✿Cupiosexualiät✿⁠

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Leanders Blick schweifte über die vielen Gebäude, die sich viel zu schnell an ihm vorbei bewegten. Es fühlte sich komisch an, wieder hier zu sein, auch wenn er sich monatelang darauf gefreut hatte.

Leander war fünfzehn Jahre alt und hatte fast das gesamte letzte Schuljahr als Austauschschüler in Kanada verbracht. Er liebte die englische Sprache und das Land, doch gleichzeitig hatte er natürlich seine Heimat Deutschland und sein deutsches Umfeld immer wieder vermisst.

Ursprünglich hatte Leander sein Auslandsjahr eigentlich in England oder Schottland verbringen wollen. So wäre er deutlich näher an Deutschland gewesen und hätte seine Familie in den Ferien sogar besuchen können.

Doch er hatte sich dann dagegen entscheiden müssen, weil die aktuelle politische Situation in Großbritannien ein Problem für sein alltägliches Leben und seinen Schulbesuch hätte darstellen können.

Denn Leander war ein Transjunge und ihm war durchaus bewusst, dass Großbritannien es transgeschlechtlichen Jugendlichen vor allem in Schulen nicht gerade leicht machte. Wenn er Pech gehabt hätte, hätte es sein können, dass er dort als Mädchen die Schule besuchen und sogar die weibliche Schuluniform hätte tragen müssen.

Kanada hingegen war politisch deutlich weiter was sexuelle und geschlechtliche Vielfalt anging - teilweise sogar fortschrittlicher als Deutschland - und war daher für Leander die sicherere Wahl gewesen.

Und rückblickend bereute er seinen Aufenthalt in dem nordamerikanischen Land überhaupt nicht, es war die beste Entscheidung seines Lebens gewesen.

In Kanda hatte er als Junge zur Schule gehen und leben können. Abgesehen davon gab es dort, anders als in Deutschland, niemanden, der ihn vor Beginn seiner Transition gekannt hatte, so dass er mit deutlich weniger Transfeindlichkeit zu kämpfen gehabt hatte.

Leander hatte noch keine Hormontherapie begonnen, schließlich war dies in Deutschland erst ab sechzehn Jahren möglich, doch trotzdem war er sich bewusst, dass sein Passing ziemlich gut war.

Zwar wurde er manchmal für etwas jünger gehalten, als er war, aber niemand, den er traf, zweifelte anhand seines Aussehens seine Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht an.
In Kanada hatte Leander vollkommen er selbst sein können und auch ein paar gute Freund*innen gefunden, die ihn so akzeptierten, wie er war.

In Deutschland war ihm dies nie so wirklich geglückt, vor allem sein Coming out mit zwölf Jahren hatte ihn sehr vielen Anfeindungen ausgesetzt und er hatte es danach nicht mehr wirklich geschafft, enge Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen.

Doch das war in Ordnung für Leander gewesen, denn er war ohnehin schon immer besser mit Erwachsenen zurecht gekommen, seine engste Bezugsperson war vermutlich seine Großmutter. Diese liebte er sehr und besuchte sie auch, so oft er konnte.

Auch wenn sein Flugzeug aus Kanada erst vor einer Dreiviertelstunde in Deutschland gelandet war, saß Leander nun nicht in einer Straßenbahn, die ihn nach Hause zu seiner Mutter brachte, sondern in einer S-Bahn, mit der er zum Altersheim gelangte, in dem seine Großmutter lebte.

Endlich wurde die richtige Haltestelle ausgerufen und Leander erhob sich sofort. Er packte den Griff seines schweren, bis zum Rande vollgestopften Rollkoffers und warf sich seine große Umhängetasche über die Schulter. Kaum hatte die Bahn dann angehalten und die Tür sich geöffnet, schritt er auch schon auf den Bahnsteig hinaus.

Der Fußweg zum Altersheim dauerte normalerweise zehn Minuten, doch mit seinem schweren Gepäck beladen fühlte er sich für Leander doppelt so lang an.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, tatsächlich zuerst nach Hause zu fahren, wie seine Mutter es vorgeschlagen hatte, und später oder am nächsten Tag seine Großmutter zu besuchen.

Doch nun war es ohnehin zu spät, sich umzuentscheiden und abgesehen davon wollte Leander seine Großmutter einfach unbedingt wiedersehen.

Endlich am Altersheim angekommen, betrat er das breite, zweistöckige Gebäude und ging zum Empfangsschalter im Eingangsbereich.

Normalerweise besuchte er seine Großmutter oft, meist ungefähr einmal in der Woche.
So kannte er mittlerweile alle im Altersheim angestellten Pfleger*innen entweder beim Namen oder zumindest vom Aussehen her und sie kannten ihn ebenfalls.

Doch nun war Leander fast ein ganzes Jahr nicht mehr hier gewesen und so war es nicht verwunderlich, am Empfangsschalter ein unbekanntes Gesicht zu sehen. ,,Hallo, ich würde gerne meine Großmutter Elizabeth Zhéng besuchen.", sagte er freundlich.

Die junge Dame hinter dem Schalter sah ihn prüfend an und zog eine Augenbraue nach oben. ,,Du bist Frau Zhéngs Enkel?", fragte sie nach ein paar Sekunden Stille skeptisch und erst jetzt verstand Leander, dass sie ihm nicht glaubte.

Es war nicht das erste Mal, dass ihm so etwas ähnliches passierte, dies war eine Form des Alltagsrassismus, der Leander immer wieder begegnete. Seine eigene Mutter stammte aus dem afrikanischen Land Gambia, sein Vater war der Sohn eines Taiwanischen Vaters und einer deutschen Mutter - Leanders Großmutter.

Aufgrund seiner Mutter hatte Leander selbst eher dunkle Haut. Die asiatischen Gesichtszüge seines Vaters besaß er allerdings nur sehr schwach angedeutet, weshalb oft seine Verwandtschaft zu ihm und dessen Seite der Familie angezweifelt wurde.

,,Ja, ich bin ihr Enkel. Wie kommen Sie darauf, dass ich lügen könnte?", entgegnete Leander der jungen Frau ruhig, aber ein wenig herausfordernd.

Diese schien nun von ihm verunsichert und entschuldigte sich mit den Worten ,,Einen kurzen Moment bitte.", bevor sie durch die milchige Glastür hinter sich verschwand.

Leander atmete genervt lautstark aus. Nun war er vom Flughafen aus sofort zu seiner Großmutter gefahren, um sie als allererste Person zu sehen, nur damit ihm dann womöglich der Besuch verweigert wurde.
Das durfte doch wohl nicht wahr sein.

Vielleicht war er zu ungeduldig, weil er bereits nach einer Minute Abwesenheit der Empfangsdame die Klingel am Pult betätigte, doch gerade kam so viel Frustration in Leander hoch, dass ihm das ziemlich egal war.

In Kanada war ihm ein Großteil der Transphobie erspart geblieben, der er in Deutschland ständig begegnet war, doch der alltägliche Rassismus hatte ihn trotzdem verfolgt.

Er war daran gewöhnt, aber trotzdem hasste Leander es, dass so etwas eines der ersten Dinge war, die er erlebte, kaum war er wieder in seinem Heimatland.

Kurz nach dem Klingeln kam die junge Dame aber tatsächlich wieder hinter der Glastür hervor, gefolgt von einer Altenpflegerin mittleren Alters, die Leander als Frau Peterson erkannte.

Kaum hatte diese ihn erblickt, bildete sich kurz ein freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht, dann warf sie eine Sekunde später einen genervten, bösen Seitenblick zu ihrer jungen Kollegin. Diese sah ein wenig beschämt aus.

,,Hallo Leander, du warst so lange nicht mehr hier.", begrüßte Frau Peterson ihn.
,,Ich habe ein Auslandsjahr in Kanada gemacht.", erklärte Leander. ,,Und jetzt würde ich gern meine Oma besuchen."

,,Ah, ja, Frau Zhéng hatte mal erwähnt, dass du in Kanada bist.", erwiderte Frau Peterson freundlich. ,,Deine Oma ist im selben Zimmer wie früher auch, es hat sich nichts verändert. Du kannst einfach hoch gehen, du findest ja den Weg."

,,Danke.", antwortete Leander mit einem Lächeln und bog dann in den langen Flur zu seiner rechten Seite ab. Aufgrund seines vielen Gepäcks, entschied er sich für den Aufzug anstatt der Treppe, auch wenn er nur in den ersten Stock musste.

Danach waren es nur noch wenige Meter zum Zimmer seiner Großmutter und schließlich war auch schon der Moment gekommen, in dem er endlich eintreten konnte. Leander stellte seinen Koffer und seine Umhängetasche zur Seite und fiel dann seiner Großmutter in die Arme, welche aufrecht an ihrer Bettkante saß.

,,Hallo, mein Kind, es ist so schön, dich wieder hier zu haben.", begrüßte ihn die alte Frau und drückte ihren Enkel fest.
,,Sind der Flug und die Fahrt hierher gut verlaufen?", fragte sie dann, Leander immer noch im Arm haltend.
Dieser löste sich schließlich von seiner Großmutter, hielt jedoch ihre Hände noch weiterhin fest.

,,Oh, ja, es hat größtenteils alles gut geklappt. Der Flug hatte eine halbe Stunde Verspätung, aber das ist ja fast nichts. Und die Bahn war auch fast ganz pünktlich, nur mit meinem vielen Gepäck war eben alles ein wenig umständlicher.", antwortete er ihr lächelnd.

,,Wie schön, wie schön, mein Junge.", erwiderte diese und fügte dann hinzu:,,Möchtest du etwas essen? Du bist doch sicher hungrig. Ich habe eine große Schachtel Kekse, da drüben in der Schublade."

Leander überlegte nicht lange. Er hatte unterwegs und im Flugzeug zwar etwas gegessen, doch zu ein paar Keksen sagte er nicht Nein.

,,Gerne, Oma.", antwortete er daher und ging hinüber zur Kommode, in der seine Oma immer ein paar Lebensmittel aufbewahrte. Mit der Packung Kekse in der Hand ließ er sich danach auf einen der zwei Holzstühlen an dem kleinen Tisch nieder.

,,Und, gibt es bei dir irgendetwas neues?", fragte er seine Oma dann interessiert. Die Rentnerin mochte körperlich nicht mehr besonders fit sein und viel in der Welt herumkommen, doch trotzdem hatte sie immer wieder ein paar interessante Geschichten aus ihrem überschaubaren Alltag auf Lager.

,,Ach, nicht viel. Am Wochenende war ich mit deinem Vater auf dem Friedhof um deinen Großvater zu besuchen. Und ich habe mir letzte Woche ein spanisches Buch mit Vokabeln gekauft, ich versuche, die Sprache ein wenig zu lernen.", berichtete sie.

Leander musste schmunzeln. Auch wenn seine Großmutter schon seit mehreren Jahren aufgrund körperlicher Einschränkungen auf Hilfe in ihrem Alltag angewiesen war, war ihr Verstand geschärfter als der der meisten Erwachsenen.

Die pensionierte Lehrerin war schon immer neugierig und lernbegeistert gewesen, sie ließ keine Möglichkeit aus, um sich weiter zu bilden und neues Wissen anzueignen. Dies war nicht das erste Mal, dass sie sich anhand von Büchern eine neue Sprache aneignete.

,,Aber genug von mir, mein Leben ist doch langweilig im Vergleich zu deinem. Erzähl mir von Kanada.", fügte Leanders Großmutter dann hinzu. Ihr Enkel musste nachdenken, eigentlich hatte er ihr schon so vieles erzählt.

Während seiner Zeit übersee hatten die beiden hin und wieder telefoniert und er hatte ihr von seinen Erlebnissen und seinem Alltag in Kanada berichtet.

,,Hm, ich weiß gar nicht, ob es so viel zu erzählen gibt, das meiste weißt du bereits. Und Fotos hatte ich dir auch geschickt. Aber...", antwortete Leander, unterbrach sich dann jedoch selbst.

Es gab eine Sache, die er seiner Großmutter gern mitteilen wollte, die eher weniger mit seinem Auslandsaufenthalt zu tun hatte.
,,Was denn, mein Kind? Gibt es andere Dinge, die du mir erzählen willst?", hakte die alte Dame nach, die sein Zögern bereits bemerkt hatte.

Leander wusste, dass er mit seiner Großmutter über alles sprechen konnte. Ein Aspekt ihrer großen Wissbegier und Lernbereitschaft war auch, dass sie sehr weltoffen war und sich gern über neue Dinge aufklären ließ, auch wenn sie diese vielleicht nicht ganz verstand.

Als Leander sich bei ihr mit zwölf Jahren als trans geoutet hatte, hatte sie ihn sofort als ihren Enkelsohn akzeptiert. Sie war auch die Erste, der er ungefähr ein Jahr später erzählt hatte, dass er schwul war.

All die Ängste, die Leander bezüglich dieser Thematik bei seiner Großmutter gehabt hatte, waren rückblickend vollkommen unberechtigt gewesen. Doch trotzdem machte er sich nun ein wenig Sorgen, denn das, was er seiner Großmutter über sich erzählen wollte, lag außerhalb der Bereiche, über die die beiden bereits gesprochen hatten.

Er konnte nicht einschätzen, wie sie reagieren würde und befürchtete, dass dies ein Thema sein könnte, für das sie womöglich kein Verständnis hatte.

Denn während seiner Zeit in Kanada, in der er endlich auch echte Freundschaften mit Gleichaltrigen geschlossen hatte, hatte Leander etwas neues über sich herausgefunden.

Es war eine ziemliche Überraschung gewesen, da er sich zumindest in dieser Hinsicht nie als anders oder von der Norm abweichend wahrgenommen hatte. Leander hatte immer gedacht, das was er fühlte, sei vollkommen normal und würde von allen anderen Menschen auch so empfunden werden.

Doch einige Gespräche mit seinen neuen Freund*innen, in denen er diesem unbekannten Teil seiner Identität Stück für Stück weiter auf die Schliche gekommen war, hatten ihm das Gegenteil gezeigt.

So war es schließlich dazu gekommen, dass Leander begriffen hatte, dass er Cupiosexuell war.

Kurz nach der Realisation seiner Gefühle hatte er sich jedoch zunächst erst einmal als asexuell bezeichnet. Zwar hatte er gewusst, dass es noch andere sexuelle Orientierungen unter dem asexuellen Spektrum gab, die für ihn in Frage kämen, doch diese waren ihm alle Recht unbekannt gewesen und er hatte sich erst einmal länger damit auseinander setzen müssen.

Abgesehen davon war die Bezeichnung asexuell trotzdem nicht vollkommen falsch gewesen, denn tatsächlich erfüllte er auch teilweise die Definition der Asexualität: Leander konnte keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen empfinden.

Was ihn allerdings von Asexuellen Personen unterschied, war die Tatsache, dass er trotzdem ein Bedürfnis nach einer sexuellen Beziehung hatte. Jedoch war dieser Wunsch nicht durch sexuelle Gefühle begründet, sondern durch die Nebenaspekte sexueller Interaktionen.

Cupiosexuelle Menschen wie Leander konnten keine sexuelle Anziehung verspüren, aber sie mochten und wollten Sex aus anderen Gründen.

Für manche war es einfach das körperliche Gefühl, sie mochten eben die Stimulation ihrer Genitalien und die daraus resultierenden Reaktionen ihres Körpers.
Für andere ging es um das starke Interesse daran, den eigenen Partner glücklich zu machen und das eben auch auf sexuelle Weise, wenn dieser es wollte.

Bei wieder anderen, wie auch bei Leander selbst, basierte das Bedürfnis nach sexuellen Handlungen auf einem Verlangen nach emotionaler, exklusiver Intimität. In einer Beziehung wünschte er sich etwas, das er sonst mit niemanden hatte, etwas das es nur zwischen ihm und seinem Partner gab und das waren für ihn eben sexuelle Handlungen.

Darüber hinaus konnte es allerdings auch noch die verschiedensten anderen Gründe geben, warum sich Cupiosexuelle Menschen trotz fehlender sexueller Anziehung eine Beziehung mit sexuellen Handlungen wünschten.

Schließlich war jeder Mensch unterschiedlich und Leander hatte auch noch keine andere Cupiosexuelle Person getroffen, mit der er sich darüber hätte austauschen können.

Asexualität hatte er auch früher schon gekannt, sich jedoch nie so viele Gedanken darüber gemacht, aber Cupiosexualität war auch für ihn neu gewesen. Und das war auch der Grund, warum er nun bei seiner Großmutter ein wenig besorgt war.

Womöglich hatte er Asexualität ihr gegenüber einmal erwähnt, als er ihr von verschiedenen sexuellen Orientierungen berichtete, doch ob sie diese Orientierung wirklich verstanden hatte und auch akzeptieren würde, wenn ihr die Bedeutung klar war, wusste er nicht.
Ganz zu schweigen von Cupiosexualität, von der sie sicherlich noch nie gehört hatte.

Trotzdem wollte Leander nun versuchen, sich bei seiner Großmutter zu outen. Sie war nun ohnehin schon neugierig geworden und er wollte sie nicht anlügen.

,,Tatsächlich gibt es etwas, das ich dir erzählen wollte. Eigentlich spielt es keine so große Rolle, aber irgendwie möchte ich gerne, dass du es weißt.", fing Leander an. ,,Hast du schoneinmal etwas von Asexualität gehört?"

Seine Großmutter runzelte die Stirn und schien ernsthaft zu überlegen. ,,Hm, ja, du hast es einmal erwähnt, aber mir nie wirklich erklärt, was es bedeutet.", antwortete die Seniorin.

,,Asexualität bedeutet, dass man keine sexuelle Anziehung verspürt. Es ist eine sexuelle Orientierung.", erklärte Leander.
,,Was ist denn genau sexuelle Anziehung? Was darf ich mir darunter vorstellen?", erkundigte sich seine Großmutter weiter.

Leander war ein wenig verwundert, da er eigentlich geglaubt hatte, dass seine Großmutter zumindest diesen Begriff kennen würde.

,,Naja, also... sexuelle Anziehung ist das, was man eben anderen Menschen gegenüber verspürt, wenn man sie sehr attraktiv findet. Es ist das Bedürfnis, mit jemandem Sex zu haben. So wurde es mir zumindest erklärt." versuchte er zu erklären.

,,Das verstehe ich nicht ganz.", sagte seine Großmutter daraufhin nachdenklich.
,,Ähm, also, ich ehrlich gesagt auch nicht.", erwiderte Leander etwas verwirrt.

,,Ich bin selber sowas wie asexuell, ich verspüre keine sexuelle Anziehung, deswegen kann ich es dir auch nicht so ausführlich beantworten. Aber das war es, was ich dir mitteilen wollte."

,,Sowas wie Asexuell?", hakte seine Großmutter nach. ,,Meine genaue Orientierung nennt sich cupiosexuell. Das ist eine sexuelle Orientierung auf dem sogenannten asexuellen Spektrum - Also im Grunde eine Sammlung an sexuellen Orientierung, die ähnlich wie Asexualität sind.", beantwortete Leander ihre Frage.

Auch, wenn er immer noch ein wenig nervös war, breitete sich jetzt Erleichterung in ihm aus. Es tat gut, die Worte endlich vor seiner Oma ausgesprochen zu haben.
Diese sah ihn nur neugierig an, als würde sie zwar interessiert sein, aber das ganze noch nicht so Recht verstehen und auf weitere Erklärung warten.

,,Ähm... und was Cupiosexualität von Asexualität unterscheidet ist im Grunde, dass Asexuelle auch generell kein Bedürfnis nach sexuellen Handlungen haben. Cupiosexuelle möchten diese schon, auch wenn sie keine sexuelle Anziehung verspüren.

Sie haben eben andere Gründe für dieses Bedürfnis. Bei mir ist es, dass sexuelle Dinge eben einfach eine Form der Intimität und Nähe zwischen zwei Personen erzeugen, die es mit anderen nicht gibt. Es macht die Beziehung nochmal zusätzlich irgendwie besonders.", erweiterte er seine Erklärung.

Seine Großmutter nickte und lächelte. ,,Das ist doch sehr schön, dass du das für dich herausgefunden hast.", sagte sie. ,,Aber eine Sache verstehe ich immer noch nicht ganz: diese sexuelle Anziehung. Das muss doch mehr sein, als nur ein Bedürfnis, mit jemandem zu schlafen."

Leander war verwirrt. Er wusste auch nicht wirklich, wie er es genauer beschreiben sollte, er konnte sich nur darauf beziehen, was er gelesen hatte oder andere Menschen ihm berichtet hatten.

,,Naja...", sagte er dann. ,,Also meine Freunde in Kanada haben es mir so erklärt: sexuelle Anziehung zu jemanden ist, dass man eine Person ansieht und sie so attraktiv findet, dass man mit ihr schlafen will. Also sexuelle Anziehung ist wirklich einfach nur, mit jemandem Sex zu wollen."

Die Seniorin sah immer noch nicht ganz zufrieden aus, sie blickte nachdenklich aus dem Fenster. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte:,,Das kann doch nicht alles sein, das klingt ein bisschen wie ausgedacht. Ich glaube nicht, dass jemand sowas wirklich empfindet."

Seine Großmutter schien ernsthaft verwirrt zu sein, doch für Leander begann das ganze langsam Sinn zu ergeben.
,,Oma... Kann es sein, dass du noch nie sexuelle Anziehung empfunden hast?", fragte er vorsichtig nach.

,,Ich weiß es nicht, mein Kind.", antwortete seine Großmutter. ,,Zumindest habe ich das, was du da beschreibst, noch nie empfunden. Ich wusste nicht, dass das tatsächlich sexuelle Anziehung sein soll. Du möchtest mir also wirklich erzählen, dass die meisten Menschen andere Menschen anschauen und dann nur aufgrund deren Attraktivität plötzlich ein starkes Bedürfnis haben, mit ihnen zu schlafen?"

Leander musste grinsen. Das, was seine Oma ihn fragte, war genau die selbe Frage, die er sich auch gefragt hatte, als seine neuen Freund*innen in Kanada einmal Gespräche über Sex geführt hatten.

Erst dadurch hatte er überhaupt begriffen, dass er irgendwie anders war. Genau wie seine Großmutter jetzt, hatte Leander nicht glauben und nachvollziehen können, dass die Gefühle, die ihm beschrieben wurden, tatsächlich echt waren und von anderen Menschen so empfunden wurden.

,,Ich konnte es auch nicht so wirklich glauben, als ich das erste Mal davon gehört habe, aber ja. Das scheint tatsächlich etwas zu sein, was viele Menschen so erleben.", beantwortete er die Frage der Seniorin und fügte dann nach einer kurzen Pause hinzu:,,Oma, ich glaube, du könntest asexuell sein."

,,Hm, wenn du das sagst, dann könnte das schon stimmen.", murmelte seine Großmutter nachdenklich. ,,Weißt du, ich habe mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht. Ich hatte nie wirklich ein Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr.

Du sollst jetzt bloß nicht denken, dein Großvater hätte mich zu irgendetwas gezwungen, das hat er nie, aber wenn er es nicht initiiert hätte, hätten wir vielleicht nie miteinander geschlafen.

Ich hatte nie wirklich etwas dagegen, es war nie unangenehm und ich habe mich immer wohl gefühlt, aber von mir selbst aus hätte ich es nicht wirklich gewollt und vor allem nicht gebraucht. Aber deinem Großvater schien es immer zu gefallen und wir wollten ja auch Kinder.

Ich dachte, in allen Ehen wäre es ungefähr so ähnlich und habe nie darüber nachgedacht, dass andere Menschen das Thema Sex anders empfinden könnten. Damals hat ja auch niemand offen über so etwas gesprochen, weißt du.

Also wenn ich Recht darüber nachdenke, dann bin ich es vermutlich tatsächlich... Also, asexuell."
Leander lächelte. ,,Das ist doch wunderbar, Oma.", sagte er.

Ein wenig Unglauben schwirrte noch in seinem Kopf herum, er konnte nicht hundertprozentig begreifen, dass seine Großmutter sich genau wie er auf dem asexuellen Spektrum befand. Schließlich hätte er niemals mit so einer Wendung seines Coming-Out Gespräches gerechnet.

Aber gleichzeitig machte es Leander auch sehr glücklich, diese Worte von seiner Oma zu hören. Nicht nur, weil er sich darin teilweise selbst wiederfand und es daher gut nachvollziehen konnte, sondern auch, weil er wusste, wie gut es sich anfühlte, die eigenen verwirrenden Gefühle endlich zu verstehen und einordnen zu können.

Abgesehen davon fühlte er sich seiner Großmutter nun nur noch mehr verbunden, als zuvor. Er selbst war nun nicht mehr die einzige Person aus dem asexuellen Spektrum, die er kannte. Und vor allem war er nicht die einzige Person, in seiner Familie. Er war nicht allein.

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