23. Die Brücke der untergegangenen Seelen

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"This is what the Problem means," he went on. "This is the effect it has. Lives lost, loved ones taken before their time. And then we hide our dead behind iron walls and leave them to the thorns and ivy. We lose them twice over, Lucy. Death's not the worst of it. We turn our faces away."

Nebel und Wind wehten weiterhin in unaufhörlicher Manier über die nächtliche Landschaft hinweg, kannten in ihrer umfassenden Stärke weder Gnade noch einzuhaltende Grenzen mit der schlummernden Flora und Fauna. Unweigerlich fühlte sich Victoria wie eine Ertrinkende auf hoher See, jeder einzelne keuchende Atemzug gleich aufzischelnder Gischt. Sich stets dabei seinem pechschwarz schimmernden Abgrund annähernd und die rettende Oberfläche weit hinter sich lassend. 

Leise erklingende Geräuschen, fern und doch so nah, ertönten auf einen Schlag. Instinktiv zuckte Victorias bebender Körper zusammen, so als wäre dieser just vom Blitz getroffen worden. Melodische Töne, ständig vom nieder brausenden Sturm hin und her getragen,  erinnerten im Entfernten an den Hall eines rätselhaft anmutenden Liedes, dessen wahre Bedeutung ihr allerdings fürs Erste verborgen bleiben würde. Finsternis  Es war ihr, als würde ihr die vorherrschende Finsterns wahrlich durch Mark und Bein gehen. 

Wie bereits im Lesesaal zuvor, so erfasste urplötzlich ein unsichtbarer Sog ihren kompletten Leib,  ein durch und durch unheimliches Wirken. Es war Victoria, als würde sie entgegen ihres eigentlichen Willens immer weiter in Richtung der Brückenreling gedrängt werden, ohne jegliche Aussicht auf etwaiges Entkommen.  Jedes vorhandene Atom ihres Körpers sträubte sich gegen den kaum greifbaren Überfall, doch keine Chance. Hier sah sich die Schwarzhaarige nun einem übernatürlichen Feindbild gegenüber, der mit allen Wassern gewaschen zu sein schien. 

Im Nu fand sich die zu Tode verängstigte Frau auf höchst unfreiwillig Art und Weise an dem nächstliegenden Geländer wieder. Obgleich sie sich mit all der ihr zur Verfügung stehenden Kraft an der metallenen Unterstützung festzuhalten versuchte, so rutschten doch doch ihre schweißgetränkten Finger ständig an der gusseisernen Oberfläche ab. Unfähig, nur den kleinsten Halt einzunehmen.  

Victoria, nun eine käseweiße Miene offen zur Schau tragend, blieb in jenem Moment gar keine andere Wahl als auf den duster gefärbten Fluss herab zu schauen. Nicht einmal ihr eigenes Spiegelbild ließ sich in der all umfassenden Dunkelheit ausmachen, auch ihr abgelegter Schatten schien bereits für immer verloren. 

Ein merkwürdig anmutendes Glucksen, definitiv aus der anderen Richtung stammend, erregte sofort ihre alleinige Aufmerksamkeit. Rasch den Kopf hinter die Schultern werfend, so entdeckte die Urlauberin, wie aus den steinernen Gravuren so manch silbern glänzende Flüssigkeit hervor trat. Gleich geweinten Tränen, die  trotz bestem Bestreben einfach nicht hinter dem Berg gehalten werden konnten. 

Sobald Victoria endlich das Kunststück geschafft zu haben schien, ihre blinkenden Iriden von dem schauderhaften Anblick weg zu reißen, musste sie leider die nüchterne Feststellung treffen, dass der jetzige Wahnsinn weiterhin kein hoffnungsvolles Ende finden würde. 

Denn unterhalb der wässrigen Oberfläche glitzerten nun hell scheinende Umrisse auf, brachten buchstäblich Licht in die Finsternis. Wie verführerische Irrlichter, die laut Legenden und Sagen oftmals in glückseligen Zeiten unvorsichtige Wanderer ein feuchtes Ableben beschert haben sollten. 

Je tiefer sich Victoria über die Balustrade beugte,  desto klarer ward die Sicht auf die darunter vorbei ziehenden Schleier. Mit einer gehörigen Portion an verspürtem Entsetzen erkannte die junge Frau, wie sich die spukenden Schatten langsam aber sicher in erkennbare Gestalten verwandelten. Jede durchscheinende Form trieb mit unleugbar elegant wirkenden Bewegungen den fließenden Strom herab, unfähig, sich jemals wieder aus ihrem nassen Grab erheben zu dürfen. 

Oh Mann...wenn mich nicht alles täuscht, müssen das bestimmt all die umher treibenden Seelen sein, welche am 31.12.1921 während des Brückeinsturzes ursprünglich ihr Leben lassen mussten. Verdammt, das ist ganz und gar nicht gut. Aber schau ... all die Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen oder Greise. Im Gegensatz zu uns Menschen kennt der Gevatter Tod keinerlei Diskriminierung. Irgendwann einmal holt er jedes Lebewesen ein, egal wie schnell es auch vor ihm zu fliehen probiert. Wenn die letzte Stunde geschlagen hat....

Urplötzlich erwachte die unsichtbare Kraft aus ihrem bislang zögerlichen Verhalten und zeigte sich nun allerdings von einer deutlich böseren Seite. Abermals fühlte sich Victoria von silbern schimmernden Nebel umhüllt, seine Fänge hielten ihren Brustkorb gefühlt stärker als gusseiserne Handschellen an Ort und Stelle gefangen. 

Mit zunehmender Kraft drückte der unsichtbare Widersacher seine gefangene Beute über die Brüstung hinab, wohl einen ganz und gar finster geschmiedeten Plan verfolgend. Natürlich versuchte die Heimgesuchte mit aller Macht, ihren peinigenden Häscher ein Schnippchen zu schlagen, doch Fehlanzeige. Trotz bestem Willen gab ihr auferlegtes Gefängnis um kein Jota nach, es war, als würde sie Sauerstoff mit eigenen Händen fangen wollen. 

Ihrem bereits halb bewusstlosen Verstand schwante bereits die dunkle Ahnung, dass die feuchte Gruft auch die eigene Seele nimmer wieder aus der schier unüberwindbaren Gefängniszelle entlassen würde. Und auf die prickelnde Aussicht, für alle Ewigkeiten dort unten auf dem verborgenen Flussgrund hausen zu müssen, vermochte sie durchaus gut und gerne zu verzichten, vielen Dank der Nachfrage!

Neben ihrer panischen Angst war es Victoria, als hätte sie just ein Zentner Steine verschluckt. Wie scharfkantige Scherben lagen jene in ihrem Magen, drehten sich fortwährend in alle Richtungen und hinterließen am Ende nichts als blutigen Schmerz. Sie fühlte sich einfach so schrecklich hilflos. Und nach ihrer Meinung gab es kaum etwas Schlimmeres, als seinem Feind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Gleich einer Marionette am seidenen Faden, die dem Befehl ihres Puppenspielers unbedingte Folge zu leisten hatte. 

Trotz der überströmenden Todesangst gedachte Victoria um keinen Preis der Welt wie ein getretener Hund nach Gnade zu flehen. Die junge Frau biss sich so fest auf ihre Zuge, bis schließlich ein kupferner Geschmack ihren flauen Mund füllte. Sogar ihre Kieferknochen knackten, so als würde jene Getreide zu Mehl mahlen. 

Wenn ich abtrete, dann mit erhobenem Haupt. 

Sich endlich ihres Schicksals ergebend, kniff die Schwarzhaarige schließlich die Augen festzusammen, um das vermutlich Unvermeidbare wohl nicht länger heraus zu zögern oder das eigene Ableben aus eigenem Blickwinkel erleben zu müssen. 

Der Kampf um das nackte Überleben schien endgültig verloren. 

Gerade als Victoria glaubte, dass ihre Hoffnung wie ein Kartenhaus im Sturm zerfallen würde, geschah das Unfassbare. 

Binnen weniger Sekunden verspürte die Urlauberin einen klammen Windhauch über ihre ausgekühlten Wangen hinweg streichen,  der ihr nicht nur einen Schauer über den Rücken jagte, sondern auch, seltsamerweise, ein klein wenig Mut schenkte. 

Obgleich besseren Wissens traf die Schwarzhaarige die impulsive Entscheidung, ein Augenlid anzuheben. Warum sie genau dieser Intuition folgte, würde ihr auch im Nachhinein ein Rätsel bleiben. Und der schreckhafte Anblick, der ihr nun entgegen stierte, ließ augenblicklich das zirkulierende Blut in ihren Adern in Eiswasser gefrieren.  

Eine sehr geisterhaft anmutende Frau hatte sich scheinbar aus ihrem ewigen Ruhebett erhoben, um vermutlich den nächtlichen Störenfried genauer unter die Lupe zu nehmen. .

Silbern glänzendes Haar umrahmte ein schmal geformtes Gesicht, aus dem vor allem ein überraschend gütig dreinblickendes Augenpaar hervorstach. Das Gewand, welches die Frau zum Zeitpunkt ihres Todes wohl oder übel am Leibe getragen zu haben schien, entsprach, wie Victoria im Insgeheimen ungefähr schätzte, der damals vorherrschende Mode aus den 1920er Jahren. Leger geschnitten und mit einer tief angesetzten Taille versehen, so ward das Gewand  durch ein eng gepresstes Korsett gekonnt in Szene gesetzt. 

Aufs Neue strich ihr die Spukerscheinung mit einem erhobenen Finger  über das vor Angst verzerrte Gesicht, jede Bewegung gleich eisiger Kälte. 

"Was tun Sie hier?"

"Bitte, Sie müssen mich unbedingt gehen lassen", beschwor Victoria, überhaupt nicht sicher, ob der Geist ihren Worte dringend Gehör schenken würde. "Ich will ihnen keinen Schaden zufügen oder so. Bin ausversehen hier gelandet. Der Geheimgang, der Tunnel..." 

Verblüffung huschte nun über die kaum deutbare Miene des Gespenstes hinweg. 

"Dann müssen Sie wohl selbst im Herrenhaus von Dunkelmoor hausen. Auch ich weiß aus eigener Erfahrung um dessen verworrene Geheimnisse!"

"In der Tat, das stimmt!", keuchte Victoria, ehe ein Geistesblitz mit der Gewalt einer abgefeuerten Kugel durch ihren Verstand schoss. Das Alter ihrer Kleidung, die berichtenden Zeitungen, der hervorstechende Name auf der Brückenwand... "Und Sie müssen wohl Tatjana Unterhauser sein, richtig? Gleichfalls dem Fluch zum Opfer gefallen, nicht wahr? Hören Sie zu, ich will Ihnen kein Schaden zufügen, ganz im Gegenteil. Meine Freundinnen und ich sind drauf und dran die Dunkelheit vertreiben zu wollen. Bitte, geben Sie mir eine Chance, lassen Sie mich wieder nach Hause laufen."

"Warum wollen Sie uns toten Seelen helfen? Niemand hat bis zum heutigen Tag das hiesige Unheil bannen können. Seien Sie ehrlich!", brauste die untote Gestalt laut auf, ihr dröhnende Stimme erklang nun wie zorniger Gewitterdonner. 

"Keine Ahnung, ich weiß es beileibe nicht. Nur, das es mir ein inneres Bedürfnis ist. Jeder verdient Frieden.  Die Finsternis herrscht bereits zu lange an diesem Ort. Damit ist nun Schluss", bestätigte die junge Frau in wahrheitsgemäßer Manier die gestellte Frage. 

Unwillkürlich verstärkte sich der ausgeübte Druck auf ihre Kehle. Gurgelnd rang Victoria nach jedem Quäntchen Sauerstoff. Sogar ihre Luftröhre brannte lichterloh, Blut rauschte durch ihre Gehörgänge und sogar ihr rasch pochendes Herz drohte schon bald aus seiner Rippenumhüllung ausbrechen zu wollen.

Für einen schier endlos andauernden Blick musterte die Verstorbene ihr menschliche Gegenüberstehende von Kopf bis Fuß, ehe sich binnen eines einfachen Wimpernschlags ein entschlossen wirkender Ausdruck auf den silbern glänzenden Nebelschleiern formte. Tatjanas Mund sprach lautlose Silben aus, über deren wahre Bedeutung die Menschenfrau nur spekulieren konnte. Makaber fasziniert, so beobachtete die Schwarzhaarige, wie die Tote stets die exakt gleichen Worte zu wiederholen schien. 

Wie eine kaputte Schallplatte, die gar nicht über ihre Fehlfunktion  Bescheid weiß. 

Noch ein letztes Mal drückte der unheilvolle Einfluss mit zentnerschwerer Kraft Victorias stark röchelnde Brust nieder, ehe er wie aus dem Nichts von ihrem Selbst abließ. Mit einemäußerst erleichtert klingenden Schnaufer torkelte die bis aufs Knochenmark erschöpfte jung Frau ein paar Schritte zurück, ehe diese ihr wankendes Augenmerk allmählich wieder auf Tatjanas Geist richtete. 

"Aber...wieso...", stammelte die Verlorengegangene,  kaum in Lage, nur ein klares Wort über die Lippen fließen zu lassen. 

"Lauf um dein Leben, verlass diese Brücke sofort", herrschte Tatjana die Freigelassene sogleich an. "Nimm die Beine in die Hand und renn! Suche im Gedärm des Anwesens nach Antworten, dann wirst du vielleicht deiner Suche nach Gerechtigkeit einen Schritt weiter sein!"

Die letzten Kraftreserven bündelnd, so lief eine dankbar nickende Victoria von dannen, weiter die offenen Arme der Nacht aufsuchend und schon bald den warnenden Hinweis vergessend. 

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