✿Aegosexualität✿

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Christopher's Arbeitstag auf der Polizeiwache war fast vorbei. Er lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und streckte sich ein wenig. Fast den ganzen Tag hatte er alte Dokumente und Fallakten in seinen Computer übertragen, weil die Polizeiwache gerade dabei war, sich zu digitalisieren.

Eigentlich war dies nicht einmal seine Aufgabe gewesen, schließlich war er Polizist und kein Sachbearbeiter oder Sekretär, doch sein Vorgesetzter hatte ihm und seiner Kollegin Valérie diese Aufgabe zugeteilt, weil es gerade sonst wenig für sie zu tun gab.

Offiziell waren sie am heutigen Tag dafür zuständig, die eventuellen Anliegen der Bürgerschaft aufzunehmen, sofern jemand die Polizeiwache aufsuchen würde. Natürlich wären Valérie und Christopher beide lieber im Außendienst eingeteilt gewesen, doch auch Tage im Büro gehörten natürlich zur Arbeit im Polizeidienst.

Normalerweise hätte Christopher damit kein so großes Problem gehabt, doch an diesem Tag war es außergewöhnlich ruhig. Erst ein Bürger war an diesem Tag überhaupt in die Polizeiwache gekommen und somit hatten Christopher und seine Kollegin die meiste Zeit tatsächlich mit der Digitalisierung alter Fallakten verbringen müssen.

Der 25-jährige warf einen Blick auf die Uhr: In einer Dreiviertelstunde hatte er Feierabend. Das war eigentlich nicht sonderlich viel, doch trotzdem verschwand sein letztes Bisschen Motivation, wenn er daran dachte, noch ganze fünfundvierzig Minuten langweilige Daten in seinen Computer zu tippen.

Christopher erhob sich von seinem Stuhl und warf einen Blick hinüber zur kleinen Küche der Polizeiwache. Valérie drehte daraufhin den Kopf zu ihm und Christopher fragte nur:,,Kaffee?"

Seine Kollegin nickte vehement und hielt einen Daumen nach oben. Also schritt der junge Polizist angetrieben durch das Bedürfnis nach dem koffeinhaltigen Heißgetränk hinüber in die Küche und begann damit, zwei Tassen aus dem Schrank zu nehmen.

Während er unter dem lauten Brummen der Kaffeemaschine, das fast alle anderen Geräusche überdeckte, Milch aus dem Kühlschrank und Zucker aus einer Schublade holte, glaubte er, aus dem Eingangsbereich der Polizeiwache Stimmen zu vernehmen. Vermutlich waren gerade Kollegen vom Streifendienst zurückgekehrt oder er hatte sich vollkommen geirrt und sich die Geräusche nur eingebildet.

Christopher machte sich keine Gedanken mehr darüber, während er den ersten, bereits fertigen Kaffee mit Milch versetzte. Er ließ sich Recht viel Zeit, da er versuchte, den analogen Dokumenten, die noch auf seinem Schreibtisch auf eine Digitalisierung warteten, so lange wie möglich entgehen zu können.

Christopher wollte gerade mit den zwei Kaffeetassen in der Hand in das Großraumbüro zurückkehren, in dem sein und Valéries Schreibtisch standen, doch da kam ihm seine Kollegin bereits entgegen und rempelte ihn versehentlich fast an, als er gerade die Küche verließ.

,,Was ist-", wollte der junge Polizist gerade fragen, doch Valérie kam ihm zuvor. ,,Arbeit! Raum 2, komm mit!", fasste sie sich kurz zusammen und nickte in Richtung einer jungen Frau von vielleicht neunzehn Jahren, die ein wenig unsicher hinter ihr durch den Flur kam. ,,Bitte folgen Sie mir doch.", sagte Valérie freundlich zu der Frau.

Christopher lächelte dieser ebenfalls zu, reihte sich dann hinter ihr im engen Flur ein und folgte den beiden Frauen. Er musste zugeben, dass er sich ziemlich über das Eintreffen der jungen Dame freute, weil dies richtige Arbeit und eine Abwechslung zu den staubigen Dokumenten bedeutete. Und Valérie schien es ähnlich zu gehen.

Immer noch die zwei Kaffeetassen haltend kam Christopher sich ein wenig seltsam vor, weshalb er froh war, diese in Raum 2 angekommen auf dem Tisch abstellen zu können. Christopher setzte sich auf die eine Seite des Tisches neben Valérie und schob die eine Tasse in ihre Richtung.

Seine Kollegin stand jedoch noch einmal auf und kramte aus einem Regal ein paar leere Formulare und ein Klemmbrett heraus. ,,Oh, ähm, darf ich Ihnen auch etwas zu trinken anbieten, Frau...?", fragte Christopher währenddessen höflich die junge Frau.

,,Simone Hansen. Nein, vielen Dank.", antwortete diese darauf. Zum Glück nahm in diesem Moment auch Valérie Platz und übernahm die Führung des Gesprächs:„Frau Hansen, Sie sind heute hier her gekommen, weil sie eine Strafanzeige erstatten möchten, richtig?"

Die junge Frau nickte. „Dann berichten Sie uns bitte genau, um welches Verbrechen es sich handelt. Waren Sie darin als Zeugin oder als Opfer verwickelt?", fuhr Valérie bestimmt aber ruhig fort. Frau Hansen schwieg einen Moment, sah sich um, als würde sie nach jemandem Ausschau halten und sagte dann:

„Entschuldigung, könnten wir noch einen Moment warten? Mein Freund wollte mich eigentlich hierhin begleiten, jedoch hatte sein Bus eine ziemliche Verspätung, er müsste aber gleich hier sein." „Natürlich, das ist kein Problem.", sagte Christopher.

Valérie und er warfen sich einen seitlichen Blick zu. Christopher wusste genauso gut wie sie, was das Verhalten ihrer Klientin zu bedeuten haben könnte: Wenn sie nicht ohne den Beistand ihres Partners über das Ereignis sprechen wollte, musste es sich um etwas ernstes, belastendes handeln.

Das war einerseits spannend für den jungen Polizisten, doch gleichzeitig war er sich natürlich bewusst, dass jedes Verbrechen auch mit einem persönlichen Schicksal verbunden war. Und so aufregend es für ihn auch war, die berufliche Erfahrung ersterer Fälle zu machen, die Tatsache, dass dahinter immer noch ein Mensch stand, der etwas Schlimmes erlebt hatte, sorgte für Ernüchterung.

Aus Valéries Blick konnte Christopher ebenfalls die Sorge herauslesen. Um die Situation etwas aufzulockern und das Schweigen zu brechen, erhob er sich schließlich nach einigen Sekunden und sagte:

„Ich glaube, ich sehe mal im Eingangsbereich nach, ob Ihr Partner bereits eingetroffen ist, Frau Hansen. Meine Kollegin bleibt aber natürlich bei Ihnen." Die junge Frau nickte daraufhin dankbar und auch Valérie reagierte mit einem zustimmenden Kopfnicken.

Also verließ der Polizist das Zimmer und begab sich durch den Flur zurück in das Großraumbüro, das an eine Art Empfangsschalter grenzte. Von dort aus warf er durch das Fenster einen Blick hinaus auf die Straße.

Wenige Sekunden später lief jedoch draußen eine Person am Fenster vorbei und trat zu Christopher's Überraschung dann in die Polizeiwache. Der junge Mann hatte kurzes dunkles, leicht gelocktes Haar und dunkelbraune Haut, doch zu Christopher's Verwunderung trug er unter seiner braunen Lederjacke ein hellblaues Sommerkleid.

Vielleicht war dies ja gar kein Mann, sondern so eine Transfrau, überlegte Christopher. Er musste zugeben, dass er ein wenig überfordert mit der Situation war.

Abgesehen davon hatte er ja eigentlich auf Frau Hansens Partner gewartet und nicht mit dem Besuch eines weiteren Bürgers gerechnet. Der Mann - oder die Frau, Christopher war sich immer noch unsicher - kam nun auf den Empfangsschalter zu, erblickte den Polizisten und sagte dann:

„Guten Tag, ich suche nach meiner Freundin Simone Hansen, sie müsste schon hier sein, oder?" Christopher musste sich bemühen, um nicht einen Laut der Überraschung auszustoßen. Er war wirklich dumm.

Das war der Freund, von dem Frau Hansen gesprochen hatte. Scheinbar handelte es sich dabei dann doch um einen Mann - zumindest hatte sie ihn als solchen bezeichnet.

Sicherlich hatte sie mit der Bezeichnung 'Freund' dann einen guten oder besten Freund und keinen Beziehungspartner gemeint, Christopher musste sie falsch verstanden haben.

Immer noch überrumpelt von der Situation, auf die er nicht vorbereitet gewesen war und den ungeklärten Fragen in seinem Kopf, versuchte er nun, dem Mann zu antworten:„Äh, ja. Sie ist... Sie ist hier, folgen Sie mir doch, äh, bitte." „Vielen Dank.", sagte der Mann freundlich und ging um den Empfangsschalter herum, um Christopher hinterher zu laufen.

Die beiden gingen gemeinsam zurück zu Raum 2, in dem immer noch Valérie und die junge Frau Hansen saßen. Dort angekommen nahm Christopher wieder Platz und sah dann zu, wie sich seine Klientin und ihr Begleiter zuerst mit einer Umarmung und dann mit einem kurzen Kuss auf die Lippen begrüßten.

Schon wieder war der 25-jährige verwirrt, doch immerhin fühlte er sich diesmal nicht ganz so überfordert, denn schließlich war nun ja Valérie wieder als Unterstützung bei ihm.

Diese schien zu seinem Erstaunen aber vollkommen gelassen zu sein und weder die Kleidung des jungen Mannes, noch seine Beziehung zu ihrer Klientin als ungewöhnlich zu empfinden. „Guten Tag, und Sie sind?", begrüßte sie den Mann mit einem Lächeln, sobald er sich ebenfalls gesetzt hatte.

„Finn van Dijk, ich bin Simones Partner.", stellte er sich freundlich vor. „Nun, Frau Hansen. Dann würde ich Sie jetzt bitten, uns die Tat zu erläutern, welche Sie anzeigen wollen.", fuhr Valérie fort und die junge Dame ihnen gegenüber nickte.

Ihr Freund fuhr ihr einmal sanft mit der Hand über die Schulter, dann begann Sie schließlich zu sprechen:

„Ich wurde nun seit mehreren Monaten von meinen Eltern gezwungen, mich einem Prozedere zu unterziehen, mit dem Sie glaubten, meine sexuelle Orientierung verändern zu können. Dies fing an, nachdem ich mich vor ungefähr einem halben Jahr bei ihnen als asexuell outete.

Sie schickten mich zu einem von ihnen ausgewählten Psychologen - oder zumindest bezeichnet er sich als solcher - der versuchte, die Gründe für meine Asexualität zu finden und mich wieder "normal" zu machen."

Sie machte eine kurze Sprechpause, in der Christopher sich räusperte und dann so vorsichtig wie möglich fragte:„Entschuldigen Sie, aber was genau ist Asexualität?"

Er fühlte sich selbst ein wenig dumm, danach fragen zu müssen, aber gleichzeitig war er auch neugierig, denn vielleicht erklärte diese Orientierung ja, warum Frau Hansen einen Mann wie Finn van Dijk datete.

Es würde bestimmt gleich alles Sinn machen. Das alles war scheinbar einfach eine unbekannte sexuelle Orientierung, von der Christopher eben noch nie gehört hatte.

Kaum hatte er die Worte jedoch ausgesprochen, trat ihm Valérie unter dem Tisch auf den Fuß. Er wusste sofort, dass sie es mit voller Absicht getan hatte. „Deshalb sage ich schon seit Jahren, dass wir mehr Fortbildungen zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt brauchen.", murmelte sie in seine Richtung und fügte dann wieder in normaler Lautstärke an Frau Hansen gerichtet hinzu:

„Bitte entschuldigen Sie meinen Kollegen. Die... Die Polizeiausbildung bietet leider zum aktuellen Zeitpunkt kaum wirkliche Informationen zum Umgang mit Menschen anderer sexueller Orientierungen und er ist auch noch nicht so lange im Dienst. Bitte fahren Sie doch fort."

Christopher war ein wenig genervt von der Reaktion seiner Kollegin, schwieg jedoch, weil er sich nicht noch mehr blamieren wollte. „Ähm, vielen Dank, aber ist schon in Ordnung. Ich muss meine sexuelle Orientierung oft erklären.", erwiderte Frau Hansen nach einem Moment Stille.

„Asexualität bedeutet einfach, dass jemand keine sexuelle Anziehung verspürt und kein Bedürfnis nach sexuellen Handlungen hat. Verlieben kann ich mich aber natürlich trotzdem.", erklärte sie Christopher und blickte dann kurz zu ihrem Partner.

„Oh, ähm, danke. Ich verstehe. Also hatten Ihre Eltern ein Problem damit und wollten dafür sorgen, dass sie nicht mehr asexuell sind?", erwiderte der junge Polizist. Seine Klientin nickte, doch da schaltete sich auch Valérie wieder ein.

„Frau Hansen musste sich allem Anschein nach gegen ihren eigenen Willen einer Konversionstherapie unterziehen.", fasste sie zusammen. „Ich dachte, Konversionstherapien seien nur für Homosexuelle.", wunderte sich Christopher.

Frau Hansen, Herr van Dijk und Valérie hielten ihn vermutlich ohnehin schon für ungebildet, da machte es nun auch keinen Unterschied mehr, wenn er eine weitere Frage stellte.

„Nein, eine Konversionstherapie ist ein Verfahren, das bezweckt, die angeborene sexuelle Orientierung zu verändern und die behandelte Person heterosexuell zu machen. Nur dass dies eben nicht möglich ist und bei den Opfern zu psychischen Schäden führen kann.

Solche Prozeduren werden leider bei Menschen unterschiedlichster sexueller Orientierungen durchgeführt und da Asexualität grundsätzlich häufig auf Unverständnis stößt, ist es nicht verwunderlich, dass Asexuelle Menschen auch Konversionstherapien erfahren können.", erklärte Valérie ihm eifrig, wandte sich dann aber wieder an ihre Klientin:

„Frau Hansen, wie alt waren Sie, als ihre Eltern Sie zwangen, an diesen Verfahren teilzunehmen?" „Mit siebzehn Jahren hat es angefangen. Nun bin ich aber seit einer Woche achtzehn.", antwortete die junge Frau.

„Wurden Sie im Rahmen dieser Konversionstherapie zu sexuellen Handlungen gezwungen?", fragte Valérie daraufhin mit ruhiger, aber ernster Stimme. Zu Christophers Erleichterung schüttelte die achtzehnjährige den Kopf.

„Nein, bisher nicht. Aber das ist auch ein Grund, warum ich jetzt endlich hier her komme. Meine Eltern und der Psychologe haben oft gesagt, dass man mich einfach an Geschlechtsverkehr gewöhnen müsste, wenn sonst nichts anderes hilft, um meine Asexualität loszuwerden...

Und nun bin ich erwachsen und ich habe... Ich habe eine solche Angst bekommen, dass sie... dass ich..." Die Stimme der jungen Frau brach ab und es liefen ihr Tränen über die Wange. Ihr Partner beugte sich zu ihr hinüber und nahm sie in den Arm.

„Es ist alles gut.", sagte er beruhigen zu ihr und wandte sich dann an die Polizisten:„Ich glaube, sie braucht einen Moment."
„Natürlich.", antwortete Christopher und wollte sich schon von seinem Stuhl erheben. „Sollen wir Sie vielleicht kurz alleine lassen?"

Valérie nickte ihm bereits zustimmend zu, doch da meldete sich Frau Hansen wieder zu Wort:„Nein. Nein, schon in Ordnung. Ich... Es kann sofort weiter gehen. Ich möchte jetzt nicht aufhören." „Wenn Sie sich sicher sind.", erwiderte Valérie und warf ihrem Kollegen einen schnellen Seitenblick zu.

Ihre Klientin setzte sich wieder aufrecht hin, wischte sich kurz über das Gesicht und nickte dann. „Ja... Ja, wirklich. Es geht.", sagte sie und fuhr dann fort:

„Das war auch der Punkt, an dem ich Finn von der ganzen Sache erzählt habe. Er hat mich nie unter Druck gesetzt, was meine Asexualität angeht, sondern mich akzeptiert und hatte kein Problem damit. Deshalb habe ich die Konversionstherapie lange für nicht so schlimm gehalten und sie als harmlos abgetan, weil ich wusste, dass mein eigener Partner mich nie zu etwas drängen würde.

Aber dann wurde die Situation eben schlimmer und als ich Finn davon berichtet habe, hat er mir sofort geraten, meine Eltern und den Psychologen anzuzeigen."
Valérie nickte langsam und schwieg einen Moment, in dem sie ein paar Sachen auf dem Formular vor sich notierte. Dann sagte sie:

„Damit hatte er auch auf jeden Fall Recht. Was Ihnen passiert ist, ist ein Verbrechen und ein Eingriff in ihre persönliche Freiheit. Konversionstherapien sind in Deutschland zwar grundsätzlich erlaubt, jedoch dürfen sie nicht an Minderjährigen durchgeführt werden und auch bei Volljährigen nur unter Einverständnis dieser Person. Ihre Eltern und der Psychologe haben sich damit definitiv strafbar gemacht."

"Das bedeutet, sie werden dann eventuell bestraft?", fragte die junge Frau die Polizistin. „Die Anzeige wird auf jeden Fall bearbeitet und wir geben unser Bestes, um für Gerechtigkeit zu sorgen.", antwortete Christopher. Valérie stimmte ihm zu:

,,Wir werden diese Angelegenheit selbstverständlich strafrechtlich verfolgen. Allerdings wäre es wichtig, wenn Sie zusätzlich noch eine genauere, detailliertere Beschreibung der Ereignisse in der Konversionstherapie und dem Verhalten ihrer Eltern abgeben könnten. Das ist potenziell relevant für den Tatbestand.

Das muss auch nicht jetzt sein, setzten Sie sich nicht unter Druck und schreiben Sie Zuhause alles in einem ruhigeren Umfeld auf. Dann reichen Sie es uns so bald wie möglich ein." Dann wandte sie sich von ihrer Klientin ab und ihrem Partner zu:

„Sie können selbstverständlich ebenfalls eine Erklärung abgeben, schließlich sind Sie ein Zeuge und das kann entscheidend sein."
Herr van Dijk nickte nur und einen Moment herrschte wieder Stille.

Jetzt, wo der persönliche Teil des Gespräches vorbei war, wusste Christopher auch wieder eher, was er zu tun hatte. Ab jetzt waren wieder alle Abläufe gleich und er musste sich nicht mehr von ihm unbekannten Themen verunsichern lassen.

„Wir benötigen für die Anzeige jetzt natürlich noch die Namen der Täter und wenn möglich auch deren Adresse.", sagte er an Frau Hansen gewandt und diese rückte ihren Stuhl ein wenig näher an den Tisch. Dann begann sie, ihm die Namen zu buchstabieren, während Valérie sich an den Begleiter der Klientin wandte:

„Gibt es aktuell denn einen sicheren Aufenthaltsort für ihre Partnerin außerhalb des Hauses ihrer Eltern? Kommt sie bei Ihnen unter?" Der junge Mann nickte. „Ja, wir haben das bereits geplant. Simone wohnt ersteinmal bei mir, damit sie vor ihrer Familie in Sicherheit ist."

„Sehr gut, dann würde ich Sie allerdings auch bitten, uns Ihre Telefonnummer und Adresse zu hinterlassen, damit wir Sie kontaktieren können.", sagte Valérie und reichte ihm ein anderes Formular und einen Stift.

Nachdem schließlich die letzten relevanten Dokumente ausgefüllt worden waren und Frau Hansen und ihr Partner die Polizeiwache verlassen hatten, gingen Valérie und Christopher gemeinsam zurück in das leere Großraumbüro.

Ein Blick auf die Uhr zeigte dem 25-jährigen, dass die beiden nun sogar etwas länger gearbeitet hatten, als ursprünglich geplant. Aber Überstunden gehörten natürlich zu diesem Beruf dazu und schließlich ging es um etwas wichtiges.

Während Christopher seine Arbeitasche packte und seine Jacke anzog, traute er sich schließlich, Valérie etwas zu fragen, was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf geschwirrt war:„Bist du eigentlich sauer auf mich?" Diese drehte sich ein wenig erstaunt zu ihm um.

„Sauer? Nicht wirklich. Ich war vorhin wirklich ziemlich genervt von deinem uneinfühlsamen Verhalten und deiner Unwissenheit. Aber ich weiß auch, dass du nicht so viel dafür kannst.", antwortete sie.

„Trotzdem war es nicht angebracht, ich hätte es besser wissen oder einfach den Mund halten sollen.", erwiderte Christopher, der sich mittlerweile tatsächlich für seine Fragen gegenüber Frau Hansen und seiner Vorurteile gegenüber ihrer Beziehung mit ihrem Partner schämte - auch wenn Valérie von letzteren ja gar nichts wusste.

„Grundsätzlich ist es ja immer gut, Fragen zu stellen, aber in so einer emotionalen Situation mit dem Opfer eines Verbrechens war es wirklich unangebracht. Aber ich bin froh, dass du es verstanden und reflektiert hast.", meinte seine Kollegin.

„Ich glaube, ich habe noch viel zu lernen...", sagte Christopher.„Ich habe nur Angst, dass mir sowas in Zukunft noch öfter passieren könnte. Vielleicht in sogar noch ernsteren Fällen, als diesem."

„Ach nein, mach dir nicht so einen Stress. Du bist ein guter Polizist und man lernt eben immer dazu - auch durch seine Fehler. Weißt du was, wie wäre es, wenn du dich jetzt einfach direkt mal über Asexualität und andere sexuelle Orientierungen informierst? Du fährst doch mit der U-Bahn nach Hause, da kannst du auf der Fahrt direkt schon ein paar Artikel dazu lesen.", schlug seine Kollegin ihm vor.

„Das ist eine gute Idee, danke Valérie.", sagte Christopher lächelnd. Die beiden verabschiedeten sich und kaum war Christopher in die U-Bahn gestiegen und hatte einen Sitzplatz gefunden, folgte er tatsächlich den Anweisungen seiner Kollegin und Freundin.

Er wusste nicht wirklich, wie er anfangen sollte, also gab er zunächst einmal das Wort "Asexualität" in die Suchleiste des Browsers ein. Wenn er ehrlich war, hatte ihn dieses Thema sogar ein wenig neugierig gemacht.

Er hatte nur nicht so viel Zeit gehabt, genauer darüber nachzudenken. Aber etwas, das ihre Klientin gesagt hatte, war ihm aus unerfindlichen Gründen sehr stark im Gedächtnis geblieben: "dass jemand keine sexuelle Anziehung verspürt".

Was war denn sexuelle Anziehung überhaupt? War es, dass man jemanden attraktiv fand? Dass man mit ihm schlafen wollte? Christopher wusste es nicht genau, auch wenn ihm der Begriff eigentlich geläufig gewesen war.

Er begann, ernsthaft in Frage zu stellen, ob er jemals sexuelle Anziehung empfunden hatte. Ganz bestimmt hatte er das.... oder etwa nicht? Er konnte es sich selbst nicht wirklich beantworten. Eigentlich hatte er sich nie wirklich zu einer anderen Person sexuell hingezogen gefühlt - wie sollte sich das überhaupt genau anfühlen?

Mit einem Mal stellte Christopher alles in Frage, was er bisher über sich und seine Gefühle gedacht hatte. War er etwa asexuell, so wie Simone Hansen?

Aber das konnte doch eigentlich nicht sein. Irgendwie hatte er ja doch Interesse an Sex. Genauso wie die meisten Menschen hatte er durchaus ein Bedürfnis nach sexueller Befriedigung. Masturbation und auch das gelegentliche Anschauen von Pornographie waren ihm nicht fremd. Er fühlte sich dabei nicht unwohl, er hatte sehr wohl ein Bedürfnis danach.

Angetrieben von Wissensdurst und Selbstzweifeln scrollte Christopher über seinen Handybildschirm. Zu seiner Überraschung fand er nach einigen Minuten Recherche heraus, dass Asexuelle Menschen trotzdem einen gewissen Sexualtrieb besitzen konnten.

Christopher war sich jedoch immer noch unsicher. Es fiel ihm schwer, einzuordnen, ob er nun sexuelle Anziehung verspürte, oder nicht. Er mochte pornographische Darstellung, dann mochte er doch eigentlich auch Sex, oder nicht?

Aber irgendetwas war anders, wenn er sich vorstellte, selbst mit einem anderen Menschen Geschlechtsverkehr zu haben. Dabei fühlte er sich zutiefst unwohl. Es war, als würde er lieber aus der Ferne zusehen, ohne selbst involviert zu sein. Er mochte den Gedanken an Sex, aber nur, solange er selbst nicht damit in Verbindung stand.

Christopher schloss für einen Moment die Augen. In seinem Kopf passierte viel zu viel gleichzeitig. Er hatte eigentlich immer gedacht, dass er auf Frauen stand. Und irgendwie tat er das ja auch, schließlich hatte sogar seine Klientin selbst gesagt, dass man sich als Asexuelle Person verlieben konnte.

Irgendwie fand er Frauen und den Gedanken an sexuelle Handlungen auch sexuell anziehend - aber das alles durfte eben nichts mit ihm selbst zu tun haben.

Christopher hatte das Gefühl, als mache das alles keinen Sinn mehr. Weder seine Gefühle, noch die Definitionen im Internet. Denn dieses neue Wissen und die Gefühle, die er erst jetzt verstand, stellten einfach alles auf den Kopf.

Er hatte immer gedacht, dass man Sex mochte, wenn man es mochte, sich ihn anzusehen. Er war vorher nie auf die Idee gekommen, dass er selbst eigentlich niemals Sex haben wollen würde.

Doch ob er nun asexuell war, wusste Christopher immer noch nicht. Denn alles, was er im Internet über Asexualität las, gab ihm keine wirkliche Auskunft darüber, was es mit seinen Gefühlen auf sich hatte - was diese Trennung zwischen Sexuellem und sich selbst, die er brauchte, zu bedeuten hatte.

Die U-Bahn hielt an und Christopher bemerkte, dass er an seiner Haltestelle angekommen war. Er war fast Zuhause.

Doch die Gedanken ließen ihn nicht los, er wusste genau, dass er nicht würde schlafen können, wenn er sie nicht einfach einordnen konnte. Schließlich hatte er immer gedacht, er sei - nun ja - normal. Aber wenn er das nicht war, was war er dann? Er musste es einfach wissen.

Vor Frustration begann der Polizist, etwas agressiver über den Bildschirm zu scrollen. Seine Hand rutschte jedoch ab und er klickte versehentlich auf einen anderen Link, als vorgesehen. Er landete bei einem Artikel mit dem Titel "das Asexuelle Spektrum".

Was war das denn nun schon wieder? Es schien etwas mit Asexualität zu tun zu haben, also war es wohl einen Versuch wert. Nachdem sich Christopher die Erklärung durchgelesen hatte, war er zumindest um eine Information schlauer: Asexualität war viel mehr, als nur eine einzige Sache.

Und scheinbar gab es sexuelle Orientierungen, die irgendwie der Asexualität ähnelten, aber sich gleichzeitig wieder etwas von ihr unterschieden. Aber was waren dies denn nun für sexuelle Orientierungen?

Es dauerte noch einige weitere Minuten, bis Christopher tatsächlich eine Liste mit verschiedensten sexuellen Orientierungen fand, die sogar noch alphabetisch geordnet zu sein schien. Der oberste Begriff war "Aceflux", doch dieser ließ den 25-jährigen nur stutzen.

Er glaubte nicht, dass es sich dabei um eine sexuelle Orientierung handelte - schließlich kam nichteinmal das Wort "Sexualität" darin vor, wie es sonst immer der Fall war. Also wandte er sich dem nächsten Begriff der Liste zu, der ihm glücklicherweise nicht vollkommen verwirrend erschien.

"Aegosexualität" hieß die Orientierung und auch wenn er sie vermutlich nicht einmal richtig aussprechen würde können, brachte ihn die Definition zum Staunen, als er sie gelesen und auch verstanden hatte.

Aegosexualität beschrieb eine Abkopplung des Selbst von dem Gegenstand der sexuellen Anziehung. Eine vollkommene Trennung, aufgrund welcher dann eben auch keine wirkliche sexuelle Anziehung empfunden werden konnte.

Auch wenn der Begriff wie angegossen passte, Christopher konnte sich noch nicht so ganz damit identifizieren.

Wie sollte das auch möglich sein? Schließlich hatte er vor wenigen Stunden noch nicht einmal seine sexuelle Orientierung in Frage gestellt und nun innerhalb von dreißig Minuten herausgefunden, dass er eine ganz andere sexuelle Orientierung hatte, als ursprünglich gedacht.

Er war froh, eine Erklärung gefunden zu haben und seine Gefühle einordnen zu können, aber das alles war einfach ein bisschen viel auf einmal.

Es war wohl am besten, wenn er das ganze ersteinmal sacken ließ. Schließlich gab es auch keinen Grund, sich unter Druck zu setzen, er musste niemandem Rechenschaft über seine Gefühle ablegen.

Christopher beschloss, dass es wohl am sinnvollsten war, eine Nacht über all das zu schlafen und sich am nächsten Tag in Ruhe weiter damit zu beschäftigen. Er hatte ja Zeit.

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