Abkühlung

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Eine ältere Frau ging langsam die Straße entlang. Den Lärm der Stadt, das Hupen der Autos, das Klingeln und Fluchen der Fahrradfahrer, die ihr hektisch auswichen, hörte sie nicht. Sie hatte ihr Hörgerät zu Hause gelassen. Die Frau hatte keine Lust, die Welt in ihren Kopf zu lassen.

Seit Monaten war ihr kalt. Die Kälte hatte sich in ihr Herz gebohrt und zerfraß sie förmlich von innen. Der Tod hatte seine eisigen Klauen nach ihr ausgestreckt, das konnte sie spüren. Sie konnte ihm nicht entkommen, wie sollte sie auch. Also beschloss sie, sich ihm zu stellen, ihr Schicksal anzunehmen und der Kälte, die sich ihrer bemächtigt hatte, vollkommen auszuliefern.

Sie blieb stehen und starrte ihre zitternden Hände an. Warum zum Geier hörten die nicht auf zu zittern? Sie hatte noch nie Probleme mit solchen Sachen gehabt, war immer fit für ihr Alter gewesen. Sie war nie zu dünn oder zu dick, ihre Freunde hatten immer ihren Humor gelobt und wie geschickt sie doch war, wenn es um Handarbeit und solche Sachen ging und nun? Nun konnte sie nicht einmal mehr einen Löffel zum Mund führen, ohne dass die Suppe davon herunter schwappte. An Handarbeiten brauchte sie gar nicht mehr zu denken, die waren inzwischen unmöglich geworden.

Mechanisch bewegte sie sich weiter, ihrem Ziel entgegen. Nur Noch einen Block. Nur noch ein halber Block. Nur noch 8 Häuser. Nur noch 50m. Nur noch ein Schritt, dann war sie da. Ehrfurchtsvoll starrte sie die kleine Tür an. Ein schwarz-weißes Schild teilte jedem mit, dass nur Mitarbeiter Zugang durch diese Tür hatten. Sie hatte hier früher geputzt. Bis sie es nicht mehr konnte, weil ihre Beine zu schwach wurden und ihre Hände den Putzlappen nicht mehr festhalten konnten. Den Schlüssen hatte sie abgegeben, aber vorher eine Kopie machen lassen. Man wusste ja nie.

Bedächtig steckte sie den Schlüssel in das Schloss. Er ging nicht leicht rein und kurz raste ihr Herz vor Schreck. Hatten sie gemerkt, dass sie einen Schlüssel hatte? Hatten sie da Schloss ausgetauscht? Ihre Hand zitterte so stark, dass ihr der Schlüssel aus der Hand fiel. Klirrend landete er auf dem Boden.

Ächzend bückte sie sich und versuchte es erneut. Dieses Mal glitt der Schlüssel ohne Probleme in das Schloss. Es klickte leise, als der Riegel die Tür frei gab. Langsam öffnete sie den Zugang, stets darauf bedacht, nicht zu viel Lärm zu machen. Eigentlich sollte zu dieser Zeit noch niemand im Gebäude sein, aber man wusste ja nie. Sie wollte keine schlafenden Geister wecken.

Mit wackeligen Schritten ging sie hinein, schloss die Tür langsam wieder hinter sich. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte sie nicht schneller schließen können, dafür war die Tür zu schwer und sie zu schwach, alt, klapprig, kaputt.

„Reiß dich gefälligst zusammen, alte Dame", schimpfte sie mit sich selbst. „Jetzt wer bloß nicht melancholisch. Du hast es bald geschafft!".

Das Portal zu ihrer Freiheit lag am anderen Ende des klinisch sauberen Raums. Kochgeschirr hing blank geputzt an den Wänden, Töpfe, Pfannen und Bräter stapelten sich in den Regalen, Kräuter und andere Zutaten standen an luftigen hellen Plätzen scheinbar wirr angeordnet. Der einzige Klecks Farbe in dem von Weiß und Metallisch glänzenden Tönen beherrschtem Raum. Hier hatte sie nie putzen dürfen. Wenn sie kam, war es hier immer schon so sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können. Ihr Domizil hatte hinter den hölzernen Schwingtüren gelegen. Dort, wo die Gäste abends hungrig auf ihre bestellten Köstlichkeiten warteten.

„Erinnerungen bringen dich jetzt nicht weiter. Auf jetzt. Beweg deinen klapprigen Hintern gefälligst durch das Portal!".

Zügig schwankte sie auf die schwere Metalltür mit dem kleinen Sichtfenster und dem großen Riegel zu. Die sah schwerer aus als die Seitentür. Ob sie sie überhaupt öffnen konnte? Schon war ihr Mut wieder kurz davor, sie zu verlassen, dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Bestimmt griff sie nach dem Riegel und zog die Tür auf. Erstaunlich leicht glitt sie in geölten Schienen beiseite und öffnete den Blick in die eisige Kammer, die sie schützte.

Tief holte die alte Frau Luft, dann ging sie in den kleinen Raum und zog die Tür hinter sich wieder zu. Kurz überlegte sie, dann setzte sie sich im Schneidersitz auf den frostigen Boden. Breitete ihren Rock um sich aus und legte ihre Jacke sauber gefaltet vor sich hin. Auf die Jacke legte sie einen Stapel Papiere. In dicken Lettern war auf dem obersten „Mein letzter Wille" gedruckt.

Nun hieß es warten.

Das Thermometer außen an der Tür zeigte -25° an. Lang würde es wohl nicht dauern. 

Verwundert blinzelte die alte Frau. Ihr wurde plötzlich ganz warm, das Zittern in ihren Händen hatte aufgehört, ganz ruhig lagen ihre Hände in ihrem Schoß. 

Eine einsame Träne gefror auf ihrer Wange.

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