Kapitel 4

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    Renn.

    Ihre Füße flogen über den federnden Waldboden. Äste peitschten ihr ins Gesicht, zerkratzten ihre Arme und hinterließen blutige Striemen auf der Haut. Den Schmerz ignorierend, strich sie das Gestrüpp hektisch beiseite. Es behinderte sie. Sie … sie musste rennen.

    Ihr Kleid verfing sich; mit einem Ruck riss sie sich los. Immer schneller, nur nicht langsamer werden. Ihr Herz trommelte im gleichen, immer schneller werdenden Takt ihrer Füße gegen ihre Brust, feuerte sie an. Ihr Atem ging keuchend, ihre Lunge stach.

    Unruhig zuckten ihre Augen durch die Dunkelheit. Die Unterarme schützend vors Gesicht haltend, stieß sie wie von selbst alle Äste beiseite. Die hölzernen Finger schlugen gegen ihre geschundene Haut, rissen immer neue Furchen hinein.

    Ihre Muskeln schmerzten, doch sie durfte nicht stehen bleiben. Musste weiter, immer weiter. Gejagt vom unsichtbaren Feind. Mit Tränen in den Augen kämpfte sie sich durch den dichten Wald, die Ellenbogen ausgefahren.

    Sie stolperte über eine Wurzel, fiel der Länge nach in spitze Nadeln. Ihr Kinn schlug hart auf dem Boden auf, alle Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei, rappelte sich sofort wieder auf. Ein lautes Ratschen, als ihr Kleid abermals zerrissen wurde.

    Sie bekam nicht genug Luft, ihr Atem rasselte, ihr Körper zitterte. Und doch blieb sie nicht stehen. Ihr Knöchel schmerzte – sie humpelte weiter vorwärts.

    Ein Teil von ihr wusste, dass es bereits vorbei war. Dass sie diesen Kampf verloren hatte, dass sie so keine Chance mehr hatte. Verletzt, wie sie war, am Ende ihrer Kräfte.

    Doch ein anderer, stärkerer Teil, trieb sie immer weiter zur Flucht an. Zur Flucht vor etwas, von dem sie nicht einmal wusste, was es war. Immer weiter schleppte sie sich, immer schwerfälliger. Jede Bewegung löste weitere Schmerzen aus, die durch ihren Körper sirrten, sie zucken ließ. Verzweiflung bahnte sich in Wellen durch ihre Adern. Sie wollte aufgeben, wollte nicht weiter. Wollte stehenbleiben und sich in die spitzen Nadeln fallen lassen, wollte schlafen. Einfach nur schlafen, ihre Wunden und ihre Flucht vergessen.

    Erschöpft blieb sie stehen, hörte nichts als ihren eigenen Atem und ihren donnernden Herzschlag, spürte nichts als die Schmerzen im ganzen Körper, als sie auf dem Boden zusammensank, den Kopf hängen ließ. Sie konnte nicht mehr.

    Hitze, kaum dass sie aufgegeben hatte. Sie spürte die Flammen, bevor sie sie berührten, roch den Rauch, bevor das Feuer sie erreichte. Sie brachte kaum die Kraft auf, den Kopf zu drehen, sah mit verzweifelter Angst, wie die Flammen um sich griffen, hungrig die Bäume ringsherum befielen, sie qualvoll zerfraßen. Brennende Zweige fielen knisternd zu Boden.

    Es war wie eine Welle Eiswassers, die über sie schwappte, ihre Haut sich schmerzhaft zusammenziehen und gefrieren ließ und ihre Bewegungen lähmte. Der Wald war hell erleuchtet, die Flammen schossen hoch in den Himmel, verdrängten die einstige Dunkelheit und hüllten die Welt in einen blutlechzenden Schleier aus Hitze, Rot und Rauch.

    Es waren langgezogene Sekunden, die sie verschwendete, bis ihre Atmung sich beschleunigte, wieder Luft durch ihren Körper pumpte, als wäre sie noch immer in vollem Lauf.

    Ein Wimmern entfloh ihren Lippen. Zum ersten Mal dachte sie daran, dass sie nicht sterben wollte. Sie drehte ihren Körper herum, fiel auf den Bauch wie ein nasser Sack. Wie eine Puppe, die man nicht länger festhielt. Sie war des Kämpfens müde.

    Nur am Rande nahm sie die Nadeln wahr, die sich in ihre Haut bohrten. Ätzender Rauch brannte sich in ihren Hals, ihre Lungen, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie sah vor sich und konnte doch nichts erkennen. Blind streckte sie einen Arm vor, zog ihren Körper Zentimeter für Zentimeter über den Boden. Sie kam langsam voran, robbte mühsam und mit letzter Kraft vorwärts. Es war ein Akt der Verzweiflung.

    Neben ihr fiel ein brennender Ast, sie sah die Flammen aus dem Augenwinkel. Der Rauch reize ihre Atemwege, sie musste husten, bekam keine Luft mehr. Es war, als würde sie alles Leben aus sich heraus husten. Sie konnte nichts mehr sehen, ihre Augen tränten und die Luft war eine zähe, graue Masse.

    Grau. Giftiger Rauch. In ihrem Kopf blinkte etwas, ein hohes, schrilles Pfeifen setzte ein. Ganz langsam wollte sich eine Erinnerung formen, doch sie konnte nicht mehr denken. Sie war zu langsam. Die Flammen erreichten sie, leckten an ihrem Kleid, fraßen sich in ihre Haare, verbrannten ihre Haut in sengender Hitze. Das Feuer forderte seinen Tribut. Der Rauch lähmte sie, die Kraft hatte sie verlassen. Ein kläglicher, von Verzweiflung geprägter Aufschrei entfloh als Letzter ihren Lippen, bevor sie nur noch ihrem eigenen Tod entgegensehen konnte. 

     

    Annes fuhr mit einem spitzen Schrei aus dem Schlaf, brauchte qualvolle Sekunden, bis sie sich der Realität bewusstwurde. Bis sie sich bewusstwurde, dass das nur ein Traum gewesen war, dass sie in ihrem weichen Bett lag, von Kissen und Decken umgeben statt von Nadeln, und hier in Sicherheit war. Dass keine Flammen nach ihr griffen.

    Zitternd wartete sie darauf, dass ihr keuchender Atem sich beruhigte und ihr stolperndes Herz seinen Rhythmus normalisierte.

    Schon wieder?, schoss es ihr durch den Kopf. Zwei Alpträume in zwei Nächten. In ihrem Kopf filterten sich die Parallelen heraus, bildeten ein Puzzle. Grauer, lähmender Rauch und alles verzehrendes Feuer. Ihr eigener Tod. Das waren die Teile, die sie hatte. Nur wenige Teile eines großen Ganzen, so schien es Anne. Ihre Gedanken kreisten um einen dieser Punkte. Zweimal hatte sie bereits davon geträumt, wie sie starb. Zweimal hatte sie bereits gespürt, wie das Leben sie verlassen hatte.

    Unbehagen befiel sie, verunsichert fuhr sie sich über den Arm. Eine Gänsehaut hatte sich darauf gebildet. Angestrengt versuchte sie, ihre Atmung zu kontrollieren, zu beruhigen. Doch ihr Brustkorb zitterte. Es wollte ihr nicht gelingen, die Bilder zu verdrängen. Sie hatten sich in ihre Iriden gebrannt, waren hinter ihre Lider graviert.

    Sie wusste, dass sie ihren Schlaf brauchte. Dass sie morgen ihre Zukunft planen musste, sehen musste, wie es weiterging. Sie durfte sich die Ruhe, die sie nach dieser Niederlage so bitter nötig hatte, nicht von seltsamen Träumen rauben lassen. So real sie sich auch anfühlten, so sehr sie sie auch ängstigten – es waren nur Träume. Sie musste es dabei belassen.

    Ganz langsam ließ sie den Oberkörper zurücksinken, bis er wieder die weichen Kissen berührte. Sie senkte die Lider, schloss die Augen. Augenblicklich verspannte sich ihr ganzer Körper in der Erwartung, wieder die Flammen zu spüren. Das Feuer, das an ihrer Haut leckte.

    Doch die Flammen kamen nicht und sie blieb unversehrt. Es war alles gut. Der Angstschweiß auf ihrer Haut war unbegründet. Sie hatte keinen stechenden Rauch in der Nase, nur die reine, kühle Nachtluft ihres Zimmers. Ihr Atem ging regelmäßig und tief.

    Die Müdigkeit griff nach ihr, betäubte ihre Gedanken bereits mit der wohligen Bewusstlosigkeit des Schlafes. Die Bilder kehrten nicht zurück, blieben nichts weiter als eine vage Erinnerung, die mehr und mehr verschwamm. Nach und nach lockerten sich ihre Muskeln wieder. Sie ließ sich noch weiter in die Kissen sinken, ließ sich von der Wärme umhüllen, die sie ins Reich der Träume holen wollte.

    Gerne hätte Anne diesem Drang einfach nachgegeben.

    Ein Gefühl wie Fallen, und sie zuckte heftig zusammen.

    Annes Lider flatterten auf, bevor sie sich dazu zwang, sie wieder zu schließen. Sie war wach, die Gedanken zurück. Und wieder sah sie Bilder vor sich, andere diesmal, viel wichtigere und erschreckend reale. Bilder der Schmach und der bitteren Enttäuschung – Bilder der Auswahl.

    Tausendfach spielte sich dieser eine Moment wieder vor ihren Augen ab. Tausendfach spürte sie wieder das Gefühl, als würde ihr Innerstes splittern. Ihr Bauch verzog sich zu einem Knoten. Sie war keine Beschützerin geworden. Die Diskussion, die sie hinterher mit Jess geführt hatte, war ebenfalls zu einer kleinen Katastrophe ausgeartet. Schonend hatte ihre Schwester versucht, ihr beizubringen, dass sie in Aira bleiben und ein normales, bürgerliches Leben führen musste, während sie selbst mit den anderen Beschützern Kentaira bereiste.

    Doch Anne wollte nicht und sie konnte nicht. Sie konnte nicht einfach einen gewöhnlichen Beruf ergreifen. Ihr Leben lag in Trümmern, mit leeren Händen stand sie davor. 

    Sicher war es der Schock gewesen, der diese wirren Träume in Annes Kopf gesetzt hatte. Der Schock und die umtreibende Angst vor der Zukunft. Ihre innere Zerrissenheit. Das alles musste es sein. Anne nickte in ihr Kopfkissen. Sie hatte einmal gehört, dass man von schlimmen Dingen manchmal träumen musste, um darüber hinwegzukommen. So wie der Rauch sie gelähmt hatte, waren ihr auch bei der Auswahl die Hände gebunden gewesen. Ihr Kopf hatte ihre Situation einfach übertragen. Ganz, wie ihre Mutter es ihr immer erklärt hatte.

    An diesem Gedanken hielt Anne fest, als sie sich herumwälzte, sich fest in die Decke einwickelte und die Augen zukniff. Sie wartete darauf, dass der Schlaf sie in seine warme Umarmung hüllte. Es blieb ihr verwehrt. Hellwach lag sie im Bett, starrte nach einer Zeit in die Dunkelheit. Sie kniff die Lippen zusammen und setzte sich auf. Unzufrieden blickte sie sich in ihrem Zimmer um, bis ihre Augen am Fenster hängenblieben. Der Mond warf sein silbernes Licht hinein, lockte sie.

    Plötzlich formten sich ihre Lippen zu einem Lächeln. Eine Idee war in ihren Gedanken aufgeblitzt wie ein Funken in der Dunkelheit. Sie wusste, wie sie die Nacht verbringen würde, wenn sie schon nicht schlafen konnte. Sie würde der stummen Einladung des Mondes folgen.

    Es war ein spontaner Impuls, der sie aufspringen, die Lampe auf ihrem Nachttisch im Vorbeirennen nehmen und die Treppe hinunterstürmen ließ, bis sie klammheimlich die Haustür öffnete. Der kalte Nachtwind kam ihr entgegen, kühlte die hitzigen Wangen und fuhr ihr spielerisch durchs Haar. Einen Moment genoss sie die sanfte Berührung, den Willkommensgruß. Dann schlüpfte sie aus dem Haus, betrat mit nichts als ihrem flatternden Nachthemd und barfuß die Terrasse. Der helle Stein schien in der Dunkelheit zu leuchten, vom Mond beschienen. Kalt und rau fühlte er sich unter Annes Füßen an, doch es machte ihr nichts. Mehr noch, sie mochte das Gefühl. Tief inhalierte sie die kühle Luft, säuberte ihre Lungen.

    Sie legte den Kopf in den Nacken. Ihr Blick richtete sich gen Himmel, wo ihr abertausende Sterne am nachtschwarzen Firmament entgegenstrahlten. Tränen des Glücks sammelten sich bei diesem Anblick in ihren Augen, ihr Mund verformte sich zu einem Lächeln und ein leises Glucksen verließ ihre Kehle. Sie liebte es. Dieses Gefühl von Freiheit, von Unbeschwertheit. Von Sorglosigkeit und Schwerelosigkeit, als müsse sie nur die Arme auszustrecken, um davonzufliegen. Der Nachthimmel beschwor ein Gefühl von friedlichem, stillem Glück in ihr herauf.

    Diese sanfte Umarmung, in die der Wind sie zog. Wieder fühlte sie sich wie ein kleines Kind, als sie den Luftzug auf ihrem Gesicht genoss. Sie sah hinauf in die Sterne, fühlte die Verbindung zu ihnen. Ein starkes und doch zartes Band, unaufdringlich und doch präsent.

    Tief atmete Anne eiskalte Luft ein, stieß sie wieder aus. Es roch nach Kälte, nach Nacht, nach frischem Tau, der sich auf den Gräsern bildete. Sie erinnerte sich zurück an so viele wundervolle Stunden, die sie hier verbracht hatte, in denen sie die Sterne bewundert hatte. Sorgen verflogen, Gedanken verflossen, als sie sich ganz dem Augenblick hingab, wieder Kind wurde. Es war ein Gefühl wie Zuhause.

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