48| Vollmond

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Wenn uns ein harmloser Streich aus der Kindheit zum Verhängnis wird...

~ Jamie

~~

KALIE

Wie als hätte sich eine unsichtbare Gewitterwolke über die grauen Pflastersteine des Kellerbodens gesenkt, schlägt die Stimmung der Anwesenden von einer Sekunde zur anderen vollständig um.

Muskeln spannen sich unwillkürlich an, Mienen versteifen sich, eine nervöse Unruhe ergreift von der Luft um uns herum Besitz und löst in mir das Gefühl aus, nicht mehr genug Sauerstoff zu bekommen.

Wir alle scheinen das Gleiche zu denken, als wir unsere Blicke unauffällig durch die abgeteilten Zellen schweifen lassen.

Sind wir bereit?

Eine Frage, die mein Gehirn neben zahlreichen anderen, panischen Gedanken ohne zu zögern mit einem lauten Nein beantworten würde, doch wieder einmal reiße ich mich zusammen. Verenge konzentriert die Augen, um den dicken Klumpen, der sich schon seit geraumer Zeit unaufhörlich in meinem Bauch ausdehnt und meine inneren Organe zum Kribbeln bringt, verschwinden zu lassen.

„Okay, wie weit sind wir?" Elias lässt seine nussbraunen Augen prüfend über die bereits erneuerten Ketten schweifen. Seine Haltung ist aufrecht und aus seiner Miene spricht Konzentration. Nur seine Hände zittern, als er nach einer der Kisten greift.

„Alle Ketten sind soweit erneuert, die Gitterstäbe fast alle kontrolliert und die Schlösser ausgetauscht", mischt sich ein mir unbekannter Werwolf ein paar Meter entfernt ein.

Als ich meinen Blick in seine Richtung wandern lasse, bemerke ich, wie voll es mittlerweile hier unten geworden ist. Immer mehr junge Männer und Frauen kommen die steile Treppe hinab, sehen sich mit unbehaglich um und werden von Bryan, dessen pechschwarzen Haarschopf ich in der Masse ebenfalls ausmachen kann, in einzelne Gitterabteile eingewiesen.

Die Deutlichkeit, mit der mir nun klar wird, wie nah die gefürchtete Vollmondnacht bereits gerückt ist, lässt meine emotionalen Barrieren einen Moment lang wackeln. Mein Herz beginnt, seinen Takt zu verdoppeln, prickelndes Adrenalin strömt durch meine Adern.

Die bedrückende Stimmung, gepaart mit der Tatsache, das sich meine Luftröhre mit jedem Atemzug weiter verengt, lässt mich hart schlucken und meinen Kopf schnell wieder zu den vertrauten Gesichtern meiner Freunde herumwirbeln.

Jedoch sehen diese auch nicht gerade aus, als würden sie in wenigen Minuten zu einem Ausflug in den Freizeitpark aufbrechen.

Ethans Miene ist unergründlich wie immer – nur in seinen Augen sehe ich Besorgnis aufblitzen. Elias versucht weiterhin, einen gefassten Eindruck zu vermitteln, scheitert aber mit jeder verstreichenden Minute mehr daran. Selbst das schelmische Dauergrinsen ist von Jamies Lippen verschwunden. Seine ernste, nahezu bedrückte Miene ist die, die mir am meisten Sorgen bereitet. Denn so kenne ich den frechen Rotschopf ganz und gar nicht.

„Wo bleibt eigentlich Sharon?", unterbricht irgendwann die leise Stimme von Elias das allgemeine Schweigen, was dazu führt dass sich alle Blicke erst auf ihn, dann fragend auf den großen Bruder eben jenes, noch vermissten Mädchens richten.

Der jedoch zuckt nur mit den Schultern. „Keine Ahnung", brummt Ethan. „Sie sagt mir eher selten, wo sie hingeht."

Ratlose Stille folgt.

„Vielleicht bastelt sie ja FKK Schilder...", wirft jemand irgendwann zögerlich ein. Ethan runzelt die Stirn, Elias hebt eine Augenbraue und ich werfe Jamie einen schiefen Blick zu.

„Naja weil..." Der mittelgroße Junge fährt sich verlegen mit der Hand über den Kopf und zerstört seine sorgfältig gestylte Frisur damit endgültig. „Damit sich die Leute im Dorf nicht wundern, wenn hier am nächsten Morgen überall nackte und desorientierte Leute herumdackeln."

Immerhin schafft sein halbherziger Scherz es, mir ein winziges Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

„Okay." Mit neuem Mut und neuer, in gewisser Weise von mir selbst erzwungener Entschlossenheit wende ich mich an die drei Jungs. „Wenn der Mond um acht Uhr abends aufgeht, bedeutet das, wir werden noch locker fertig - wenn wir uns beeilen."

Mein plötzlicher Stimmungsumschwung scheint auch die anderen anzustecken, denn sie nicken grimmig. „Gut." Elias klatscht auffordernd in die Hände. „Dann los. Und diesmal mit Vollgas, Leute."

~~

Mit einem quietschenden Geräusch schwingt die versteckte Kellertür auf und gibt den Blick auf den schier endlosen, dunklen Schlund dahinter frei. Schwer atmend stütze ich mich am schmalen Rahmen ab, während ich warte, bis sich meine Augen an das düstere Dämmerlicht dort unten gewöhnt haben. Zwar hat irgendwer den schmalen, in steilen Treppenstufen abwärts führenden Gang mittlerweile mit zaghaft glimmenden Fackeln ausgestattet, doch das schwache Licht, welches immer wieder tanzende Schatten an die groben Steinmauern wirft, ist kaum genug für meine Menschenaugen.

Einige Atemzüge, um meinen beschleunigten Pulsschlag wieder zu normalisieren, einen prüfenden Blick in den vor mir klaffenden Abgrund und ich setze einen Fuß über die Schwelle, hinein in die kalte, unheimliche Welt des Kellergewölbes.

So schnell die Lichtverhältnisse es zulassen, trippele ich die Stufen hinunter; stets in Eile. Ich bin mir ziemlich sicher, noch nie so viel in so wenig Zeit gerannt zu sein. Innerhalb von zehn Minuten noch nie eine solche Menge an Aufgaben erledigt zu haben.

Erst habe ich Ketten getragen und in den dafür vorgesehenen Verankerungen befestigt. Dann kam ein Hilferuf von Loral, die ein paar menschliche Hände zum Verteilen ihres Kräutersaftes brauchte, der mit seinen für Werwölfe giftigen Zutaten hoffentlich ein weiteres Hindernis für ausbrechende Tiere darstellen soll. Nach acht Minuten klebriger Arbeit habe ich die zähe Masse weitestgehend verteilt gehabt, bin mich säubern gegangen und steuere nun auf den Keller zu, um mich von meinen Freunden zu verabschieden.

In wenigen Momenten ist es halb acht. Zeit für mich, allmählich das Weite zu suchen.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend biege ich um die Ecke, nur um einen Moment vollkommen überrascht zu erstarren. Der Keller ist voll. So viele Menschen – nein Werwölfe – tummeln sich zwischen den durch Eisengittern abgeteilten Zellen, dass ich glaube der vorhin noch so riesig wirkende Raum würde jeden Moment aus allen Nähten platzen.

Leise Gespräche hallen zwischen den Wänden wider, Ketten rasseln und Schlösser werden klickend geschlossen, als sich der Großteil des Rudels für die unfreiwillige Verwandlung der heutigen Nacht bereitmacht.

Mein Herz flattert nervös in meiner Brust, ein instinktiver Drang nach Flucht macht sich in mir breit, doch ich zwinge mich dazu, meinen Weg fortzusetzen. Ich möchte meine Freunde noch einmal sehen, mich von ihnen verabschieden und ihnen wünschen, dass alles gut geht.

So ignoriere ich meine Gefühle ein weiteres Mal gekonnt, nehme einen tiefen Atemzug der abgestandenen Kellerluft und schiebe mich an den wenigen Menschen, die noch in der Art Gang zwischen den einzelnen Zellen herumlungern, vorbei bis ich die vertrauten Gesichter von Elias, Ethan, Jamie... und zu meiner Überraschung auch Sharon erblicke.

Zögerlich trete ich näher und lege meine Hand um einen der rostigen Gitterstäbe, welche das Abteil meiner Freunde vom Gang trennen.

„Hey." Mit einem unsicheren Lächeln mustere ich die blassen, irgendwie angekämpft wirkenden Gesichter der Personen vor mir. Von stumpfer Emotionslosigkeit, über blanke Angst, bis hin zu unterdrücktem Unwohlsein spiegeln sich die unterschiedlichsten Emotionen in ihren Zügen.

„Kalie." Elias erhebt sich und ist mit wenigen Schritten vor mir am Gitter. „Was machst du hier? Du solltest längst losgefahren sein..." Sein Blick zuckt unruhig zu der alten Uhr im Gang. Das ehemalige Besitztum ihrer Lehrerin, an dem sich offenbar alle Anwesenden dieses Kellers zu orientieren scheinen.

19:23

„Ach was. Ein bisschen Zeit habe ich ja noch", versuche ich die unaufhörlich tickende Uhr im Hintergrund meines Bewusstseins einen Augenblick lang auszublenden und stattdessen so zu wirken, als würde nicht jeder Gedanke an die bevorstehende Nacht bewirken, dass ich beinahe hyperventiliere.

Ein wohlwollendes Lächeln erscheint auf den Lippen meines Freundes, welche die ungewöhnliche Blässe seiner Haut nur noch stärker zur Geltung bringen. Doch wenn ich meinen Blick von seinen tiefen, warmen Augen löse und zu den anderen sehe, die sich nun auch allmählich erheben um mir für diesen Abend alles Gute zu wünschen, bemerke ich, dass er damit nicht alleine ist.

„Mutig von dir, noch einmal hierherzukommen", begrüßt Ethan mich direkt, das Kinn zu einem anerkennenden Nicken gesenkt.

„...Wir haben nichts anderes erwartet." Jamie lächelt leicht, lehnt sich gegen das Gitter und umschließt die rauen, von Rost zerfressenen Stäbe so fest mit seinen Händen, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Fast, als würde er irgendwo halt suchen wollen.

„Hi." Auch Sharon tritt mit ans Gitter, fährt sich mit einer zitternden Hand durch die langen, schwarzen Haare und lehnt sich seitlich an ihren Bruder, der sofort einen Arm um sie legt.

„Wie geht es euch?" Wenn ich einen Blick auf ihre bleichen Gesichter, die angespannten Mienen und die verkrampfte Körperhaltung werfe, erübrigt sich diese Frage zwar, aber dennoch stelle ich sie.

Ich möchte diese unangenehme Stille brechen; die stumm zwischen uns in der Luft hängenden Worte aussprechen. Ich möchte ihnen helfen, so gut ich kann.

„Naja, wir werden in wenigen Minuten erfahren, wie sich ein kompletter Kontrollverlust anfühlt", erwider Jamie in bitterem Amüsement und lehnt nun auch den Kopf gegen das Gitter. „Falls ihr mich fragt – ich kann's kaum noch erwarten."

„Ich glaube, wir sind einfach alle fertig mit den Nerven", bringt Elias das allgemeine Gefühlsspektrum auf den Punkt. „Wir wissen nicht, worauf wir uns einlassen, was heute Nacht geschehen wird und..." Er stockt kurz, zwingt sich dann aber weiterzusprechen.

„Und ob wir jemanden verletzen werden."

Betroffen schüttele ich den Kopf und widerstehe nur knapp dem Drang, die schmale Zellentür auszureißen, hineinzustürmen und die nächstbeste Person darin in eine feste Umarmung zu ziehen.

„Ihr schafft das", ist leider alles, was ich in diesem Moment tun kann. „Ich habe jede Menge Sonnenhut auf den Treppenstufen verteilt – das sollte eure... eure Wolfsgestalt im Falle eines Falles nochmal zusätzlich aufhalten."

Ich hebe den Blick, will jedem von ihnen noch ein letztes, aufmunterndes Lächeln schenken, da geschieht es.

Elias stöhnt auf, fasst sich mit der Hand an den Kopf und taumelt zurück. Sein Brustkorb hebt und senkt sich heftig, sein Atem erzeugt kleine Wölkchen in der kalten Kellerluft und als mich sein Blick trifft, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.

In seinen Augen liegt Angst. Angst, gepaart mit verzweifeltem Unverständnis.

„Was...", keucht er, mit einem verwirrten Blick auf die Uhr.

„Die Uhr zeigt doch erst halb acht!", spricht Sharon aus, was alle denken. Auch sie scheint gegen eine unsichtbare Macht zu kämpfen. Ihre Finger sind in ihren dunklen Haaren vergraben, deren lila gefärbte Spitzen ihr wirr ins Gesicht fallen. Mit jeder Sekunde verkrampft sie sich mehr.

„Die Uhr, die Jamie damals aus Spaß um eine halbe Stunde verstellt hat?", hauche ich tonlos, den Blick wie hypnotisiert auf meine Freunde gerichtet.

Sie taumeln, fassen sich an die Schläfe, oder brechen auf dem Boden zusammen. Der gesamte Keller wird von Schreien oder anderen gequälten Lauten erfüllt, die mir bis ins Mark dringen. Erschaudernd trifft mein Blick auf Elias, auf dessen Gesicht und Armen bereits lange, blonde Haare zu sprießen beginnen.

Seine Augen bohren sich in meine, sein Mund öffnet sich und seine Lippen formen lautlos ein Wort.

Lauf.

Mehr hat es nicht gebraucht, um den schon seit Stunden in mir ruhenden Fluchtinstinkt auszulösen. Ich wirbele herum, die Glieder erfüllt von Adrenalin, sowie blanker Todesangst und renne.

Bringe die wenigen Meter bis zur Kellertreppe hinter mich. Das alarmierte Rasen meines Herzens hallt wie ein dröhnender Hammer in meinen Ohren wider; vermischt sich mit den überraschten Schreien des McCartney Rudels.

Schreien, knackenden Geräuschen und schließlich... heulen.

Ich wage es nicht mich umzudrehen, während im Keller Chaos ausbricht. Wölfe knurren, jaulen. Krallen scharren über Steine und Gitter ächzen scheppernd, wann auch immer sich eine muskulöse, pelzige Gestalt dagegenstemmt.

Kalter Schweiß breitet sich auf meiner Stirn aus, als sich endlich die steilen Treppenstufen vor mir erheben. Bis einer der Wölfe sein noch nicht vollkommen gesichertes Gefängnis zerstört, ist es nur eine Frage der Zeit.

Auf dem Weg nach oben rutsche ich mehrere Male auf den feuchten Stufen aus, falle hin, ziehe mir mehrere blaue Flecken zu, zwinge mich zum Aufstehen und laufe weiter. Laufe um mein Leben.

Oben angekommen kann ich bereits die ersten Metallstäbe bersten hören. Das Echo des zerstörten Eisens, gepaart mit dem tiefen Knurren mehrerer Wölfe hallt bis zu mir nach oben. Ein unheilvoller Vorbote dessen, was in wenigen Sekunden bei mir sein wird.

Betend, dass Lorals Kräutermischung sie wenigstens für ein paar Minuten aufhalten wird, schlage ich die Kellertür mit einem Knall zu, finde jedoch kein Schloss, um sie zu verschließen.

Schwer atmend sehe ich mich in der Halle um, bis mein Blick auf die Topfpflanze neben der Treppe fällt. Eine Pflanze mit einem sehr schwer aussehenden Topf...

In einem verzweifelten Versuch, mir noch etwas mehr Vorsprung zu verschaffen, will ich zu der Strahlenpalme laufen, mich gegen sie stemmen und den schweren, mit Erde gefüllten Behälter vor die versteckte Tür zum Keller schieben, da fällt mein Blick auf den Schatten der Treppe.

Zwei funkelnde Augen blitzen mir von dort entgegen. Zwei Augen, die zweifellos zu einem der Wölfe gehören, die es aufgrund des allgemeinen Trubels nicht mehr rechtzeitig in den Keller geschafft haben.

Zwei Augen, die mein Ende bedeuten können.

Mein Herz scheint für einen Augenblick einzufrieren und ein eiskalter Schauer überkommt mich; rast in einem kaum spürbaren Windhauch meinen Körper hinunter und scheint bis zu meinen Knochen hindurchzudringen.

Langsam, ganz langsam trete ich einen Schritt zurück. Mein Atem ist angehalten, doch aus meiner Brust ertönt mittlerweile wieder ein lautes, verräterisches Pochen. Beinahe bin ich mir sicher, man könne das Echo dieses Geräusches mit etwas Anstrengung von den Wänden widerhallen hören.

Doch diese Einbildung beschäftigt mich nicht mehr lange.

Denn sobald ich meinen Fuß auch nur einen Zentimeter bewegt habe, ertönt ein grollendes Geräusch aus dem Schatten.

Und ehe ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen kann, reißen auch schon angeborene Instinkte die Kontrolle an sich, bringen mich dazu herumzuwirbeln und mit großen Schritten in Richtung Eingangstür zu stürmen.

Ich höre alles, während ich auf die beeindruckende, hölzerne Tür zurenne: Das Rumoren mehrerer Tiere in den oberen Stockwerken der Villa, das wütende Jaulen und Kratzen der Wölfe hinter der Kellertür – und nicht zuletzt auch die schnellen Pfotenschritte meines pelzigen Verfolgers.

Mein Körper kollidiert mit der harten Oberfläche, stemmt sich verzweifelt dagegen als hänge mein Leben davon ab – denn das tut es sicherlich auch.

Ein paar quälende Sekunden erfüllt mich die Angst, jemand könnte den Eingang zur Villa verschlossen haben. Dann jedoch gibt das wuchtige Material nach, schwingt einen Spalt breit auf, sodass ich in die kühle Freiheit der Nacht schlüpfen kann.

Keinen Blick nach hinten wagend setzte ich meine Flucht fort. Meine Schritte knirschen auf dem Kiesweg zum Tor, mein Atem geht stoßweise und bereits auf halber Strecke beginnt mein Sichtfeld, leicht vor meinen Augen zu verschwimmen, doch ich zwinge mich weiterzulaufen.

Die Zähne zusammenzubeißen, den Weg bis zum Wald in Rekordtempo hinter mich zu bringen in der Hoffnung, zwischen all den Büschen, Bäumen, Geräuschen und Gerüchen würde der Wolf sein Interesse an mir verlieren.

Eisen knallt klirrend auf Eisen, als ich die Pforte zum Anwesen im Laufen aufstoße. Die Pfotenschritte hinter mir sind nicht verschwunden – im Gegenteil. Ich vernehme sie in regelmäßigen, zu meinem Erschrecken immer kürzer werdenden Abständen.

Der Werwolf hinter mir holt auf, während an meinen Gliedern bereits die Erschöpfung zerrt.

Und als wäre das nicht genug, vernehme ich nun auch noch das triumphierende Heulen mehrerer Tiere, die es offenbar geschafft haben, ihrem Gefängnis im Keller zu entkommen.

Sie sind draußen, wird mir mit Tränen in den Augen klar. Alle Vorbereitungen waren umsonst.

Einzig und allein die Kraft der Verzweiflung ist es, die mich auf den Beinen hält. Das Adrenalin sorgt dafür, dass ich weder die schmerzenden Stellen an meinen Oberarmen spüre, mit deren Hilfe ich die Eingangstür, sowie die Pforte aufgestoßen habe, noch dem Stechen in meiner Brust Beachtung schenke.

Wenige, panische Herzschläge später habe ich den kleinen Vorplatz des Anwesens hinter mich gebracht und tauche in das schützende Dickicht des Waldes ein.

Doch der in mir aufkeimende Funken von Erleichterung, den ich beim Betreten des Unterholzes verspüre, weilt nur kurz. Denn bereits einen Augenblick später verrät mir ein lautes Rascheln, das Werwölfe ihr Ziel wohl nicht einfach so gehen lassen, wenn sie erst einmal Blut geleckt haben.

Mit dem Gefühl, als bestünden meine Beine aus Gummi, hechte ich weiter. Zweige schlagen mir schmerzhaft ins Gesicht, während ich halb blind durch den Wald stolpere. Immer wieder lassen mich große Wurzeln fast den Halt verlieren, Äste zerren an meinen Klamotten und meine Lungen brennen.

Der Wolf hinter mir scheint keine Probleme mit der Dunkelheit unter dem dichten Blätterdach zu haben. Er folgt mir mit zunehmender Geschwindigkeit, vollbringt elegante Wendemanöver, wenn ich mich durch ein dorniges Gestrüpp kämpfe und lässt mich schließlich zu der bitteren Annahme kommen, dass eine Flucht in den Wald letztendlich wohl doch nicht die beste Idee gewesen ist.

Im schwachen Licht des vollen Mondes, welches nur spärlich zwischen den Baumkronen hinab auf den Erdboden dringt, erkenne ich einen breiten Schatten.

Baum!

Ich will einen Haken schlagen, ausweichen, um meine halsbrecherische Flucht fortzusetzen, da geschieht es.

Ein Teil des modrigen Laubs, auf das ich meine Füße gesetzt habe, rutscht weg. Rutscht weg und lässt mich taumeln. Ungläubig und entsetzt weiten sich meine Augen, doch da habe ich schon mein Gleichgewicht verloren und bewege mich gen Waldboden. Unaufhaltsam und in der Sicherheit, soeben mein eigenes Todesurteil unterschrieben zu haben.

Meine Unterarme treffen auf trockenes Laub, ich kneife die Augen zusammen. Bereits nach wenigen Sekunden spüre ich den warmen Atem des Wolfes in meinem Nacken, der unangenehme Schauer mein Rückgrat hinabsendet.

Nur noch einen Herzschlag, dann werde ich seine scharfen Zähne zu spüren bekommen.

Nur noch einen Herzschlag, und...

Meine Eingeweide verkrampfen sich, mein Herz bäumt sich auf, unwillig und nicht bereit, jetzt schon zu sterben. Ich beiße die Zähne zusammen, balle meine Hände zu Fäusten, als dornenspitze Zähne auf die weiche Haut meines Nackens treffen.

Das Raubtier über mir scheint wie im Rausch. Es verstärkt seinen Biss, der Druck seiner Zähne wird stärker; sie beginnen, meine Haut aufzuschlitzen...

...und verschwinden plötzlich ruckartig, zusammen mit dem Rest des Werwolfes, der mit einem überraschten Jaulen zur Seite gestoßen wird. 

~~

A/N:

Und da sind wir - mit einer fast gestorbenen Protagonistin inmitten der Vollmondnacht! :)
War doch bis jetzt schon ganz lustig, oder? :P

Schon Vermutungen, wer oder was da gegen den Wolf geflogen sein könnte? xD

Und teilt jemand mit mir Theorien, was in dieser definitiv noch lang werdenden Nacht alles so passieren wird...? ;3

Einen schönen Abend wünsche ich euch noch!

LG Loony ♡

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