Skalpell und Breitschwert

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Greifenburg

Waagen, Harz

09.11.2158, 10:40 Uhr, Shatterlands (Ehemaliges Deutschland)

Frischer Schnee knirschte unter Thomas Sattlers blutbesudelten Stiefeln, als er zielstrebig auf die Treppen zum Hauptgebäude von Burg Greifenstein zuging. Weißer Schnee von allen Dingen. Frisch und rein wie die Hoffnung – absolut unpassend für einen schwarzen Tag wie diesen. Er befand sich noch immer am Fuße der breiten Steinstufen, die zum Schloss führten, als er die zwei in Felle gehüllten Wachtposten anherrschte: „Klappe zu und Gatter hoch!"

„Jawohl Sir!"

Worte wurden über Funkgeräte gewechselt und noch bevor Sattler die letzte der breiten Steinstufen erreicht hatte, hob sich das massive Gitter vor den mit Eisen verstärkten Doppeltüren. Der Sicherheitschef kam auf der letzten Treppenstufe zum stehen und starrte das Hindernis nieder, als wäre es ein Feind, den es zu unterjochen galt. Er hatte keine Zeit für diese Scheiße und seine sonst so legendäre Geduld baumelte an einem seidenen Faden.

„Ähm ... Boss?", fragte der kräftigere der Wachposten.

„Was ist, Soldat?"

„Sie haben etwas ... etwas im Rücken stecken, Boss. Sieht aus wie ... wie ... wie das Bein einer Frostspinne."

Sattler grunzte nur, so als wäre es das Natürlichste auf der Welt das Beinsegment einer Riesenspinne einen Dolch gleich im Rücken stecken zu haben. Fakt war, dass er sehr wohl um das verdammte Stück Chitin wusste. Wer könnte so etwas schon nicht bemerken? Es schabte bei jedem Atemzug gegen seine Rippen und war selbst im Anbetracht seiner anderen extrem schmerzhaften, oft nur durch Schießpulver und Feuer versiegelten Verletzungen eine Qual. Der Trick war, seine Schmerzen zur Kenntnis zu nehmen, sie zu akzeptieren und sie dann aus seinem Bewusstsein zu streichen.

„Sollen wir ... ehm ... einen ... einen Heiler holen, Sir?", stammelte der zweite Wachtposten.

Sattler schnaubte. „Wofür? Dieser Kratzer wird mich nicht umbringen."

Dieser nicht, aber alle zusammen genommen vielleicht schon, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf. Satter schenkte ihr kein Gehör. Es spielte auch keine Rolle was er dachte, wie er sich fühlte und wie viel Arbeit er heute noch vor sich hatte, um die Verteidigungsanlagen von Waagen bis zum Einbruch der Nacht wieder halbwegs zum Laufen zu bringen. Sein Herr hatte ihn so schnell wie möglich zu sich bestellt und das war alles, was zählte. Hätte er sich die Zeit nehmen können um seine Wunden ordentlich verarzten zu lassen? Mit Sicherheit, doch das war nicht worum es ging. Ein Teil von ihm wollte wissen, nein musste wissen, ob der Mann, dem er Treue bis in den Tod geschworen hatte, in seinem drogenumnachteten Verstand überhaupt noch dazu in der Lage war, sich um irgendetwas anderes zu scheren als seine nächste Pfeife.

Doch was, wenn er deinen Zustand noch nicht einmal bemerkt, was wenn es ihn einen Dreck interessiert, dass ich oder seine Stadt vor die Hunde gehen?

Es war möglich ... nein, es war sogar sehr wahrscheinlich.

Das schwere Gatter rastete mit einem finalen Knirschen ein und damit war auch schon die Zeit des Zweifelns vorbei. Er nickte den zwei Wachen zu, schritt zu den massiven Eichenholzflügeln und brachte seine 180 Kilo zum Einsatz. Muskelstränge dick wie Anakondas zuckten unter seiner vernarbten Haut, als er die mächtigen Doppeltüren mit aller Kraft aufstieß.

WAAAM!

Eisenverstärktes Eichenholz schmetterte gegen Granit, Putz rieselte von der Decke und ein Dutzend Köpfe ruckte in seine Richtung. Er wurde bereits erwartet ...

„Achtung!", bellte der wachhabende Unteroffizier, ein graubärtiger Zwerg mit kahlgeschorenem, runentätowierten Schädel. „Sicherheitschef anwesend!"

Waffen hoben sich zur Parade. Stiefelabsätze knallten in perfekter Synchronisation gegeneinander und die schwer bewaffneten Palastwächter nahmen in der Manie eines fein abgestimmten Uhrwerks Hab-Acht-Stellung ein.

Sattler nickte und schritt zielstrebig in die Halle. Seine schweren Schritte hallten von den hohen, mit Waffen und enormen Gemälden behangenen Wänden wieder. In vielerlei Hinsicht waren die Palastwächter ebenso wie diese Waffen. Alt, ja. Mit Narben übersäht, definitiv. Jedoch noch immer tödlich und in unzähligen Kämpfen getestet.

„Rührt euch, Männer", brummte Sattler. „Alarmstufe rot ist aufgehoben, aber wir sind noch immer auf gelb. Die Nachtbrut ist kurz vor Sonnenaufgang in ihre Löcher zurück gekrochen, aber einige könnten noch immer in der Stadt sein und es auf die Familie des Greifen abgesehen haben."

Es war alles, was er dazu sagen musste. Bei seinen Worten trat nicht Sorge in die Augen der Männer, sondern Hunger – eine Gier danach, ihren Wert endlich beweisen zu können. Bei den Göttern des Atoms, er kannte dieses fieberhafte Glitzern nur zu gut, hatte es oft genug gesehen, wann immer er seine hässliche Visage im Spiegel betrachtete. Gut. Diese Männer würden ihn nicht enttäuschen, würden nicht noch einmal versagen.

Sie können es sich nicht leisten noch einmal zu versagen.

Sattler ging an den Palastwächtern vorbei und auf die breiten Treppen zu, die ihn in den oberen Teil der Burg und zum Refugium des Greifen bringen würden. Er bewegte sich zügig und zielstrebig, obwohl er fürchtete, was ihn dort oben in der „Männerhöhle" seines Herren erwarten mochte. Er hatte die Treppe bereits halb erklommen, als ein scharfes Klopfen in innehalten lies. Eine Ader begann an seiner Stirn zu pochen.

Er kannte dieses Klopfen.

Er hasste dieses Klopfen.

Hush ...

Sattlers Zähne mahlten aufeinander und seine Pranken schlossen sich mit einem lauten Knacken zu Fäusten. Es gab nicht viele Männer, die sich an ihn anzuschleichen vermochten, nicht viele, die dies wagen würden, doch Hush war definitiv einer davon. Natürlich war die Frage, ob der stumme Buttler des Grafen überhaupt ein Mann war, ob er überhaupt ein Mensch war. In Sattlers Augen wirke dieser Freak mehr wie eine Spinne, die träumte ein Mensch zu sein – und er hasste Spinnen. Er hasste alles, was mit ihnen zu tun hatte, hasste ihr Aussehen, hasste wie sie sich bewegten, hasste ihre seelenlosen Augen, hasste die absolute Stille, mit der sie jagten. Niemand, der einst von der Nachtbrut gefangen genommen wurde und wieder frei gekommen war, konnte Spinnen nicht hassen ...

Sattler drehte sich um und dort, am Fuße der Treppe, stand er. Obszön groß. Widerlich dürr. Sein Gesicht ein Spiegel, der die Welt verzerrte. „Hush." Sattler knurrte den Namen geradezu und sein Blick wanderte mit einem Hauch von Anklage zu den Palastwächtern, doch die Männer und Frauen wirkten nicht weniger überrascht vom Erscheinen des Buttlers. Er schluckte seinen Ärger herunter und schritt die Treppe herab, bis er sich auf Augenhöhe mit der verspiegelten Glasstahlmaske des Freaks befand – was bedeutete, das er noch immer auf der dritten Treppenstufe stand. „Was willst du, Buttler? Ich bin hier, um dem Grafen Bericht zu erstatten und habe wenig Zeit."

Hush verbeugte sich und deutete mit einer weiß behandschuhten Hand, groß wie eine Essplatte und doch abstoßend dünn, zu einem der Seitenkorridore.

Sattler runzelte die Stirn. „Der Graf ist nicht in seinem Refugium?"

Hush verbeugte sich erneut.

Was zum Teufel wird hier gespielt? Ist Egon beim Essen? Um diese Zeit?

Der Sicherheitschef grunzte. „Geh voran."

Hush drehte sich um, schritt seelenruhig auf die Passage zu und duckte sich unter den über zwei Meter zehn messenden Türrahmen. Sattler folgte ihm auf dem Fuß, wobei seine Fäuste sich immer wieder schlossen und öffneten.

Klack-Klack-Klack...

Diesmal waren Hushs Schritte kaum zu überhören, in der Tat machte der Freak jede Menge Krach, so wie man es von jemandem seiner abnormen Größe erwarten würde. Sattlers Zähne mahlten gegeneinander, was die Sehnen seines Halses zucken ließ. Nichts weiter als eine Show und eine gekünstelte noch dazu. Es wirkte affektiert, fast so, als müsse sich Hush bei jedem Schritt darauf konzentrieren Geräusche zu machen – etwas, dass seiner Natur absolut zuwider lag.

Dieser dreckige, arrogante Freak.

Sattler nahm einen tiefen Atemzug, versuchte seinen Kopf und sein Innerstes zu klären. Der Greif hatte ihm einst gesagt, dass ein wahrer Krieger zuerst seinen Zorn und seinen Hass bezwingen musste, doch bei den Göttern des Atoms, es war alles andere als leicht, insbesondere an einem Tag wie diesem. Als Hush Sattler durch die mit unbezahlbaren Kunstgegenständen voll gestopften Hallen und Korridore von Burg Greifenstein führte, konnte der Sicherheitschef nicht umher sich zum tausendsten mal zu fragen, warum er den Buttler so sehr verabscheute. War es nur, weil er wie eine verdammte Spinne aussah, die man in einen Frack gesteckt hatte? War es das? Oder reichte sein Hass tiefer? Weit tiefer? Sein Geist wanderte einmal mehr zum Grafen und dem jämmerlichen Zustand, in dem er ihn gestern Nacht gesehen hatte. Zu diesem gebrochenem, alten Mann der sich mit einem verrottenden Kopf unterhielt und dabei an einer Opiumpfeife saugte, wie eine Straßenhure am Schwanz ihres Freiers.

Die Erkenntnis kam zu ihm wie auf schwarzen Schwingen getragen und Sattlers Auge weitete sich. Hush half dem Grafen dabei sich umzubringen. Schlicht und einfach. Mit jeder Pfeife, mit jedem Drink, mit jeder Droge, die er für seinen Herren vorbereitete, tötete er den Mann, dem Sattler sein Leben geschworen hatte. Stück für Stück für jämmerliches Stück ...

Tat er nichts weiter als seine Pflicht? Sicher. Doch es waren diese Hände, diese dreckigen Hände, die so sehr aussahen wie Spinnen, die jeden Tag ein bisschen mehr des Greifen ins Jenseits beförderten. Doch konnte er Hush deswegen wirklich hassen, ihn verabscheuen, nur weil der Buttler seine Pflicht tat? Die unglaubliche Wut, die in ihm hochbrodelte und ihm Schweiß aus jeder Pore trieb war Antwort genug.

Verdammt nochmal, ja!

Bevor er wusste wie ihm geschah schoss seine Hand vor und legte sich um Hushs Oberarm. Zuerst fühlte dieser sich genauso an wie er erwartet hatte: Dürr, jedoch hart wie das Chitin-Beinsegment in seinem Rücken. Wie etwas, dass er leicht aus einer Schulter würde reißen können. Dann, von einem Augenblick zum nächsten, wurde das Fleisch des Buttlers weich und nachgiebig. Gummiartig. Wie etwas Bleiches und Schleimiges, dass man aus den Untiefen er Knochensee ans Tageslicht gezerrt hatte. Er ließ den Arm vor Ekel beinahe wieder los. Beinahe. Letztendlich packte er umso fester zu.

Hush kam zum Stehen, verharrte in perfekter Reglosigkeit. Sattlers Herz hämmerte in seiner Brust, pumpte heißes Blut durch zorngeschwollene Venen. Mächtige Muskeln schwollen an, zuckten in Vorfreude. Ein Teil von ihm – ein sehr großer Teil – wollte, dass Hush sich zur Wehr setzte, wollte sich mit ihm messen, wollte wissen wer von ihnen beiden der Tödlichere war. Wollte wissen, wer die beste Waffe des Greifen war!

„Wo zum Teufel bringst du mich hin, Buttler? Wir sind längst an der Speisehalle vorbei. Der Greif wollte mich umgehend sehen, schon vergessen? Ich bin nicht blutend wie ein Schwein direkt vom Schlachtfeld hierher gekommen, um mit einer Missgeburt wie dir einen Spaziergang zu machen. Ich frage dich also ein letzten Mal: Wo ist der Greif?"

Hush ignorierte Sattlers Hand und langsam, sehr langsam drehte er sich in seine Richtung. Weiter und weiter bis zu dem Punkt an dem jede normale Schulter aus dem Sockel hätte springen müssen. Da war jedoch kein Pop, kein Knirschen, nicht einmal die Art Widerstand, die man erwarten würde, als sich der Buttler um 180 Grad drehte, um sich vor ihm aufzutürmen.

Sattler starrte hoch und sah die Reflektion seines Gesicht in der Glasstahlmaske des Buttlers: Eine hässliche, verzerrte Fratze, mit Narben übersät und einem Krater dort, wo einst sein Auge geruht hatte. Ein Antlitz des Hasses, wie es nur das Leben hervorbringen konnte. Der Anblick war wie ein Eimer kaltes Wasser über seinen Kopf. Einmal mehr hörte er die Stimme des Greifen in seinem Kopf: „Hass ist nichts weiter als Furcht und Schwäche, die sich als Stärke tarnt."

Sattler zwang sich dazu seine Finger zu öffnen, trat einen Schritt zurück und nickte Hush knapp zu. Weit mehr von einer Entschuldigung, als die meisten jemals von ihm bekamen. Er war jedoch bei weitem nicht soweit, die Sache gänzlich fallen zu lassen und knurrte: „Der Greif?"

Hush hob langsam seinen rechten Arm – der Linke war noch immer in genau derselben unnatürlichen Position – und deutete auf ein Pfeilschild an der Wand.

Es las: „Trainingshalle."

Sattler starrte das Schild einen langen Moment an und schnaubte: „Wenn das ein Witz ist, verknote ich dir deine Gummiarme."

Scheinbar gänzlich unbeeindruckt, drehte sich Hush um 180 Grad und Sattler hätte schwören können, dass sich sein linker Arm dabei so gut wie gar nicht bewegte, bis dieser wieder in seiner ursprünglichen Position war. Man hätte denken können, dass der gesamte Vorfall den Freak nicht im Mindesten beeindruckt hatte, doch Sattler wusste es besser. Diesmal verursachte keine von Hushs Bewegungen auch nur den Hauch eines Geräusches. Er wandelte leise wie der Tod.

Sattlers Mundwinkel hob sich in einem kleinen Grinsen. Treffer.


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Hmm.

Was denkt ihr, wer von den beiden in einem Kampf gewinnen würde?

M.

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