33 ✴ Heilende Wunden

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"Meine Mutter hatte es mir beigebracht...",begann der Blonde nun mit heiserer Stimme und ich spürte, wie die Erinnerungen ihn verletzten. Ihn zerrissen - da er sie so lange nie mal zugelassen hatte. "Sie unterrichtete Biologie in der Schule unseres Distrikts. Sie war so schlau... so unfassbar weise. Als hätte sie für jede Situation eine Lösung...weisst du, wie ich meine?"
Ich nickte darauf mitfühlend und runzelte traurig die Stirn.

Eddie schluckte leer und sah mit wehmütigem Blick ins Leere.
"Sie hat mir so viel beigebracht. So...viel. Sie verstand mich und wusste, dass ich es nicht schaffte, mich mal mit den anderen Mitschülern anzufreunden. Sie akzeptierte es, und...sagte mir, es sei okay."

Leise seufzend legte ich meine Hand auf seine. Es war anders als bei Silija - hier herrschte kein Verlangen von erwiderter Liebe meinerseits. Keine Unsicherheit oder Angst.
Ich wollte ihm bloss zeigen, dass ich verstand. Dass er nun nicht alleine war - dass ich da war.

"Was ist mit ihr passiert?",flüsterte ich sanft, nachdem Eddie seine dünnen Finger um meine Hand gelegt hatte.
"Sie..." Seine Stimme brach - als wären die Worte wie Zement in ihm drinn angetrocknet. Viel zu lange hatte er nicht darüber geredet.

"Sie wurde von Friedenswächtern eines Abends geholt. Ich...lebte immer schon mit ihr alleine. Mein Vater war irgendein Friedenswächter gewesen, der seine Triebe an meiner Mutter ausgelassen hatte...er wurde damals öffentlich gefoltert und danach eingesperrt - wurde mir erzählt..."

Mein Herz pochte wie wild vor Aufregung - vor Schmerz, welchen ich so sehr mit Eddie in diesem Moment mitfühlte.

"Sie hätte gestohlen, hatte man mir gesagt, als dann auch sie geholt wurde. Ich war damals...vierzehn, glaub ich." Seine hellen Augen füllten sich mit Tränen. "Sie erlitt das gleiche Schicksal wie mein Vater. Sie...sie haben mich gezwungen... zu zuschauen..." Seine Stimme zitterte und stockte - ebenso ich schluchzte leise und legte meine andere Hand an seinen Arm. "Ich habe sie nie wieder gesehen...nie wieder."

Auch meine Augen füllten sich nun mit Tränen und ich setzte mich ganz leicht auf, ehe ich den Blonden an mich zog.
Er zitterte - aber unterdrückte seinen Schmerz in diesem Moment nicht mehr.
Er weinte zwar lautlos - und doch hörte ich jeden seiner lauten, verzweifelten Schreie die ganze Zeit in mir.

Und doch vermittelte mir sein Körper an meinem eine Sicherheit, welche ich das letzte Mal bei Colyn - und noch vorher bei Elio und Zach gespürt hatte.
Als wären unsere Seelen miteinander verbunden. Und könnten sich so Kraft spenden. Energie - und Zuneigung.
Man fühlte sich einfach sicher.

Das Leben in den Distrikten war grausam. Unmenschlich. Uns wurden Fehler von früheren Generationen angeschuldet, wofür wir nichts dafür konnten.
Erlitten traumatische Schicksale in unseren Familien - und wäre all dies nicht schon genug; Mussten Kinder wie wir auch noch in die Hungerspiele.
Es war alles unfair - alles.

Nach einer angenehmen Ewigkeit löste sich Eddie langsam aus der Umarmung und strich sich mit dem Handrücken über seine Augen.
Sanft strich ich ihm seine blonden, rebellischen Haare etwas aus dem Gesicht - worüber er kurz schmunzeln musste.

"Jetzt bist du drann, Fuchs."

Ich atmete tief durch und sah einen Moment ins Leere - Eddie sah mir dabei geduldig zu und legte nun selbst seine Hand auf meine.
Er merkte, dass es schwierig für mich war. Er fühlte es - verstand es.

Es gab immer diesen einen Moment, in welchem man der Angst zeigen musste, dass man sich traute.
Sie besiegten möchte - diesen Schritt gehen und dieses Risiko eingehen wollte.

Sobald man diesen einen Schritt - diese Treppenstufe - gemacht hatte, lief es dann wie von selbst.
Doch die Kraft, welche man erst einmal für den entscheidenen Schritt aufwenden musste - war grenzenlos. Kräfteraubend - und unfassbar schwierig.

"Ich...bin in Distrikt 4 aufgewachsen. Ich erinnere mich nur noch an Bruchstücke - das meiste wurde mir einfach erzählt. Meine Eltern besassen dort ein Fischerboot und konnten knapp sich, meinen Bruder und mich mit dem Fischgeld versorgen..." Ich spürte, wie eine Fassade von mir fiel - eine, welche mich bisher zu Boden gerissen hatte. Unbemerkt - versteckt.

"Eines Tages aber..." Ich verzog das Gesicht und spürte, wie meine Augen brannten.
Die Wahrheit.
Die Wahrheit musste her.
Keine Lügen mehr - keine Verbesserungen der Tatsachen, welche ich mir all die Jahre schöngeredet hatte.
Keine schönen Erzählungen mehr - nicht mehr.

Eddie legte seinen Arm um meine Schulter und legte stattdessen seine andere Hand um die Meine.
Ich schöpfte wieder mehr Energie.

"Meine Eltern waren an diesem Tag draussen gewesen - während stürmischen Wetter hatten sie auf See gefischt. Wir mussten, denn sonst hätten wir noch viel weniger Geld, welches wir für den Fang bekamen.
Aber der Gewittersturm zerstörte ihr Schiff. Ich sehe es noch vor mir, wie ich mit meinem Bruder am Ufer gestanden war und zuschauen musste, wie ein Blitz in das Segel des Schiffes einschlug - dort am Horizont."

Und tatsächlich sah ich es nun ebenso wieder vor mir. Als würde ich nicht an Eddie's Seite mehr sitzen - ich war wieder am Meeresufer von Distrikt 4.

Es war mir nun egal, ob das Kapitol erfuhr, dass ich Distrikt gewechselt hatte - es war mir egal.
Ich hatte eine solche Wut auf das Kapitol, dass ich einfach redete.
Ich war so unfassbar müde - aber nicht, dass Schlaf diese Müdigkeit hatte vermindern können.

"Ich erinnere mich, wie ich angefangen hatte zu schreien - mein Bruder hatte mich davor schützen wollen. Aber auch er war noch jung und war total geschockt gewesen. Hatte nicht gewusst, was er tun sollte."
Tränen begannen über meine Augen zu fliessen - wie die salzigen Wellen des Meeres.

"Ich hatte geschrien - ich hatte nach meinen Eltern geschrien. War bis zum Hals ins kalte, stürmische Wasser hinausgerannt und schluckte sogleich einiges an Meereswasser. Ich wollte nicht realisieren, dass..."
Ich schüttelte zittrig den Kopf und spürte, wie Eddie über meine Schulter strich.

"Dann kamen die Friedenswächter...",hauchte ich und spürte, wie nun der Teil kam, welcher ich so lange in mir drinn angekettet hatte.
"Haben zuerst meinen Bruder festgehalten, und wollten mich dann aus dem Wasser holen kommen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich fast ertrunken war - wollte aber die Hilfe des Friedenswächter nicht annehmen. Sie waren doch Schuld an alle dem. Und alles was ich wollte, war, zu meinen Eltern zu gehen."
Mein Atem zitterte immer wie mehr, während ich sprach.

"Als ich zum Horizont gesehen hatte und sah, wie unser Schiff am versinken war..." Ich schüttelte etwas den Kopf. "Bin ich ausgerastet. Hatte geschrien, den Friedenswächter geschlagen und gekratzt, während er mich grob ans Ufer zurückgezogen hatte...Mich ans Ufer regelrecht hingeworfen hatte. Einige Distriktbewohner waren dazu gekommen und haben die Friedenswächter angeschrien und beleidigt, da er so unfassbar grob zu mir war."

Einen Moment musste ich Luft holen - als hätte ich auch jetzt noch Salzwasser in meinen Lungen, welches ich wie damals zuerst hatte aushusten müssen.

"Ich hatte bloss etwas Silbriges gesehen - bevor ich mich weiterhin wie wild gegen den Friedenswächter gewehrt hatte. Wollte und konnte nicht verstehen, was gerade passiert war. Ich war noch so jung - verstand überhaupt nichts mehr und war überflutet. Es gab eine Rangelei mit den Distriktbewohnern und noch mehr Friedenswächtern. Und... das Messer des Typen der mich hielt - traf meine Wange..." Ich legte meine Finger sogleich an diese und strich über die angehöhte Narbe auf meiner Haut.

"Ich erinnere mich noch an die Wutschreie meines Bruders...er rastete ebenso aus, wie ich. Konnte nicht zusehen. Er war älter und schlug wie wild um sich - wodurch er sich zu mir kämpfen konnte. Ich erinnere mich an die warme Flüssigkeit, welche sogleich in Massen über meine Wange anfing, hinab zu tropfen. Dann verlor ich das Bewusstsein..." Ich spürte meine Tränen auf meinen Wangen, als wäre es das Blut damals.

"Noch nie hatte ich mich so zerstört gefühlt - wie auch? In diesem Alter... So schwach, so verletzt. Und immer wieder erinnere ich mich daran - und probiere es gleichzeitig die ganze Zeit wegzudrücken. Ich hatte damals monatelang nicht mehr geredet. Meine Tante und Onkel in Distrikt 7 hörten das erste Mal meine Stimme erst ein halbes Jahr, nachdem mein Bruder und ich zu ihnen gezogen waren.
Hatte zwar mit meinem Bruder darüber geredet - aber konnte es nie...mal...wirklich zulassen, weisst du, wie ich meine..?"

Ich atmete etwas auf.
Ich war wieder hier. Bei Eddie. In der Arena von den 72.Hungerspielen. Unter den letzten fünf Tributen.
Schluckte leer und rang sogleich abermals wieder nach frischer Luft.

Eddie lehnte sich noch näher an mich und wir legten uns beide zurück mit dem Rücken auf die Decken.

Das Mondlicht schien schon fast sanft in das Füllhorn hinein - auf uns beide hinab.
Auf uns zwei - verletzten Kinder. Zerrissenen Kinder. Traumatisierten Kinder. Verzweifelten Kinder.
Doch es war möglich, wieder zu heilen.
Die Narben würden niemals weggehen - mit diesen musste man lernen zu leben.
Aber irgendwann heilten die Wunden. Wenn auch nicht heute - oder in einer Woche.
Sie heilten.

"Danke, dass du es mir erzählt hast.",flüsterte Eddie leise und mit liebevoller Stimmlage.
"Ich danke dir auch.",antwortete ich ebenso flüsternd und ich spürte, wie seine Finger meine Wange berührten - und sanft eine Träne von meiner Narbe wegstrichen.

"Du und ich, Fuchs. Am Ende der Welt."

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