Landstraße IV

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Flackernd öffnete Vivien ihre Augen. Ihr Haar war feucht. Das fühlte sie. Es brauchte trotzdem ein paar Augenblicke, bevor sie begriff, dass es ihr eigenes Blut war, das ihr in den Nacken lief. Harten saß ihr im Schneidersitz gegenüber. Dahinter lag Sascha, dessen Haut blass und stumpf wirkte. Vivien fühlte sich taub. Obwohl sie den Eindruck hatte, sie sei innerlich völlig leer, liefen ihr hemmungslos die Tränen über das Gesicht.

"Na, na", sagte Harten. Er streckte seine Hand aus, doch Vivien wandt den Kopf ab.

Harten lächelte, allerdings schien es ihr absolut humorlos.

"Nun, wir sollten keine Zeit verschwenden!", mit diesen Worten rappelte er sich auf. Vivien fürchtete, dass er ihr jetzt etwas antun wollte. Er zückte ein Messer und durchschnitt ihre Fesseln. Sie war so überrascht, dass sie sich nicht rührte. Harten streckte sich wie ein satter Kater.

"Lauf", sagte er, aber Vivien verstand nicht. "Lauf!"

Sie hatte keinen blassen Schimmer, was Harten plante, allerdings hoffte sie, dass der Notarzt bald aufkreuzen würde. Es war ihr auch egal, als sie abrupt aufsprang und losstürmte. Zuerst rannte sie die Straße entlang, aber ihr wurde bewusst, dass Harten sie so leichter einfangen konnte. Dass er das tun wollte, hörte sie an den eiligen Schritten hinter sich. Der Wahnsinnige spielte eine Psycho-Version Fangen. Vivien sprintete an einem Leitpfosten vorbei in das Gebüsch. Ihre Arme waren durch Saschas Lederjacke geschützt, aber an ihren Beinen fing sie sich üble Schnitte ein. Sie versuchte den Schmerz zu ignorieren und hastete weiter, doch die Wahl ihre Riemchensandalen heute anzuziehen, rächte sich bitter. Im weichen Waldboden boten sie keinerlei Halt, sodass sich Vivien hinter einen aufgewühlten Erdhaufen warf. Sie hätte schwören können, Geäst knacken gehört zu haben und die Wurzeln, hinter denen sie nun keuchend lag, gaben ihr wenigstens die Illusion von Schutz. Um ihren schweren Atem zu unterdrücken, bedeckte sie die Hand mit dem Mund. Mit der anderen entledigte sie sich ihrer Schuhe. Wenn sie erneut losstürmen wollte, würde sie barfuß besser vorran kommen, so hoffte sie.

"Vivien!", sang Harten ihren Namen. Automatisch kniff sie ihre Augen zusammen und drückte sich fester gegen Wurzeln und Erde.

Der Schein einer Taschenlampe huschte vorbei. Vivien biss auf ihre Hand, um nicht los zu schreien, wobei sie fast glaubte, Harten könne ihren Herzschlag hören. Sie lauschte, wie ihr Verfolger sich entfernte, dann lief sie in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Mit ein wenig Glück würde vielleicht doch ein Auto vorbei fahren. Schnell kam sie wieder in Sichtweite der Straße, hielt sich allerdings in den Büschen verborgen. Immer weiter entfernte sie sich von der vermeintlichen Unfallstelle, als sie in der Ferne Sirenen hörte. Alle Vorsicht vergessend, rannte sie zurück auf die Fahrbahn.

"Scheiße, woher..."

Die Wortfetzen stammten von Harten. Er brüllte. Äste krachten. Vivien lief weiter. Jetzt sah sie einen Kranken- und einen Polizeiwagen, die dicht aufeinander folgten. Ihre Füße brannten. Das Licht war so grell. Die Sirene klingelte in ihren Ohren. Sie hörte Reifen quietschen.

Vivien war nicht überfahren worden, auch wenn sich ihr Körper so anfühlte. Ihr Dämmerzustand, bedingt durch die verabreichten Medikamente, war verflogen und den Großteil der polizeilichen Befragung hatte sie auch hinter sich.

"Und Sie haben keine weiteren Information über diesen Kai Harten?", vergewisserte sich der eine Polizist. Vivien fielen seine bersteinfarbenen Augen auf. Sascha hätte den jungen Mann attraktiv gefunden.

"Nein. Er hat nicht viel gesagt", sagte Vivien, wobei ihre Stimme ein wenig brüchig klang.

"Gar nichts?"

"Nein."

Vivien hustete kurz. Der Partner des Bernstein-Polizisten war schon vor ein paar Minuten gegangen.

"Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich jetzt allein lassen würden", sie bemühte sich so hochgestochen wie möglich zu klingen, um ihren Worten einen gewissen Nachdruck zu verleihen. Allerdings wollte sie nicht nur allein sein, sie wollte sich ungesehen die Seele aus dem Leib weinen. Jeder Moment tat weh.

"Sicher, natürlich", der junge Mann ratterte seinen 'Melden-Sie-sich-wenn-Ihnen-noch-etwas-einfällt'-Spruch herunter, dann verabschiedete auch er sich. Schwer ließ Vivien die Hand, die sie so mühsam zum Händedruck gehoben hatte, zurück auf das Bett fallen. Ihre Lippe zitterte. Aber Sascha war nicht hier, um sie zu trösten. Niemals wieder. Jedoch flossen keine Tränen. Irgendwie ließ sie das Gefühl nicht los, dass sie doch etwas wusste. Als Harten so getan hatte, als habe er soeben einen Autounfall erlitten, hatte er etwas gemurmelt. Vielleicht um das Bild vom verwirrten Unfallopfer aufrecht zu erhalten. Da fiel es ihr wieder ein: 'Ich muss nach Dormsult.' Langsam griff Vivien nach einem kleinen Notizblock, den jemand auf ihrem Nachttisch liegen gelassen haben musste. 'So eine Art Klassentreffen'. In Großbuchstaben schrieb sie das Wort auf die erste Seite. Sie kannte keinen Ort, der diesen Namen trug, was zwar nicht heißen musste, dass er nicht exsistierte, aber einen Versuch war es wert. In der Grundschule, damals als sie noch ein Pummelchen ohne Freunde gewesen war, hatte sie eine große Begeisterung für Rätsel entwickelt. Ihr Hobby hatte sie zwar wieder recht schnell aufgegeben, aber etwas sagte ihr, dass es dieses seltsame Wort zu lösen galt.

DORMSULT. ROMSSULDT. TURMSOLD. Verärgert strich sie die sinnlosen Worte durch. Vielleicht musste man die Buchstaben ändern, weil der Schlüssel im Alphabet lag. Sie knobelte weiter. Sie wollte den Block gerade in eine Ecke schleudern, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. 'DORMSULT' war ein Anagramm. Ihr Ansatz, die Buchstabenreihenfolge zu ändern, war richtig gewesen. 'DORMSULT' war 'Mordlust'. Entsetzt starrte Vivien auf den Block. Harten hatte sie vorgewarnt und sie hatten es nicht gemerkt.

"Klassentreffen. Klassentreffen", murmelte Vivien vor sich hin. Ihr war kalt. Saschas Jacke lag über einem Stuhl außerhalb ihrer Reichweite. Ihre Schlussfolgerung ließ sie erschaudern.

Nichts war dem Zufall überlassen gewesen. Man hatte auf die beiden Jagd gemacht. Warum sonst wäre dieser Typ aufgetaucht, den Sascha und Harten im Kofferraum eingesperrt hatten? Es war ein Wettstreit gewesen. Das Klassentreffen. Diese Killer hatten sich zusammengerottet und auf Opfer gewartet. Der 'Bessere' wäre zu dem blutigen 'Vergnügen' gekommen, sie umzubringen. Vivien war nicht mehr verzweifelt. Sie war wütend. Auf sich und auf diese Mörder. Sie würde herausfinden, was es sonst noch mit 'DORMSULT' auf sich hatte, denn es beschlich sie das Gefühl, dass sie weder die ersten, noch die letzten Opfer gewesen waren.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro