Der vierte Stiefel

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Draußen ist es dunkel. Nur die Laternen und ein paar Scheinwerfer der wenigen noch vorbeifahrenden Autos spenden der Straße Licht. Die Rollläden sind heruntergelassen, die Vorhänge sind zugezogen. Der ein oder andere wird versuchen, in dieser Nacht die Augen offen zu behalten, sich nicht dem Verlangen nach Schlaf hinzugeben und gespannt warten, was passieren wird. Doch am Ende wird auch der tapferste kleine Held ins Land der Träume gezogen.

Alles ist so, wie es seien soll.

Auch in der Wohnung, im dritten Stock eines Wohnhauses, welches die Hausnummer zwölf trägt, werden langsam die letzten Lichter ausgemacht und der letzte Kontrollgang durch die eigenen vier Wände unternommen. Noch vor wenigen Stunden ist der jüngste der Familie aufgeregt wie ein kleiner Weihnachtstroll um den Esstisch gelaufen, um dann kurz, bevor er im Bett verschwunden war, zu kontrollieren, ob die Schuhe auch ja noch an der Tür stehen würden.

Natürlich standen sie noch da. Wer hätte sie auch verrücken sollen? Vier blank geputzte Stiefel hatte der Kleine hingestellt. „In die passt mehr hinein", hatte er gesagt, bevor er mit einem aufgeregten aber dennoch nur so vor Vorfreude sprühenden Lächeln in seinem Zimmer verschwunden war.

Und natürlich stehen die vier Stiefel auch jetzt noch da. „Moment, wieso vier?" Verwirrt bleibt die Frau, mit dem Stoffbeutel um ihren Arm, bei ihrem Plan, den Schlüssel in der Türe herumzudrehen, stehen.

„Ist etwas nicht in Ordnung?" Aus dem Flur kommt der Vater des Jungen, bleibt jedoch mit ein wenig Entfernung stehen.

Einen Moment herrscht Stille, bevor sich die Braunhaarige umdreht. „Er hat vier hingestellt." Würde man sie nicht sehen, würde man vermuten, es würden Tränen in ihre himmelblauen Augen treten. Doch das tun sie nicht. Es ist lediglich ihre Stimme, die bricht. Ein leichtes Zittern an der Unterlippe ist zu erkennen. Nicht stark, nur ganz schwach.

„Wieso vier?" Auch der Mann scheint zunächst nicht verstehen zu wollen, was dem Kleinen durch den Kopf gegangen ist. Dann aber trübt sich auch seine Miene. Einen Moment hält er inne, dann aber überbrückt er die letzen Meter. Er öffnet seine Arme, streckt sie förmlich nach seinem Ziel.

Nicht seiner Frau. Diese umklammert noch immer den kühlen Schlüssel in ihrer Hand.

Nein, es ist der schwarze Schuh, den der Vater in seine Arme schließt. Es ist keine Umarmung, wie man sie einer Person geben würde, die einem etwas bedeutet, die man trösten möchte oder über die man sich freut, wenn man sie nach einer langen Zeit wiedersieht. Es ist mehr, als klammere er sich an das schwarze Ding, würde versuchen, sich an ihm festzuhalten.

„Wieso hat er den vierten Stiefel hinzugestellt?" Kann sie es nicht glauben oder versteht sie es wirklich nicht? So ganz lässt sich die Antwort nicht aus der Mimik der Betroffenen herauslesen. Jedenfalls ist sie noch immer stock steif und starrt auf das Ding, was ihr Mann in den Händen hält.

„Denkst du, es geht ihm gut?" Mittlerweile ist es kein schwaches Zittern mehr, was auf der Unterlippe der Frau zu erkennen ist. Und auch ihre Hände halten dem inneren Druck nicht mehr stand. Auch sie zittern von Sekunde zu Sekunde stärker. Leicht scheppert das Metall, als der Schlüssel dabei immer wieder gegen die Öffnung des Schlüssellochs stößt. Das tut es solange, bis die Frau das Geräusch wahrnimmt und versucht, die Bewegung zu stoppen.

Sie scheitert.

Schließlich gibt sie auf, und verrückt ihr Hand lediglich um wenige Zentimeter nach vorne.

„Denkst du, es geht im gut, da oben?" Die erste Träne fließt ihre Wange herunter. Es war wohl sowieso nur noch ein Frage der Zeit gewesen, bis sie den inneren Mauern, die sie in den letzten Monaten so sorgfältig um sich herum aufgebaut hatte, einstürzen würden.

„Ich denke, er würde sich freuen." Der Vater antwortet nicht auf die Frage. Im Gegensatz zu der anderen Stimme im Raum ist seine ruhig, beinahe schon gefühlslos. Und doch verrät das leichte Lächeln auf seinen Lippen, dass er es ernst meint.

„Wir sollten wohl langsam akzeptieren, dass es so ist, wie es nunmal ist, nicht wahr", setzt er seinen ungefragten Kommentar fort.

Endlich kann er den Blick vom Stiefel lösen. Schon viel zu lange, hat sich sein Blick an dem schwarzen Ding festgebissen, wollte ihn gar nicht aus seinen Fängen loslassen. Doch nun stellt er ihn wieder zurück. Zurück auf seinen Platz neben den anderen vier Stiefeln; denn da gehört er hin. Er sollte nicht abseits sein, er sollte bei den anderen stehen.

„Was ist das?" Der noch immer Kniende wendet sich wieder seiner Frau ab. Auch ob die Frage an sie gerichtet oder nur eine Flucht seiner Gedanken gewesen ist, ist nicht so wirklich zu sagen. Und auch der Vater selber hat nicht vor, in diesem Sachzusammenhang aufzuklären. Seine Aufmerksamkeit hat sich auf etwas ganz anderes gelenkt.

Ein weißer Zettel, mit einer Schrift, der er zuvor so noch nie gesehen hatte. Der Kleine war nicht dafür bekannt, seine Hausaufgaben in Schönschrift zu machen. Hier jedoch hatte er sich offenbar besonders viel Mühe gemacht, den so einfachen und schlichten Zettel so besonders, wie nur möglich zu gestalten. Sogar vereinzelte Schnörkel hatten sich auf das Papier getraut.

Lieber Nikolaus,

ich weiß, dass ich nicht immer das mache, was ich machen soll. Darf ich dich trotzdem um etwas bitten? Ich hätte nur einen Wunsch. Nur einen ganz kleinen.

Wir sind nurnoch zu dritt. Mama und Papa sagen, mein Bruder ist weg. Sie sagen, er kommt nicht wieder. Ich weiß nicht, wo er hingegangen ist. Aber ich habe Angst, dass er vielleicht vergessen könnte, dass du uns heute besuchen kommst. Vielleicht gibt es ja auch gar keine Schuhe, dort, wo er jetzt ist.

Er ist zwar jetzt gerade nicht hier, aber kannst du ihm nicht vielleicht auch etwas dalassen? Ich hebe es auch auf! Versprochen! Ich gebe es ihm dann, wenn er wiederkommt. Dann freut er sich bestimmt. Vielleicht kommt er dann sogar schneller wieder zurück. Das wär schön. Ich vermisse ihn.

Die Frau weint noch immer. Und es wird auch noch lange dauern, bis ihre Tränen getrocknet sind.

Doch nun kniet auch sie sich herunter, überwindet den Schritt zu dem, was ihr am schwersten fällt. Vorsichtig greift sie in den Beutel, dessen Gewicht sie schon beinahe um ihr Handgelenk vergessen hatte und befüllt auch den vierten Stiefel mit einem Schokonikolaus.

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