10 ✴ Auf Kutschen ins Verderben

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Wenn man in einem eher ärmeren Distrikt lebte, fühlte man sich als Frau nicht sonderlich oft attraktiv oder hübsch.
Dies sind nunmal nicht die Wichtigkeiten - in einem solchen Leben.

Als ich mich aber in diesem Kleid sah, welches mir Helio herausgesucht hatte - fühlte ich mich das erste Mal wunderschön.
Ich sah mir durch den Spiegel selbst in die Augen und strich über den glatten Stoff des grünen Kleides.

Oder - es war nicht wirklich ein normales Kleid. Ich hatte braune Hosen an, welche ein Baumrinde-Muster aufgestickt hatten. Sie schimmerten etwas - keine Ahnung was es genau für ein Stoff war, Baumwolle auf jeden Fall nicht. Ich kannte mich in Mode nunmal überhaupt nicht aus.

Darüber - bis etwas über die Knie - trug ich das dunkelgrüne Kleid, welches aber irgendwie nicht typisch feminim aussah. Und das gefiel mir. In verschiedenen Schichten waren Blätter und Zweige auf den Stoff gestickt. Als würde eine Efeuranke nach der anderen, sich um mich schlingen.

Ich dachte nicht, dass mir mein erstes Make Up so gefallen würde - doch dies tat es. Meine Augen waren neben dunkelbraunem Eyeliner und Wimperntusche - smaragdgrün & goldschimmernd geschminkt. Meine Haare hatte Zoë zu Zöpfen geflechtet und halb hochgebunden.

Zum Glück musste ich keine hohen Schuhe tragen - es waren unauffällige, dunkelbraune, etwas luxuriösere Sneaker.
Verständlich - die Schuhe sah man ja auf den Kutschen auch nicht.
Alles sah irgendwie zerzaust aus - wild. Kämpferisch. Und ich liebte es. Unperfekt und doch perfekt.

Helio trat zu mir und lächelte mich stolz an.
"Und, wie fühlst du dich?",fragte er mich leise und legte fragend den Kopf schräg.
"Es ist...perfekt",gab ich leise zu und konnte nicht aufhören zu lächeln.

Für einen Moment vergass ich, dass ich in die Hungerspiele musste. Dass all dies hier unmenschlich war. Dass ich bald Menschen töten musste - oder vielleicht sogar getötet werden würde.
Für einen Moment fühlte ich mich einfach schön. Stark. Die Leute würden mich anschauen. Ich würde auffallen.

Als ich an der Seite von Helio zur Kutsche unseres Distriktes schritt, sah ich Colyn schon von weitem. Normalerweise waren die männlichen Tribute nie so auffällig gekleidet wie die Weiblichen - aber dieses Jahr war wohl alles anders.

Im Grunde genommen war Colyn gleich gekleidet wie ich - aber der grüne Stoff bei ihm war eher ein Mantel - ein Anzug. Auch er trug Make Up - aber nicht so stark wie ich.
Seine schwarzen Haare hatten eine Glitzerdusche abbekommen, und durch seine schwarzen Haare, fiel dies natürlich besonders auf.

Er schien meine Reaktion zu bemerken, als wir zu ihm und Tulip traten, welche aufgeregt klatschte und uns mit Komplimenten überhäufte.

"Was - verliebst du mich jetzt noch in mich?",fragte mich Colyn verschmitzt grinsend. "Dann wären wir ein tragisches Liebespaar. Wäre doch was für die Sponsoren."
Ich schnipste ihm mit meinen Fingern als Antwort an die Wange, wodurch er sich lachend kurz von mir wegdrehte.

Mein Blick wanderte zu den anderen Kutschen. Distrikt 1 war in silbrigen Tönen gekleidet - wogegen Distrikt 2 in Goldigen gekleidet war.
Am Mädchen aus Distrikt 10 wurden gerade noch bronzefarbige Strähnchen in ihre schwarze Haarpracht gesteckt.

Als ich Distrikt 4 erkannte, musste ich kurz blinzeln. Die weibliche Tributin schien meinen Blick anzuketten. Silija. Dieser Name war in meinem Kopf verankert, seit ich die Aufnahme der Ernte gesehen hatte.

Sie sah atemberaubend aus. Ihre blonden Haare waren offen und fielen in anmutigenden Locken auf ihre Schultern hinab. Es sah aus, als wären echte Fischschuppen - türkisglitzernd - auf ihrem langen Kleid verteilt. Durch die durchziehende Luft sahen die untere Kleidhälfte und der Saum am Boden aus, als würden Wellen über den Boden fliessen.

Ihr Blick traf ohne dass ich es verhindern konnte, den Meinen. Ihre türkisblau geschminkten Augen.
Ich stockte kurz.
Ich fühlte mich, als würde mich eine kalte Welle Meereswasser erfassen - zugleich mich aber die Sonne des Waldes erwärmen.
Durch die Leute des fünften und sechsten Distriktes, sahen wir uns an. So weit weg...

Ich bemerkte gar nicht, dass unsere beiden Mentoren zu uns gestossen waren. Ganz weit entfernt hörte ich Blight, welcher uns beiden grinsend ein Kompliment machte.

Johanna neben mir schien meinen Blick sofort zu bemerken. Gleich würden dies wohl auch die anderen tun - jedoch räusperte sich meine Mentorin noch in der gleichen Sekunde leicht.
Aus Gedanken gerissen sah ich zu ihr - und nickte ihr etwas zu. Als Dank.

"Scheisse, ihr seht so viel besser aus, als ich damals",sagte Johanna kopfschüttelnd, als Colyn und ich uns auf die marmorweisse Kutsche stellten.
"Ach komm, Jo. Du warst ein toller Baum, genau wie ich",antwortete Blight grinsend zu seiner Mitmentorin, worüber diese bloss amüsiert die Augen verdrehte.

Die zwei Pferde, welche jeweils eine der zwölf Kutschen zogen, waren weisse, kräftige Schimmel. Ich fragte mich, ob die Pferde wohl aus Distrikt 10 stammten. Wie sich wohl die Leute dort gefühlt hatten, während sie Pferde aufgezogen hatten, welche mal elf Kinder in den Tod kutschieren würden?

"Okay, ihr zeigt euch so wie bisher - selbstbewusst und mutig lächelnd. Kämpfer. Winkt, aber seid nicht froh hier zu sein.",teilte uns Helio leise mit, worüber wir beide bloss nicken konnten.
Nun kam die Nervosität in mir auf - wie ein Tsunami.

Als Distrikt 1 mit der blonden Schönheit und dem muskulösen Kleiderschrank - in silber gekleidet - durch das grosse Tor losfuhren, atmete ich etwas zittrig durch.

"Wir schaffen das.",flüsterte Colyn links neben mir und ich musste viel Kraft aufwenden, um zu ihm schauen zu können.
Ich nickte etwas und spürte seine Hand an meinem Handrücken. Wir würden nicht Händchenhaltend da rausfahren können - wir waren nunmal wirklich kein Liebespaar.
Aber diese kleine, liebevolle Geste liess meine Angst, wenn auch nur teilweise, schwinden.

Der fünfte Distrikt fuhr los - von welchem die Tribute ganz in weiss gekleidet waren. Meiner Meinung nach, sahen sie aus wie Gespenster.
Dann der sechste Distrikt und ich spürte, wie die Pferde an unserer Kutsche schon etwas unruhiger wurden.
Nun ging es los.

Zwar hatte man die Zuschauermenge von innen schon gehört, aber als Colyn und ich auf der Kutsche hinauskamen, überschwappte der Lärm uns einen Moment vollkommen.
Sechs grosse Tribünenreihen - je drei links und rechts - riefen uns jubelnd zu und klatschten.

Der Weg zwischen ihnen, auf welchem die zwölf Kutschen fuhren, war eine perfekt betonierte Strasse.
Es war alles so unfassbar riesig. Überwältigend.
Und irgendwie schaffte ich, und auch Colyn, selbstbewusst winkend die Zuschauer zu begrüssen.

Ich hörte meinen Namen schreien. Ich hörte Colyns. Ein riesengrosser Schwall an Nebel des Applauses, nahm uns beide einige Minuten lang fest in den Griff.
Ob ich mich daran gewöhnte, konnte ich nicht sagen. Jedoch wurde es irgendwann etwas weniger unangenehm, ins in farbig gekleidete Publikum zu lächeln.

Schliesslich hielten alle der weissen Kutschen an, in einem grossen Halbkreis vor einem riesigen Balkon. Wie jedes Jahr würde dort nun Präsident Snow eine kurze Rede halten. Uns begrüssen. Ich würde ihn das erste Mal Live vor mir sehen.

Doch als der 23. und 24. Tribut schliesslich auf ihrer Kutsche auch haltmachten, hörte man einen geschockten Ausruf des männlichen Tributes auf dem dritten Wagen.
Das kleine Mädchen, Cëdrice, war von der Kutsche gefallen. Schon bei der Ernte war sie mir schwächlich und unterernährt vorgekommen - und nun schien die Willkommensparade wohl wirklich zu viel für sie zu sein.

Einige erschrockene Schreie aus dem Publikum waren zu hören, als eine Gruppe Sanitäter über den Platz zur Kutsche gelaufen kam.
Sie halfen dem Mädchen hoch und ich sah, wie auch ihr Mittribut sie dann auf der Kutsche festhielt. Cëdrice hatte ganz müde Augen - und war kreidenbleich im Gesicht.
Ihr graues, schimmriges Kleid war zerknittert und verzehrt, ihre vorher schönen Fischgerätezöpfe waren zerzaust.

Aber die Sanitäter nahmen sie nicht mit. Sie musste die Rede des Präsidenten anhören.
Ich sah, wie die Tribute des ersten und zweiten Distriktes auf den Kutschen daneben, selbstgefällig nicht aufhören konnten, zu grinsen. Als hätten sie schon in diesem Moment ihr erstes Opfer gewählt.

Die Rede des Präsidenten hörte ich nicht sonderlich aufmerksam zu. Immer wieder schwang mein Blick zu dem kleinen Mädchen aus Distrikt 3. Zu dem Mädchen, welches in mindestens zwei Wochen tot sein würde.

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