kelly lachte leise.
Sie erinnerte sich gut. Sehr gut sogar.
»Ich wusste damals schon, wie bescheuert das war. Aber ich fand es schön, dass du die Vogelgeräusche gemacht hast, obwohl du sie kindisch fandest. Du hast sie mir zu Liebe gemacht und das hat mir viel bedeutet.«
Sie zuckte verlegen mit den Schultern. John hielt sie fester.
»Ich hätte alles getan, um dich zum Lachen zu bringen.
Und wenn du mich nur in einem pinken Clownskostüm getroffen hättest. Das wäre es mir wert gewesen.«

Kelly hauchte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange.

»Ich weiß. Mir ging es genauso. Alles, was ich damals wollte, war in deiner Nähe zu sein. Egal unter welchen Umständen. Egal, wenn sie mir alles genommen hätten. Und seit dem hat sich das nicht mehr geändert. Du bist immer mein größter Traum gewesen.«

xxxx

»Wesley, was soll das? Wo sind wir? Ich schwöre, wenn du mich stolpern lässt ...«

»Vorsicht, da ist eine Stufe!«

»Eine was? Stufe? Um Himmels Willen, wo sind wir hier? Und wie viele Stufen soll es hier geben? Das ist bestimmt schon die sechzigste Treppe, die du mich hochjagst!«

»Es ist die dritte und letzte.«

»Sage ich ja, die siebzigste!«

Wesley schmunzelte. Dann umschloss er Willows Hand und führte sie ab dem Treppenabsatz vorsichtig ein Stück weiter vor, ehe er sie bei der Taille fasste und in eine bestimmte Richtung drapierte.
Sie quiekte leise, als seine kühlen Finger ihre Hüfte streiften und sogar durch den weinroten Stoff des Kleides, das sie damals mit Wesley in Thister gekauft hatte, eine Gänsehaut über ihrem Körper ausbreiten ließen.
Leise stellte Wesley sich hinter Willow und drückte ihre Hand ein letztes Mal, ehe er sie losließ und dann denn Seidenstoff des Schals losband, den er Willow auf der Hinfahrt hierher vor die Augen gebunden hatte, um sie besser überraschen zu können.

Willow blinzelte einige Male, ehe ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen die hellere Umgebung erfassen konnten.
Sprachlos klappte ihr der Mund auf, als sie sich auf der Dachterrasse des italienischen Restaurants wiederfand, in dem Wesley und sie das erste Mal – wenn auch inoffiziell – miteinander ausgegangen waren.
Den ganzen Abend hatten sie sich irgendwelche Geschichten erzählt. Und zwar meist welche, die überhaupt nicht zu einem ersten – inoffiziellen – Date gehörten. Aber das war egal gewesen, denn sie hatten sich den so gut verstanden, dass sie den Tag nie hatten beenden wollen und sogar an den Strand gefahren waren. Es war einer der schönsten Tage in Willows Leben gewesen.

Für diesen Anlass hatte Wesley die Location allerdings zu seinen Vorstellungen geändert.
Willow erkannte die Terrasse kaum wieder auf der sie gemeinsam mit mindestens zehn anderen Gästen an verschiedenen Tischen gesessen hatten.
Heute standen keine anderen Tische mehr an Ort und Stelle.
Stattdessen waren auf der halben Terrasse, auf den Stufen hinauf und auf dem Geländer, das vor einem Absturz wahren sollten, hunderte von Teelichtern drapiert, die die Dunkelheit verscheuchten und ein angenehm warmes Licht auf den verlorenen Esstisch warfen, der als einziger in der Mitte des Platzes stand und mit feinem Silberbesteck und einer Vase voller roter Rosen gedeckt war.
Auf Willows Lippen breitete sich ein Lächeln aus. Strahlend sah sie sich um und bewunderte das schöne Ambiente und die herzliche Atmosphäre. Ihr Herz machte einen Hüpfer, so begeistert war sie.

»Wow! Wes, das ist ...«, hauchte sie und drehte sich einmal im Kreis.
Ihr Rock wirbelte dabei um ihre Taille und ihre Haare schmiegten sich an ihre Wangen.

»Wunderschön«, beendete Wesley Willows in der Luft zergangenen Satz und blickte ihr dabei fest in die Augen.
Selbst in der Dunkelheit konnte er sie leicht erröten sehen.
Willow schluckte. Ihr Hals war mit einem Mal leicht ausgedörrt. Sie war überwältigt und verlegen.

»Das ... hast du das alles so geplant?«, fragte sie, um ein Gespräch anzufangen und den Faden wieder aufzugreifen.
Am Nachmittag hatte man ihr nur gesagt, sie solle das rote Kleid aus ihrem Schrank anziehen und sich auf eine Überraschung gefasst machen.
Hier standen sie beide nun.

»Ja, das habe ich. Obwohl ich mir ein paar schmackhafte Tipps von meiner Mutter habe geben lassen«, gestand Wesley und entlockte Willow ein glockenhelles Lachen.
»Das kann ich mir vorstellen. Lass mich raten ... die roten Rosen waren ihre Idee?«
Wesley grinste.
»Ist es so offensichtlich?«
Lachend traten sie aufeinander zu. Wie automatisch lehnte Willow sich an Wesleys Brust und wie selbstverständlich legte er einen Arm um ihre Hüfte und strich mit der rechten Hand eine Haarsträhne von ihrer Stirn.
»Nein. Es war nur so ein Gedanke«, log Willow und schmiegte sich an Wesleys Hand. Er musterte sie aufmerksam. Intensiv bohrten sich seine Augen in Willows. Doch sie durchschaute ihn schneller, als er.

»Aber das hier ist noch nicht alles, oder? Irgendwas stimmt nicht mit dir. Du bist so ... nervös«, stellte Willow nachdenklich fest und legte fragend den Kopf schief.
Was hatte er vor?
Was verschwieg er ihr?
Wesley trat einen Schritt von ihr zurück und schluckte merklich.
Dann kramte er etwas aus seiner Anzugtasche hervor.

»Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir beide unter dem freien Sternenhimmel saßen und Gedichte geschrieben haben?«

Willow nickte.
Der Tag war schön und schrecklich zugleich gewesen – oder zumindest sein Ende.

»Du hast mir damals das schönste Gedicht vorgetragen, das ich zu Lebzeiten gehört habe. Ich weiß noch genau, wie tief ich deine Wörter in mir gespürt habe. Du hast mich schon immer auf eine ganz andere, besondere Art und Weise berührt und Dinge mit meinem Herzen angestellt, die ich bis heute nicht einordnen, kontrollieren oder realisieren kann, weil sie so viel mächtiger sind, als ich selbst. In deinem Gedicht hieß es, dass wir zwei Menschen und der Zufall sind, aber du mehr und mehr das Gefühl hast, es sei doch Schicksal, dass wir uns begegnet sind und du würdest es erst jetzt richtig verstehen. Ich stehe heute hier und habe es nach all den vergangenen Tagen auch endlich realisiert.
Denn vielleicht ist es wirklich Schicksal. Schicksal, dass ich damals als Teenager von deiner Geschichte so tief berührt worden bin, dass ich sogar meine Berufswahl danach getroffen habe.
Vielleicht ist es Schicksal, dass ich dich nach Jahren wirklich treffe und kennenlerne und die Möglichkeit habe, Fehler aus der Vergangenheit endlich zu beheben. Und ich meine damit nicht nur die, die ich selbst gemacht habe. Sondern auch die, die in deinem Leben nie behoben worden sind.
Du ergänzt mich überall da, wo ich noch nie glänzen konnte. Und ich weiß, dass auch ich irgendwo in dem Puzzle deines Lebens Platz gefunden habe, obwohl ich ihn zwischenzeitlich absolut nicht verdient habe. Doch ich will dir beweisen, dass ich das heute tue und ich dir meine Welt zu Füßen legen werde, wenn du mir eine letzte Chance dazu gibst.«

»Wesley, ich ...«

Er hob sanft eine Hand.
»Lass mich bitte ausreden, Schäfchen. Denn es gibt da noch eine Sache, die ich machen muss und die ich dir schon lange schuldig bin.«
Willow bekam größere Augen, als sie den zerknitterten Zettel in Wesleys Hand erkannte, den er eben aus der Tasche geholt haben musste. Sie kannte das Papier. Dann hielt sie die Luft an.
»Wir sind an dem Abend durch Missverständnisse und meine Unhöflichkeit nur bis zu deinem Gedicht gekommen.
Aber heute will ich diese Ungerechtigkeit beheben und für Ausgleich sorgen.
Es ist mit Sicherheit nicht halb so gut, wie deines. Aber es enthält alles, was ich dir sagen möchte, und es blamiert mich so weit, dass man mir zumindest zugute halten kann, über einen Schatten der Peinlichkeit gesprungen zu sein. Hab also Erbarmen.«

Willow brachte keinen Ton mehr hervor. Sie hatte mit allem, aber nicht damit gerechnet. Eine Welle der Emotionen ergriff sie und brachte nur ein zittriges Lächeln auf ihre Lippen.
Wesley atmete stockend ein.
Dann entfaltete er das beinahe vergessene Papier und strich es glatt, ehe er einen letzten Blick auf Willow und dann seine Zeilen warf.

»Schäfchen«, setzte er an.
»Unfassbar, dass wir immer schon unter demselben Himmel saßen,
morgens auf die gleichen Wolken schaut'n und dieselben Cornflakes aßen.
Und verrückt, dass wir beide immer zu denselben Sternen sah'n,
uns fragten, wie weit sie führ'n und ob sie wirklich in den Himmel fahr'n.
Unfassbar, dass wir immer zur selben Zeit den Tag begannen,
jeder seiner Wege ging, das Leben zog von Dannen.
Und ich hab so vor mich hin vegetiert,
ungeahnt dessen, dass dort draußen jemand wie du existiert.
Hätt' ich's gewusst, vielleicht hätt' ich eher nach dir gesucht,
mir sofort die vierzehn Tage Urlaub gebucht.
Doch wer weiß, vielleicht hätt' ich dich früher gar nicht gefunden,
immerhin sind seitdem Minuten vergangen und du lebst nur in Sekunden.
Von denen ich, seit ich dich kenne, keine mehr versäumen will.
In mir drängt mich die Sehnsucht der Neugierde und sie leuchtet schrill,
wenn deine sanften Augen braun,
schokoladig, goldig, lieblich in meine blauen schau'n.

Ich glaub', ich kann die ganze Welt in dir sehen.
Du lächelst mich an und mein Herz bleibt stehen.
Du kicherst und ich schließe meine Augen,
will jeden Moment deines Glücks in mich aufsaugen,
denn ich hab' noch nie gelebt, wie ich's jetzt grad tu'
und ich hab' Angst, ich träume und du verschwindest im Nu.
Am Morgen weckt mich bloß ein Alptraum auf,
du Engel bist nicht mehr und mein Leben vergeht weiter allein seinen tristen Lauf.

Fällt schwer, damit aufzuhören, wenn man's einmal tut.
Ist das Prinzip der Sucht, aber du tust mir wirklich gut.
Denn mir scheint, ich kann jetzt Farben blicken
und jeder Atemzug fühlt sich nicht mehr an, als müsse ich ersticken.
Offene Wunden, doch du kannst sie flicken,
weiß, mit jedem Moment werden wir uns tiefer ineinander verstricken.
Bleibt nur zu fragen, ob das schlecht sein soll,
ahne nicht, was du empfindet, aber ich glaub' ich find' dich wirklich toll.
Dabei weiß ich, nach meinem Theater, nimmst du mich nicht einmal für voll,
hab's verbockt, so wie immer, aber zum ersten Mal verursacht Wut auch Groll.
Denn du bist Willow und du strahlst,
wenn du nur dasitzt und deine Zeilen malst.
Du kochst, du pflanzt, du lebst und liebst.
Ich farbloser Narr kann nur davon träumen, dass du ihn siehst
und Sekunden deiner Zeit an sein stolperndes Sein vergibst,
ehe du dir aus all dem Mondstaub etwas Besseres als mich heraussiebst.

Ich verdiene dich nicht, so viel ist mir klar,
weil man von Blumen nur die Blüte liebt, der Stängel immer nebensächlich war.
Ich lebe nur zu einem Zweck, nicht zu einem Sinn,
vielleicht fragt sich deshalb, wo führt es mich hin?
Wenn ich mit geschlossenen Augen meine Arme ausstreck',
lässt du dich dann in sie fallen oder schlägst du sie weg?
Denkst du im Sternenschein an mich?
Hier kann ich ehrlich sein, ich denke nämlich pausenlos an dich.
Und alles, was war, ändert sich jetzt, als ertrüge es nicht,
dass du nicht mir gehörst, mich brauchst, mein Herz, es sticht.
Denn es will nicht mehr bleiben, dort, wo es ist,
ahnt jetzt alles, dass du die Eine, dass du die Richtige bist.
Die Frau fürs Leben, die Frau zum Glück,
schwöre, ich verliere mich täglich ein Stück,
in deiner Welt, wie sie bis hierhin war,
alles Unklar wird klar, urplötzlich stehst du in allen Untiefen da,
wunderschön, göttlich und klug schaust du Richtung Sonnenschein
und ich bin angekommen, bin verzaubert, frage mich bloß noch: Würdest du bitte auf immer meine Sonne, mein Regen, mein Schäfchen sein?«

Zum zweiten Mal an diesem Tag sprang jemand unvorbereitet in Wesleys Arme. Diesmal jedoch brauchte er keine Angst vor Hörnern oder Hufen zu haben.
Weich und perfekt zu seinem Körper passend, schmiegte sich Willows kleine Gestalt an seinen Torso und Wesley ließ alles fallen und liegen, um sie sofort zurück zu umarmen.
Willow hatte ihre Arme fest um Wesleys Nacken geschlungen. Sie weinte. Ihr Zittern konnte Wesley am ganzen Körper spüren. Aber sie lachte auch. Das Gefühlschaos stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Es waren Tränen der Rührung, Tränen des Danks, Tränen der Freude.

»Das ist das schönste Gedicht, was ich jemals gehört habe. Gott, du lässt mich noch zu einem Wasserfall werden, wenn du nicht langsam aufhörst, so schrecklich nette Dinge zu sagen und zu tun«, brachte Willow hervor und kuschelte sich an Wesleys Schulter.
Er umarmte sie fester.
»Ich werde niemals wieder damit aufhören, Schäfchen. Schlimm genug, dass ich eine Pause eingelegt habe. Ab heute solltest du dich an meine schrecklich nette Seite gewöhnen, denn du wirst die einzige sein, die sie jemals kennenlernt.«

Willow löste sich ein wenig, wischte sich die Tränen aus den Augen und musterte Wesley.

»Ich liebe dich, Wes.«

Er lächelte.

»Ich liebe dich mehr, Willow.«

Sie schüttelte entschieden mit dem Kopf. Dann zog sie ihn ein wenig zu sich herunter und presste ihre Lippen auf seine.
Er erwiderte ihren stürmischen Kuss sofort, genoss die Wärme ihrer Hände, die sich um seine Wangen legten, hielt ihren Körper fest, der sich an seinen presste.
Willow ließ all ihre Gefühle in diesen Kuss fließen. Sie brachte so eine Leidenschaft auf, dass Wesley kaum hinterherkam und sich immer tiefer fallenließ.
Es war ein regelrechter Zwang, sie irgendwann zu stoppen.

»So sehr ich es liebe, wenn du so wild wirst, Schäfchen. Wenn wir jetzt nicht aufhören, sehe ich mich gezwungen hier und jetzt etwas ziemlich Unanständiges zu machen und ich bezweifle, dass du das willst.«
Willows Grinsen vertiefte sich.
»So eine geringe Selbstbeherrschung, Wesley?«, fragte sie frech, obwohl sie sich eingestand, ebenfalls ziemlich erregt zu sein.
»Wenn es um dich geht, ja. Immer«, erwiderte ihr Gegenüber und ließ sie auf ihre eigenen Beine zurück.
Willow strich ihr Kleid glatt.
Verführerisch hauchte sie: »Wie wäre es, wenn du mich heute Nacht meine verlieren lässt?«
Ihr verruchter Blick sprach Bände. Wesley schluckte.
Willow wandte sich ab und setzte sich an den gedeckten Tisch, als hätte sie nicht gerade eine direkte Einladung zum Sex an ihn versandt.

Diese Frau war wirklich unvergleichlich.

xxxx

Wenige Kilometer entfernt, lagen Lila und Charlie die zweite Nacht still im selben Zimmer und lauschten, ungeahnt des anderen, auf dessen Atemzüge.

Sinnlos starrte Lila an die stockfinstere Zimmerdecke und seufzte alle paar Minuten innerlich, weil sie irgendetwas heute besonders frustrierte und sie einfach nicht schlafen lassen wollte.
Charles ging es ähnlich.
Er drehte sich auf dem Sofa hin und her, als würde die Müdigkeit dadurch schneller eintreten. Leider war das ein Irrtum und hellwach beschrieb sein Gemüt viel eher.
Minutenlang lagen sie beide einfach nur herum.
Das Surren des Kühlschranks aus der Küche war das einzige Geräusch, das zwischen ihnen stand. Ansonsten schien es, als würden sie gleichzeitig die Luft anhalten, um dem anderen so wenig wie möglich aufzufallen.
Als könnten sie einander ausblenden.
Irgendwann hatte Charles die Schnauze voll und schob seine Decke von sich.
Zielgerichtet erhob er sich und watete im Dunkeln in die angrenzende Küche, um dort das Licht anzumachen und sich ein Glas Wasser einzuschenken.
Wie automatisch wanderten Lilas Augen zu seinem Körper und sie musste schlucken, als sie ihn im Halbdunkeln wenige Meter vor sich stehen sah.
Charles trug nur eine Boxershorts, die sich locker um seine strammen Oberschenkel schloss. Ansonsten ließ er freie Sicht auf seine braungebrannte Haut, die strammen Waden und die breiten Schultern, deren Blätter bei jeder kleinsten Bewegung vor Lilas Augen zu tänzeln schienen.
So muskulös und gut gebaut hatte sie ihn gar nicht in Erinnerung. Auch das Sixpack, das sich offenbarte, als er sich ein wenig zu ihr drehte, war zuvor nicht so definiert und ausgeprägt gewesen. Damals war Charles hübsch und sexy gewesen, heute war er ...

»Du starrst, Lia«, bemerkte seine raue und tiefe Stimme plötzlich und jagte Lila einen innigen Schauer über den Rücken. Sofort wurde ihr ungewohnt heiß. Vergangene Gefühle kribbelten durch ihren Körper und alte Erinnerungen weckten sich zu neuem Leben.
Er hatte sie früher immer Lia genannt. Weil sie eigentlich Lilian hieß, aber von allen nur Lila genannt wurde.
Charles hatte immer behauptet, er sei nicht alle.
Und das war er wirklich nicht. Deshalb hatte er sie Lia getauft. Als Abkürzung des Namens ihrer Lieblingsblumen – violetter Archeulia.
Offensichtlich hatte er es nicht vergessen.

»Tue ich gar nicht«, log sie kläglich und drehte ihren Kopf demonstrativ zu den Fenstern.
Charles war nach lächeln zumute, aber er tat es nicht.
»Damals wie heute bist du die schlechteste Lügnerin, die ich kenne. Oder ... immer glaubte, zu kennen.«
Der bittere Frust triefte aus seiner Stimme. Lila wusste, wie sauer Charles innerlich eigentlich war. Sie hatte es nie glauben können, doch sie hatte ihn wirklich verletzt. Mehr, als sie jemals geglaubt hatte, es zu können.
Aber musste sie sich wirklich schlecht fühlen? Sie hatten von Beginn an gewusst, dass ihre Zeit begrenzt war und sie höchstens eine Sommerromanze waren. Nichts Handfestes, nichts Dauerhaftes, nichts Ernstes. Oder?
Lila erinnerte sich an einen Sommer, wie keinen zuvor und gewiss keinen danach.
Sie erinnerte sich an ihre Tränen und ihren Wunsch, alles hinzuschmeißen und umzukehren.
Aber sie wusste besser, als jeder andere, was es wirklich bedeutete, umzukehren und wie gefährlich das eigentlich war. Lebensgefährlich.
Vielleicht war es nicht ganz klar gewesen. Aber Charles konnte nicht ernsthaft behaupten, in ihr die Frau fürs Leben gesehen zu haben.
Dafür hatte er sie doch gar nicht lang genug gekannt und viel zu viele Umstände ertragen müssen.
Denn Lila war kompliziert – immer gewesen und für immer. Das konnte Charles nicht wirklich ertragen wollen.
Nein, es war gut, dass sie nicht zusammengeblieben waren. Auch wenn es sich nicht so anfühlte.

»Warum bist du damals gegangen?«, schoss es urplötzlich aus Charles hervor und sein eiskalter Blick traf Lila unvorbereitet.
Innerhalb einer Millisekunde schien es, als habe er sie von Kopf bis Fuß ausgezogen und in eine Ecke gedrängt.
»Ich habe mir fünf Jahre lang dieselbe Frage gestellt und nie eine Antwort darauf gefunden, was ich falsch gemacht haben soll. Was habe ich getan, damit du in einer Nacht und Nebelaktion einfach davonrennst und mich ohne ein Wort zurücklässt?
Ich finde, diese Antwort bist du mir schuldig.«
Er machte eine Pause und so monoton gefühllos hatte Lila Charles noch nie erlebt.
Er war angespannt bis auf die Knochen und wirkte beinahe ein wenig bedrohlich.
Lila öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Scham breitete sich in ihr aus. Schmerz.
Mindestens genauso viel wie in Charles.

»Du hast mir gar nichts getan. Du ... hattest damit nichts zu tun.«

Charles schnaubte verächtlich. Alle Freude war aus seinem sonst so verspielten Gesicht gewichen.
»Ach wirklich? Und was ist dann passiert, dass du gehen musstest? Vierzehn Tage war alles perfekt – Mehr als das! – und dann bist du einfach weg gewesen.«
Er wurde lauter. Seine Stimme hob sich vor Wut, aber selbst in diesem Zustand jagte er Lila keine Angst ein.
Sie hatte Angst vor jedem Schatten und erschrak bei dem kleinsten Knall.
Aber vor Charles? Er konnte ihr keine Angst einjagen.
Vielleicht erschreckte Lila das am meisten. Dass sie in seiner Nähe keine Furcht empfinden konnte.

»Charles ... Ich ... Es tut mir leid.«

Charles glaubte, sich zu verhören. Und er explodierte.
»Echt jetzt? Es tut dir leid? Was denn genau? Dass du weggelaufen bist? Dass du mir nicht sagen willst, was damals gewesen ist? Dass ich dich geliebt habe, wie keine Frau vor und nach dir? Dass wir uns überhaupt kennengelernt haben?«

Und sie zerstörte ihn mit nur einem Wort.

»Alles.«

Es herrschte Totenstille.
In Totenstille brach Lila in Tränen aus.
Und in Totenstille verließ Charles die Küche, schnappte sich seine Klamotten und verschwand aus der Wohnung.

Er würde nicht wiederkommen.
Das wussten sie beide.

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