Der Donut

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»Erklären Sie mir jetzt, was es mit all dem auf sich hat?«, fragte ich, als ich am Sonntag in das Café zurückkehrte, und machte eine ausladende Handbewegung. Fest entschlossen, endlich die Wahrheit aus dem Kellner herauszukitzeln, verschränkte ich die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an.

»Gut«, willigte er zu meiner Überraschung ein. »Aber vorher essen Sie etwas. Wir haben jetzt auch wieder Donuts im Angebot. Soll ich Ihnen einen bringen?«

»Donuts?« Meine Augen weiteten sich und ich verfluchte mich für das erwartungsvolle Lächeln, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete. Dabei hatte ich mich doch extra um einen grimmigen Gesichtsausdruck bemüht, um dem Mann klarzumachen, dass ich nicht locker lassen würde, wenn es darum ging, endlich die Wahrheit zu erfahren.

»Das war dann wohl ein ja«, stellte er schmunzelnd fest. »Bis gleich.«

»Mhm«, machte ich und beobachtete, wie er hinter dem Tresen Getränke in Gläser füllte und sie anschließend an die anderen Kunden verteilte. Schließlich war ich an der Reihe und nahm meinen Karamell-Cappuccino und meinen Donut entgegen. Es war erst Mittag und noch nicht besonders viel los in dem kleinen Café, weshalb der Kellner sich die Zeit nehmen konnte, sich zu mir zu setzen.

Ich wartete, dass er zu reden begann, doch er beobachtete nur, wie ich den Donut vor mir auf dem Teller betrachtete. Ich wusste, wenn ich wirklich wollte, dass er begann, zu erzählen, dann musste ich konsequent bleiben.

»Ich fange nicht an zu essen, bevor Sie mir erzählt haben, was hier los ist.«Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und starrte ihn herausfordernd an, denn ich wusste, dass er nicht so einfach nachgeben würde. Ich allerdings auch nicht.

»Warum?«

»Aus Prinzip. Und weil ich sicher gehen will, dass Sie es mir auch wirklich erzählen. Sie brauchen etwas, das für Sie auf dem Spiel steht.«

»Etwas, das für mich auf dem Spiel steht?«, fragte er verwirrt. »Es könnte mir egal sein, ob Sie Ihren Donut essen. Wieso sollte das ein Ansporn für mich sein?«

Ich musterte ihn nachdenklich. »Weil ich es Ihnen ansehe. Es ist Ihnen nicht egal.«

Der Kellner schwieg eine Weile lang. »Sie haben recht«, lenkte er schließlich ein. »Es ist mir nicht egal. Und das liegt an meinem Job. Es ist mein Job, dass es mir nicht egal ist, was die Menschen fühlen, beziehungsweise versuchen, nicht zu fühlen.«

»Aha.« Etwas anderes wusste ich darauf nicht zu erwidern. »Und was genau meinen Sie damit?«

»Dieses Café ist kein normales Café, wie Ihnen sicherlich schon aufgefallen ist«, erklärte der Kellner seufzend. »Genau genommen existiert es nur für jene, die ihre Gefühle verdrängen oder verstecken. Nur sie können es sehen und besuchen – für alle anderen Menschen auf der Welt wirkt das Gebäude nur wie ein baufälliger, alter Laden, in dem früher einmal Gemüse verkauft wurde.«

»Aber das geht doch gar nicht«, widersprach ich ihm. »Hat das jemals irgendwer beweisen können?«

»Das nicht, aber wie willst du es dir sonst erklären, hm?«

»Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt«, mutmaßte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Das bist du nicht. Und wenn doch, sind wir alle es.«

»Mhm«, machte ich, obwohl ich nicht so recht verstand, was er meinte. »Und was hat es mit der Speisekarte auf sich? Es scheint mir, als würde jemand wollen, dass ich ein bestimmtes Gebäckstück nehme.«

»Das ist im Grunde auch so. Jedes einzelne von ihnen verkörpert ein bestimmtes Gefühl. Die Speisekarten sind alle auf den jeweiligen Besucher angepasst und stellen nur das Gebäck zur Verfügung, das ein Gefühl symbolisiert, welches der Kunde verdrängt. Isst er etwas davon, kann er es nicht länger ignorieren und muss das Gefühl wohl oder übel akzeptieren. Erst wenn all deine verdrängten Gefühle an die Oberfläche gekommen sind, bleibt das Café auch für dich im Verborgenen und du siehst den schäbigen, alten Laden, wie jeder andere auch. Meistens dauert das eine Woche. Mit etwas Glück ist heute, sobald du das Café verlässt, alles vorbei und du wirst diesen Ort nie wieder mehr betreten können.«

Langsam nickte ich. »Und all die anderen Leute hier? Was ist mit ihnen? Warum können sie das Café besuchen, wenn du doch gesagt hast, dass sie nicht aus dem gleichen Grund hier sind wie ich?«

»Sie sind nicht wirklich da«, erklärte der Kellner. »Jeder, der das Café betritt sieht das, was er erwartet zu sehen. Und deine Erwartungen an diesen Ort sind viele Gäste, die an den Tischen sitzen, etwas trinken und sich unterhalten. Ein anderer würde den Raum vielleicht vollkommen leer vorfinden. Der einzige, der wirklich da ist, das bin ich.«

»Aber was ist mit den anderen Besuchern, die ebenfalls ihrer Gefühle wegen hier sind? Wo sind sie?«

»Sie sind auch hier, ganz in der Nähe. Aber wenn ihr das Café besucht, betretet ihr eine Parallelwelt – jeder eine andere. Ihr seid am gleichen Ort, nicht aber in der gleichen Welt. Ich hingegen bin in allen gleichzeitig und sehe euch alle.«

Ich lachte verwirrt. »Tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich all das glauben kann. Das klingt viel zu unrealistisch. Aber es klingt plausibel. Und du sagst du Wahrheit, oder?«

Er nickte. »Und jetzt halte dein Versprechen und iss noch etwas.«

Da er seinen Teil unserer Abmachung eingehalten hatte, hörte ich auf ihn und biss in meinen Donut.

Als der süße Geschmack sich auf meiner Zunge ausbreitete, seufzte ich glücklich.

Glücklich. Das Wort war mir seltsam fremd, obwohl es doch zum normalen Sprachgebrauch gehörte. Ich war weder glücklich, noch zufrieden. Das ging inzwischen gar nicht mehr. Es gab immer etwas schlechtes, nie war alles positiv. Wie also sollte ich da Zufriedenheit spüren mit mir und meinem Leben? Trotzdem wusste ich, dass dieses hier das Gefühl für heute war, das ich verdrängte. Aber wie sollte ich es an die Oberfläche lassen, wenn ich es nirgends spürte?

»Es funktioniert nicht«, sagte ich betrübt. »Ich habe versucht, das Glück zuzulassen, aber es ist nicht da. Nirgends.«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Du musst es nur suchen.« Er lächelte mir aufmunternd zu. »Denk an einen schönen Moment in deinem Leben und dann versuche, dich an das Gefühl zu erinnern, das er mit sich gebracht hat.«

Zögerlich nickte ich und durchforstete mein Gehirn nach der letzten positiven Erinnerung. Ich musste an all die Abende nach meinen Besuchen im Café denken. Da war ein wenig Glück gewesen, aber ich hatte es verdrängt; hatte mir eingeredet, dass es nicht sein konnte und ich nicht zufrieden war. Aber im Nachhinein spürte ich es. Wie ein winziges Pflänzchen, dessen Samen ich gerade erst gesät hatte, und das nun begann zu wachsen, bis es immer und immer größer wurde. Bald würde es Früchte tragen.

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Ich hab es gefunden.« Und mit einem Mal machte es keinen Unterschied mehr, ob all das wirklich passierte, oder ob ich tatsächlich den Verstand verlor. Vielleicht war ich durchgeknallt und verrückt, aber zumindest war ich glücklich.

»Siehst du? Das Glück ist niemals gänzlich verschwunden. Aber manchmal ist es so tief drinnen, verborgen in all der Dunkelheit, dass es ein wenig Zeit bedarf, um es wieder auszugraben.«


Ende

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