Kapitel 13

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    Die Zeit verfloss träge, verrann zwischen ausgestreckten Fingern. Anne hatte kaum wahrgenommen, wie sie auf die Knie gefallen war, salziges Wasser tropfte von ihrem Gesicht in ihren Schoß. Der Tränenschleier vor ihren Augen löste sich langsam und als sie den Kopf hob, sah sie Kalee Meruis süßliches, grausames Lächeln. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich, während Funken in ihrem Innern tanzten, entzünden wollten.

    »Ich denke, wir sollten uns den wichtigen Dingen zuwenden«, klirrte Kalee Meruis Stimme. Anne zuckte zusammen. Grauer Rauch bildete sich an der Hand der Frau vor ihr, umgab sie beinahe elegant, bevor er durch die Luft langsam vorwärts kroch, sich vorantastete. Mit großen Augen starrte Anne ihm entgegen, wie er immer näherkam. Sie fühlte die Hilflosigkeit ihr die Kehle zuschnüren. Sie konnte nichts tun, nur dem Grauen ins Auge blicken.

    Alles in ihr schrie, sie sollte aufspringen, sollte fliehen. Die Luftmagie sammelte sich wie von selbst an ihren Fingerspitzen, wollte freigelassen werden. Doch Anne hielt sie, wo sie war, drängte sie zurück. Ihr Gegner war zu stark und sie zu schwach. Wenn sie das jahrelange Training eines gelehrt hatte, dann das: Kämpfe nie, wenn deine Kräfte verbraucht sind.

    Der Rauch kam unaufhörlich auf sie zu und Anne wagte kaum noch zu atmen, schielte. Die Hände krallte sie in die Falten ihres Kleides auf ihren Oberschenkeln. Kurz bevor der Rauch ihre Nasenspitze berührte, teilte sich der Rauch und floss als zwei Schwaden dicht an ihrem Gesicht vorbei, hinter sie. Sie stieß die Luft aus und drehte den Kopf nach hinten, sah ihm hinterher, wie er an die Tür stieß und sich dort ins Nichts auflöste. Anne kniff die Augen zusammen. Irgendetwas musste dahinterstecken, eine Finte. Kalee Merui würde doch nicht ihre Magie auf sie losschicken und sie dann unverrichteter Dinge verpuffen lassen, das hätte keinen Sinn.

    Anne Oberkörper zuckte wieder nach vorne, als ihr ein scheußlicher, fauliger Geruch in die Nase stieß. Sie musste würgen, beugte sich weit vor, das verzogene Gesicht dicht über dem Boden. Sie zwang sich, aufzublicken, wenn gleich ihr das Atmen mit jedem Schnappen nach Luft schwerer fiel. Kalee Merui war nah an sie herangekommen, gefährlich nah. Nur Zentimeter von ihr entfernt ging sie vorsichtig in die Hocke, ein undurchsichtiger Ausdruck in den Augen. In der Hand hielt sie einen Becher, den sie Anne nun vor das Gesicht hielt. Ihr fiel auf, dass ihre Hand zitterte. Anne hielt die Luft an und schielte nach unten in den Becher, wo eine zähe, graue Masse brodelte träge vor sich hin brodelte. Eine feine, hellgraue Dampfschwade stieg davon auf, die sich sogleich verflüchtigte und kaum sichtbar war – die Quelle des Geruchs.

    »Trink«, flüsterte Kalee beschwörend und hielt den Becher direkt an ihre Lippen, die Anne fest verschloss. Sie sah für einen winzigen Moment den verkniffenen Gesichtsausdruck der grauen Magierin; irgendetwas passte ihr nicht. Doch sie schenkte dem keine weitere Beachtung, spürte das Prickeln der Magie in ihren Fingerspitzen, stärker noch als zuvor, das darauf drängte, freigelassen zu werden. Anne beschloss, sie diesmal nicht zu unterdrücken. Sanft lockte sie weitere Magie hervor, die durch ihre Adern rauschte und sich an den Fingerkuppen sammelte, kitzelnd dagegen drückte. Anne presste fest die Lippen aufeinander, sah, wie Kalee den Becher leicht kippte, wie die Flüssigkeit auf sie zu rann. Sie merkte, wie das Bedürfnis des Atmens übermächtig, der Druck auf ihrer Lunge größer wurde. Sie streckte die Hand aus, entließ ihre Magie, lenkte den hellgrauen Dampf von ihr weg und schnappte erleichtert nach Luft, bevor sie sich weiter konzentrierte, unter größter Anspannung die graue Masse zurück in den Becher drängte. Ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen. Für den Moment hatte sie gewonnen. Vorsichtig lockerte sie ihre verkrampfte Hand, während sie zugleich weiter die Flüssigkeit an Ort und Stelle hielt, dafür sorgte, dass sie nicht die schräge Wand des Bechers hinab auf ihre Lippen rann.

    Sie spürte eine kalte Hand in ihrem Nacken, Nägel, die sich in ihre Haut bohrten, Finger, die ihren Kopf umklammerten und zurückdrückten. Anne riss die Augen auf, sah direkt an die Decke, wo unnatürliches, grelles Licht auf sie niederschien. Einen Moment sah sie nur blendendes, erblindendes Weiß. Dann wagte sie es, hinunter zu schielen, direkt in die brodelnde Flüssigkeit, die auf ihren Mund zufloss. Ein wenig darüber der stechende Blick Kalee Meruis. Fest presste sie die Lippen zusammen, ihre Brust erzitterte, ihr Körper bebte. Sie fühlte sich wie betäubt; gefangengenommen von grauem Rauch, der ihren Körper umgab.

    Ihre Augen zuckten umher, sie spürte den unangenehmen Druck von verkrampften, unbarmherzigen Fingern an ihrem Hinterkopf. Von überallher sah sie zischelnde graue Rauschwaden aufsteigen. Es schien, als flüsterten sie sich Dinge zu, während sie um Annes Gesicht herumzüngelten. Sie atmete flach, zittrig, während sie sie angstvoll mit Blicken verfolgte. Sie spürte die wackeligen Schläge ihres Herzens in ihrer Brust, die Hilflosigkeit pulsierte durch ihre Adern, bevor das Gift der Angst hindurchsirrte, ihren Körper unter Strom setzte.

    Der Rauch formte sich zu Zangen, die sich in ihre Mundwinkel trieben. Übelkeit stieg in Annes rumorendem Magen auf, als sein Geschmack sich auf ihre Zunge legte. Es schmeckte wie Asche, wie bröckelnder, pulvriger Tod. Sie wollte sich übergeben, dieses Zeug aus ihrem Mund bekommen, das sich darin festbiss. Die Zangen begannen, sich gegen ihre Lippen zu schieben, sie gewaltsam aufzudrücken. Anne presste sie mit wachsender Verzweiflung zusammen, jeder einzelne Muskel zitterte. Die Anstrengung, die Hilflosigkeit, trieben ihr brennende Tränen in die Augen, die auf ihren Iriden kochten. Sie versuchte gar nicht erst, sie wegzublinzeln; ungehindert rannen sie über ihre Wangen, hinterließen eine salzige Spur.

    Ihr Widerstand schwand, die angespannten Muskeln erschlafften. Ihr Mund öffnete sich. Anne spürte die kalte Hand in ihrem Nacken, die Zangen an den Innenseiten ihrer Wangen. Kraftlos musste sie mitansehen, wie die zähe graue Masse aus dem Becher floss, auf ihren weit geöffneten Rachen zukroch. Die Erschöpfung ließ sie es einfach hinnehmen. Sie konnte nichts mehr tun. Ihre Gegenwahr war gebrochen.

    Kaum berührte der erste Tropfen ihre Zunge mit einem leisen Zischen, breitete sich ein bitterer Geschmack darauf aus wie ein hauchfeines Netz, das sich darüberstülpte und Annes Körper zuckte heftig unter Krämpfen. Alles fühlte sich kalt an, nur ihre Augen, ihre Augen brannten, sie konnte sie kaum mehr halb geöffnet halten. Die Welt verschwamm.

    Immer mehr von der Masse drang in ihren Mund, vergiftete ihn, drohte, sie zu ersticken. Anne wollte nach Luft schnappen; es blieb ihr verwehrt. Sie wurde von Hustenanfällen geschüttelt, ihre Muskeln zuckten unkontrolliert, während sie verzweifelt versuchte, die Flüssigkeit wieder auszuspucken. Sie hätte sie selbst heruntergeschluckt, wenn sie wenigstens wieder hätte atmen können, doch auch das ging nicht. Ihre Kehle war wie blockiert, ein verschlossener Eingang. Anne hatte den Widerstand aufgegeben, doch ihr Körper kämpfte weiter, verbittert, bis auch der letzte Funken Kraft ihn verlassen hatte.

    Anne prustete und hustete, konnte nichts dagegen tun, wünschte sich nichts mehr, als dass sie wieder atmen konnte. Eine eiskalte Hand legte sich um ihren Hals und sie würgte, ihre Augen verdrehten sich. Einen Moment schien die Welt stillzustehen, alle Geräusche verstummten. Die Zeit verlangsamte sich, als hätte man etwas zwischen ihre ewig laufenden Räder geklemmt. Doch dieses Etwas zerbrach und rasend schnell lief sie weiter, eine Eisschicht zog sich blitzartig über Annes Haut, ließ sie gefrieren. Anne spürte den Atem, der durch ihre Luftröhre zog, er bestand aus tausend winzigen Eiskristallen mit Widerhaken, die in ihre Lunge stachen, sich dort festbissen. Sie spürte, wie sie schluckte, dem Gift erlaubte, in ihren Körper einzudringen, sich wie ein Tier hindurch zu schlängeln und zu winden. Ihr Körper erschlaffte aufs Neue, sie sah schwarze und weiße Punkte hellen Lichts hinter ihren geschlossenen Lidern tanzen. Das Bewusstsein entglitt ihr und sie trat die Stiege der Ohnmacht hinunter in das Reich des Schlafes, der seinen wohltuenden schwarzen Mantel um sie legte.

    Stille dröhnte in ihren Ohren. Sie wirkte unnatürlich, angespannt. Krampfhaft. Es war eine furchtsame Stille. Die Ruhe vor dem Sturm.

    Nichts rührte sich, an diesem Ort, der doch so belebt sein sollte. Kein Tier schien den Wald mehr zu bevölkern, selbst der Wind hatte den Atem angehalten. Sie konnte nichts tun, um die unnatürliche Stille zu durchbrechen. Sie würde nur der Vernichtung zusehen können, wie sie um sich schlug. Sie war eine stumme Beobachterin, die ihren Schmerz nicht hinausschreien konnte in die Welt. Gefangen in diesem Vogelkörper, gefesselt an den Baumwipfel, auf dem sie saß. Gefangen in dieser fremden Welt, die ihr doch so vertraut war.

    Wie ein Wimpernschlag hörte sich an, was das Unheil zuletzt ankündigte. So leise, dass es niemand zu hören vermochte. Und doch da.

     

    Bilder verschwammen zu bunten Farbkleksen und unscharfen Gebilden; feine Risse zogen sich durch die Szene, bis sie schließlich in tausend Splitter zersprangen. Sie drehten sich, suchten sich neue Plätze, setzten sich neu zusammen. Ein neues Bild entstand, aus einer neuen Perspektive.

     

    Sie spürte die sanfte Brise auf ihrer Haut. Der Wind schwieg nicht mehr, leistete ihr Beistand. Tief atmete sie ein. Atmete aus. Genoss diese wenigen Momente, die ihr noch vergönnt waren. Genoss die Ruhe vor dem Sturm.

    Anne wusste, dass die Gewitterwolken aufzogen, ohne nach oben sehen zu müssen. Sie wollte sie nicht sehen, wollte das Unheil sich nicht zusammenbrauen sehen und sah stattdessen hinunter auf ihre Hände. Bröckelndes Weiß überzog sie, wie trocknende Farbe, durchzogen von grauen Adern. Sie pulsierten, wollten hervorbrechen. Sie wussten, dass ihre Zeit gekommen war – dass Anne sie nicht länger zurückhalten konnte.

    Ein heftiger Windstoß kam auf, kitzelte sie ihm Gesicht und strich die Haarsträhnen daraus. Sanft nahm er den Blumenkranz auf Annes Kopf und trug ihn davon. Er blieb an einem Ast hängen, an einem Baum am Rande der Lichtung. Anne sah ihm hinterher, bevor sie ihren Blick wieder nach vorne richtete. Ihr Körper zuckte. Es wollte endlich aus ihr herausbrechen, seine Macht entfesseln und den Kampf fortführen.

    Von Krämpfen geschüttelt fiel Anne auf die Knie, ihre Hände öffneten und schlossen sich. Sie hörte eine Krähe schreien. Dann tauchte ungefragt ein Bild auf, verdeckte ihre Umgebung. Graue, dornige Ranken umschlangen Weiß, pulsierendes Weiß, das sich verzweifelt gegen den unerbittlichen Griff wehrte, der sich immer fester um es zerrte.

    Anne hielt die Hände vor ihre Brust, wie, um etwas in ihr zu halten. Der Atem kam in Stößen aus ihrem halbgeöffneten Mund; ihre Augen waren auf einen verschwimmenden Punkt gerichtet. Sie entließ den Schrei aus ihrer Kehle, als sie es nicht mehr aufhalten konnte. Der Sturm kam, tobte um sie herum und ihrem Innern.

    Ein Keuchen entfuhr Annes Lippen, als sie aufschreckte, ihr Oberkörper nach oben schnellte. Ein Zittern erfasste sie und sie blinzelte ein paarmal, um die Bilder zu verdrängen. Ihr Atem wurde mit jedem Zug ruhiger, als sie realisierte, dass das nicht die Wirklichkeit gewesen war. Sie hatte diesen Traum verlassen, war nun wieder in der Realität angelangt.

    Sie schloss die Lider, konnte sie in der undurchdringlichen Dunkelheit, die sie umhüllte, ohnehin nichts erkennen. Der kalte, harte Boden, auf dem sie saß, wirkte fast beruhigend. Ihr Bewusstsein kam immer mehr in diesem dunklen Raum an, verließ den Traum endgültig. Erinnerungsfetzen setzten sich zusammen, zeigten ihr, wo sie war. In einer kalten, modrig riechenden Zelle ohne Lichtquelle. Mitten in einer grauen Festung.

    Ein hilfloser, hoher Laut entfloh ihren Lippen, als sie an die zähe graue Masse dachte, die Kalee Merui ihr eingeflößt hatte. Kalee Merui. Der Name war tief in ihrem Gedächtnis verankert, als hätte sie ihn höchstpersönlich hineingeritzt. Anne überkam ein Würgereiz, der sie sich vorbeugen ließ, wenn sie daran dachte, dass die Flüssigkeit noch immer in ihrem Körper war, durch ihre Adern sirrte. Mit Schaudern dachte sie an die Ohnmacht, die sie kurz darauf umhüllt hatte.

    Unweigerlich glitten ihre Gedanken zu den beiden Träumen, doch sie verscheuchte sie. Sie wollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen. Dennoch war es ihr unheimlich, dass sie dort Dinge gewusst hatte, die sie nun vor Rätsel stellten; keinen Sinn ergaben. Sie hatte im Körper eines Vogels auf eine Lichtung hinabgesehen, auf den Sturm gewartet. Und dann war sie auf dieser Lichtung gestanden, als sie selbst, und etwas war aus ihr hervorgebrochen …

    Anne vertrieb die Grübeleien, zog die Beine an ihren Körper, schlang die Arme darum und legte ihr Kinn auf die Knie. Andere Gedanken beschäftigten sie. Sie fühlte sich einsam, sehnte sich ihre Schwester herbei, ihre warmen Umarmungen. Ihr war kalt, furchtbar kalt. Sie wollte hier raus, doch sie wusste nicht, wann sie je wieder das Tageslicht erblicken würde. Oder was man ihr bis dahin antun würde. Ob sie danach doch dieselbe wie früher sein würde.

    Eine einzelne Träne rann über ihre Wange, fiel von ihrem Kinn und durchnässte den Stoff ihres Kleides. Sie fühlte sich einsam und sie fühlte sich hilflos. Sie wollte hier raus, sie wollte die graue Masse aus ihrem Körper bekommen, fühlte sich beschmutzt. Eine zweite Träne gesellte sich zur ersten. Ihr Bauch rumorte, verlange grummelnd nach Nahrung. Anne konnte ihm keine geben.

    Ihre Gedanken kreisten weiter; in der unendlichen Stille dieser Zelle fanden sie keine Ruhe. Kalee Meruis Worte schwirrten in ihrem Kopf umher. Sie sollte zerstören. Sie sollte die violette Magie vernichten. Ihre eigene Magie. Du wirst eine von uns werden. Dieser Satz wirbelte wie ein eisiger Wirbelsturm in ihrem Geist umher, legte kalte Kristalle um ihren Hals, um ihr den Atem zu nehmen und ließ die Tränen auf ihren Wangen gefrieren; ihre Lippen ertauben. Er sorgte dafür, dass jeder Widerstand kraftlos zum Erliegen kam, und zugleich eine innere Rebellion in ihrem Blut kochte, in wütender Verzweiflung gegen die Angst aufzubegehren versuchte. Diese wenigen Worte betäubten ihr Denken und stachelten es auf – alles zur selben Zeit.

    Anne sollte zerstören, sie sollte vernichten. Alles, wofür sie ihr Leben gegeben hätte, alles, was sie geliebt hatte. Sie fühlte sich wie eine Waffe in den Händen der grauen Armee, wenn sie auch ihre Feuerkraft noch nicht verstand. Kalee Merui hatte sie wertvoll genannt. Wertvoll darin, sich gegen ihr Land zu stellen?

    »Nein«, flüsterte Anne und ihre Worte verhallten heiser in der Finsternis. »Das werde ich nicht tun.«

    Anne fühlte noch keinen Durst in ihrer Kehle kratzen und auch nicht das – hier etwas ungünstige – Bedürfnis, ihre Notdurft zu verrichten, doch ihr Magen grummelte, als wolle er es mit dem nächstbesten Gewitter aufnehmen und die Leere darin schmerzte. Auf den Knien kroch sie zu den Gitterstäben, die sie von der Freiheit trennten, legte ihre Hände darum. Die Stirn legte sie an das Metall, das sich flammend kalt in ihre Haut einbrannte, doch sie ignorierte das Gefühl so gut es ging. Sie drückte sich dagegen, als wolle sie ihren Kopf durch die Streben zwängen. Mit den Augen schielte sie nach rechts, dorthin, wo der schwache, sanfte Lichtschein seinen Ursprung hatte. Wo die steinernen Treppen und der, vom Alter gebeugte, Torbogen standen. Anne hielt den Atem an, der in der Stille, die sie umgab, unnatürlich laut wirkte, und horchte. Angestrengt spitzte sie die Ohren, doch keine Schritte durchbrachen das Schweigen, das diesen Ort einhüllte, keine Stimme erhob sich in der Ferne. Anne hörte in ihrem Gefängnis nicht einmal den Wind säuseln, konnte seinem beruhigenden Flüstern nicht lauschen.

    Resigniert fiel sie in sich zusammen, die Hände noch immer um die Gitterstäbe geschlungen, doch der Kopf hing, wie an losen Fäden gehalten, gen Boden. Ihr Magen verlangte grummelnd nach Essen, stach in ihre Bauchdecke, als wollte er tadelnd den Finger heben. Anne stieß krampfhaft die Luft aus. Plötzlich entwich ein keuchendes Lachen ihren tauben Lippen. Sie besann sich, welchen Blutes sie war. Sie mochte kein Beschützer sein, doch sie gehörte den Hohen Familien an; ihre Magie war mächtig. Sie kitzelte sie hervor, in der Erwartung, sie möge sie erhaben durchströmen, prickelnd bis in die Fingerspitzen erfüllen. Stattdessen floss sie träge durch ihre Adern, in ihrer Kraft gebremst. Nein, es war fast, als kämpfte sie sich vorwärts, verbissen, ihrer Aufgabe nachzukommen. Als stünden ihr tausend kleine Widerhaken im Weg, die sie zurückhalten wollten. Es war wie eine Blockade, die Anne den Zugriff auf ihre Magie verweigerte.

    Anne hob eine Hand, die zitterte wie ein frisches Blatt im Wind, schloss die flatternden Lider. Vorsichtig lockte sie sie die Magie in einem zähen Kampf in ihre Fingerspitzen, spürte statt des Prickelns ein Stechen darin. Behutsam setzte sie die Luft um ihre Hand in Bewegung, erzeugte einen kleinen Wirbel, versuchte es zumindest. Übelkeit wurde von ihrem leeren Bauch ihre Speiseröhre hochgetrieben, bis sie den beißenden Geschmack von Magensäure im Mund spürte, würgen musste.

    Die Magie in ihren Fingerspitzen erstarb augenblicklich, wurde an ihren alten Platz zurückgedrängt. Doch sie wehrte sich, kämpfte unerbittlich gegen die Blockaden an, die ihr ihre Freiheit nahmen und trieben brennende Tränen in Annes Augen, die schon bald ihre Wangen überströmten und eine flammend kalte Spur hinterließen. Sie schluckte die Säure in ihrem Mund herunter, spürte einen Wirbel, doch es war ein anderer als der, den sie hatte heraufbeschwören wollen. Es war einer, der in ihrem Herzen stürmte, in ihrem Bauch sein Unwesen trieb und die Übelkeit befeuerte, die Glut des Widerstands in ihr entfachte wie plötzlich aufkommender Wind bei einem erloschen geglaubten Feuer.

    Dieser Wirbel schrie sie an, sie solle sich ihre Freiheit erkämpfen, während es zugleich ruhig um Anne geworden war. Schreie in ihrem Inneren, Stille in der dunklen Zelle. Sie schloss die Augen, atmete modrige Luft ein, fühlte sich seltsam leicht. Anne fragte sich, was geschehen würde, wenn sie losließ. Erst jetzt wurde sie sich ihrer verkrampften Hand bewusst, die verzweifelt versuchte, den Sturm zu bändigen, unter Kontrolle zu halten. Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn sie ihn losließ und hielt ihn zugleich noch fester umklammert, mit schwindenden Kräften. Eine leise, zynische Stimme lachte in ihrem Kopf, sie würde gegen sich selbst ankämpfen, doch Anne hörte nicht auf sie. Sie biss die Zähne zusammen, spürte ihre Kräfte schwinden. Doch sie war nicht gewillt, aufzugeben, auch, wenn der wütende Sturm ihr mehr und mehr entglitt, sich ihrer Kontrolle entwand.

    Es kam das Unvermeidliche. Anne rutsche ab, der Griff um den Wirbel verschwand im Nichts und ein erschrockener Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Etwas schien in ihr zu sein, etwas Mächtiges, das sich nun, wo Anne es nicht mehr mit eiserner Hand hielt, seinen Weg nach draußen bahnen wollte, seine Kraft entfesseln wollte. Es saß mitten in ihrer Brust, in ihrem Bauch, kroch in ihre Fingerspitzen und drückte gegen ihren Körper, als wolle es ihn zerreißen und zersplittern. Anne entwich ein Keuchen, bevor sie scharf die Luft einsog. Ihre Hände lagen auf ihrer Brust, dicht über ihrem Herzen, als wolle sie es zurückhalten. Diese Geste kam ihr auf seltsame Weise bekannt vor, doch sie konnte keine Verknüpfung herstellen. Stattdessen spürte sie das Pochen und Pulsieren in ihr immer deutlicher, als würde das Etwas immer größer, gewann an Macht. Es saß direkt unter ihrer Haut, unter ihren Rippen, zerrte daran, wollte sich befreien. Anne war hilflos, konnte es nicht aufhalten, sich nicht schützen. Sie fühlte sich wie an seidenen Fäden von der Dicke eines Haares gehalten, die mit jeder Sekunde dünner wurden. Nur wusste sie nicht, wie tief sie fiel, würden sie reißen.

    Angestrengt atmete sie ein, atmete sie aus. Ihre Finger krallten sich in ihr Kleid, in ihre Haut, wollten es zurückhalten. Ihr Körper zuckte, sie konnte es nicht kontrollierten. Sie konnte nur daran denken, dass sie nicht bersten wollte, dass das Etwas ihre Brust nicht zerfetzen sollte, um seine Freiheit zu erlangen. Sie spürte das Reißen, sie fühlte das Pulsieren der Macht unter ihrer Haut, es nahm alles ein. Dann brach es hervor, quoll mit einem Knall durch Annes Finger auf ihrer Brust, breitete sich explosionsartig aus. Anne spürte einen scharfen Luftzug auf ihrem Gesicht, bevor ihr Körper, leicht wie eine Feder, hochgewirbelt wurde und ihr ein erschrockener, schriller Schrei entfuhr.

    Sie konnte nichts sehen, die Welt versank in Schwarz, sengender Hitze und Atemlosigkeit. Wie eine Puppe wurde sie herumgeschleudert, bis sie mit dem Rücken hart aufkam. Der Aufprall presste ihr sämtliche Luft aus den Lungen, ließ ihren Kopf unsanft nach hinten schwingen und trieb ihr Tränen in die Augen, vor denen helle Lichter tanzten. Kalte Stäbe bohrten sich in ihren Rücken, nahmen ihr den Atem. Sie rang nach Luft, konnte sich nur darauf konzentrieren. Um sie herum dröhnte die Stille.

    Sie spürte ein Aufbäumen in ihrem Inneren, in ihrer Brust, ihre Finger zuckten. Sie presste die Lider zusammen und die Zähne aufeinander, als eine langanhaltende Druckwelle sie noch weiter nach hinten drückte, die Streben noch tiefer in ihren Rücken trieb und den Schmerz explodieren ließ. Flammen aus Eis tanzten auf ihrer Haut, züngelten ihre Lungen entlang, die in Stößen krampfhaft nach Luft schnappten, verzehrten ihre Innereien.

    Ein weiterer Knall, noch mehr Druck, der sie gegen die Stäbe presste. Jeder Muskel verkrampfte sich, bis die Streben unter ihr nachgaben und mit einem Knirschen, das von weit herzukommen schien, aus dem Rahmen brachen. Einen Moment fühlte Anne eine prickelnde Schwerelosigkeit, bevor sie ein weiteres Mal auf dem Gitter aufkam, ihr Rücken sie ein weiteres Mal peinigte.

    Es dauerte, bis die Schwärze vor ihren Augen wieder den schwachen Lichtschein hindurchließ und das Brennen, das ihren ganzen Körper überzog, nachließ. Stille hatte sich über das Gefängnis gelegt und Anne wusste nicht, ob sie sie beruhigen oder ängstigen sollte. Sie lauschte, doch es blieb ruhig. Vorsichtig, darauf bedacht, sich genügend mit den Händen abzustützen, setzte sie sich auf. Dennoch jagte ein Stechen durch ihren Rücken, das sie scharf die Luft einsaugen, ihre Arme verkrampfen ließ. Sie schloss die Augen, fühlte in sich hinein. Da war nichts mehr – nur noch ihr pochender, sich langsam beruhigender Herzschlag. War es vorbei?

    Anne erhob sich, die losen Gitterstäbe scharrten über den Boden. Sie stand in dem Gang, um sie herum intakte Zellen. Das Gesicht wandte sie dem schwachen Lichtschein zu, dort, wo der Torbogen den Weg in die Freiheit markierte. Und in diesem Moment erfasste sie eine Erkenntnis wie ein plötzlicher Windstoß, durchrauschte ihre Adern und kribbelte in freudiger Erwartung in ihren Fingerspitzen, ließ sie selbst überrascht einatmen. Wie um sich zu vergewissern, drehte sie sich noch einmal ihrer nun leeren Zelle zu, aus der die Gitterstäbe herausgebrochen waren, wandte sich lächelnd wieder dem Licht zu, das sie locken wollte. Trotz der Schmerzen breitete sich auf ihrem Gesicht ein schwaches Lächeln aus, das ihre Augen funkelnd erreichte. Ihr Gefängnis war zerstört. Die Erkenntnis durchzuckte sie ein weiteres Mal.

Sie war frei.

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