Das Armband

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Eigentlich hatte der Tag schön angefangen. Die Sonne schien und es war so warm, dass ich schon am Morgen keine Jacke gebraucht hatte.

Wie gesagt „eigentlich“, denn dann kam der Schock. Ich saß gerade in Mathe, aber ich war nur körperlich anwesend, denn ich träumte vor mich hin und hörte nicht zu. Versonnen blickte ich aus dem Fenster auf das Meer. Am Meer war es immer windig und ich beobachtete die Wellen, wie sie aufbäumten, bis sie brachen und dann auf dem Strand ausrollten. Der Ozean war blau, kein schlammiger Farbton, der eigentlich doch eher braun ist, wie man ihn im Hafen findet. Es war ein klares Türkises blau, das in der Frühlingssonne glitzerte. Ich stellte mir gerade vor jetzt dort draußen zu sein und in der Brandung zu stehen. Fast konnte ich den Wind in meinen langen Haaren fühlen und die Wellen hören, wie sie tosend brachen, als ich plötzlich abrupt aus meinem Tagtraum gerissen wurde. Mein Mathelehrer stand direkt vor mir und sah mich fragend an.

„Louisa, ich habe sie etwas gefragt.“, Sagte er und funkelte mich mit seinen unnatürlich blauen Augen an. Er konnte es nicht leiden, wenn man sich nicht gebührend für seinen Unterricht interessierte, aber wenn man kein Genie in Mathe war hatte man bei ihm sowieso schlechte Karten.

Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum, dann wagte ich einen Vorstoß.

„Entschuldige, Mr. Burner“, sagte ich möglichst freundlich „Könnten sie ihre Frage vielleicht noch mal wiederholen?“ Mit Mühe versuchte ich seinem eisigen Blick standzuhalten.

Die Anspannung im Klassenraum war fast greifbar. Ich wusste, dass mich gerade der gesamte Kurs anstarrte. Mit Mr. Burner war einfach nicht gut Kirschen essen.

„Ich fragte sie gerade ob sie überhaupt für die Klausur gelernt haben, oder ob sie es nicht für nötig halten etwas anderes zu tun als zu malen?“, sagte er scharf und hielt das Blatt hoch, auch das ich eben ohne es zu merken lauter kleine Vögel gezeichnet hatte. Ich machte mich ganz klein auf meinem Stuhl. Ich stand nicht gern im Mittelpunkt und schon gar nicht negativ. Am liebsten wäre ich in einem Mauseloch verschwunden oder hätte mich in meinem Bett unter der Decke verkrochen.

Mr. Burner knallte mir meinen Klausurbogen vor die Nase und ging weiter zu Toby, der neben mir saß.

Ich traute mich gar nicht den Bogen zu öffnen. Mein Vater war sehr streng wenn es um Noten ging und etwas Schlechteres als eine zwei würde er mir wohl kaum durchgehen lassen. Angeblich hatte er früher überall nur Einsen, das behauptete er zumindest immer wenn ich mal wieder eine zwei geschrieben hatte. Meine beste Freundin Scarlett sage immer, dass sich für Noten nach der Schule sowieso keine mehr interessiere. Das hatte sie ihm auch mal gesagt, was wahrscheinlich auch der Grund war, wieso er sie nicht leiden konnte.

Die erste Seite meiner Klausur war fast gänzlich mit dem unbarmherzigen Rotstift meines Lehrers bedeckt. Am Rand standen überall gemeine Kommentare, wie: „Falsch, das ist Stoff der sechsten Klasse“ und „Minus mal Minus ergibt Plus“.

Mein Blick war starr auf das Papier gerichtet, als könnte ich es so verschwinden lassen. Ich nahm nichts anderes mehr war. Angst durchflutete mich. Mit zitternden Händen blätterte ich die Seite um und mein Blick viel auf meine Note. Ich hatte das Gefühl, das mein Herz stehenblieb.

Eine Sechs! Entgeistert starrte ich auf den roten Kringel, der mich vorwurfsvoll anzustarren schien. Mein Blick wurde unscharf, als mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich blinzelte heftig und senkte den Kopf tief über das Blatt. Ich tat so, als würde ich mir eine Aufgabe ganz genau ansehen, damit niemand sah, dass ich weinte. Es war viel zu peinlich in der zehnten Klasse noch wegen einer Note zu heulen, aber ich konnte einfach nicht anders.

Sicherlich war mein Mascara ganz verschmiert. Vorsichtig linste ich auf meine Armbanduhr. Noch fast eine halbe Stunde, dachte ich resigniert. Das halte ich nicht durch. Was kann ich bloß tun?

Dann fasste ich einen Entschluss, schnappte mir meine Tasche und meinen Ordner und stand auf. Die Klausur ließ ich auf meinem Platz liegen. Als ich raus ging sah ich weder nach rechts noch nach links, damit ich die Blicke meiner Mitschüler nicht sehen musste.

Sobald ich den Raum verlassen hatte fühlte ich mich etwas besser. Ich bog um die Ecke und begann zu rennen. Nur weg hier, dachte ich und lief aus der Schule.

Ohne darüber nachzudenken schlug ich den Weg hinunter zum Meer ein. Langsam begann der Schock nachzulassen, als ich auf das schier endlose Wasser blickte.

Eine sechs, sagte eine unwillkommene Stimme in meine Kopf immer und immer wieder. Du hast eine sechs in Mathe.

 Mein Vater würde die Wände hochgehen, wenn er davon erfahren würde. Und dann schwänzte ich auch noch, das erste Mal in meinem Leben. Er würde so wütend sein. Ich bekam auf einmal Angst, aber wie sollte ich es ihm verschweigen?

Langsam ging ich über den Strand bis ich direkt am Meer stand, so dass meine Füße beinah nass wurden. Ich ging am Wasser entlang und meine Schuhe hinterließen gleichmäßige Abrücke im feuchten Sand. Immer weiter lief ich und hörte nur das monotone Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen.

Ich muss lange so gegangen sein, denn plötzlich wurde der Sand von Pflastersteinen abgelöst und der Weg stieg an. Ich befand mich an der Hafenpromenade.

Zum Steg, dachte ich und bahnte mir einen Weg durch die vielen Touristen, die hier bummelten.

Der Steg war mein Lieblingsort. Ich saß oft stundenlang da und zeichnete. Das Meer, die Schiffe im Hafen und die vielen Vögel, die hier herumflogen und versuchten von den Touristen ein Brötchen zu ergattern.

Als ich den Holzsteg entlang ging fühlte ich wie mit jedem Schritt die Sorgen von mir abfielen.

Ich hatte von hier aus einen wunderschönen Blick über das Meer und die Boote. Ich setze mich, zog meine Schuhe aus und ließ die Beine baumeln.

Dann holte ich meinen dicken Zeichenbloch aus der Schultasche und hielt nach einem guten Motiv Ausschau.

Da, ein kleines Segelboot fuhr gerade in den Hafen. An der Reling stand ein kleiner Junge mit seinem wuscheligen Hund. Er winkte mir zu und ich winkte lächelnd zurück. Schnell begann ich das Bild zu skizzieren. Voller Elan flog meine Hand über das Papier.

Als ich wieder hochblickte sah ich aus dem Augenwinkel etwas glitzern. Ich sah runter und tatsächlich, im Wasser funkelte etwas.

Ich beugt mich vor, um es besser sehen zu können, doch die Reflektion der Sonne im Wasser blendete mich und ich musste mich noch weiter vorbeugen um etwas sehen zu können. Da verlor ich das Gleichgewicht und kippte wie eine Stoffpuppe vornüber in das brackige Hafenwasser.

Ekelig, dachte ich und hielt meine linke Hand hoch über dem Kopf, weil sie noch immer den Zeichenblock umklammert hielt. Mit etwas Glück hatte er nur ein paar Spritzer abbekommen. Ich strampelte mit den Füßen und versuchte mit der rechten Hand den Steg zu erreichen, doch er war zu hoch. Fluchend sah ich mich um und bemerkte etwa zwanzig Meter entfernt eine Metallleiter, die hoch zum Kai führte. Ich paddelte wie ein ertrinkender Hund auf die Mauer zu und packte erleichtert die mit Algen überwachsene Metallstrebe. Ich zog mich hoch und kletterte schnell die glitschige Leiter und wäre fast heruntergefallen, als mein Fuß abrutschte, aber ich konnte mich gerade noch festhalten.

Keuchend stand ich in triefendnassen Klamotten am Kai und ging dann schnell zurück zu meinen Sachen. Ich raffte sie zusammen und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Ich wollte nun so schnell wie möglich nach Hause.

Die Leute sahen mich verwundert an, als ich klitschnass an ihnen vorbeihastete. Der Bus kam sofort und ich stieg ein. Die Fahrt dauerte fast eine halbe Stunde, aber ich konnte mich nicht hinsetzten, weil ich ja ganz nass war.

Als ich endlich zu Hause ankam wollte ich nur noch in mein Zimmer. Schnell lief ich die Treppe hoch und warf meine Sachen einfach auf den Boden. Meine nassen Klamotten folgten kurz darauf meiner Tasche und ich hüllte mich in meinen flauschigen rosa Bademantel ein.

So ein verdammter Schwarzer Tag, dachte ich, als ich mich resigniert auf mein Bett setzte.

Erst die Matheklausur und dann bin ich auch noch ins Wasser gefallen und mein weißes Flügeltop war nach der Bekanntschaft mit dem dreckigen Wasser bestimmt hinüber. Dabei hatte ich es mir erst vor zwei Wochen für fast vierzig Dollar gekauft. Die Flecken würden sicher nie wieder rausgehen.

Plötzlich klingelte das Telefon und ließ mich zusammenfahren.

Was wenn es mein Mathelehrer war, der mit meinem Vater über die Klausur reden wollte, schoss es mir durch den Kopf.

Nach dem vierten Klingeln nahm ich ab, obwohl ich eigentlich mit niemandem reden wollte. Es war Scarlett. Sie war meine allerbeste Freundin, seit wir in der ersten Klasse beide mit demselben blau-weiß karierten Kleidchen in die Schule gekommen waren.

„Ich hab mir Sorgen gemacht, Lou.“, Fing Scarlett sofort an. Lou ist mein Spitzname, aber eigentlich nennt nur sie mich so.

„Ich hab dich ungefähr hundert Mal auf deinem Handy angerufen, aber es ist aus. Du hast sicher mal wieder vergessen es aufzuladen.“, Ich konnte fast ihre vorwurfsvoll blitzenden Augen sehen und wie sie die ganze Zeit am Kabel des Telefons herumspielte. Ihre Mutter war nämlich auf ihrem Retro-Trip und hatte die gesamte Wohnung in das vergangene Jahrhundert zurückversetzt.

„Nein“, entgegnete ich „ich hab es die ganze Nacht aufgeladen. Moment ich sehe nach.“

Ich stand auf und kramte in meiner dunkelblauen Handtasche, aber ich konnte es nicht finden. Mit einer bösen Vorahnung griff ich in die Hosentasche meiner Jeans, die ich noch immer auf dem Boden lag. Tatsächlich, es war kaputt.

Wasserschaden, dachte ich, in diesem Fall zahlt das garantiert keine Versicherung. Blödes iPhone, die gehen sofort kaputt.

„Mein Handy ist tot. R.I.P.“, sagte ich zu Scarlett.

„Was ist passiert?“, fragte sie sofort aufgeregt, aber sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen und plapperte sofort weiter. „Max hat mir eben von der Sache mit Burner erzählt. Wieso ist dein Handy tot? Du musst dir dringend angewöhnen mal alles Wichtige auf Facebook zu posten, sonst bin ich nie up-to-date.“

So war Scarlett nun mal. Impulsiv, Facebook-süchtig, ein bisschen verrückt, aber immer da wenn ich sie brauchte.

So heulte ich mich die nächste Stunde bei ihr aus. Ich schimpfte über Mathe, Mr. Burner und dreckiges Wasser, das süße Tops ruinierte. Als ich fertig war fühlte ich mich schon viel besser. Sie unterstützte mich bei meiner Idee Mathe in Schulen abzuschaffen, aber ich glaubte nicht, dass wir damit jemals Erfolg haben würden. Trotzdem machte es immer Spaß mit Scarlett verrückte Pläne auszuhecken.

Irgendwann hatte ich mich genug abreagiert und wir kamen auf Scarletts Lieblingsthema zu sprechen. Max. Seit drei Monaten war sie nun schon mit Max zusammen. Auch wenn ich sie mittlerweile eher als siamesische Zwillinge bezeichnen würde. Ich traf sie kaum noch alleine und war schon viel zu oft Zeuge davon geworden, wenn die beide sich gegenseitig auffraßen.

Aber eigentlich, musste ich zugeben, dass ich bloß neidisch war, weil der einzige Typ den ich je geküsst hatte Kevin war und das war bei Wahrheit oder Pflicht in der zweiten Klasse.

Ich zählte es einfach mal nicht mit und wartete noch auf meinen ersten richtigen Kuss von Mr. Right.

Auf einmal hörte ich wie die Haustür aufgeschlossen wurde. „Scarlett, mein Dad ist da. Ich muss Schluss machen. Wir sehen uns morgen in Spanisch.“, Sagte ich und hörte gerade noch ihr „Okay, bis dann“ bevor ich auflegte. Dann zog ich mir schnell eine dunkelrote Hose und mein Hardrock-Café-Las-Vegas- T-Shirt an. Ich war zwar noch nie in Vegas gewesen, aber Scarlett (dies auch noch nie wirklich über die Grenze unseres Bundesstaates hinausgekommen war) hatte es im Internet bestellt und mir zum letzten Geburtstag geschenkt. Der flauschige Bademantel wäre zwar viel bequemer gewesen und Zuhause war es mir auch „fast“ egal was ich trug, aber mein Vater hätte sich nur aufgeregt, wenn ich so was anziehen würde.

Bevor ich runter ging holte ich noch schnell die SIM-Karte aus meinem kaputten Handy und steckte sie in mein altes Telefon. Das alte war schon richtig prähistorisch und hatte nicht nur Tasten, sondern auch ein Schwarz-Weiß-Display. Das war nicht Retro, sondern einfach nur uncool, aber besser als ein Handy mit Wasser drin.

Wie durch ein Wunder funktionierte die SIM-Karte noch und die Daten waren auch noch alle da. Die dreizehn Anrufe in Abwesenheit überraschten mich nicht wirklich. Scarlett konnte sehr ausdauernd sein, besonders wenn sie sich um jemanden Sorgen machte oder wenn sie zwei Tage vor der Konzerthalle campierte um tolle Plätze bei einem Justin Bieber Konzert zu bekommen. Ich weiß, ihr Geschmack ist echt manchmal jenseits von allem was man mit ganz viel gutem Willen noch als Geschmack durchgehen lassen kann.

„Louisa, bist du da?“, rief mein Vater nach oben. Er hatte so lange gebraucht um mal zu fragen, weil er sich sicher erst einen Kaffee machen musste. Das ist so eine seltsame Eigenart an ihm: sein Kaffee. Ich glaub ich hab ihn fast noch nie ohne eine Tasse Kaffee gesehen. Wenn er gerade keinen Kaffee hatte war er unter Garantie auf dem Weg zur Kaffeemaschine oder zum nächsten Starbucks.

„Ja, ich bin hier.“, Rief ich zurück und ging nach unten.

„Hallo, wie war dein Tag?“, fragte er viel zu freundlich. Hier hätte ich eigentlich schon stutzig werden sollen, aber ich bin einfach zu gutgläubig und kaufe allen immer jeden Mist ab.

Deshalb beschloss ich ihm Mathe zu verschweigen. Ich redete mir ein, dass es ja im Prinzip keine richtige Lüge war, schließlich ließ ich nur ein paar Details aus.

„Ganz gut“, sagte ich möglichst neutral und ging in die Küche um den Abendbrotstisch zu decken und um dem Gespräch zu entgehen.

Beim Abendessen unterhielten wir uns über alles Mögliche. Das Wetter, die Arbeit meines Vaters und die Neuigkeit, dass am Pier ein neuer Starbucks aufmachen würde. Nur das Thema Schule vermied ich sorgfältig, um ja nicht zufällig auf die Matheklausur zu sprechen zu kommen.

Doch es half alles nichts, denn beim Abwaschen fragte mein Vater mich dann doch neugierig, ob wir die Klausur schon zurückbekommen hätten.

Ich biss die Zähne zusammen und trocknete den Teller, den ich gerade in der Hand hielt, dreimal ab bevor ich antwortete.

„Nein“, sagte ich schnell und griff so hastig nach einem Glas, dass es mir beinah aus der Hand gefallen wäre.

„Zufällig“, begann er plötzlich und ich hatte auf einmal ein ganz mieses Gefühl „habe ich heute im Büro einen Anruf von deinem Mathelehrer bekommen. Ich hab dir lange genug Zeit gegeben um selbst damit herauszurücken, aber du sagst nichts und dann lügst du mich auch noch an. Das ist doch die Höhe!“

Er rang das Geschirrtuch in den Händen und schrie jetzt fast. „Mr. Burner hat gesagt, dass du in Mathe auf der Kippe stehst, weil du dich auch mündlich viel zu wenig beteiligst. Weißt du was das heißt? Du könntest sitzen bleiben. Außerdem bist du mitten in der Stunde einfach abgehauen.“ Seine Stimme überschlug sich fast. „Du bist doch sonst nicht so dumm, Louisa. Streng dich einfach mal ein bisschen an.“

„Ich weiß auch nicht was passiert ist. Ich hatte einen Black-Out und…“, begann ich kleinlaut, doch mein Vater unterbrach mich sofort. „Ab jetzt lernst du mehr und wehe du schwänzt noch mal. Eine Schulschwänzerin, dass das hier nicht einreißt.“

Ich hätte im gerne etwas erwidert, aber ich wusste aus Erfahrung, dass es das nur viel Schlimmer gemacht hätte. Als Vater saß er nun mal am längeren Hebel, bis ich volljährig war. Damit musste ich mich abfinden, deshalb ließ ich seine Schimpftirade über mich ergehen.

„Du hast bis auf weiteres Hausarrest und dein dämliches Tanzen ist auch gestrichen. Dir kann man einfach keine Freiheiten lassen, du nutzt das ja sofort schamlos aus. Und wenn du das nicht endlich kapierst kommst du ins Internat, da bringen sie dir erstmal bei, dass du was für die Schule tun musst.“, Er brüllte jetzt richtig und es hätte mich nicht gewundert, wenn er mit dem Fuß aufgestampft hätte.

Auch wenn ich wusste, dass er das mit dem Internat nicht ernst meinte tat es furchtbar weh so etwas zu hören. Ich brach in Tränen aus und rannte aus der Küche.

Mit fliegenden Schritten jagte ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Erst als ich die Tür abgeschlossen hatte konnte ich wieder durchatmen. Weinend warf ich mich aufs Bett und schluchzte in mein Kissen. Es war so gemein. Besonders, dass ich nicht zum Tanzen durfte. Das war nämlich nach Zeichnen mein liebstes Hobby. Einmal die Woche ging ich zusammen mit Scarlett zum Hip-Hop und am Wochenende sahen wir uns oft Tanzfilme an und versuchten manchmal sogar nachzutanzen. Das machte immer einen Riesenspaß, aber das konnte ich mir jetzt wohl abschminken. Wenn mein Vater sagte „Bis auf weiteres“ konnte es gut sein, dass ich bis zu meinem Schulabschluss hier rumhocken würde.

Auch das ich mehr für die Schule tun sollte war eine Gemeinheit, weil ich eigentlich sehr viel lernte und sonst auch immer gute Noten schrieb.

Hausarrest war fürchterlich. Nicht fürchterlich, wie ein Gewitter oder ein Geschichtstest. Eher Fürchterlich wie die Apokalypse oder ein dritter Weltkrieg. Ich konnte nur zur Schule nach draußen und Scarlett durfte mich auch nicht besuchen. Wie im Knast oder so.

Ich griff an mein Handgelenk und wollte das Armband umfassen, das meine Mutter mir geschenkt hatte, doch es war nicht da. Ich geriet in Panik.

Das filigrane Silberarmband mit den kleinen goldenen Muscheln hatte meine Mom mir geschenkt, als ich noch ganz klein war. Außerdem war es wie eine wunderschöne Erinnerung, weil sie nun mal nicht mehr lebte.

Als ich fünf war starb sie an Lungenkrebs. Ich erinnere mich kaum an sie. Meine Mutter hatte genau die gleichen dunkelroten Haare wie ich und manchmal meinte ich mich an ihre Stimme zu erinnern, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Ich vermisste sie immer noch oft, obwohl ich mich kaum noch an sie erinnerte, weil ich noch so klein gewesen war als sie starb. Immer wenn ich mich mit meinem Vater gestritten hatte berührte ich die feinen kleinen Muscheln auf dem Armband und sofort ging es mir ein bisschen besser. Doch jetzt war es fort und ich wusste nur eins: Ich musste es um jeden Preis zurückbekommen koste es was es wolle.

Wo könnte ich es verloren haben, dachte ich. Heute Morgen hatte ich es umgebunden, da war ich mir ganz sicher. Und in Geographie hatte ich es auch noch umgehabt, weil es dort immer so langweilig war, dass ich die ganze Zeit damit spielte. Ob ich es allerdings in Mathe noch gehabt hatte oder nicht wusste ich nicht mehr. Das Armband trug ich nun schon solange, dass ich mich daran gewöhnt hatte und es kaum noch spürte. Nur wenn ich es nicht trug fühlte ich mir leer und irgendwie allein.

Vielleicht habe ich es im Sand verloren auf dem Weg zum Pier, oder am Steg, überlegte ich. Vielleicht war es sogar im Wasser abgegangen und lag jetzt auf dem Meeresgrund. Dort wäre es für immer verschollen. Mir kamen schon wieder die Tränen.

Ich stelle heute bestimmt einen Rekord im Weinen auf, dachte ich und kuschelte mich ganz fest in mein Kissen.

Doch dann fiel mir ein, dass es überhaupt nichts bringen würde mich in Selbstmitleid zu suhlen. Deshalb stand ich auf und rief erstmal beim Busunternehmen an. Mit viel Glück hatte ich es da verloren und der Busfahrer hatte es ins Fundbüro der Zentrale gebracht.

„Guten Abend, hier ist Louisa Fisher.“, Meldete ich mich, nachdem die Frau am Telefon den typischen Begrüßungsspruch abgespult hatte. „Ich habe heute mein Armband verloren. Haben die es vielleicht in einer Fundkiste, oder so?“, fragte ich hoffnungsvoll und klang noch immer etwas verheult. Die Dame sah kurz nach, trotzdem kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Kindisch kreuzte ich die Finger meiner rechten Hand.

„Es tut mir wirklich leid, aber hier ist heute gar kein Armband abgegeben worden.“, Hörte ich und das kleine bisschen Hoffnung erlosch. „Danke, dass sie nachgesehen haben. Tschüss.“, Presste ich hervor und legte auf ohne eine Antwort abzuwarten. Als nächstes rief ich im städtischen Fundbüro an, doch dort war es genau das Gleiche.

Wie kann ich nur nachsehen, grübelte ich. Heute Abend würde es nicht mehr gehen, weil mein Vater Zuhause war und ich ja obendrein auch noch Hausarrest hatte.

Die einzige Möglichkeit wäre, wenn ich gleich morgen früh zum Pier führe und von dort aus den Weg zur Schule liefe. Auf diese Weise könnte ich alles absuchen und immer noch rechtzeitig zur Schule kommen.

Mein Vater fuhr immer schon um sechs Uhr morgens los, weil er in einer anderen Stadt arbeitete. Sonst störte es mich immer, dass ich die letzte im Haus war und den Tisch aufräumen musste und das mich keiner weckte, wenn ich mal verschlief, aber jetzt kam es mir sehr gelegen.

Ich packte meine Schultasche und legte mir meine Klamotten zurecht, damit ich am Morgen nicht unnötig Zeit verschwendete. Dann stellte ich meinen Wecker auf viertel vor sechs, so konnte ich mich schnell umziehen und dann direkt nach meinem Vater völlig unbemerkt das Haus verlassen.

Erschöpft ließ ich mich viel früher als normalerweise ins Bett fallen. Ich war mit den Nerven völlig am Ende. Es war einer der schlimmsten Tage meines Lebens gewesen.

Noch fast eine Stunde wälzte ich mich schlaflos umher, bis ich schließlich doch unruhig in einen traumlosen Schlaf fiel.

Ich hoffe, dass euch der erste Teil meiner Story gefallen hat.

Ich schreibe mit meiner anderen Story auch weiter, also wenn ihr Lust habt könnt ihr ja mal vorbeischauen.

lg Anni

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