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Und alles, was anstelle der Todesangst eintrat, war die Erinnerung an Roel. Wenn sonst das Gift meinen Körper flutete, dann war es seines. Und ein Stück davon war zu dem Fleisch meines Herzens geworden.

Meine Tränen zogen so kalte Linien durch mein Gesicht, dass sich eine Gänsehaut über jeden Zentimeter meiner Haut legte.

„Frau Shehu? Wollen Sie nicht reden, anstatt zu weinen?" Die Stimme des Mannes klang seltsam sanft, ganz so, als wolle er mir mit seinem Angebot wirklich Erleichterung verschaffen.
Doch in meinem Magen lag ein Stein und um mein Hals saß ein Strick. Es zog sich enger mit jedem Atemzug. Keine Worte würden mehr helfen und ganz bestimmt nicht die eines Fremden.

„Nivia. Wenn wir schon zusammen sterben, dann sollten wir uns doch wenigstens beim Namen nennen", bot ich dem Mann, der immer noch vor mir saß, meinen Namen, im Austausch gegen seinen an.
„Der erste vernünftige Vorschlag. Yannis." Er wischte das Blut an seinen Händen an einem feuchten Lappen ab und streckte mir seine Hand entgegen. Zaghaft nahm ich sie an und erfuhr ein energisches Schütteln.

„Und nun nochmal zu der Aussage, wir würden hier gemeinsam sterben. Wieso denkst du das, mein Kind?" Mein Kind... In diesen zwei aneinander gereihten Worten steckte so eine Überlegenheit mir gegenüber. Und wer wusste es schon, vielleicht hatte ihm das ein, oder andere Jahrzehnt, die ein, oder andere Weisheit mitgegeben.

„Sie werden kommen von allen Seiten. Ich habe sie hierher geführt, wie ein kleines Mädchen, dem man ein Lolli vorgehalten hat." Mein Kopf knickte ein und ich empfing mein Gesicht schützend in meinen Händen. Ich schielte durch den Spalt zwischen meinen Fingern, als der Doktor seinen Stuhl über den Holzboden nach hinten schob.

Nach keinen zwei Minuten setzte er sich wieder auf den Stuhl neben mir, aber was anderes erweckte meine Neugierde. Er hatte etwas auf den Tisch gestellt. Es hatte geklirrt, wie Glas. Meine Hände trockneten die letzten Tränen, als sie an meinem Gesicht hinab glitten.
Mir blieb die Luft im Hals stecken, als ich das braune Fläschchen entdeckte. Nicht die Apothekerflasche an sich erweckte mein Interesse, sondern das Etikett mit dem Zeichen der Unendlichkeit darauf.

Ich berührte die kalte Oberfläche mit meinem Zeigefinger. „Ist es das Fos Infinitum?", hörte ich mich gebannt flüstern, als ein schrilles Lachen meine Hand nach hinten zucken ließ.
„Nein, mein Kind. Das ist das Blut des Vampires, dessen Gift ich dir verabreicht habe... Nun gut, jetzt weiß ich aber, weshalb du da bist."
Mein Arm landete hart auf dem Tisch aus Echtholz, genauso wie ich in der noch härteren Realität.

„Das Fos Infinitum willst du nicht für dich. Du nimmst dein Heilmittel nicht, also hast du auch kaum das Bedürfnis danach die restlichen sechzig Jahre zu retten, die dir noch zustehen würden. Für wen brauchst du also die Unendlichkeit?"
Eigentlich brauchte ich es gar nicht. Wem machte ich was vor?
Mein inneres Kind wollte einmal Superheldin spielen dürfen, wichtig sein. Ich wollte der ganzen Welt beweisen, wer ich bin und was ich kann.
„Für die Angehörige eines Bekannten. Mir ist nur wichtig, dass ich es verschwinden lassen kann und mit ihm den Krieg darum", erklärte ich.

Doktor Amstein, oder wie er sich mir vorgestellt hatte, Yannis, zog den Korken von dem getönten Glas.
Die rote Flüssigkeit darin spritzte über den Tisch. Das Blut perlte auf dem Holz ab, wie geschliffener Achat. „Für die Schmerzen, die dir jemand zugefügt hat, gibt es noch kein Heilmittel, aber du wirst leben und das bedeutet wiederum Möglichkeiten zu haben. Auf jeden Menschen warten hundert ungenutzte Chancen", versuchte er mich aufzumuntern.
Ich war nur keiner von diesen Menschen. Ich nutzte meine Chancen, doch scheiterte. Immer wieder.

„Wenn es stimmt, was du sagst, dann haben wir nicht mehr viel Zeit.
Trink, Nivia. Ich möchte dir noch was zeigen." Mein Blick fing den seinen. Seine Gesichtszüge wirkten warm und freundlich. Er setzte sogar ein Lächeln auf, als er aufstand und mir seine Hand reichte.
Was konnte ein Mann im himmelblauen Pyjama einem auch antun, ging es mir durch den Kopf.

Ich schluckte den mir vertrauten Inhalt des Fläschchens, darauf bedacht die Flüssigkeit an meiner Zunge vorbei, gleich in meinen Rachen zu führen.
Sogleich flutete mich die Zufriedenheit, zwei Sekunden unbeschwerte Freiheit, die in einer jeden DNA eines Vampires wohl steckte. Nachdem der Zauber verflogen war, nahm ich die Hand des fremden Arztes an.
Seine Haut fühlte sich ein wenig rau an, ganz im Gegensatz zu der sanften Art mit der er mich berührte.

Yannis führte mich in die offene Küche, in der er zuvor verschwunden war. Moderne traf auf Eichenholz und im Mittelpunkt stand diese massive Insel, die nur ein großes Kochfeld besaß und von einem gut gefüllten Obstkorb geschmückt wurde. Lediglich das schwarze Telefon, welches an der Wand hing, passte nicht zu der hellen Inneneinrichtung. Um davon abzulenken, hingen die lieblichsten Bilder um das veraltete Gerät.

Doktor Amstein zog an meinem Arm, doch ich blieb stehen, fixiert auf jedes einzelne Lächeln eines jeden Kindes. Erst dachte ich, es wären Aufnahmen von einem Kind, in verschiedenen Altersabschnitten, aber nein.
Sie unterschieden sich in ihrem Lachen, in ihrer Augenfarbe und den Haaren, eigentlich in allem, bis aus vereinzelte Ähnlichkeiten.
Vor allem aber zierte jedes quadratische Foto, ähnlich, wie bei einem Polaroid, ein weißer Rand.
Der einprägsamste Unterschied der Bilder bestand in der Beschriftung. Jedes Bild trug einen anderen Namen, einen anderen Geburtstag und ein anderes Aufnahmedatum.
Und ich hatte das eine Merkmal gefunden, welches ihn zu einem unendlichen Menschen und damit zu einem Weltenwandler machte.
Er war kein Vampir. Über die Jahre hinweg, hatte er sich fortgepflanzt.

1903 wurde seine erste Tochter geboren. Alma. Zum Zeitpunkt des Schnappschusses war sie zwei, oder drei Jahre alt. Die glänzenden Löckchen waren noch zu kurz für die Schleife und so verteilten sich die meisten Haare um das runde Gesichtchen herum.

„Du erinnerst mich an ihn."
Doktor Amstein stand plötzlich neben mir. Sein Finger tippte auf ein Foto. Ich folgte seinem Arm und landete bei einem Jungen in heller Hose und einem kragenlosen weißen Hemd, welches ihm fast bis zu den Knien reichte. Seine dunklen Haare teilten sich vorne, genau an der selben Stelle wie ein paar Millimeter darunter seine Zähne zu einer charmanten Lücke. Er strahlte bis über beide Wangen. Karan hieß er. Das Foto entstand im Jahr 1951.

„Das war am Tag seiner Einschulung und er hatte mir an diesem Morgen geschworen, dass er ein noch besserer Arzt werden würde, als ich. Er wollte die Welt auch zu einem besseren Ort machen."
Ich beobachtete, wie die Mundwinkel des Arztes gegen ein unsichtbares Gewicht ankämpften, als sie hinauf wanderten.
„Ist es ihm besser gelungen, als mir?", wollte ich wissen.
Doktor Amsteins väterlicher Ausdruck galt für einen Moment mir. „Er ist der Erfinder der Fontan-Herzen, was tausenden von Kindern ein Leben ermöglicht hat..." Ein dickes 'Aber' schwebte in der Luft. „Doch bis er dort hin gekommen ist, hat er einige Patienten verloren.
Es hatte ihm so viel Leid bereitet. Manchmal bereute er diesen Weg eingeschlagen zu haben, manchmal verzweifelte er... Was ich dir damit sagen will Nivia, kein Held ist geboren, ohne vorher gefallen zu sein."

Dem Mann vor mir standen Tränen in den Augen, die ich nur so kurz zu sehen bekam, dass ich meinte, ich hätte sie mir nur eingebildet. Der Doktor wandte sich ruckartig ab, doch ich lebte in seinen Geschichten, die mich von meiner eigenen ablenkten. Er lief voraus, als ich ihm folgte.

„Wo ist er jetzt?", platzte es aus mir heraus, als wir den Absatz einer schmalen Treppe betraten, die hinunter ins Dunkle führte.
„In einem Altenpflegeheim, wo sich Fremde mehr um mein Kind kümmern, als ich es je getan habe. Das ist der Preis für mein nicht alterndes Ich. Um sie zu schützen, bin ich gegangen. Ich bin der Fluch, den sie kaum kennen, der Mensch, den sie in ihren einsamen Nächten verfluchen."

Eine Lampe flackerte auf und vor mir ragten mehrere verschlossene Türen in die Höhe. „Selbst ein Blutsauger könnte sie nicht aufbrechen", wechselte der Arzt das Thema, als er demonstrativ gegen das Metall klopfte. Vermutlich eine Sicherheitstür, wie ich sie vom Revier kannte und davon gab es hier genau sechs. Doktor Amstein schloss eine von ihnen auf. Das nächste künstliche Licht ließ mich für Sekunden erblinden. Noch ein Raum, der mir sehr bekannt vor kam.
Vor den Wänden standen Regale mit Dosen, Gläsern und Krimskrams, welches vermutlich keiner mehr brauchen würde. Unser Lager und das vieler anderer sah ähnlich aus.

„Wo würdest du einen Tresor vermuten? Tob dich ruhig aus, mein Kind." Der Mann neben mir, lehnte sich lässig an die Wand, bevor er mich mit einem Nicken ermutigte, den Keller auseinander zu nehmen.
Ich hatte nicht umsonst bei der Polizei angefangen, denn ich suchte gerne, genauso wie ich es liebte Rätsel zu lösen.

Nichts befand sich am Ende noch auf seinem Platz. Die verstaubten Obstporträts in 3D landeten auf dem Boden. Kartons schob ich zur Seite, danach sogar die Regale. Selbst den Teppich hatte ich angehoben. Ein Loch in der Wand erweckte meine Hoffnung und ich war mir sicher, dass sich dort mal der Tresor befunden hatte, doch nun verstaubte dieses hohle Quader.

Ich lehnte mich neben Herr Amstein, den ich aus höchstem Respekt immer noch nicht beim Vornamen nennen konnte.
Wieso hatte er Tapete über den Hohlraum geklebt, so als wolle er dahinter was verstecken? Zwar nicht sehr sorgfältig, doch mit dem Regal davor, fiel der Mangel kaum auf. Wir standen beide eine Weile nebeneinander und starrten vor uns hin.
„Hier unten sind noch mehr Räume", sprach ich meine Gedanken laut aus.

Der Weltenwandler lachte.
„Nun ja, die wären auch interessanter gewesen. Ich habe hier unten noch ein Büro und sogar ein Labor, aber weil ich es gut mit dir meine, bist du richtig, genau da, wo du bist."
Das glaubte ich ihm. Ich spürte ebenfalls auf eine unerklärliche Weise, dass sich das Fos Infinitum in greifbarer Nähe befand.

In mir schrie eine unbekannte Macht. Sie knipste mein Bewusstsein aus und steuerte mich.
Kampflos gab ich mich diesem Gefühl hin, welches ich schonmal empfand, als ich die Blume gezeichnet hatte. Wie im Traum bewegte ich mich fort und beobachtete dabei nur, was geschehen würde, ohne es beeinflussen zu können. Meine Hände glitten über die Kartons, bis sie an einem fest zu kleben schienen. Das Aluminium der Konserven reflektierte das weiße Licht, doch mein Herz setzte aus, als sich der Karton nicht bewegen ließ.

„Das Selbstverständliche bleibt für das Auge verborgen", kommentierte der Arzt und weckte mich somit aus meiner Trance. Weil sich nichts bewegen ließ, griff ich nach einer Dose, die sich ebenfalls nicht löste. Ich ahnte einen Geniestreich und riss die Pappe an der Frontseite herunter.

Meine Augen brannten bereits, weil ich seit Minuten nicht mehr geblinzelt hatte. Vor mir stand ein Tresor, auf den Doktor Amstein halbierte Dosen geschweißt hatte. Verwirrt schnellte mein Blick zur Seite. Der Mann war verschwunden. Er eilte jedoch mit einem simplen Schulheft herbei.
„Sechs Zahlen. Ich probiere jeden Tag zehn aus." Yannis hielt mir die Seiten offen hin und ich musterte abwechselnd die vielen durchgestrichenen Zahlen und ihn, der so erwartungsvoll auf eine Antwort von mir wartete. Ich wusste, dass ich den Code kannte, nur keine Ahnung woher.
Es lag mir irgendwie auf der Zunge, doch der entscheidende Funke sprang nicht über.

Uns blieb auch keine Zeit mehr, um groß nachzudenken. Es polterte, einmal, zweimal und dann so laut, dass mir kurz das Herz stehen blieb.

„Doktor Amstein, gibt es hier einen Hinterausgang für Sie? Eine Tür, ein Fenster, ein Luftschacht, irgendwas..." In meinem Kopf schwebten so viele Fragen, doch eins wusste ich ganz genau. Ich musste diesen Mann retten. Es war nicht weniger als meine Bestimmung. Das spürte ich!
„Nur wenn du mit kommst, mein Kind!" Der Weltenwandler schnappte bereits nach meiner Hand, die ich ihm im selben Moment wieder entzog.

„Du hast keine Waffen dabei!", versuchte er mich zur Vernunft zu bringen.

Doch.

Die mächtigste aller Waffen trug ich bei mir. Meine Finger tasteten nach der Stelle oberhalb meiner Brust, wo es kräftig wummerte.
Vielleicht ergab es doch Sinn. Vielleicht hatten sie mein Vertrauen verdient und den Schmerz, der darauf folgte.
Vielleicht war es aber kein Fehler, Leontes und Roel einen Platz in meinem Herzen zu gewähren.
Denn nun würde es darauf ankommen, wie groß der Platz war, den ich in deren Herzen einnahm.

Ich war nie bereit gewesen, mich an dem Krieg um das Fos Infinitum zu beteiligen. Man schlägt Feuer nicht mit Feuer. Ich war nie bereit gewesen, Leben zu beenden, um ein unendliches zu schaffen.







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