Tod und Verlust

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Joshs Sicht:

Ich wusste, dass der Tag bald kommen würde, an dem Selinas Dad seinen letzten Atemzug nehmen würde.

Doch nichts auf dieser Welt konnte Selina darauf vorbereiten, als der Anruf kam, in dem Melinda ihr mitteilte, dass er gestorben war. Es half auch nicht, dass er friedlich für immer eingeschlafen war.

Für Selina brach an diesem Tag eine Welt zusammen, die ich nicht wieder heil machen konnte. Sie verschanzte sich in ihr Zimmer und wollte mit niemandem reden.

Und ich gab ihr diesen Freiraum, weil diesen gerade einfach brauchte, um die Situation entsprechend verarbeiten zu können. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, was ich überhaupt zu ihr sagen sollte, weil Worte niemals ausreichen würden.

Eva machte sich unglaubliche Sorgen um ihre Tochter, doch ich redete auf sie ein, dass sie gerade Zeit für sich brauchte. Und obwohl es mir das Herz brach, sie mit verheulten Augen am Fenster sitzen zu sehen, ließ ich sie.

Es war ihre Art, darüber zu trauern, dass ihr ein sehr wichtiger Mensch für immer weggenommen worden war. Es war klar, dass dieser Tag sie verändern würde.

Sie war nicht mehr dieses unbeschwerte Mädchen vor einigen Wochen. Trotzdem mochte ich auch diese Selina, weil es ebenfalls sie war.

Irgendwann am Nachmittag jedoch konnte ich mir das Ganze nicht mehr mitansehen. Ich rief ihre besten Freundin Ashley an, weil ich mir sicher war, dass Selina diese mehr als dringend gerade brauchte.

Sie blieb bei ihr und hielt sie solange im Arm, bis Selina wieder allmählich sie selbst war. Auch Selinas andere Freundinnen kamen und brachten sogar eine Urne für sie Asche mit. Selbst Bianca war dabei und es war vollkommen okay, weil es hier um Selina ging.

Und als wir gemeinsam festgelegten, wie wir die Urne bemalen sollte, war mir direkt klar, welchen Satz ich auf diese schreiben wollte. Ich entschied mich für ,,Manchmal ist es besser das, was man am meisten liebt, gehen zu lassen'' weil es genau das beschrieb, was Selina tun musste. Sie musste einen geliebten Menschen gehen lassen, weil es nicht anders ging.

Ihr Vater würde nicht mehr zurück kommen und sie musste ihn in den Himmel ziehen lassen, falls es überhaupt einen gab.

Irgendwie wünschte ich mir genau das. Der Gedanke, dass man sich irgendwann wiedersehen würde und das Leben mit dem Tod nicht zu Ende war, gab Halt.

Ich fand den blutroten Sonnenuntergang, den Riley gemalt hatte, und den Satz ,,Sonnenuntergänge sind das schönste Naturschauspiel. Reise und beobachte sie jeden Abend von einem anderen Erdteil der Welt und du wirst erkennen, dass sie dir jedes Mal aufs Neue einzigartig erscheinen werden'', welchen Selina hinschrieb, mehr als passend für Grayson Levent.

Er hätte ganz bestimmt auch Gefallen an der liebevoll hergerichteten Urne gefunden. Ich wünschte mir für ihn, dass er nun an einen Ort war, wo er keine Schmerzen mehr spüren musste. Er hatte hier auf der Erde seine Aufgabe erfüllt und durfte seinen letzten Frieden finden.

Wir verabschiedeten uns von ihm, indem wir ein paar Kerzen im Garten anzündeten und eine Schweigeminute für ihn einlegten. Mir wurde wieder erneut bewusst, was für ein starker Mensch Selina war.

Ich wusste nicht, ob ich die gleiche Kraft wie sie gehabt hätte, wenn ich so etwas durchmachen müsste.

Sie kämpfte gegen die bevorstehenden Welle der Trauer, die ihr erst noch bevorstand und dennoch stand sie auf beiden Beinen und brach nicht zusammen.

***

Die große Welle der Trauer kam erst mit dem Tag der Beerdigung. Selina, ihre Mutter, Melinda, ihre Töchter und ich saßen in der ersten Reihe und durften zuhören, wie ein Pfarrer, der Grayson so gut wie gar nicht gekannt hatte, über ihn sprach.

So eine Veranstaltung war offensichtlich für die Angehören des Verstorbenen gedacht, damit es ihnen besser ging, aber ich sah es Selina überdeutlich an, dass das nicht bei ihr der Fall war.

Sie saß da mit diesem eingefroren Gesichtsausdruck und wirkte nicht so, als würde sie dem Pfarrer nur mit halbem Ohr zuhören. Ich konnte es ihr nicht mal verübeln.

Wem brachte es war, wenn jemand über eine Person sprach, die er kaum gekannt hatte?

Wieso mussten alle schwarz angezogen und selbst Leute anwesend sein, die mit Grayson rein gar nichts zu tun gehabt und nur flüchtig gekannt hatten?

Das sollte tatsächlich den trauernden Angehörigen helfen?

Sollte es nicht darum gehen, das Leben des Verstorbenen auf ehrenvolle Weise zu gedenken?

Ich fand es noch fiel schlimmer mitanzusehen, wie Selina teilnahmslos am Grab ihres Vater stand und etwas Erde mit der Schaufel reinwarf.

Sie weinte noch nicht einmal und machte mir noch viel mehr Sorgen. Ich hätte mir irgendeine Reaktion von ihr erhofft, doch sie kam nicht. Und das zeigte mir, dass sie ihre eigenen Gefühle unterdrückte.

Die Trauer musste sie bereits erreicht haben und sie gab ihr keinen Platz. Die Tage darauf wurde es nicht besser. Selina ging zur Schule, antwortete, wenn man sie etwas fragte, und war kam einem gleichzeitig so leblos vor.

Es wäre sie ein Roboter, der irgendwie funktionierte und seine Pflichten tat. Ich rechnete mit jedem noch so großen Gefühlsausbruch, der nicht kam.

***

,,Dir geht es nicht gut'', bemerkte ich, als ich sie ein paar Tage nach der Beerdigung danach erwischte, wie sie heimlich um 1 Uhr nachts Kuchen backte. 

,,Natürlich geht es mir gut. Wäre ich sonst auf der Beerdigung gewesen?'', probierte Selina es runterzupielen und ich sah ihr schon an der Nasenspitze an, dass sie mich in diesem Moment anlog.

,,Wenn es dir gut gehen würde, würdest du nicht um 1 Uhr nachts Kuchen backen'', widersprach ich ihr.

Hör doch endlich auf, mir etwas vorzumachen. Sei doch ehrlich und sag mir, was dir durch den Kopf geht. Bitte rede mit mir über deine Gefühle!

,,Wäre es dir lieber, wenn ich heulend die ganze Nacht im Bett liegen würde? Wenn ich dazu in der Lage bin, leckeren Kuchen zu backen, dann kann es mir doch nicht schlecht gehen. Also spar dir dein ,,es geht dir nicht gut''. Mir geht es nämlich absolut blendend'', log sie die wohl lächerlichste Lüge der Welt.

,,Wenn ich ehrlich bin ja. Mir wäre es lieber, dass du heulend im Bett liegen würdest, als mitten in der Nacht damit beschäftigst bist, einen Kuchen zu backen. Du hast seit dem Tag, an dem er gestorben ist, kein einziges Mal geweint. Du verdrängst deine Gefühle, Püppchen. Das ist sowas von nicht gesund.''

Verstand sie denn nicht, dass es ihr selbst nicht gut tun würde, alles in sich hineinzufressen und nicht darüber zu reden?

Dass es in Ordnung war, zusammenzubrechen, weil sie einen Menschen verloren hatte, der ihr unglaublich viel bedeutet hat.

,,Das tue ich nicht. Wieso wird von einem erwarten jedes Mal, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, ein heulendes Elend zu sein?''

,,Niemand erwartet von jemanden, der eine wichtige Person verloren hat, ein heulendes Elend zu sein. Wut, Frust, Verzweiflung sind genauso denkbar und verständlich. Du aber wirkst emotionslos. Wie ein Roboter'', hielt ich ihr vor und traf damit ungewollt ins Schwarze.

Das Wort ,,Roboter'' schien etwas in Selina zu bewirken, dass sie sah mich sehr wütend und verletzt an.

,,Falls du es nicht bemerk haben sollte: Ich bin ein Mensch und kein Roboter.''

,,Ich habe nicht gesagt, dass du ein Roboter bist. Ich habe gesagt, dass dein Verhalten einem Roboter ähnelt. Das ist ein großer Unterschied'', gab ich ruhig von mir.

,,Mein Verhalten ähnelt nicht einem Roboter!''

,,Wie du gerade auf meine Worte reagierst, gefällt mir schon viel besser. Was geht dir durch den Kopf, wenn ich zu dir sage, dass du dich wie ein Roboter verhältst?'', forderte ich sie auf mir zu erklären, weil ich wollte, dass sie endlich sprach.

,,Das deine Aussage, ich würde mich wie ein Roboter verhalten, nicht stimmt.''

,,Wie fandest du die Beerdigung? Fandest du sie angemessen?''

Okay, diese Frage hätte ich mir auch ersparen können. Selina schien sie eindeutig nicht geholfen zu haben ...

,,Du benimmst dich schon wie einer dieser Seelenklempner, zu denen man die Leute schickt, nach dem ,,à la mach mich mal wieder glücklich Rezept". Was kommt als nächstes? Was fühlst du, wenn du an deinen Vater denkst? Was für eine Erinnerung hast du dabei? Was für ein Mensch war er? Du kennst doch die Antwort schon: Er war ein Mensch, der dachte, dass es besser war, das was man meisten liebt, gehen zu lassen. Es gibt nicht die eine Formel, die einem die Trauer aus dem Herzen nimmt. Manche offenen Wunden kann man nicht einfach mit einem beschissenen Trostpflaster verarzten in der Hoffnung, dass sie eines Tages heilen. Denn es gibt Wunden, die nie mehr heilen werden.''

Ich war froh, dass sie es aussprach. Es zeigte mir, dass hinter dieser Maske immer noch die Selina befand, die gerade einfach nicht wusste, wie sie damit klarkommen sollte, dass es ihren Vater nicht mehr gab.

,,Aber wie soll sie jemals die Chance haben, zu heilen, wenn du dich nicht dem Trauerprozess stellst? Indem du die Konfrontation vermeidest, machst du das Ganze noch viel schlimmer.''

Niemand sonst schien sie darauf aufmerksam zu machen. Dann musste ich das wenigstens tun. Ich war schließlich immer noch ein guter Freund von ihr, dem sie sehr wichtig war.

,,Reden würde das Ganze nicht ungeschehen machen'', entgegnete sie stur.

,,Nein würde es nicht. Aber es würde dir helfen seinen Tod zu verarbeiten'', erwiderte ich und setzte mich auf die Tischplatte.

,,An dem Tag als er gegangen ist, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich bin ganz früh schon wach gewesen, weil wir an diesen Tag eigentlich einen Ausflug um die Küste geplant hatten. Ich habe die Tür des Schlafzimmers meiner Eltern aufgerissen und ,,Guten Morgen'' gerufen. Meine Mutter hat nur gegrummelt, dass sie noch etwas schlafen will. Die Bettseite von meinen Dad war leer. Ich dachte er sei im Badezimmer, also habe ich mich vor die Tür gestellt, doch kein Rauschen von Wasser war hören. In der Küche war er auch nicht. Seine ganzen Schuhe waren weg. Keine einzige Jacke von ihm hing noch in der Garderobe. Seine ganze Kleidung aus dem Kleiderschrank war verschwunden. Es war, als hätte er niemals existiert. Als hätte er nie in diesem Haus gelebt. Und nun ist er tot. Ich werde niemals mehr ein Wort ihm wechseln oder besuchen können. Er ist für immer weg.''

Und ab da konnte ich Selina gar nicht mehr vom Reden abwarten. Sie erzählte mir alles. Davon, wie ihr Vater ihr das Fahrradfahren beigebracht hatte.

Wie die beiden zusammen auf den Rumelplatz gegangen waren und sie Angst gehabt hatte, mit dem Karussell zu fahren, da sie befürchtet hatte, dass er sie verlieren könnte.

Wie sich mit ihrem Dad den Sonnenuntergang angesehen und gefragt hatte, was nach dem Tod mit einem passiert und ob es einen Gott gab.

Wir aßen ihren Kuchen und sie schüttete mir ihr Herz aus. Und erst nach diesem Abend hatte ich das Gefühl, dass sie sich mit dem Verlust auseinandersetzte.

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