Alpha / Caja

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Ich betrat den Platz. Die Sonne stand weit oben am Himmel und blendete mich nicht, abgesehen von den Wolken, die versuchten, ihr gleich ihren Platz zu nehmen.

,,Schlechte Verlierer!", murmelte ich und setzte meine Sonnenbrille ab. Training war angesagt, keinen Platz für alles andere. Meine Tasche leerte sich wie automatisch; der Lautsprecher, mein Handy, die Ersatzbälle und der Schlüssel. Laute Musik, die mich anfeuerte, wirbelte sogleich über den Platz, ich wärmte mich auf und war bereit, alles zu geben. Es war mein perfektes Wochenende.

Ich schleuderte die Bälle mit meinem Schläger über das Gras. Mein Handy lief immernoch und filmte, während ich die nächste Stellung ausprobierte und überlegte, mit welcher ich meine Sportlehrerin schlagen könnte; ich hatte letztes Mal knapp verloren und hatte mir das Ziel gesetzt, sie vor Ende des Sommers nochmals herauszufordern. Außerdem könnte es eine gute Note werden, die meine schlechten Lernexpeditionen wieder ausgleichen könnte...

Nach links, nach rechts, andere Haltung, Koordinationsübungen und eine kleine Pause. Ich schüttete mein Mineralwasser in mich hinein und überprüfte mehrmals meinen Körper. Keine Teilverwandlung, keine Gefahr für mich. Ich fuhr mit meinen Händen über meine Schulter, meine Arme und dehnte mich ein bisschen, während ich mir immer wieder ins Gedächtnis rief: das hier ist wichtiger. Du kannst später noch deine Noten verbessern, lass es sein und gib dich deinen Reflexen hin. Die Hitze muss dir egal sein.

Kurzerhand nahm ich mir meine zweite Flasche und träufelte ihren Inhalt auf meine Arme und Beine. Ein angenehmes, zufriedenes Gefühl durchflutete mich und erinnerte mich daran, dass meine Tiergestalt nach mir rief. Gleich, aber noch nicht jetzt, ich habe keine Zeit!, schickte ich inmitten meines Gedankenstromes. Es musste weitergehen und so nahm ich den Schläger wieder auf, und pfefferte den nächsten Tennisball wie in Zeitlupe nach vorne. Optimaler Schuss, jetzt nochmal.

Stöhnend bemerkte ich, dass die Sonne tiefer am Himmel stand und ich meine Sonnenbrille wieder brauchen würde. Vielleicht war ich auch schon zu lange auf dem Platz. Was die anderen wohl gerade machten? Ich beschloss, es selbst herauszufinden und meine Tasche wieder zu packen. Meine Musik war derweil auf Indie-Pop umgestiegen, und ich vermerkte mir, dass ich eigentlich mal checken müsste, was ich mir in den letzten Stunden angehört hatte... Ich hatte es nicht bemerkt.

In erster Gestalt schleppte ich mich zum Strand der Schule, ich konnte ja nicht fliegen oder schneller rennen. Die Bucht war gut geschützt und von großen Hügeln und Dünen umringt, sodass wir nur durch das Schulgelände alles betreten konnten. Leider waren der Tennisplatz und die Bühne auf der anderen Seite, und normalerweise genoss ich es ja auch - aber wollte ich in meine Tiergestalt, war es sowieso immer unfassbar nervig, erst ans Meer zu müssen.

Natürlich war der Strand übervoll und ich sah die größeren Tiere auch im Wasser. Ein gewöhnlicher Schweinswal ließ sich in der Ostsee treiben, die Kormoran-Meergans-Clique trocknete ihre nassen Flügel und meine restlichen Mitschüler*innen lagen teilverwandelt am Wasser. Ich war viel zu spät dran! Blicke zerdrückten mich, ich verschloss meine Tasche und sprang dann ins Wasser. Die Klamotten waren schwer und das Wasser viel zu kalt, aber das war mir egal.

Ich hatte Kraft. Ich war groß. Ich war laut, ehrgeizig und ein verdammter Sturkopf. Meine Tiergestalt war etwas ungewöhnlich, aber ich hatte doch auch keine Erinnerungen mehr an meine Kindheit... die Menschenwelt war alles, was ich kannte.

Erst verwandelte ich meine Flossen, es ging immernoch am leichtesten. Ich bin damals oft von zuhause abgehauen, meine Wut und Energie hat sich dann irgendwann in Verwandlungen geäußert. Schuppen überall, eine riesige Schwanzflosse mit silbrig-weißen Glanz. Ich hatte mich damals für ein wütendes Fabelwesen gehalten und es dem Club der Fabeltiere nachgemacht: die konnten es schließlich auch und na ja, ich filmte mich oft dabei, wie sich meine untere Hälfte verwandelte.

Aber eigentlich sah meine volle Tiergestalt anders aus. Große, blaugraue Fischaugen, ein braunes Maul und stromlinienförmige Seitenflossen. Ein weißer Thunfisch, und eigentlich war es das komplette Gegenteil von mir. Ich hatte nie die Verbindung zum Meer, ich war Tennisspielerin und Strategin. Mein Körper passte sich meiner Tiergestalt an, ich arbeitete mit Sport dagegen.

Es war anstrengend, so zu schwimmen, ich war steif und wusste auch, dass diese Teilverwandlung so nur aufgrund meines Trainings ging. Trotzdem ließ ich mich im Wasser treiben, weiter raus, und tauchte nach unten. Meine Augen brannten nicht. Die kleinen Wasserpflanzen schoben sich zusammen immer hin und her, änderten zusammen die Richtung. Nur die Fische hatten Reißaus genommen, ich war schließlich das Raubtier, noch gefährlicher als ein Hai. Eigentlich sollte ich im Schwarm und komplett Thunfisch sein, aber ich konnte beides nicht. Es tat weh, sich einsam zu fühlen, es hatte sich nie etwas daran geändert. Und auch, wenn dieses Verlangen nach meiner tierischen Seite wirklich groß war, ich konnte es mir nicht erfüllen, solange mein Herz mich jedes Mal in Stücke riss.

Mein Shirt trieb wieder auf der Wasseroberfläche, als ich auftauchte. Ich schob es mit einem kräftigen Flossenschlag zum Strand und holte tief Luft, ich vermisste meine Kiemen.

Von oben nach unten verwandelte das Kribbeln alles zurück, während ich bis zum Ufer zurück kraulte. Schuppenfrei und mit nasser Überstreif-Hose verabschiedete ich mich wieder von den anderen, die mittlerweile auf ihren Handtüchern lagen und die milde Nachmittagssonne genossen. Die Wolken hatten also für heute gewonnen.

Abends zog ich mir noch neue Matches rein und feuerte die Spielerinnen an, ich genoss die Mischung aus Ruhe, Meeresrauschen und Sport. Irgendwie konnte ich davon nicht abschalten, ich hatte aber auch das Gefühl, dass ich sonst nie schlafen konnte. Ich brauchte Beschäftigung und Stimmen, die ich mir anhörte, solange mein Zimmer außer mir menschenleer war.

Am nächsten Morgen schob Evelyn eine neue Schülerin vor sich her. Ich würde sie auf achtzehn schätzen, sie war ziemlich knochig und wie üblich kleiner als ich. Und sie kamen auf mich zu...

,,Danke fürs Fahren, ich habe leider noch keinen Führerschein und hab dann auch noch vorhin meine Aquarellfarben vergessen... Ich bin ein bisschen verträumt, tut mir leid..."

,,Du musst dich nicht entschuldigen, Leonie. Ich hoffe, du hast hier eine bessere Zeit als auf den anderen Schulen, hier kannst du dich auch jederzeit verwandeln, wenn du willst!"
Unsere Schulleiterin nickte mir zu.

,,Ah nein, Sie haben das falsch verstanden... Ich verwandele mich oft unter Stress, aber nur, weil es meistens... einfach keine gute Situation ist."

,,Alles okay, ich kann auch gerne private Sitzungen machen. Schau mal, das ist Caja Sturm. Sie hat momentan noch ein Einzelzimmer, ist aber schon sehr lange hier. Sie kann dir ein bisschen helfen, und wenn du willst, kannst du bei ihr einziehen. Ich müsste jetzt wieder in mein Büro, bis später!"

Leonie und ich starrten uns an, ich realisierte, dass sie einige Jahre älter als ich war. Dementsprechend meinte ich ein bisschen unbeholfen: ,,Ja, ich bin Caja, das hat Evelyn ja schon gesagt-"

,,Du duzt sie?"

,,Lange Geschichte, ich habe früher mit meinen unbeholfenen Teilverwandlungen ziemliche Scheiße gebaut und sie hat mir geholfen, da rauszukommen. Ich bin ein weißer Thunfisch in zweiter Gestalt, ich bin die perfekte Meerjungfrau, das findet man als Zwölfjährige ganz toll... was ist deine Tiergestalt? Ich bin ganz schlecht im Raten."

Leonie schwieg betreten und starrte auf ihre Hände.

,,Oh, okay... du musst nicht. Anderes Thema: soll ich dir etwas über das Haus Alpha erzählen?"

,,Mach das..."

,,Wir haben hier ein paar Kurse, wo man sich extra einwählen kann. Es gibt Kunst für Anfänger*innen und Fortgeschrittene, eine Schulband und ein paar Möglichkeiten, neue Instrumente zu lernen. Ich kenn mich da nicht aus, aber vielleicht wäre das was für dich, du hattest ja vorhin deine Farben erwähnt."

,,Stimmt, das klingt extrem gut, ich mag Malen recht gerne... Vor allem mit Wasserfarben. Ich hatte es vor ein paar Jahren für mich entdeckt, und es ist wirklich toll. Musik kann ich gar nicht, ich bin da total talentfrei!"

,,Ich habe es ehrlich gesagt noch nie probiert", antwortete ich nachdenklich, ,,ich bin hier eher in den Sportkursen. Ich möchte später Tennisprofi werden oder es zumindest beibehalten. In diesem Haus geht's halt vor allem um unsere menschliche Seite, hierher kommen auch viele, die als Tier aufgewachsen sind und nebenbei haben wir auch viele Salzwassergestalten. Unsere Band hat hier auch immer mal große Konzerte, das letzte war allerdings letzte Woche, du hast es knapp verpasst.

Allerdings ist heute auch wieder eine Nachtwanderung, da kannst du gerne mitkommen - die Landtiere verwandeln sich da meistens, und wir suchen dann auch neue Wandler. Hier sind sehr viele Touristen und Gäste auf Fehmarn, oft erwischen wir Wandler, die ihre Tiergestalt noch nicht kennen oder sie geheim halten. Haus Beta macht da etwas ähnliches, die machen Kochkurse und Workshops, allerdings trainieren die unglaublich viel Teilverwandlungen. Wäre eher nichts für mich, beim letzten Austausch waren sie aber alle sehr nett, viele sind auch jünger als ich..."

Oh fuck, das war nicht gut, hatte ich zu viel geredet? Was würde sie antworten?

Sie lächelte und kniff dabei die Augen zusammen.

,,Ich heiße übrigens Leonie, ich bin 17, aber bald habe ich sowieso Geburtstag. Darf ich fragen, wie alt du bist? Und bei der Nachtwanderung würde ich gerne mitmachen, ich bin nachtaktiv und müsste mal wieder mein Wandler-Gespür trainieren!"

Das war etwas peinlich.

,,Ähm, ich bin 15. Lass dich nicht von meinem Aussehen täuschen, ich bin schon fast ausgewachsen, mein tierischer Anteil ist sehr groß. Ich weiß auch nie, wie ich damit umgehen soll. Weißt du was? Ich zeige dir erstmal mein Zimmer, und helfe dir mit deinen Koffern. Wir sind sowieso im Erdgeschoss, mir macht das nichts aus, etwas mehr zu tragen. Warte auf mich, ich bring nur noch mein Geschirr weg!"

Ich rannte los, schob meine Teller zur Küchenabteilung und bedankte mich bei der Wechselkröten-Wandlerin, die gleichzeitig unsere Hausmeisterin war.

Doch, als ich mich umdrehte, war Leonie bereits schon verschwunden. Scheiße, ich hatte sie doch verschreckt! Oder sie hatte sich verwandelt... sollte ich nachsehen? Nein, sie wollte ja nicht, dass ich es erfahre... Ich sollte es respektieren. Ruckartig schnappte ich mir ihren Koffer und bemerkte, wie leicht er war - lag das nur an mir oder daran, dass er nur halbvoll war?

Ich teilverwandelte meine Haut und sendete ein ,,Hey Leonie, ich hab deine Koffer in einen Raum neben der Cafeteria gestellt. Hol sie dir nachher einfach ab, ich hoffe, es geht dir gut... bis später dann, notfalls kannst du einfach unsere Hausmeisterin fragen."

Von Leonie war immernoch keine Spur, allerdings hatte ich Evelyn auch nicht mehr gesehen... Es kam mir komisch vor, also hinterließ ich nur einen Zettel in ihrem Büro, was man nur in Tiergestalt erreichen konnte. Genau genommen war es ein großes Brackwasserbecken, was man entweder über das Dach als fliegendes Tier oder Schüler*in des Obergeschosses erreichen konnte, oder durch ein kleines Schwimmbad, wo man hindurchtauchen musste. Vielleicht wollte sie sicherstellen, dass man nur mit absoluter Dringlichkeit hierher kam. Ich wählte den zweiten Weg und teilverwandelte meine Kiemen, weil ich in erster Gestalt kleiner war. Meine Strahlenflossen hätten es vermutlich nur knapp durch den Eingangsbereich geschafft.

Vor der Nachtwanderung besuchte ich die WG unserer Schule, in der Hoffnung, dass sie mich etwas ablenken konnten. Ich wusste noch ganz genau, warum die drei eins der besonderen Zimmer hatten - ein großes Fenster ließ sich leicht öffnen, eine Verbindung zum Schwimmbad war direkt nebenan im Bad und, was mir am meisten gefiel, eine Chill-Ecke mit Infrarotlampe. Die drei hatten sich dazu entschlossen, jeden Bereich anders zu gestalten.

Emilia kam aus Hamburg, war in zweiter Gestalt ein gewöhnlicher Schweinswal und liebte ihre zweite Gestalt. Sie nutzte sie, so gut sie konnte und ich hatte schon oft gesehen, wie sie tropfend nass durch die Schule lief. Sie hatte wasserfeste Klamotten und Möbel besorgt, sie hatte genug Geld und schwamm auch ab und zu wieder zurück. Auf ihrem dunkelblauen Bett lagen heute mehrere neue Ohrringe und ein Tierlexikon, für alle Fälle.

Romy war als Distelfalter-Wandlerin mehr als sportlich, trotz ihrer grazilen Gestalt war sie schon mehrfach einen Marathon gelaufen. Sie war zwar als Tier in Gibraltar aufgewachsen, aber sie hatte auf ihrer Wanderung in unserer Schule Halt gemacht; viele bewunderten sie für ihr starkes Gespür. Ihr Hochbett stand am Fenster, und wenn sie mal nicht am Strand war, flog sie sehr viel und trainierte. Die Wand in ihrer Ecke war lavendelfarben angestrichen, ebenso sammelten sich die Kräuter und Blumen, die sie von der Decke hängen ließ.

Bei Isabella, aka Waldeidechsen-Wandlerin, sah es ganz anders aus. Nachdem wir sie in ihrem Urlaub aufgegabelt hatten, nahm sie nach und nach all ihre Bücher mit und erweiterte ihre Sammlung zu einer kleinen Privatbibliothek. Dazwischen standen die erwähnten Lampen, viele Decken und ein paar Pflanzen von Romy. Isa verwaltete auch den Kühlschrank und sammelte dort Hafermilch und Kakaopulver an. Ihre Tiergestalt war dafür bekannt, durch Sonnenlicht so viel Wärme zu speichern, sodass sie auch innerhalb des Polarkreises lebten. Daher teilverwandelte sie sich beim Lesen gerne.

Als ich das Zimmer betrat, sah ich sofort Emilia, die auf ihrem Bett lag und die Augen geschlossen hatte, es war viel zu schlechtes Wetter. Isabella lag in ihrer Leseecke, hatte einen teilverwandelten braunen Schwanz und blickte nur unmerklich hoch, während ich alle mit ,,Hi!" begrüßte.

Auf den zweiten Blick entdeckte ich auch Romy in der Lavendelpflanze, und winkte ihr zu. ,,Warte kurz, ich bin gleich da...", murmelte sie und flog ins Bad. ,,Was gibt's?", fragte Emilia, und rührte sich kein Stück.

,,Ich wollte nur fragen, was ihr gerade so macht und ob ihr nachher bei der Nachtwanderung dabei seid."

Ich zögerte.

,,Gibt's etwas Neues?", meinte ich schließlich und wartete.

Ich gehörte zwar ab und zu dazu, aber das fünfte Rad am Wagen ließ sich zu leicht abnehmen. Ich konnte weder mit Romy fliegen, noch mochte ich dieselben Bücher wie Isabella; und obwohl mich Emilia schon zum gemeinsamen Schwimmen in Tiergestalt ermutigt hatte, ging es irgendwie nicht. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, wenn ich mit ihnen sprach und oft einfach keine Antwort bekam. Sie waren aber auch die einzigen hier, die dazu bereit waren und ihre Räumlichkeiten für mich öffneten, also nahm ich das Angebot dankend an.

Aus dem Bad rief dann Romy: ,,Ich hab meine Pflanzen nochmal gegossen und eine neue aufgehängt, es hat ewig gedauert, bis Emmy es gesehen hat. Stimmt's, Emilia?"

Die Schweinswal-Wandlerin atmete schwer aus und meinte nur: ,,Schön für dich, ich hab vorhin nur geschlafen und vom Schwimmen geträumt."

Romy hatte sich ein Kleid übergeworfen und ging schließlich zu Isabella, tippte sie mehrmals an und ich bemerkte dann auch, warum. Isa hatte ihre Kopfhörer hinter ihren Haaren versteckt und hatte uns vermutlich überhaupt nicht gehört.

,,Was ist? Hey Caja, aber ich war gerade beim vorletzten Kapitel... ihr hättet noch warten können!"

Ihr Schwanz zog sich zurück und sie stand auf.

,,Nachtwanderung? Ja oder Ja?", scherzte ich.

,,Meinetwegen, das geht noch. Ich werde sie am besten in Tiergestalt verbringen, ich hab sonst keine Energie mehr dafür. Emilia, du kommst auch mit, du kannst auch nicht den ganzen Tag schlafen..."

Wir redeten noch ein bisschen, ich saß mit Romy auf ihrem Bett und wir unterhielten uns über den neuen Stundenplan. Ich erklärte nochmal meine neue Strategie für das anstehende Spiel, sie erzählte von ihren Fortschritten im Marathon. Nur von Leonie erzählte ich ihr nicht, außer mir hatte noch niemand die neue Schülerin gesehen.

Zwischendurch holte ich nochmal Wasser aus meinem Zimmer und packte meinen Rucksack, wir aßen gemeinsam in der Cafeteria und sammelten uns dann am Strand. Zu meiner Überraschung kam dann auch Leonie dazu, die sich noch entschuldigte, fünf Minuten zu spät zu sein.

Ich wollte noch schnell zu ihr gehen, wurde dann aber von Emilia zurückgehalten, die Marderkot gefunden hatte. Igitt! Danach war meine Gelegenheit vorbei, die Gruppe lief schon ohne mich los. Wunderbar.

Wir fuhren mit dem Zug aufs Festland, und waren dann abends in Heiligenhafen angekommen. Hier war alles voll mit Tourist*innen und gleichzeitig auch mit Tieren, direkt vor der Stadt war ein Naturschutzgebiet. Dort waren wir auch oft in Tiergestalt, es war ein Paradies und auch eine Übung für Tiersprachen. Definitiv nicht mein Talent.

Evelyn winkte mir zu, ich stand schon wieder verloren herum. Schnell ging ich zu ihr und meinte: ,,Entschuldigung, ich war zu sehr auf Gedankensprache und das Wandlerkribbeln konzentriert, aber hier ist nichts..."

,,Nicht schlimm, ich bin da auch noch nicht so geübt drin. Dafür hab ich ja euch, ihr seid wunderbar. Vielleicht gehst du mal zu den dreien dahinten? Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ihr heute zusammen wandern wollt."

Evelyn zwinkerte.

,,Schon, aber..."

,,Nun geh schon, ich bin fünfzehn Jahre zu alt für dich. Ich drück dir meine Tentakel, dass alles gut wird. Vertrau einfach deinem Bauchgefühl."

Mit dem unsicheren Gefühl von ,,Sie sind eh ohne mich gegangen", kehrte ich zu der Gruppe zurück.

Wir redeten noch viel, Isa hatte sich wie versprochen verwandelt und wirkte deutlich wacher.

Plötzlich kam Leonie zu uns und lächelte ein wenig.

,,Hey, ich bin Leonie, ich ziehe jetzt bei Caja ein... Ich hoffe, das ist okay. Ich wollte es nur mal sagen. Wenn ihr mich nicht braucht, ich würde wieder nach hinten gehen, ich hab kein Gefühl für Wandlerdinge -"

,,Bleib doch hier! Ich würde mich wirklich freuen, vielleicht kannst du mit uns laufen... links neben mir ist Emilia, das ist Romy und auf ihrer Schulter sitzt Isabella. Vielleicht können wir die Nacht noch ein bisschen besser machen!"

Wir fünf erkundeten noch den Ort, waren bald aber wieder auf dem Rückweg. Alle verstanden sich gut, und Leonie war zwar schüchtern, doch ein Verbindungsglied, und sie wusste unglaublich viel über Farben und Kunst, sie erzählte auch viel über Gedichte, und ließ sich dann schließlich überreden, etwas vorzulesen.

,,Ich werde fliegen.
Auch, wenn ich jetzt noch am Boden liege.
Schmerzen habe.
Meine Flügel gebrochen sind.

Ich werde fliegen.
Zu meiner Freiheit.
Zu meinen Träumen.
Weg vom Boden, so hart wie Beton.

Und alles zuvor wird Vergangenheit sein."

Die junge Frau schluckte, nachdem sie es vorgelesen hatte. Dieser Text musste sehr wichtig für sie sein.

,,Es ist wunderschön!", meinte Isa und blickte sie mit ihren dunklen Eidechsenaugen an.

Ich ergänzte: ,,Ich lese ja normalerweise nicht, aber das..."

Emilia platzte dann aber mit der Sache heraus, die uns allen ins Gesicht geschrieben stand:

,,Sorry, aber hängt das mit deiner Tiergestalt zusammen? Kannst du fliegen?"

Sie schüttelte den Kopf und wurde wieder ganz still.

,,Ich kann immernoch nicht fliegen...", flüsterte sie und wir wussten, dass damit noch etwas anderes gemacht war.

Betreten gingen wir weiter, Romy versuchte noch zwischendurch, das Thema auf Nachtblumen umzulenken, aber es funktionierte mal wieder nicht. Bald setzte ich mich mit Leonie ab, wir waren die letzten auf dem Weg zum Bahnhof.

Als wir dann dort angekommen waren, setzten wir uns auf eine versteckte Bank und ich spürte ganz genau, dass da noch ein riesiger Kloß war. Dass ich sie damit nicht alleine lassen konnte. Ich musste fragen!

,,Wie geht's dir gerade, was beschäftigt dich? Ich weiß, ich bin vielleicht nicht die sensibelste Gesprächpartnerin, aber wenn etwas ist, bitte sag es... Vielleicht kann ich dir helfen."

,,Mir geht's genau genommen ziemlich beschissen. Mein Leben ist eine komplette Katastrophe..."

,,Was ist passiert?"

,,Meine Familie ist einfach total kaputt. Am Anfang haben sie sich ja noch Mühe gegeben, aber jetzt... Meine Mutter hat sich von meinem Vater getrennt, weil er angefangen hat, wegen dem Geld nicht mehr nach Hause zu kommen. Meistens hat er sich verwandelt und lieber im Sand geschlafen als hier... oft ist der Strom ausgefallen, manchmal gab es auch einfach keine neuen gespendeten Klamotten. Es war unfassbar schwer, etwas zu erreichen, weil wir sonst niemanden hatten.

Ich habe meine Großmutter sehr früh verloren, und die anderen Verwandten waren auch nicht mehr da, weil sie Tiere oder selbst Menschen in schwierigen Situationen waren. Natürlich habe ich versucht, das zu überspielen, aber in der Schule ging es weiter. Egal, wo ich war - und dann auch noch meine Tiergestalt, die meiner Großmutter. Der Grund, warum sie verstorben ist und ein noch größeres Problem für mich. Ich bin so fertig und ich hoffe, dass ich hier durch das Stipendium neu ankommen kann..."

Ihre Stimme versagte und Tränen rannten ihr Gesicht hinunter.

,,Weißt du, was man bei uns sagt? Wir sind ein Schwarm und wir gehen durch alle Gezeiten, die uns entgegen stehen. Ich kann vielleicht deine Familie und Vergangenheit nicht ersetzen, aber ich kann deine Freundin sein. Leonie, darf ich dich umarmen? Deine Tiergestalt gehört zwar zu dir, aber ich muss sie nicht wissen. Es tut mir aufrichtig leid und ich wünsche dir wirklich alles, alles Gute und will dich auch unterstützen hier. Wir kriegen das hin, okay?"

,,Du darfst, danke..."

Die Stimme meiner neuen Zimmernachbarin brach und ich umarmte sie. Meine Tränen liefen auch, und ich fragte mich, warum sie das all die Zeit nie getan hatten.

,,Danke, dass du da bist."

Ich hatte keine Ahnung von der Zukunft. Ich wusste nicht, wie oft ich noch gegen meine Lehrerin verlieren würde; wie oft ich mich nicht verwandeln würde und wie einsam ich mich fühlen würde.

Aber das, das... das war keine Disziplin mehr, sondern ein Fünkchen Hoffnung.

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