Auf dem Weg der Vergeltung

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Der Wind fasste in ihre Haare und wischte sie ihr aus dem Gesicht. Phel musste mehrmals blinzeln, um realisieren zu können, was sich vor ihr abspielte. Die Straße war menschenleer, nur die bunten Lichter der schlafenden Stadt beleuchteten die Fahrbahn und zeigten ihnen die richtige Richtung. Er umklammerte fest das Lenkrad der sich aufbäumenden Maschine und versuchte seinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. Der Nervenkitzel jagte ihm ein Schauder den Rücken hinunter und am liebsten hätte er die Arme hochgerissen und laut gejubelt. Stattdessen klammerte sich Phel wie eine Ertrinkende an ihm fest und umschlang seinen Oberkörper, um sich vor einem möglichen Sturz auf die rasend vorbeiziehende Straße zu schützen. Ihrer beiden Körper wurden derartig aneinander gepresst, dass ihr Herz plötzlich anfing schneller zu schlagen und sie sich zusammenreißen musste, um nicht vor Freude eine Dummheit zu begehen. Das Blut rauschte ihr laut in den Ohren und hastig wurde das Adrenalin durch ihren Körper gepumpt. Noch nie zuvor war sie derartig schnell mit einem Motorrad unterwegs gewesen, doch dies gehörte wohl zu ihrem neuen Leben dazu und es ließ sich nicht leugnen, dass es Phel gefiel. Jem würde sich Sorgen um sie machen, da war sie sich sicher, doch würde sie alles aufgeben, nur um ihm die Sicherheit zu geben? Zugegeben, es fühlte sich falsch an, ihn nicht an dem größten Abschnitt ihres Lebens teilhaben zu lassen. Doch sie hatte es geschworen, beim Erzengel geschworen und einen derartigen Schwur konnte sie nicht fallen lassen. Auch nicht für ihren besten Freund, der sie durch ihr ganzes Leben begleitet hatte. Sie bis hierhin geführt hatte, auch wenn nicht mit Absicht. Sie hatte ihm das hier zu verdanken, auch wenn Jem keinen blassen Schimmer hatte, was vor sich ging. Ein Geheimnis vor ihm zu haben, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in ihrem Mund und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Doch wich es nur wenige Sekunden danach dem berauschenden Gefühl der Freiheit. Sie schmeckte süß auf ihrer Zunge und am liebsten hätte sie den Helm abgenommen, um die rauschende Luft um sie herum tief einzuatmen. Unter dem Helm war es stickig und beklemmend, doch ignorierte sie diese Tatsache und konzentrierte sich viel lieber auf ihren Partner. Ihren besonders attraktiven Partner. Vielleicht hatte sie einfach Glück, dass sie auf ihrer alten Schule als beliebt angesehen wurde, da fiel es nicht sonderlich auf, dass sie sich plötzlich vollkommen verändert hatte. Jeder akzeptierte es ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, auch wenn es ihr relativ gleichgültig war, was die anderen von ihr dachten. Die High School interessierte sie schon lange nicht mehr.

Mit quietschenden Reifen stoppte Syd die Teufelsmaschine, während sich ihre Fingernägel in seine lederne Jacke krallten, als müsse sie um ihr Leben bangen. Schlitternd wirbelten sie feinsten Schotter und Staub auf und im ersten Moment konnte sie nicht erkennen, weswegen er hatte anhalten müssen, dann jedoch entdeckte sie die düstere Gasse, die sich neben ihnen auftat. Die Wände waren mit Graffiti besprüht, abstoßende Wörter bedeckten den grauen Beton und das Mauerwerk schien in der Dunkelheit zu verschwinden, sodass sie das Ende nicht sehen konnte. Staunend stieg sie von der sich noch immer windenden Maschine und trat einen Schritt vor, während sie sich vorsichtig den Helm über den Kopf zog und ihre Haare schüttelte, sodass sie nicht mehr an Stirn und Hinterkopf klebten. Sie murmelte ein paar wenige undeutliche Worte des Staunens und blieb begeistert stehen. Kleine Kieselsteine bohrten sich durch die dünnen Sohlen ihrer roten Chucks und eine lauwarme Brise strich ihr Strähnen ihres roten Haares aus dem Gesicht. Unbemerkt befeuchtete sie nervös ihre Lippen und betrachtete ihr zugegeben außergewöhnliches Umfeld. Syd hatte die tobende schwarze Maschine vor einer hohen Mauer zum stoppen gebracht, sodass sie nun anmutig im Schein einer einzigen mickrigen Straßenlaterne glänzte, als wolle sie die beiden jungen Erwachsenden nur ein weiteres Mal aufmuntern mit ihr die unsicheren Straßen Fall Rivers zu erkunden.

Sie sah wunderschön aus, stellte Syd fest, als er Phel in die Gasse hinein folgte. Ihr Haare schimmerten wie flüssiges Kupfer und die schwarzen Schlangen untermalten nur ihren starken Charakter. Wäre es ihm nicht verboten, sie zu lieben, hätte er sie schon längst an seine Brust gezogen und fest an sich gedrückt. Doch so würde er gegen all das verstoßen, was ihm lieb und recht war. All seine Richtlinien würde er über Bord werfen müssen und das war es nicht wert. Nicht in den Augen der Führer war Liebe dies wert, denn sie war vergänglich.

Mit ein paar langen Schritten holte er zu ihr auf und drückte ihre Hand, die mit der Zeit zu zittern angefangen hatte. Ein stetiges Vibrieren, das ihn daran erinnerte, dass sie noch immer kein erfolgreiches Mitglied war. Sie würde ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen und nichts war schwieriger als eine Prüfung unter der Spannung des himmlischen Schwertes. Sie würde stark sein müssen und wenn es etwas gäbe, dass er sich von Herzen wünschte, dann wäre dies ihr Erfolg. Er wollte sie glücklich wissen. Gesund und glücklich und auch dies würde nicht leicht sein. Nichts war in diesem Leben zwischen Licht und Dunkel einfach zu erreichen und doch würde er sein bestes geben. Für sie.

Bald erreichten sie das Ende der Gasse und sie trat zögerlich auf den weiträumigen Platz, der sich nun vor ihr erstreckte. Das grobe Kopfsteinpflaster erinnerte sie nur noch mehr an die grusligen Szenen eines Horrorfilms und das es dazu noch Nacht war, machte das Unterfangen nicht sonderlich leichter. Die Dunkelheit machte ihr das Sehen schwer und nur vage konnte sie die Umrisse einer Ruine erkennen, die sich vor ihnen auftürmte. Ein Berg aus Schutt und Asche, dessen Anblick allein reichte, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie spürte den Druck seiner Hand, die die ihre umfasste. Als wolle er sie beruhigen, doch noch immer schoss das Blut ihr viel zu schnell durch die Adern und ihr Herz fühlte sich an, als wolle es jederzeit ihre Brust zerbersten, um sich in Freiheit zu wissen. Zittrig holte sie Luft und setzte einen Fuß auf den geweihten Boden. Es schien, als könne sie die Macht spüren, die von der Ruine im Zentrum ausging. Eine zerstörte Kirche, der geweihte Boden. Etwas besseres hätte man nicht finden können, um den Fortuna-Hof vor der unwissenden Gesellschaft zu verbergen, hatte Syd gemeint.

„Phel, mach das du mutig aussiehst, sonst kommst du keine Meile weit!" Seine raue Stimme hallte von dem zerborstenen Gestein wieder und erzeugte ein unheimliches Echo, das ihr Übelkeit bescherte. Sie musste fest schlucken und die Lippen aufeinander pressen, damit er nicht sehen konnte, dass ihr langsam der Gesichtsausdruck entgleiste. Sie war sich ziemlich sicher, dass er reines Entsetzen spiegelte. „Du kannst von Glück reden, dass ich meinen Arsch hierhin bekommen habe", flüsterte sie. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauchen und am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre die Gasse entlang gehastet, doch dann hätte sie Sydney verraten und seine Bestrafung wollte sie sich erst gar nicht bildlich vorstellen. Niemand wurde je schlimmer bestraft als in Anwesenheit der Führer des Fortuna-Hofes. Sie liebten Rache und Vergeltung und doch strebte jeder Jugendliche danach, ihnen beizutreten. Sie zu unterstützen in der Hoffnung, irgendwann einmal zu ihnen zu gehören. Zu den gefürchteten Führern einer grausamen Gang. Auch Phel wünschte es sich, doch bis dahin konnte sie nur hoffen, nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt tot aufgefunden zu werden. „Man kann meine Angst doch förmlich riechen!" stieß sie frustriert hervor und bohrte ihre Fingernägel in die weiche Haut seines Armes. Er hatte die Ärmel seiner dunklen Lederjacke ein Stück nach oben geschoben, sodass seine erhitzte Haut durch die milde Abendluft abkühlen konnte, jedoch schob er diese nun hastig hinunter. Die tiefen Spuren, die sie hinterlassen hatte, färbten sich langsam dunkelrot und sie wich erschrocken zurück. Niemand durfte sein eigen Fleisch und Blut verletzen, so hieß es in der himmlischen Schrift.

Er packte grob ihren Arm und zog sie zu den Trümmern, um sie im Schutze der Dunkelheit zu wissen. Gemeinsam hasteten sie durch den Schutt, während sie aufmerksam ihre Umgebung musterten. Sie wirbelten kleinste Steinteilchen auf, als sie einen schmalen Gang zwischen zwei umgestürzten Säulen entlangliefen, um nur immer weiter in das Labyrinth des zerstörten Bauwerkes zu gelangen. Phel drehte sich panisch um, doch wurde die Gasse schon längst aus ihrem Blickfeld verbannt. Syd hatte ihren Arm losgelassen und hatte stattdessen ihre Hand ergriffen, als wolle er sich stützen. Als sei nicht sie die, die sich schützen müsste, sondern er. Energisch wurde sie von ihm durch das Gewirr gezogen, während er kein Wort mehr sagte. Er war nie ein großer Redner gewesen und im übrigen war es ihr untersagt, ihm Fragen zu stellen. Dies machte ihr Unterfangen nur noch gefährlicher, denn niemand sollte sich im Schatten der Dunkelheit ohne Befugnis in den Fortuna-Hof wagen. Doch ihr Anliegen war wichtig, derartig wichtig, dass sie die Gefahr in Kauf nahm. Genauso wie Syd, der nun vor einer Gedenktafel zum stehen kam, sie auf sich genommen hatte. Er wischte den Staub von der marmornen Oberfläche, sodass diese glänzte und einen bizarren Anblick abgab. Sie wusste, dies war nun ihre letzte Chance zu flüchten, einfach sich umzudrehen und so schnell zu rennen, wie sie noch nie zu denken vermocht hatte. Doch sie war wild entschlossen sich ihnen entgegen zu stellen. Syd war erfahren, er würde ihr helfen, denn er wurde bereits aufgenommen. Er hatte diese ganze grausame Prüfung hinter sich und war ein vollständiges Mitglied und obwohl er ihr verboten hatte derartig zu denken, wusste sie es im Inneren ihres Herzens, dass sie nur noch wegen ihm am Leben war.

Damals hatte er sie gesehen. Den Dolch in ihrer Hand gesehen. Das Blut, dass ihren Arm hinunter lief. Das rote Blut, das den Ärmel ihrer weißen Bluse tränkte. Die Entschlossenheit in ihren Augen, die ihm den Atem gestohlen hatte. Alles an ihr hatten ihn fasziniert, obschon sie im Begriff war, sich verbluten zu lassen. Sie hatte ausgesehen wie ein Racheengel. Den Dolch erhoben, dessen Schneide in der untergehenden Sonne gefunkelt hatte, ihr kupfernes Haar, das teils feucht in ihrer Stirn geklebt hatte. Sie hatte nicht geweint. Kein Anzeichen der Reue hatte sich in ihrem Gesicht gespiegelt. Ihre Lippen hatte sie resigniert aufeinander gepresst. Sie war wunderschön und sie hatte das Potenzial dazu, für ihn zu kämpfen. In der Gang zu kämpfen. Sie wusste nicht, wer er war, denn Syd nannte niemandem seine wahre Identität, doch er konnte spüren, dass sie sich geborgen fühlte, dass sie seine Anwesenheit genoss und liebte. Er wusste, dass er ihr helfen musste, obschon er ihre Vergangenheit nicht kannte. Sie nicht kannte. Er hatte ihr den Dolch aus der Hand gerissen und den Stoff seines Oberteils auf die Wunde gepresst. Ärztliche Hilfe hatte er nicht gebraucht, denn niemand aus der Gang nahm die Hilfe eines willkürlich gewählten Menschen an. Niemandem wurde die Erlaubnis erteilt an dem öffentlichen Leben so teilzunehmen wie es andere ihres Alters vermochten. Es war viel zu riskant gefasst zu werden, denn niemand sah gerne ein Mitglied der Gang auf der Straße, obschon niemand wagte, es anzugreifen.

Entschlossen wand sich Syd ihr zu. Er hatte ihr sanft eine einzelne Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen und deutete auf die Stufen eines gewaltigen Gebäudekomplexes. Im ersten Moment erinnerte es Phel an ein gigantisches Kirchenschiff, welches aus dem viktorianischen Zeitalter stammen musste, doch dann bemerkte sie die bizarren Statuen, die die steinernen Stufen und das gewaltige Eingangsportal schmückten. Ihren verzerrten Gesichtern waren absonderliche Illustration von Schmerz und Leid, sodass Phel vor stillem Entsetzen die Augen aufriss. Aus ihren leeren Augenhöhlen quoll eine schwarze Flüssigkeit und um die nackten Beine schlangen sich mit Dornen versehende Ranken. Sie wanden sich um ihre Knöchel und bohrten sich in die steinernen Waden. Bittere Galle stieg Phel den Rachen hinauf, bei dem Gedanken gleich den Führern gegenüber zu stehen. Sie hatte die Mythen gehört, sie hatte von den Attentaten gelesen. Man nannte sie die Gottessekte und doch konnte Phel ihre Faszination an der Gang nicht verlieren, als ziehe diese grausame Zusammenschließung sie wie magisch an.

„Bereit?", fragte Syd leise und entzog seine Hand die ihrer. Die zurückbleibende Kälte behagte ihr nicht recht, doch sie nickte entschlossen.

„Ich habe keine Wahl Sydney!", entgegnete sie ihm und nahm die ersten Stufen, als wolle sie nicht, dass er doch an ihrer Mission zweifelte. Sie wollte, dass er ihr glaubte und wusste, wie wichtig es ihr war, doch wie auch sie für ihn eine Fremde war, so war er für sie auch ein Fremder und war sie sich bewusst, dass sie im übrigen viel zu viel von ihm verlangte. Sie warf ihm ein Blick über die Schulter zu und forderte ihn stumm dazu auf ihr zu folgen. Doch er blieb stehen wischte mit dem Leder seiner Jacke über die Inschrift der ersten Stufe und bedeutete ihr zu lesen, als sei es eine stille Mahnung, sich nicht von der Harmlosigkeit der Situation täuschen zu lassen.

Aus dem Schatten sind wir emporgestiegen

Aus dem Schatten heraus wurden wir gefürchtet

Ins Licht der Welt haben wir Schatten gebracht

Und im Dunkeln des Todes werden wir untergehen

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