✿Lithromantik✿

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Seit Wochen schwärmte Alessia schon von Leonardo. Die beiden gingen seit mehreren Jahren in die selbe Klasse und teilten auch seit der Oberstufe einige Kurse.

Abgesehen davon, dass er ein sehr freundlicher, lustiger Mensch war, mit dem Alessia sich immer gut verstanden hatte, hatten sie nicht sehr viel miteinander zu tun. Leonardo war keinesfalls ein Fremder, aber einen wirklichen Freund konnte sie ihn auch nicht nennen.

Er war eher ein Bekannter. Es hätte Alessia zwar keineswegs gestört, wenn die beiden sich angefreundet hätten, doch unbedingt sein musste es auch nicht. Schließlich war sie in ihn verliebt und wollte nicht mit ihm befreundet sein.

Tatsächlich war Leonardo der erste echte Mensch in ihrem Leben, für den sie wirklich romantische Gefühle empfand. Sonst schwärmte Alessia immer nur für fiktive Charaktere aus Büchern, Filmen oder Serien.

Ihre beste Freundin Jinjin hatte sie deswegen früher manchmal fast schon bemitleidet, weil die fiktiven Jungen für Alessia unerreichbar waren und ihre Gefühle eben nie erwidern würden.

Jinjin war selbst zwar weder vergeben noch verliebt und das störte sie auch in keinster Weise, wie Alessia wusste. Doch die beiden Freundinnen waren in diesem Bereich eben grundverschieden.

Sie beide waren große Buch-Nerds und verbrachten einen Großteil ihrer Zeit, egal ob gemeinsam oder alleine, in ihre liebsten Bücher vertieft. Aber während Jinjin Fantasy- und Abenteuergeschichten liebte, las Alessia hauptsächlich Liebesromane.

Und das war auch der Grund dafür, warum ihre beste Freundin so ein Mitleid damit hatte, dass Alessia im echten Leben noch keine Liebe gefunden hatte.

Denn für eine so fanatische Romantikliebhaberin musste es doch der größte Wunsch sein, den Stoff aus Liebesromanen eines Tages selbst zu erleben. Oder nicht?

Zumindest hatte Alessia das Gefühl, es sollte so sein. Und tatsächlich liebte sie es auch, über Leonardo nachzudenken, sich in Tagträumereien über ihn zu velieren oder sich die romantischsten Szenen aus ihren Lieblingsbüchern mit ihm darin vorzustellen. Ja, sie liebte es, verliebt zu sein.

Alessia war sehr gern in seiner Nähe, schließlich gehörte sich das auch so, wenn man verliebt war.
Und genauso gehörte es sich, dass man Schmetterlinge im Bauch bekam, wenn man eine romantische Situation mit seinem Crush erlebte und dass man diese Interaktion viel mehr mochte, als nur über die Person nachzudenken.

Eben diese Reaktion hatte Alessia von sich selbst auch erwartet, als sie im Sportunterricht beim Paartanz doch tatsächlich mit Leonardo hatte tanzen dürfen. Die eine Hälfte des Sportkurses hatte entweder Angst vor diesem Themengebiet gehabt, oder einfach nur einen Hass darauf entwickelt. Die andere Hälfte hatte sich Ewigkeiten auf die Gesellschaftstänze gefreut.

Natürlich gehörte Alessia zu letzterem. Grundsätzlich mochte sie Musik und Tanzen gern, doch der Paartanz erinnerte sie umso mehr an diverse Situationen aus ihren geliebten Liebesromanen. Niemals hätte sie damit gerechnet, dann tatsächlich auch mit Leonardo tanzen zu können, auch wenn sie zugeben musste, dass es etwas war, worüber sie zuvor fantasiert hatte.

Als es dann aber zu besagtem Tanz gekommen war, war Alessias Reaktion anders gewesen, als sie es selbst von sich erwartet hätte. Natürlich hätte man es auch auf die Nervosität schieben können, doch eigentlich wusste Alessia, dass es an etwas anderem gelegen hatte. Nur war ihr unklar, woran.

Denn als sie ihre rechte Hand in Leonardos gelegt hatte, ihre linke auf seiner Schulter platziert hatte und seine andere Hand an ihrem Rücken gespürt hatte, hatte sie weder Freude noch Bauchkribbeln überkommen. Es war nicht so, dass sie sich bei ihm grundsätzlich unwohl gefühlt hatte, oder dass sie die Berührung als übergriffig oder unangenehm empfand.

Aus irgendeinem Grund empfand sie diese romantische Situation einfach als nicht so schön, wie sie es sich vorgestellt hatte. Und das, obwohl sie von genau solchen Szenen in Büchern eigentlich nie genug bekommen konnte.

Doch jetzt im echten Leben, in einer Situation in der sie selbst einen solchen romantischen Moment mit dem Jungen, in den sie verliebt war, erlebte, war es irgendwie anders.

Sich in den ständigen Träumereien über Leonardo zu verlieren gefiel Alessia deutlich besser, als nun tatsächlich mit ihm eine romantische Begegnung zu haben. In ihren Fantasien küsste sie Leonardo auch manchmal, doch als sie beim Tanzen direkt vor ihm gestanden hatte, war ihr die Vorstellung davon, ihn jetzt tatsächlich zu küssen, mehr als nur unangenehm erschienen.

Generell war ihr der Gedanke daran, er könnte in sie verliebt sein, sie attraktiv finden oder küssen wollen, nicht gerade erstrebenswert erschienen.
Sie wollte nicht, dass er so für sie empfand.

Aber das machte doch keinen Sinn.
Wenn sie verliebt war, sollte es doch eigentlich ihr größter Wunsch sein, dass diese Gefühle erwidert wurden. Denn sonst könnte es ja auch nie zu einem Date, geschweige denn einer Beziehung kommen.
Aber wenn Alessia ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch kein wirklich starkes Verlangen danach.

Vielleicht war sie ja gar nicht in Leonardo verliebt. Welche andere Erklärung könnte es denn sonst für ihre widersprüchlichen Gefühle geben?

Doch eigentlich war sie sich so sicher gewesen, in ihn verliebt zu sein. Platonische Anziehung war es eindeutig nicht, was sie Leonardo gegenüber empfand und eigentlich kannte Alessia sich sehr gut damit aus, was es bedeutete, verliebt zu sein und wie es sich anzufühlen hatte.

Zwar besaß sie selbst kaum Erfahrung, aber sie zog ihre Expertise aus den hunderten Liebesromanen, die sie bereits verschlungen hatte.

Alessia wusste einfach nicht mehr weiter. Vielleicht sollte sie sich Hilfe von jemand anderem suchen. Am besten von einer Person, die mehr praktische, echte Erfahrung mit der Liebe hatte. Das Problem war nur, dass ihr niemand einfiel, der dafür in Frage kam.

Am liebsten wollte sie einfach mit ihrer besten Freundin darüber sprechen, doch diese interessierte sich meist nicht sonderlich für Romantik und hatte genauso wenig Erfahrung wie Alessia selbst.

Aber womöglich war das sogar besser so.
Womöglich konnte ihr Jinjin als Außenstehende mit einem neutralen Blick besser helfen, als jemand, der glaubte, alles über Liebe und Romantik zu wissen.

Bevor sie jedoch mit Jinjin sprechen konnte, musste Alessia zunächst die langweilige Mathematikstunde überstehen, in welcher sie sich gerade befand und aus der sie in ihre Gedankenwelt entflohen war. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie noch zwanzig Minuten vor sich hatte, also versuchte sie, sich wieder auf das Arbeitsblatt zu konzentrieren, was ihr Lehrer vor wenigen Minuten verteilt hatte.

Innerlich schwermütig seufzend widmete sich Alessia also der ersten dort aufgelisteten ganzrationalen Funktion und begann, eine Kurvendiskussion durchzuführen.

Nach zwanzig Minuten verkündete der Mathelehrer dann schließlich die Hausaufgabe, erinnerte an die anstehende Klausur und entließ die Schüler*innen dann sogar wenige Minuten vor dem Klingeln in ihre Mittagspause.

Kaum hatte Alessia ihre Unterlagen in ihren Rucksack gepackt, machte sie sich auf die Suche nach Jinjin. Sie eilte durch die von Jugendlichen überschwemmten Flure bis zu dem Raum, von dem sie glaubte zu wissen, dass ihre beste Freundin dort Unterricht hatte. Als dann kurz darauf das Klingeln ertönte, dauerte es nicht lange, bis eben diese tatsächlich heraus trat.

,,Hey, ich muss dir unbedingt etwas erzählen. Komm mit, wir setzen uns auf den Hof.", überrumpelte Jinjin ihre beste Freundin. Alessia war etwas überrascht, schließlich war sie selbst ja eigentlich diejenige gewesen, die über etwas bestimmtes sprechen wollte, aber folgte dieser trotzdem eilig.

Die beiden Mädchen setzten sich auf eine Bank in einer Ecke des Schulhofes, wo sie ungestört waren. „Okay, was ist los?", fragte Alessia neugierig, kaum hatten sie Platz genommen. Jinjin räusperte sich.

„Du kennst ja meine Freundin Jule, mit der ich früher zusammen Reitunterricht hatte. Ich habe heute im Geschichtsunterricht mit ihr zusammengearbeitet, aber wir waren so schnell fertig mit der Aufgabe, dass wir noch etwas Zeit hatten, ein bisschen zu quatschen.

Jule ist ziemlich gut mit Leonardo befreundet, wie wir ja wissen, im Grunde ist sie glaube ich sogar seine beste Freundin. Jedenfalls haben wir uns unterhalten und dabei habe ich nicht Mal wirklich absichtlich eine kleine Andeutung gemacht, dass du in Leonardo verliebt bist.

Und du wirst es nicht glauben: Jule hat mir erzählt, dass Leonardo dich auch mag. Sie war ganz überrascht, aber auch sehr fröhlich als ich deine Gefühle für ihn angedeutet habe und da bin ich schon auf die Idee gekommen, dass sie vielleicht etwas weiß. Nur hätte ich nicht erwartet, dass sie mir dann tatsächlich offenbart, dass er auch auf dich steht!"

Alessia brauchte einen Moment um das zu verarbeiten, was Jinjin gesagt hatte. Erstens, weil ihre beste Freundin, wie häufig wenn sie aufgeregt war, unfassbar schnell gesprochen hatte. Und zweitens weil sie selbst nicht wusste, was sie jetzt fühlen oder darüber denken sollte.

Alessias Schweigen schien Jinjin als eine Aufforderung zu verstehen, ihre Erkenntnis für sie zusammen zu fassen. „Alessia, jetzt bekommst du endlich die Chance auf deine eigene Real-Life Romanze!", sagte sie begeistert.

„Mh", gab Alessia nur von sich.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht, warum sie fühlte, was sie fühlte. Sie wollte Jinjin von ihren Gefühlen erzählen, aber gleichzeitig kam ihr der Gedanke daran, diese Worte auszusprechen, so absurd vor.

Dass sie, Alessia, die Romantik-Fanatikerin schlechthin, aus unerfindlichen Gründen keine eigene Romanze erleben wollte. Dass sie es nicht wollte, jetzt wo es endlich greifbar war, obwohl sie ewig davon geträumt hatte.

,,Was ist los?", fragte Jinjin ruhig. In ihrer Stimme schwang Besorgnis mit und die Begeisterung von vor wenigen Sekunden war verschwunden. ,,Ich... Ich weiß es selber nicht genau.", fing Alessia an, unsicher ob sie das, was ihr den ganzen Tag schon durch den Kopf ging tatsächlich aussprechen wollte.

Jinjin nickte langsam und verständnisvoll und streichelte den Arm ihrer besten Freundin, dann sagte sie:,,Okay, aber vielleicht versuchst du trotzdem, es in in Worte zu fassen, hm? Wenn du es nicht probierst, kann ich dir auch nicht helfen und das möchte ich eigentlich sehr gerne."

Für einen Moment hatte Alessia das Gefühl, dass sie weinen müsste. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus, sammelte ihre Gedanken und sagte schließlich:,,Es macht irgendwie einfach alles keinen Sinn. Also mein Gefühle für Leonardo." Sie hielt kurz inne um ihre Gedanken zu formulieren und sprach dann weiter:

,,Ich bin mir ganz sicher, dass ich in ihn verliebt bin. Es spricht alles dafür, ich wüsste auch nicht, was dieses Gefühl sonst sein könnte. Es ist nicht das Bedürfnis, einfach mit ihm befreundet zu sein, das weiß ich ganz sicher, auch wenn ich da grundsätzlich nichts dagegen hätte.

Ich war mir so lange so sicher, ihn auf romantische Art zu mögen, aber irgendwie... Irgendwie bin ich jetzt nur noch verwirrt, meine Gefühle für ihn passen einfach nicht zusammen. Du erinnerst dich doch bestimmt an die Sportstunde, von der ich dir erzählt habe. Da, wo ich mit Leonardo tanzen durfte."

Jinjin nickte und meinte dann:,,Ja, natürlich. Ist da irgendwas passiert? Hat er etwas gemacht, wodurch du dich unwohl gefühlt hast? Ich schwöre, wenn du mir jetzt erzählst, dass er dich angegrapscht hat oder sowas in der Art-"

,,Nein nein, keine Sorge.", versuchte Alessia sie zu beruhigen. ,,Er hat mich genauso angefasst, wie es vorgeschrieben war und nirgendwo anders. Die Berührungen waren grundsätzlich weder unangenehm, noch habe ich sie als übergriffig empfunden. Wenn Leonardo nicht gerade mein Crush wäre, wäre absolut nichts dabei gewesen."

,,Was war es dann?", erkundigte sich Jinjin weiter. ,,Ich weiß es eben nicht genau.", erklärte Alessia.

,,Im Laufe der Sportstunde habe ich mit vielen verschiedenen Leuten getanzt. Da wir ein bisschen mehr Mädchen als Jungen im Kurs sind, musste ich auch gelegentlich mit einem Mädchen tanzen aber auch da war alles genauso wie bei den übrigen Jungs, mit denen ich getanzt habe. Es war ganz schön, aber nichts Besonderes eben. Nur bei Leonardo war es irgendwie anders."

,,Was war anders?", hakte Jinjin nach und Alessia konnte sehen, wie sich ihre Stirn in Falten legte.
,,Ich habe mich einfach irgendwie nicht so wohl gefühlt, wie ich es erwartet hatte. Kein Bauchkribbeln, keine Freude und sogar der Gedanke daran, Leonardo zu küssen, kam mir in diesem Moment als er direkt vor mir stand, auch gar nicht mehr wirklich schön oder erstrebenswert vor.

Irgendwie gefällt es mir besser, einfach über Leonardo zu fantasieren, ihn in meinen Gedanken bei mir zu haben oder aus der Ferne zu beobachten, als tatsächlich mit ihm auf romantische Weise zu interagieren.

Denn dieser Tanz war, zumindest mit ihm, schon irgendwie eine romantische Situation und seltsamerweise habe ich das Gefühl, dass ich mich genau deshalb unwohl gefühlt habe. Ich weiß, das ergibt absolut keinen Sinn.", berichtete Alessia.

Als sie zuende gesprochen hatte, musste sie selbst über das Gesagte noch einmal nachdenken. Logisch betrachtet klang es vollkommen sinnfrei, doch auf ihre Gefühle bezogen, schien jetzt alles irgendwie mehr Sinn zu ergeben.

,,Ist doch egal, dass es keinen Sinn macht. Du kannst ja deine Gefühle nicht beeinflussen und Gefühle sind manchmal nunmal unlogisch. Aber trotzdem sind sie da und das ist auch nicht schlimm.", sagte Jinjin. ,,Was meinst du genau?", hakte Alessia etwas verdutzt nach.

,,Naja, was ich meine, ist: Es ist doch besser, dass du deine Gefühle verstehst und herausfindest, was genau du fühlst und willst, auch wenn du vielleicht nicht weißt, warum du so empfindest, als dass du es nicht weißt und dann am Ende in einer Situation landest, in der du dich nicht wohl fühlst.

Es ist doch besser, dass du verstanden hast, dass du keine weiteren romantischen Begegnungen mit Leonardo haben möchtest, egal, warum das so ist, als dass du am Ende zum Beispiel mit ihm auf ein Date gehst oder sogar in einer Beziehung mit ihm landest, obwohl das gar nicht das ist, was du möchtest.", erklärte ihre beste Freundin.

Alessia überlegte einen Moment. Vielleicht hatte Jinjin Recht. Vielleicht kam es gar nicht darauf an, herauszufinden, warum sie so fühlte, wie sie fühlte. Eigentlich war es viel wichtiger und sinnvoller zu wissen, was sie fühlte und was sie wollte. Und das hatte sie ja erreicht.

,,Das macht... erstaunlich viel Sinn.", meinte Alessia langsam. ,,Wow, manchmal bist du so weise!" Daraufhin mussten beide Freundinnen etwas lachen und Alessia war froh, die ernste Stimmung etwas aufgelockert zu haben.

,,Danke, ich weiß.", erwiderte Jinjin grinsend. ,,Aber im Ernst, das hat mir mehr geholfen, als ich erwartet hätte.", gab Alessia zu. ,,Sieh mal einer an, manchmal kann dir deine unromantische beste Freundin beim Thema Romantik wohl trotzdem behilflich sein.", meinte Jinjin stolz und immer noch grinsend.

,,Das habe ich nie angezweifelt!", lachte Alessia. Jinjin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest:,,Oh man, die Mittagspause ist gleich schon vorbei. Bei mir fallen die letzten beiden Stunden aus, ich glaube, ich mache mich dann gleich mal auf den Weg nach Hause."

,,Du hast einfach die letzten beiden frei? Das ist ja ne Frechheit!", beschwerte sich Alessia, auch wenn sie es nicht ganz ernst meinte. ,,Wirklich blöd, wenn man jetzt noch Unterricht hat.", ärgerte ihre beste Freundin sie lachend.

,,Streu nicht noch Salz in die Wunde... Ich weiß echt nicht, ob ich diese Doppelstunde Erdkunde überleben werde. Ich hab jetzt schon keine Lust mehr.", meinte Alessia. ,,Ich glaube ganz fest an dich!", sagte Jinjin grinsend.

,,Und sieh's positiv: Es sind nur zwei Stunden und danach ist Wochenende. Außerdem wollten wir uns ja um 17 Uhr bei dir treffen. Wenn es wirklich so schlimm war, kannst du dich dann bei mir ausheulen."

,,Okay, das ist ein Trost. Dann komm gut nach Hause und bis später.", sagte Alessia und umarmte ihre beste Freundin zum Abschied.

Nachdem diese den Schulhof verlassen hatte, warf Alessia einen Blick auf ihr Handy und bemerkte, dass ihr tatsächlich nur noch fünf Minuten blieben, bevor der Unterricht wieder begann. Vielleicht würde sie sich dieses Mal ja tatsächlich ein bisschen mehr auf den Stoff konzentrieren können, jetzt wo sie ihre Gedanken mit Jinjin besprochen hatte.

Mit dieser Hoffnung lag Alessia jedoch falsch, denn kaum hatte sie wenige Minuten später im Erdkunde Unterricht Platz genommen und die Lehrerin zu sprechen begonnen, drifteten ihre Gedanken wieder ab.

Auch wenn Jinjin sie hatte beruhigen können, dass es nicht so wichtig war, warum sie fühlte, was sie fühlte, begann Alessia erneut, mögliche Gründe dafür durch zu gehen.

Leonardo hatte eigentlich nichts falsch gemacht. Wie sie ihrer besten Freundin versichert hatte, hatte er sie weder unangemessen angefasst noch sonst etwas negatives getan. Daran konnte es also nicht gelegen haben.

Abgesehen davon hatten sich ihre Gefühle ihm gegenüber ja auch nicht verändert. Wenn Alessia alleine war und ihre Gedanken zu ihm schweiften, befand sie sich in der selben romantischen Traumwelt wie auch sonst.

Vielleicht war es ja genau das. Womöglich hatte sie Leonardo im wahrsten Sinne des Wortes romantisiert und ihn sich anders vorgestellt, als er wirklich war. Was, wenn sie gar nicht in ihn verliebt war, sondern nur in ein Idealbild, das sie von ihm in ihrem Kopf erstellt hatte?

Doch selbst wenn es so war, Leonardo hatte nichts getan, um diese Traumblase platzen zu lassen. In keinster Weise hatte er sich in seinem Verhalten im echten Leben von Alessias Fantasien in ihrem Kopf unterschieden.
Dann konnte auch dies nicht der Grund sein.

Aus unerklärlichen Gründen wollte Alessia einfach nicht, dass Leonardo auf sie stand. Sie wollte nicht auf romantische Weise von ihm gemocht werden, auch wenn sie sehr sicher war, ihn auf diese Weise zu mögen.

Da erinnerte sie sich wieder an das Beispiel, das Jinjin zuvor genannt hatte: Es war gut, wenn Alessia nicht in einer Beziehung oder auf einem Date mit Leonardo endete, wenn das nicht das war, was sie tatsächlich wollte.

Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wollte sie das auch definitiv nicht. Sich eine Beziehung oder ein Date mit Leonardo vorzustellen, ihn in ihren Gedanken bei
sich zu haben war das Eine. Etwas ganz anderes jedoch war es, diese Situationen tatsächlich in echt mit ihm zu erleben.

Das wollte Alessia einfach nicht. Warum, war ihr nicht klar, aber sie spürte, dass sie sich dabei eher unwohl fühlen würde. Viel schöner war es, Leonardo einfach aus der Ferne zu bewundern und sich in Träumereien über ihn zu stürzen.

Mehr brauchte Alessia nicht. Sie brauchte kein Date, keine Küsse, keine Beziehung, noch nicht einmal anderweitigen Körperkontakt mit romantischer Intention.

Nicht nur brauchte sie das alles nicht unbedingt, eigentlich wollte sie es auch gar nicht. Und das war okay.
Wie Jinjin gesagt hatte: Es spielte keine Rolle, warum Alessia so empfand. Viel wichtiger war es, zu wissen, was sie empfand und das tat sie ja.

Nachdem sie dieses Gedankengänge abgeschlossen hatte, konnte sich Alessia tatsächlich wieder ein wenig auf den Unterricht konzentrieren. Zu ihrem Glück war niemandem ihre geistige Abwesenheit aufgefallen und sie konnte am Unterrichtsgespräch teilnehmen, als wäre sich nicht eben noch in Grübeleien vertieft gewesen.

Die Zeit verging schneller, nachdem Alessia begonnen hatte, sich wieder am Unterricht zu beteiligen und in kürzester Zeit hatte sie die Doppelstunde überstanden. Alessia freute sich, nun endlich nach Hause gehen und das wohlverdiente Wochenende beginnen zu können.

Obwohl sie ihre Schulsachen schnell zusammenpackte waren die meisten ihrer Mitschüler*innen doch schneller, so dass sie am Ende fast die letzte im Raum war. Sie wünschte ihrer Lehrerin ein schönes Wochenende und schritt dann durch das so gut wie leere Schulgebäude in Richtung Ausgang.

,,Hey, Alessia, warte kurz!", hörte sie plötzlich jemanden hinter sich rufen. Noch bevor sie sich umgedreht hatte, realisierte sie, um wessen Stimme es sich handelte.

Vor ihr stand Leonardo. Sofort fiel Alessias Blick auf seine hübschen, weichen Gesichtszüge und sein Lächeln. Ja, er war genauso, wie sie ihn sich auch in ihren Gedanken immer vorstellte.

,,Äh, also ich wollte kurz mit dir sprechen.", fing er an. Alessia nickte ihm freundlich zu und er fuhr fort:,,Es gibt eine Sache, die ich dir schon länger sagen wollte und heute habe ich etwas erfahren, was mir den Mut gegeben hat, dich tatsächlich darauf anzusprechen.

Eigentlich sollte mir das nicht so unangenehm sein, schließlich sind wir keine kleinen Kinder mehr. Ich wollte nur sagen: Ich mag dich. Also nicht freundschaftlich, sondern ich finde dich wirklich toll und attraktiv, deshalb wollte ich dich fragen ob du vielleicht gerne mit mir ausgehen würdest."

Leonardo wurde ein bisschen rot und Alessia bemerkte, wie süß er dabei aussah. Doch als die Worte, die er gerade gesagt hatte, wenige Sekunden später in Alessias Gehirn verarbeitet worden waren, überkam sie eine Welle der Abneigung.

Eigentlich hatte sie ja von Jinjin bereits gewusst, dass Leonardo auch auf sie stand. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass er sie tatsächlich um ein Date bitten würde.
Wie hatte sie nur so blöd sein können?

Wenn Jinjin ihr erzählt hatte, dass Leonardo auf sie stand, war es doch klar, dass Jule Leonardo ebenfalls berichten würde, dass Alessia in ihn verliebt war.

Das hier war eine der Situationen, die Alessia beim lesen von Liebesromanen meist nie erwarten konnte: Die Liebenden gestanden sich ihre Gefühle und verabredeten sich zu einem Date, manchmal kam es sogar zu einem Kuss oder einer romantischen Berührung.

Doch das hier war kein Liebesroman. Es war ihr eigenes, echtes Leben und ein realer Mensch, in den sie verliebt war, hatte sie gerade um ein Date gebeten. Und Alessia wusste, dass sie so etwas nicht wollte.

Sie liebte Romantik, aber nicht, wenn sie selbst darin involviert war. Sie mochte es, verliebt zu sein, aber nicht, wenn die Gefühle erwidert wurden und Erwartungen entstanden, dass sie eine Beziehung eingehen würde.

Alessia wusste nicht genau, wie viel Zeit verging, während sie über Leonardos Worte nachdachte, ob es Minuten oder nur Sekunden waren.
Aber sie wusste, dass sie sein Angebot ablehnen musste.

Es würde sie nicht glücklich machen, mit Leonardo auszugehen. Und es würde ihn vermutlich auch nicht glücklich machen, wenn er merkte, dass sie sich in Wahrheit nicht damit wohl fühlte, mit ihm auszugehen.

So leid es Alessia tat, ihn verletzen zu müssen, sie wusste, dass es das einzig sinnvolle war, dem Date nicht zuzusagen.

Sie atmete einmal tief durch und sagte dann:,,Leonardo, ähm, es tut mir leid, du bist wirklich ein toller, lieber Mensch, aber ich muss leider absagen. Ich möchte nicht mit dir ausgehen."

Leonardo wirkte etwas verdutzt und gleichzeitig merkte Alessia, wie sich Enttäuschung in ihm ausbreitete.
,,Oh, ich verstehe...", sagte er langsam.

,,Aber- Aber ich dachte, also ich habe gehört, dass du mich auch magst, deshalb dachte ich, das hier könnte etwas werden. War das ein Missverständnis oder so?"

Alessia biss sich auf die Lippe. Wie sollte sie ihm das erklären?
Sie bezweifelte, dass Leonardo es verstehen würde, wenn sie ihm sagte, dass sie sehr wohl auch Gefühle für ihn hatte, aber keinerlei Interesse an einem Date, einer Beziehung oder anderen romantischen Interaktionen mit ihm.

Sie konnte nicht erwarten, dass er es verstand, schließlich verstand sie es selbst immer noch nicht so ganz. Gleichzeitig wollte sie aber auch ehrlich zu ihm sein.

,,Okay, also es ist folgendermaßen.", fing Alessia an. ,,Ich weiß, das klingt jetzt seltsam und vielleicht hast du das Gefühl, dass es keinen Sinn macht. Das verstehe ich auch, aber ich hoffe, du kannst trotzdem Verständnis dafür aufbringen.

Es ist wahr, ich habe auch Gefühle für dich. Eigentlich schon ziemlich lange. Aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich nicht mit dir ausgehen und Interesse an einer Beziehung habe ich auch keines.

Wenn dich das jetzt verletzt, tut mir das ehrlich leid, aber ich möchte mich selbst auch nicht zu etwas zwingen, von dem ich weiß, dass ich mich damit nicht wohl fühlen werde."

Leonardo nickte langsam. Er schwieg einen Moment, bevor er schließlich das Wort ergriff:,,Du hast Recht, ich verstehe es nicht. Aber Gefühle sind manchmal verwirrend und deshalb finde ich es toll, dass du trotzdem ehrlich zu mir bist.

Wenn du dir erstmal über gewisse Dinge klar werden möchtest, dir deiner Gefühle nicht sicher bist und noch etwas Zeit brauchst, ist das okay. Ich kann auch warten, ich möchte dich nicht drängen."

Einerseits fand Alessia es toll, dass er so gut reagierte, ihr Zeit und Freiraum geben wollte. Doch andererseits merkte sie, dass er nicht ganz verstanden hatte, worauf sie hinaus wollte.

,,Das ist wirklich lieb von dir. Aber ich glaube du hast nicht verstanden, was ich meine. Ich möchte es jetzt einmal klarstellen, damit du dir keine weitere Hoffnung machst:

Es tut mir ehrlich leid, aber ich habe kein Interesse an einem Date oder einer Beziehung mit dir. Nicht jetzt und auch nicht in der Zukunft.", erklärte sie.

Alessia merkte, dass Leonardo enttäuscht und verletzt war, aber sie hatte alles getan, was sie konnte. Sie war nicht für ihn oder sein Wohlbefinden verantwortlich.
Es tat ihr weh, ihn traurig zu sehen, schließlich war sie immernoch verliebt in ihn und er war ihr keineswegs egal.

Doch als sie sich mit einem schwachen Lächeln von Leonardo verabschiedet hatte und auf ihrem Weg nach Hause wieder in Gedanken versank, manifestierte sich die Erkenntnis, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Sie hatte auf ihre Gefühle gehört.

Nach zehn Minuten Fußweg kam Alessia in ihrem Zuhause an. Dort wurde sie von einem ihrer beiden Väter begrüßt und erzählte ihm während des Abendessens ein wenig von ihrem Schultag.

Die Angelegenheit mit Leonardo ließ sie jedoch aus und erwähnte dann nach einem Blick auf die Uhr, dass sie in zwanzig Minuten mit Jinjin verabredet war.

Ihr anderer Vater würde erst in ein paar Stunden nach Hause kommen, da er meistens lange arbeiten musste und so war es ein bisschen ruhiger im Haus.

Die Ruhe hielt jedoch nicht lange, denn kurz nachdem Alessia und ihr Vater den Tisch abgeräumt hatten, klingelte es schon an der Tür. Jinjin sagte Alessias Vater kurz guten Tag und dann verschwanden die beiden Mädchen schon in Alessias Schlafzimmer.

Kaum hatten sie die Zimmertür hinter sich geschlossen, sprudelte es aus Alessia heraus:,,Ich habe vorhin Leonardo gekorbt!"

,,Was?! Oh, wow...", kam es von Jinjin und nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu:,,Und äh, war es denn eine gute Entscheidung?"
Alessia nickte.

,,Ja, ich glaube schon. Ich verstehe zwar immer noch nicht, warum ich ihm gegenüber so empfinde, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Ich möchte einfach kein Date oder eine Beziehung mit ihm. Ich bin zufrieden und glücklich, wenn ich einfach so in ihn verliebt sein kann. Auch wenn es keinen Sinn zu machen scheint."

,,Tja, ich habe was das angeht aber Neuigkeiten für dich.", meinte Jinjin daraufhin. ,,Was meinst du?", fragte Alessia.

,,Vielleicht ist das ganze gar nicht so unlogisch, wie es uns erscheint. Ich habe nämlich ein bisschen für dich recherchiert.", begann ihre beste Freundin und Alessias Augen weiteten sich neugierig.

,,Fassen wir zusammen: Du bist in Leonardo verliebt, aber möchtest nicht, dass er deine Gefühle erwidert und hast weder Interesse an einem Date oder einer Beziehung mit ihm. Du bevorzugst es, ihn einfach im Stillen anziehend zu finden.", sagte Jinjin.

Alessia nickte zustimmend und ihre beste Freundin fuhr eifrig fort:,,Nun meine Liebe, das ganze ist nicht irgendein zusammenhangloses Gefühlschaos, sondern könnte eine romantische Orientierung sein. Schonmal was von Asexualität gehört?"

,,Ja, habe ich.", erwiderte Alessia. ,,Gut. Und auch schonmal was von Aromantik gehört?", hakte Jinjin nach.

,,Ich glaube auch davon, ja. Wenn ich mich richtig erinnere bedeutet Aromantik im Grunde, dass man sich nicht verliebt, oder? Aber was hat das mit mir zu tun? Ich bin doch definitiv in Leonardo verliebt.", wunderte sich Alessia.

,,Korrekt, aber Aromantik ist ein Spektrum. Das aromantische Spektrum beinhaltet verschiedene romantische Orientierungen und eine davon könnte ziemlich gut zu dir passen. Gib mir einen Moment.", sagte Jinjin während sie hektisch etwas in ihrem Handy eintippte und dann über den Bildschirm scrollte.

,,Da, ich hab's wieder gefunden!" Sie drehte das Handy um und hielt Alessia das Display vors Gesicht. Diese richtete ihre Augen auf das dort niedergeschriebene und las:

'Als lithromantisch können sich Personen bezeichnen, die zwar romantische Gefühle gegenüber anderen Menschen haben, aber nicht wollen bzw. nicht brauchen, dass diese Gefühle erwidert werden. Bei manchen lithromantischen Menschen verschwinden die romantischen Gefühle, wenn sie erwidert werden.'

Alessia musste den Text dreimal durchlesen, um ihn tatsächlich zu verstehen und zu begreifen, dass er genau das widerspiegelte, was sie für Leonardo empfand. Als sie es endlich realisiert hatte wusste sie nicht so Recht, was sie sagen sollte.

Dass es einen Begriff für ihre Gefühle gab, hätte sie nie erwartet, doch es freute sie unfassbar. Denn nicht nur bedeutete dies, dass ihre Gefühle irgendwie Sinn ergaben und nicht unerklärlich waren, sondern auch, dass es noch andere Menschen gab, die genauso empfanden.

Sie war nicht alleine.
Sie war nicht seltsam oder verwirrt. Sie war einfach nur lithromantisch.

Und diese Erkenntnis brachte Alessia mehr Erleichterung, als sie sich davon zuvor jemals hätte erhoffen können.

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