15. Kapitel - Avalaine

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"Sie Kleines.... Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.", natürlich wusste sie genau, was sie sagen sollte. Und dann sagte sie genau das Gegenteil. Kein nettes Alles in Ordnung, kein Problem es ist doch nichts passiert

Nein. Rosemary holte tief Luft, streckte den Zeigefinger aus und fing an zu schimpfen.

"Das ist alles ihre Schuld. Was? Jetzt schauen sie nicht, wie ein ersoffener Hund. Sie haben das Bild kaputt gemacht, nicht ich. Auch nicht Avalaine. Nur sie. Fühlen sie sich jetzt gut? Hm? Antworten sie mir gefälligst." Stille."jetzt reicht es mir aber! Sie sind gefeuert. Sie und der Rest dieser unfähigen Umzugsmenschen." Es schien sie nicht zu kümmern, dass Ava fast im Erdboden versank vor Fremdscham oder dass das Bild, das der arme Mann aus Versehen zerstört hatte, extrem hässlich war. Sie war eigentlich sogar sehr froh, dass sie es endlich entsorgen konnte. 

Zu ihrer Überraschung reagierte der Mann vom Umzugsservice aber mit einer totalen Gelassenheit. Er nickte einfach zustimmend, machte sich dann aber wieder daran, den alten Küchenschrank auf den Lastwagen zu laden. Ava konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie das verblüffte Gesicht ihrer Großmutter sah. Sie war es definitiv nicht gewohnt, so ignoriert zu werden. 

Ava drehte sich schmunzelnd um und ging wieder ins Haus. Langsam, fast genüsslich stieg sie die Treppen bis in den dritten Stock hinauf. Sie wusste genau, dass es das letzte mal für eine lange Zeit sein würde. Wenn nicht für Immer. Oben angekommen passierte sie die Eingangstür und fand sich im Flur wieder. 

Die Wohnung sah so leer sehr komisch aus. Keine Kartons mehr, die überall herumstanden. Keine Bilder, die die Wände zierten, nicht mal mehr ein Stuhl stand in der Küche. Und sie war alleine. 

"Danke, für alles", flüsterte Ava leise, auch wenn sie sich dabei albern fühlte. Sie hatte in diesem Haus einen Großteil ihres bisherigen Lebens verbracht. Hier hatte sie ihre erste eins bekommen oder ihr erstes Omelette gebraten. Hier hatte sie viele schöne Augenblicke mit ihrer Mutter teilen dürfen. Mit einer Hand strich sie über die Wände. 

Sie atmete noch ein letztes Mal den vertrauten Geruch der Wohnung ein und ging dann durch die Eingangstür ins Treppenhaus und schloss die Tür hinter sich. Nachdem sie sie abgeschlossen hatte, machte sie sich auf den Weg die Treppen wieder nach unten, um im ersten Stock an die Haustür zu klopfen. Sie war mit der im dritten Stock identisch. 

Lange musste sie nicht warten, bis sie von Mr. Button geöffnet wurde. Der alte Mann lief vom Alter gezeichnet gebückt und seine Haut hing schrumpelig an seinen Knochen herunter, sodass man den Eindruck hatte, er bestände nur daraus. Keiner wusste richtig, wie alt er war, doch die Frau, die über ihm wohnte äußerte Ava gegenüber den Verdacht, er sei unsterblich. 

Der Greis brachte ein schiefes Lächeln auf und entblößte dabei eine Reihe von gelben, schiefen Zähnen. "Ja? Ach, Sie sind es. Miss Bricks. Wie geht es denn so?", er griff beim Reden hinter die Tür und holte eine Brille hervor, die er anschließend auf seiner Nase platzierte. 

"Ach, tut mir leid. Ich bin ja so vergesslich. Schrecklich was mit Ihrer Mutter passiert ist. Die Arme.", sein Gesicht wurde mitfühlend.

"Ich wollte ihnen nur schnell den Schlüssel geben und mich verabschieden, bevor wir losfahren."

"Ach, das ist ja nett.", eigentlich nicht. Es war notwendig. Aber Ava nickte nur langsam. Es herrschte für eine kurze Zeit Stille.

"Naja... Auf jeden Fall wollte ich mich für Ihre Dienste als Hausmeister bedanken. Sie haben uns sehr geholfen.", das war eine sehr steife und gequetschte Aussage, fand Avalaine, doch sie fühlte sich verpflichtet, wenigstens irgendwas zu sagen.

"Ach, immer die süße, kleine Miss Bricks. Das habe ich doch gern getan." Ava fand, dass dieses Gespräch immer unangenehmer wurde, weswegen sie Mr. Button einfach schnell den Schlüssel in die Hände drückte und den Rückzug antreten wollte.

"Haben Sie die Feder erhalten?" ,sie blieb wie angewurzelt stehen. Die Feder. Die hatte sie ganz vergessen in der ganzen Aufregung. Langsam drehte sie sich wieder zu ihm um.

"Ich habe sie bekommen. Danke. Rose hat gesagt, Sie hätten sie bei- bei meiner Mutter gefunden?"

"Das ist richtig. Ich dachte mir, dass es besser wäre, wenn das Geschmiere Oben weg wäre, bis sie kommen und deswegen habe ich sauber gemacht. Und da lag diese Feder. Aber ich meine... kommen sie schon. Natürlich habe ich gesehen, dass sie künstlich sein muss. Man hat das Plastik darin ja förmlich gerochen.", hatte man nicht und Ava war sich ziemlich sicher, dass sie echt war, sagte aber nichts. "Und da dachte ich, müsste sie ja Ihnen gehören."

"Tut sie nicht. Und sie gehörte auch nicht Mom. Haben Sie vielleicht noch jemanden gesehen, der an dem Tag oben war?"

"Die hat nicht Ihnen gehört? Ich glaube nicht, dass da jemand war. Im Treppenhaus hätte ich ja jeden gehört, der hochgegangen wäre."

"Da haben sie wohl Recht. Vielen Dank. Ich muss dann auch wirklich los. Der Umzugswagen fährt sonst noch ohne mich los." Sie spürte, dass das eine Sackgasse war. Hier würde sie nichts mehr herausfinden ohne Mr. Button zu viel von dem Verdacht, ihre Mutter sei ermordet worden, erkennen zu geben.

Die Fahrt verlief ohne Probleme. Der Umzugswagen fuhr die gesamte Zeit mehr oder minder dicht hinter ihrem Auto her und so schafften sie es innerhalb von ungefähr zehneinhalb Stunden nach Inverness. Die Stadt besaß eine wunderschöne Altstadt, mit einem Markt, den Rose den Victorian market nannte und schönen alten Häuschen. Sie kamen auch an der Inverness Cathedral vorbei. Sie wurde laut ihrer Großmutter im 19. Jht. erbaut und sah, auch wenn Ava sich weigerte es einzusehen, wundervoll aus. Sie verwehrte sowieso bei allem, was sie sah, dass es auch nur im Ansatz schön sein könnte, um sich selber nicht eingestehen zu müssen, dass dies ihr neues Zuhause sein würde. Hier würde sie wohnen. Ihre Großmutter hatte ihre Augen auf die Straße fixiert, was sie aber nicht davon abhielt, irgendwelche Fakten über die Stadt zu erzählen. Nach 10 Minuten konnte Ava es einfach nicht mehr aushalten und schloss ihre Augen, den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt.

"Ich weiß, dass du nicht schläfst, junges Fräulein." Verdammt. Sie war doch so überzeugend gewesen. Theatralisch stöhnend öffnete sie ihre Augen wieder, schaute ihre Großmutter aber nicht an. Diese seufzte tief, ihre Augen auf die Straße gerichtet.

"Ich weiß, dass das hier nicht einfach für dich ist, Avalaine.", sagte sie mit bemüht sanfter Stimme, "Aber lass uns doch das Beste daraus machen, Hm? Die Situation ist nun mal, wie sie ist und daran können wir jetzt auch nichts ändern. Aber du verschließt einfach noch deine Augen vor dieser neuen-", sie schien nach einem positiven Wort für diese Situation zu suchen "Challenge." Um Himmels Willen, dachte sich Ava. Demonstrativ und ihre Großmutter ignorierend holte sie Kopfhörer aus ihrem Rucksack. Sie wusste, dass sie sich nicht fair verhielt, aber sie hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen. Das Letzte, was sie hörte, bevor sie lautstarke Musik anmachte, war das Zischen ihrer Großmutter, worein sie sich hier nur gebracht hätte.

Das Haus sah noch genau so aus, wie Ava es in Erinnerung gehabt hatte. Es war cremeweiß gestrichen und riesig. " Türmchen zierten das Dach und ließen es fast wie das eines Schlosses aussehen. Allgemein herrschte, ganz untypisch für diese Gegend eher ein warmes Ambiente, mit viel Licht und Wärme. Rose mochte gerne schlichten Luxus und so gab es nicht viel Glitzer oder Gold, das die Wände zierten, als sie durch die riesige Eingangstore tratten. Leslie stand schon kerzengerade im Türrahmen zum Wohnzimmer, eine weiße Schürze umgebunden und die schwarzen Haare in einem straffen Pferdeschwanz gebunden.

"Hallo, Miss McKay. War alles okay, während meiner Abwesenheit?"

"Ja, Mam. Es gab keine Probleme.", sie senkte ihren Kopf, während sie antwortete.

"Gut. ich hatte auch nichts anderes erwartet." Natürlich, dachte Ava. Rose zeigte mit der flachen Hand auf sie. "Avalaine kennen sie ja schon. Sie wird ab heute bei uns wohnen, aber das wurde ihnen sicherlich schon mitgeteilt.", Leslie nickte und schaute flüchtig zu Ava hoch. Es tat ihr leid, dass sie jetzt auch noch für eine weitere Person sorgen musste und sie nahm sich vor, möglichst viel selber zu erledigen um Lee nicht unnötig viel aufzubürgen. Leslie war noch nicht besonders alt, Ava würde sie auf Mitte 20 schätzten, arbeitete aber schon seit 14 bei ihrer Großmutter, da ihre Eltern früh gestorben waren. Sie war die einzige tägliche Begleitung von Rose und sie wusste, dass -auch wenn die alte Frau es nicht zeigte- sie sehr an ihrer Aushilfe hing. Sie war für das Essen, das Saubermachen und die Wäsche ständig und stellte sich immer sehr geschickt an. Ava hatte selbst viel von ihren Talenten gelernt und so fiel es ihr leicht zum Beispiel Betten zu beziehen oder eine Toilette zu putzen. Nur mit Kochen war sie nie warm geworden. Sie wollte aber keine Last darstellen.

"Hallo, Ava.", Lee's Stimme war leise und hoch. "Soll ich dir dein Zimmer zeigen? Es wurde schon hergerichtet. Bis auf deine persönlichen Sachen, natürlich." Obwohl sie viel mehr Lust gehabt hätte, sich wieder mit der Gegend bekannt zu machen, wollte sie den erwartungsvollen, strengen Blick ihrer Großmutter nicht enttäuschen und schon in den ersten 10 Minuten einen Streit anfangen. Also nickte sie.

"Natürlich. Das wäre toll." Rose nickte, zufrieden mit ihrer Antwort. Ich werde deine Sachen alle nach oben tragen lassen, während du dich ausruhst. Du kannst sie dann heute Abend einrichten." Wieder nickte Ava nur. Sie hatte nicht mehr die Kraft zu etwas Anderem. Jetzt spürte sie erst, wie erschöpft sie von der langen Reise und ihren nicht endenden Gedanken war. "Na los, los!", scheuchte Rosemary sie. Na das könnte ja lustig werden, dachte sie sich und freute sich nicht im Geringsten auf die nächsten Wochen.

Auch das Zimmer, in dem sie schon bei ihren jährlichen Besuchen immer untergekommen ist, war unverändert. Ava war froh, dass sie nun endlich den einzigen Gegenstand des Zimmers -ein langweiliges Zwei-Personen-Bett aus Eichenholz- mit ihrem Eigenem austauschen konnte. Sie nahm sich außerdem vor, die Wände aufzuhübschen und den Raum zufüllen. Ohne sich darum zu kümmern, dass sie noch in ihren engen Jeans und einem babyblauen Top war, schmiss sie sich auf das Bett, nachdem sie ihre Schuhe abgestreift und in eine Ecke geschmissen hatte. Doch so sehr sie sich auch bemühte, wollten sich ihre müden Glieder nicht entspannen, noch ihre Gedanken aufhören sich zu drehen. Ihre Mutter war tot. Das hatte Ava nun vollends begriffen und auch die Auswirkungen. Jemand hatte sie umgebracht. Und sie musste wissen, wer. Ihr Herz war von einem Schmerz ummantelt, der bei jedem Schlag an Wut zunahm. Ein Umhang aus Sehnsucht und Reue. Und aus Gier. Gier darauf, Rache zu üben. Sie schämte sich für ihre Gedanken, doch sie wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, sie zu leugnen. Das würde die Gefühle nur noch stärker werden lassen. Nun musste sie sich beherrschen und nachdenken. Sollte sie Casper anrufen? Nein. Er würde jetzt in der Schule sein. Trotzdem holte sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche hervor und checkte ihre Nachrichten. Sie hatte tatsächlich eine von Cas bekommen. Gute Fahrt, Blondschopf. Ihr entwich ein Kichern. Er schaffte es immer wieder, sie zum Lachen zu bringen. Sie begann zu tippen. Danke, Straßenköter, das war auch auf seine Haarfarbe bezogen, denn seinen Kopf zierte ein hellbrauner Lockenkopf. Ava hatte ihn immer darum beneidet.

Bin gut angekommen. Rose macht Stress. Sie wollte ihre Antwort kurz halten, um Cas nicht zu sehr zu stören, doch als sie ihre Augen erneut schloss, schweiften ihre Gedanken erneut ab. Wie sollte sie denn herausfinden, wer ihre Mutter ermordet hatte? Sie war ja wohl kein Detektiv. Das war sowieso was für Kinder. Sie konnte sich noch sehr wohl an die Zeit erinnern, als sie und Cas bei jedem verschwundenen Keks Sheriff gespielt haben. Meist hatte einer der beiden den Cookie vorher selber gegessen. Von den ganzen Fernsehserien ganz abgesehen. Schon als sie selbst im Alter war, fand Ava sie unnötig und unlogisch. Natürlich wurde jedes Rätsel immer gelöst. Natürlich wird immer alles gut. Natürlich stirbt niemand. Aber das ist falsch. Rätsel werden nicht immer gelöst. Manchmal gibt es einfach keine offensichtliche Lösung. Oder es gibt zu viele. Und es wird nicht immer alles gut. Und es sterben sehr wohl Menschen. Das wusste Ava nun. Ihre Mutter war tot und das Rätsel war ungelöst. Nachdem sie es doch geschafft hatte, langsam in den Schlaf zu driften, träumte sie von Federn, Blut und Ringelblumen.

"Sie müssen mir wirklich nicht helfen, Miss Bricks."

"Und Sie müssen mich wirklich nicht Siezen, Miss McKay.", eigentlich duzte Ava Leslie schon seit sie ein kleines Mädchen war und nannte sie des Öfteren auch Lee. Sie fand, der Name passte nicht zu dem Mädchen, sowie das Meiste an ihr nicht zusammen passte. Ihre Haare waren tiefschwarz- oder eher ein extrem dunkles Braun, denn wie Ava wusste, gab es keine schwarzen Haare, die einen starken Kontrast zu ihrem fast weißen Hautton darstellten. Während ihre Figur etwas größer und kräftiger war- sie überragt Ava um sicherlich 40 Zentimeter- waren ihre Gesichtszüge filigran und sanft. Während ihr Gemüt sanft und mitfühlend war, waren ihre Hände abgearbeitet und grob. Einzig und allein ihre Augen schienen ihrem Erscheinungsbild etwas Ganzes zu geben, in dem sie passend zu ihren Haaren tief dunkel auf einen herausragen und Gelassenheit, Geduld und Ruhe ausstrahlen. Ava gab ihr Bestes, der jungen Frau zu helfen, scheiterte dabei aber sichtlich. Sie standen gemeinsam in der Küche und versuchten das Abendessen zuzubereiten. Das heißt, Ava versuchte es, Lee gelang es. Durch schnelle, gezielte Bewegungen und Reflexe schaffte sie es, über 4 Pfannen gleichzeitig die Kontrolle zu halten, während sie den Salat schnitt. Und versuchte zu verhindern, dass Ava das Haus abbrannte.

"Du kannst doch schon mal", sie schaute sich um, sichtlich nach etwas suchend, das Avalaine tun könnte. Ihr Blick landete auf einer Avocado und einem scharf aussehendem Messer, dass auf einer Kücheninsel lag, die sich in der Mitte der riesigen Küche befand. "Die Avocado schneiden."

Sie fasste sich an die Stirn, als würde sie salutieren und rief, das laute Brutzeln der Pfannen übertönend: "Aye, Aye, Captain.", und machte sich an die Arbeit. Aber da es keine fünf minuten dauerte, bis sie die Avocado samt kern in Scheiben geschnitten hatte, von Leslie belehrt wurde, dass das wohl falsch war, und sich in den Finger geschnitten hatte, wurde sie endgültig liebevoll aus der Küche gejagt. Im Wohnzimmer sog sie tief die Luft ein, um den stickigen geruch nach Knoblauch und Bratenfett loszuwerden, der tief in ihrer Lunge festhing. Langsam schlenderte Ava auf die Terrasse, auf die man durch eine Tür im Wohnzimmer kommen konnte, ohne einen Plan zu haben, wohin sie gehen will. Es war noch nicht besonders spät, doch bis zum Essen würde es -trotz ihrer überragenden Hilfe- noch dauern, weshalb sie sich dazu entschloss, jetzt die gegend etwas zu erkunden. Die Sonne war noch kräftig und so konnte sie einfach ohne eine Jacke die Straße hinunter schlendern. Die Villa lag in einem gehobenen, angesagten Viertel der Stadt und da es noch dazu in einer Spielstraße stand, war es ruhig und unbefahren. Zu den Seiten ragten riesige Häuser aus der Erde, die viel zu groß waren für die wenigen Personen, die sie bewohnten. Ava war schon lange nicht mehr hier gewesen. Das letzte Mal war sie noch ein junges Mädchen gewesen, das sich nicht für die Umgebung interessiert hatte. Sie wollte nur die gesamte Zeit bei ihrer Mutter sein und spielen. Sie würden den gesamten Gesellschaftsspiele spielen. Das war, bevor sich Robyn und Rosemary zerstritten hatten, und sie nach Boston gezogen waren. Avalaine hatte den Grund nie erfahren.

Sie hatte nicht besonders aufgepasst, welchen Weg sie nahm, an welchen Ecken sie abbog oder welche Menschen sie traf. Bis sie plötzlich vor einem kleinen, etwas heruntergekommenen Häuschen stand, das sich von der Menge abhob. Sie hob verwundert eine Augenbraue hoch. Was machte solch ein Gebäude mitten in einer der teuersten Gegenden der Stadt? Es war nicht so, dass sie es schlecht fand. Nicht per se. Sie wusste nur auch, dass es die Mehrheit war, die siegte. Nicht der Einzelne. Sie fand es naiv, dass manche Menschen dachten, jeder hätte eine Chance in unserer Gesellschaft. Es war einfach eine falsche Annahme. Ein Unterschied ist etwas Neues. Etwas Neues ist etwas, das besser sein könnte, als das, was es gibt. Und etwas Besseres macht neidisch. Und Menschen wollen nicht neidisch sein, sie wollen das Beste haben. Also unternehmen sie etwas gegen den Einzelnen. Und der muss sich beugen. Es sei denn, er ist anders. Aber auch das wird nie willkommen geheißen. Menschen haben Angst, dass du besser werden könntest, als das was sie haben. Aber das heißt nicht, dass es so ist. Und manche Menschen haben das verstanden. Ava wurde neugierig. Langsam ging sie über die Straße, um direkt vor dem Häuschen zu stehen. Pharmacie, stand darauf. Ihr Atem stockte. Pharmacie, also Apotheke. Genau das Wort hatte ihr Mutter gesagt, kurz bevor sie gestorben ist. Einen Moment lang hielt sie inne, nicht sicher, was sie als nächstes tun sollte. Aber was hatte sie schon zu verlieren? Langsam, bedacht darauf so auszusehen, als hätte sie einen guten Grund die Apotheke zu besuchen, schlenderte sie den Weg entlang, zur Eingangstür, die sich an der rechten Seite des Hauses befand. Der Garten war schön hergerichtet, mit kleinen Blümchen, die bund gemischt angeordnet wurden. Es sah ein bisschen aus, wie ein Regenbogen, der einmal kräftig durchgerührt wurde. Auch die Tür war filigran und voller Farbe. Jemand musste sie angemalt haben, sich dabei aber nicht die Mühe eines Musters oder einer Ordnung gemacht. Sobald Ava sie öffnete, schlug ihr der Geruch von Thymian und Eukalyptus in die Nase. Der Duft musste von den vielen Kräutern kommen, die an der niedrigen Decke aufgehangen waren und sie dazu zwang, ihren Kopf zu bücken, als sie eintrat. Es gab nur ein Fenster, weswegen der kleine Raum sehr dunkel war und Ava ihre Augen zusammenkneifen musste, um etwas zu erkennen. Hinter einem großen Tresen ragte ein riesiges Regal auf, das bis an die Decke reichte, gefüllt mit Tinkturen, Pasten und Pillen.

"Wie kann ich ihnen helfen?", erschrak eine tiefe, raue Stimme Ava. Eine Stehlampe, die neben dem Tresen stand, wurde angeknipst und offenbarte einen alten Mann, der hinter dem Pult auf einem Stuhl saß. Sie hatte ihn unmöglich sehen können. Seine Haut war eingefallen und blass. Wenige weiße Haare wuschelten sich auf seinem Kopf und seine Augen waren in einem matten, blassen Blau. Es hatte den Anschein, als könne man ihn vollends übersehen, wenn es sich nicht regen würde.

Etwas panisch versuchte Ava einen guten Grund zu finden, der ihre Anwesenheit rechtfertigen würde.

"Ich brauche", sie sah sich unauffällig um, bis ihr Blick auf eine Schachtel Hustenbonbons fiel, die auf einem kleinen Tisch unter dem Fenster stand. "die da.", sagte sie und zeigte mit dem Finger auf die Tabletten. Der Apotheker lachte und es war ein erstaunlich sanfter, freundlicher Ton.

"Du musst wohl etwas präziser werden, Kleines."

"Ähm, ja. Klar. Ich möchte bitte die Hustenbonbons.", sie griff einfach selber danach, sodass der mann nicht extra aufstehen musste und legte sie vor ihm auf den Tresen. ohne sie anzuschauen sagte er:" Das macht dann bitte 3,50 Dollar."

Schnell kramte sie das Geld aus ihrer Hosentasche. Während der Apotheker begann, aus einer uralten Kasse das Wechselgeld zu ihren Fünf- Euro-Schein zu suchen, begann er zu reden.

"Wie kommt es, dass ich dich noch nie getroffen habe? Ich kenne hier sonst jeden schon seit seiner Kindheit", wieder schenkte er ihr sein hübsches Lachen.

"Ich bin erst seit kurzem hier. Heute bin ich hergezogen, genau genommen."

"Ah! Ergibt Sinn. Woher kommst du? Also woher in England?"

Jetzt musste sie lachen. "So stark ist mein Akzent doch gar nicht! Boston. Aber ich wurde ganz hier in der Nähe geboren."

"Ach, weißt du, Kleines, wenn man schon so lange blind ist, wie ich, hört man so was. Wie sollst du denn sonst eine Gestalt in meinem Kopf annehmen?" Er war blind, wurde es ihr klar. Deswegen war es auch so dunkel gewesen.

"Oh. Das tut mir leid."

"Warum? Ich habe schon mehr gesehen, als die meisten Menschen es jemals tun werden. Außerdem gibt es so viel Schmerz, so viel Hass. Ich denke nicht, dass ich alles sehen möchte." Da hatte er wohl recht. Man sollte nicht immer alles sehen. Nicht immer zu genau hinsehen, denn früher oder später wird man etwas sehen, das man nicht aushalten kann und man wird es nicht mehr vergessen.

"Wie ist dein Name, Kind?", fragte er und reichte Ava ihr Geld, das er aus der Kasse befreien konnte.

"Avalaine Bricks, Sir. Und Ihrer?", sie fühlte sich albern, einen erwachsenen Mann so offen nach seinem Namen zu fragen, war aber einfach neugierig.

"Jarle Bee. Du kannst mich aber gerne Jarle nennen.", antwortete er kichernd.

"Warte, meintest du gerade Bricks?"

"Ja. Rosemary ist meine Großmutter."

"Ach Ja, die gute, alte Rose. Dann hast du es wohl nicht immer einfach. Dann musst du ja Ro's Tochter sein! Wohnt die Kleine jetzt wieder in der Stadt? Wie ich dieses närrische Lachen vermisst habe. Ich habe mich schon lange gefragt, wann ich dich mal treffen würde."

Wie immer, wenn jemand in den letzten Wochen ihre Mutter erwähnte, gefror ihr das Blut in den Adern.

"Sie- Sie kannten meine Mutter?", ihre Stimme war brüchig. Er hatte sie gerade Ro genannt. Das hatten nur ganz wenige Menschen. Nur wichtige Menschen in ihrem Leben. Die matten, orientierungslosen Augen versuchten, sich auf ihr Gesicht zu wenden, wobei der Blick aber hinter ihr ins Leere lief, als er sich erhob.

"Kannten? Was- Was meinst du damit?" Puh. Das würde hart werden.

"Sie ist tot, Sir. Tut mir sehr leid.", er ließ sich wieder auf den Stuhl gleiten, lange ausatmend.

"Wie ist sie gestorben?"

Wie sollte sie darauf antworten? Und zum ersten Mal verspürte sie einen inneren Drang dazu, die Wahrheit zu sagen.

"Sie wurde ermordet.", eine Träne rollte ihre Wange herunter, ohne dass sie sie gespürt hatte, ihre Stimme nur ein Flüstern. Aber sie wischte sie nicht weg. Jarle konnte sie sowieso nicht sehen.

"Verdammt. Wie konnte das passieren?", es war eine Frage an ihn selbst, und man sah ihm an, dass er nicht mit einer Antwort rechnete. Doch plötzlich beschloss sie, ihm eine zu geben.

"Ich denke, es hat etwas mit Loch Ness zu tun, Sir. Ich weiß, dass klingt dumm. Aber sie hat es mir selber gesagt."

"Loch Ness?", fragte er. "Das ergibt Sinn.", murmelte er wieder eher zu sich selbst, so leise war seine Stimme geworden.

"Was meinen Sie, Sir?", sein Blick wurde ernst.

"Kind. Ich muss dir jetzt etwas Wichtiges geben. Und du musst mir zwei Dinge versprechen, bevor du es bekommst." Ava nickte, erinnerte sich wieder daran, dass Jarle das nicht sehen konnte und versuchte so zuversichtlich wie möglich Ja zu sagen. Auch wenn sie gerade 1000 Fragen hatte, auch wenn ihr Magen sich gerade umdrehte. Er stand erneut auf, drehte sich zu dem Regal hinter ihm und begann durch Ertasten etwas zu finden. Unter einer alten Dose, auf der Aspirin stand, zog er schlussendlich einen Gegenstand hervor. Es war ein Brief.

Langsam drehte er sich wieder in ihre Richtung.

"Robyn kam kurz bevor ihr aus der Stadt gezogen seid zu mir. Sie war panisch, wollte mir aber nichts erzählen. Sie sagte etwas von Es sei zu gefährlich. Dass jeder, der Wissen hatte, jeder, der dieses Wissen hätte,", er hielt den Brief etwas höher "gesucht wird. Alles, was sie sagte, war, dass dieser Umschlag und sein gesamter Inhalt nur für einen Menschen bestimmt ist. Für dich. Ich sollte dich suchen, wenn ich von ihrem Tod hören sollte. Natürlich habe ich sie gefragt, warum sie sterben sollte. Was ist mit der Polizei, habe ich sie gefragt. Aber sie hat mir nicht geantwortet. Alles, was sie sagte, war, dass sie dich liebt. Das sollst du niemals vergessen, hörst du?", Ava war nur noch zu einem Nicken fähig. Es war ihr egal, dass Jarle das nicht sehen konnte. Die Tränen konnte sie schon lange nicht mehr aufhalten, also bemühte sie sich nur, kein Geräusch zu machen. Sie musste ihren Atem anhalten, um nicht laut zu schluchzen.

"Und zweitens, und das ist eine Bedingung von mir, bring dich nicht in Gefahr, Kind. Erzähle niemandem von diesem Brief. Es ist zu gefährlich. So traurig das Schicksal deiner Mutter auch ist, du darfst nicht riskieren, dass dir dasselbe passiert." Jetzt wurde ihr leicht schlecht.

"Ja. Ja, ich werde niemandem davon erzählen. Niemandem." Er nickte bedacht und reichte ihr zaghaft den Brief. Sie hielt ihn wie eine Trophäe, die zu wertvoll und zerbrechlich war, als dass sie angefasst werden sollte. "Gut."

"Warum hat sie Ihnen den Brief gegeben?", die Frage brannte ihr schon die ganze Zeit im Bauch. Warum er, ein Apotheker in Inverness.

"Deine Mutter war klüger als die meisten Menschen. Und sie hatte das seltene Talent, ihr Genie zu verstecken. Sie gab mir den Brief, und ich verstand erst einige Zeit später, warum. Zum einen kann ich nicht sehen. Ich hätte den Brief nicht lesen können. Und zum Anderen interessiert sich niemand für einen alten Kauz wie mich, der fast schon als Stein durchgehen würde." Er hatte Recht. Ihre Mutter war klug gewesen, aber das hatte sie schon immer gewusst.

"Danke. Ich denke, ich sollte mich dann mal auf den Weg machen.", sagte sie, total verwirrt von all dem. Bedacht langsam schritt sie in Richtung Ausgang. Gerade als sie die Türklinke herunterdrücken wollte, begann der alte Mann nochmal zu reden. Als sie sich zu ihr umdrehte, hatte er sich wieder hingesetzt.

"Als meine Frau starb, war ich zerbrochen. Es war, als hätte man einen Teller genommen, ihm gesagt, wie schön er ist. Das alle gut auf ihn aufpassen, dass er etwas ganz besonderes ist. Und dann, dann wird er aus Versehen fallen gelassen und das war's. Der Moment ist vorüber. Aber keiner würde den Teller nehmen, und ihn wieder zusammen kleben. Und selbst wenn, egal, wie gut man es machen würde, er wäre nie wieder der Alte. Nie wieder so hübsch wie davor, so vollkommen. Ein paar Splitter sind immer verloren. Mary war- sie war die Luft, die ich atmete. Sie war das Herz, das mir Blut gab. Und dann war sie weg. Aber ich hatte 30 ganze Jahre eine tolle Ehe. Glück und Liebe und ein Leben. Durch sie habe ich alles gesehen. Ich weiß, wie es dir gehen muss. Aber wenn du auch nur einen kleinen Teil deiner Mutter in dir hast, und das weiß ich jetzt schon, wirst du hier durchkommen. Du wirst ein anderer Teller sein, aber du wirst durchkommen. Vergiss das nicht." 

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