57. Reise in die Vergangenheit

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"It is in our nature to travel into our past, hoping thereby to illuminate the darkness that bedevils the present."

Augenblicklich erfüllte eine drückende Stille den düsteren Raum. 

Victoria, ziemlich geschwächt durch das allgegenwärtige Ritual, kam es jetzt so vor, als würden die umliegenden Wände stetig näher heran rücken um das Geheimnis, das hier in nicht ferner Zukunft enthüllt werden sollte, einfach zu Matsch zu zerdrücken. 

Ein unheilvolle Spannung lag mittlerweile schwer in der Luft und löste bei allen lebendigen Anwesenden sogleich größtes Unbehagen aus. 

Kribbelnde Angst fraß sich wie eingenommenes Gift durch ihre Adern, doch die müde Doppelgängerin konzentrierte sich allein auf den entscheidenden Anker innerhalb dieses größer werdenden Chaos. 

Weiterhin verharrte das pulsierende Amulett in schwebender Position über dem provisorischen Altar.  Bei genauerem Hinsehen erkannte Victoria jedoch auf der vergüldeten Oberfläche erste Risse, die dabei den beängstigten Eindruck erweckten, als ob sich etwas von innen heraus befreien wollen. 

Und zwar auf gewaltsame Weise. 

Aufblitzendes Licht drang urplötzlich durch die größer werden Öffnungen, sodass sich die drei Freundinnen rasch ihre Hände vor Augen halten mussten, damit sie nicht für immer zu erblinden drohten.

In aller Schnelle erfüllte die gleißende Helligkeit den Raum, tanzte unheilvoll an den Wänden entlang und vertrieb dabei am Ende sogar die im Verborgenen lauernden Schatten.

Und als wäre diese unerwartete Überraschung bereits nicht nervenverzehrend genug, so ertönte auf einen Schlag ein gewaltiges Beben. In etwa so, als würde das komplette Herrenhaus von Dunkelmoor bis auf seine verrottenden Grundmauern zusammen stürzten. 

Staub fiel sogleich von der klaut knarrenden Balken herab, wirbelte, von unsichtbarer Hand geführt, in der Luft umher und legte sich daraufhin wie ein morbiden Schleier über alle Anwesenden nieder. Laut klapperten von draußen die Fensterläden, während der hölzerne Boden gleichfalls nachgaben. 

Doch all diese Geschehnisse schienen fast nichts im Vergleich zu dem darauf folgenden Erlebnis.

Binnen weniger Sekunden fegte ein durch und durch schauderhaftes Rauschen durch den Raum, blöderweise keiner gewöhnlichen Quelle entspringend. Letztendlich konnte es sich hierbei wohl nur um das Geraune des beschworenen Jenseits handeln, das Geflüster der längt Verstorbenen. 

Unzählige Stimmen, egal ob jung oder alt, hoch oder tief,  vermischten sich nur wenige Sekunden später zu einem wahrhaftigen Chor des Grauens. 

Wie eine grausam gespielte  Melodie hallte des kaum greifbarer Gerede an den umliegenden Wällen wider und bohrte sich zu aller Zeit in den Ohren der sterblichen Anwesenden fest. 

Louisa und Charlotte, die sich blitzschnell an die Seite der geschwächten Victoria gesellt hatten, hielten jetzt einander fest umschlungen. 

Beider Augenpaare schienen weit aufgerissen, während kein einziger Laut über fröstelnde Lippen drang. Selbst Katharina und Fabian, körperlose Geister, trugen überaus düstere Mienen der Furcht offen zur Schau. 

So als wären sich auch die auf der Erde lebenden Untoten ganz und gar nicht sicher, welchen gewaltigen Schlag das Schicksal für alle Bewohner des Herrenhaues bereithalten würde.

Fast in einem geregelten Takt erbebte das altehrwürdige Gemäuer, während die Grenzen zwischen Realität und Traum, Licht und Dunkelheit zunehmend mehr verschwammen. 

Endlich befand sich die Wahrheit zum Greifen nahe - doch zu welchem Preis?

Genau diese entscheidende Frage stellte sich Victoria im Insgeheimen, denn die Doppelgängerin spürte mit jeder Faser ihres erschöpften Daseins, dass das aufziehende Grauen bestimmt weit über ihre eigene Vorstellungskraft hinaus ging. 

Eine Einschätzung, die sich wohl schneller als gedacht erfüllte. 

Unerwartet brach das Amulett mit einem dröhnend lauten Knacken entzwei, es war, als hätte sich der Vorhang der Zeit nun vor aller Augen gelüftet. 

Mittlerweile vibrierte die Luft geradezu mit dunkler Energie, herrührend aus freigesetzten Geheimnissen, und kannte dabei keinerlei gnädigen Pardon mit den drei Freundinnen. 

Victorias Hände zitterten, während sich ihre blutleeren Finger mit aller Kraft an dem Rand des Alters festzuhalten versuchte. 

Der einzig erdenkbare Anker innerhalb dieses tobenden Sturms. 

Allerdings wusste auch dieser winzig kleine Strohhalm keinen ausreichenden Schutz zu bieten, denn innerhalb nur eines einzigen Augenblicks entströmte dem schwebenden Kleinod eine Art unsichtbare Macht, die sie gleich darauf fest am Arm packte. 

Mit Schmackes wurde die junge Frau gegen eine Wand geschleudert, ihr Körper prallte dabei hart auf das kalte Holz auf. 

Atemlos rang Victoria um dringend benötigten Sauerstoff, denn der abrupte Aufprall hatte ihr scheinbar das letzte Quäntchen an vorhandener Lebenskraft entzogen. 

Für ein paar Sekunden sah sie buchstäblich Sterne vor den Augen tanzten, ehe sich die Schwarzhaarige endlich auf das Hier und Jetzt zurück besann. 

Unvermittelt wollte sie die Hände zur Wehr in die Luft reißen,  doch der merkwürdige Einfluss gab zu keiner Zeit nach.  Selbst ihre strampelnden Füße, verzweifelt in Richtung des vertäfelten Erdboden ausgestreckt, konnten ihr trotz bester Bemühungen keinen festen Halt verschaffen. 

Wie das Amulett schwebte nun auch die Heimgesuchte weit über den Boden hinweg. 

Ein kurzer Blick zur Seite genügte um sich Vergewisserung zu verschaffen, dass es um das Wohlergehen von Louisa und Charlotte leider keinesfalls besser stand. Auch die zwei wagemutigen Kumpaninnen nun klebten regelrecht an den steinernen Seiten fest, keine Aussicht auf Rettung. 

Allen drei blieb momentan nichts anders übrig,  wie willenlose Marionetten umher zu zappeln. 

Doch von dem unbekannten Spieler, der alle Fäden zog, fehlte bisweilen noch alle Spur. 

Zu allem Übel, erlosch das ausgestrahlte Licht bereits in der der nächsten Minute,  dabei begleitete ein dumpfes Geräusch den Sturz des Amuletts auf den Boden. 

Im Nu kehrte eine Art von Stille in dem Raum ein, die man nicht anders als beängstigend hätte nennen können.

Keine fürchterliches Geraune, kein Laut des Haues, kein ausgesprochenes Wort.

Nichts

Es schien, als ob Raum und Zeit gleichfalls den Atem anhielten.

Und dann kam der Nebel. 

Wie ein lebendiges Wesen kroch er über den Boden, schlängelte sich um die Möbel und füllte den Raum mit seiner kühlen Feuchtigkeit vollkommen aus. 

Regungslos stand Victoria an Ort und Stelle da, nicht wissend, welcher Schrecken als nächstes passieren würde. Dichter und dichter wob sich der weiße Atem durch die Luft, bis sie schon bald nicht mehr die eigene Hand vor Augen sehen konnte. 

Mit jedem Atemzug fühlte die junge Frau, wie der Dunst sie mehr und mehr verschlang, alle Sinne betäubte und dabei ihr Denken mit Nachdruck in die dunklen Tiefen ihrer eigenen Erinnerungen herunter zog. 

Lange dauerte es nicht, bis ihr benommener Geist schließlich durch eine Art Schleier blickte, der sich wohl mehr oder weniger über Zeit und Raum hinweg spannen musste. 

Im Herzen des Herrenhauses von Dunkelmoor, in einem Zeitalter, als die Mauern noch Geschichten von Freude und Zusammenkunft flüsterten, offenbarte sich ihr eine höchst erstaunlich Szene. 

Der Wohnsalon, den sie als vor nicht all zu langer Zeit verlassen und verstaubt kennengelernt hatte, sprühte nun geradezu vor Farben und Leben.  Sämtlich vertäfelte Wände schienen bunt geschmückt und blitzeblank poliert, sodass sich der Glanz der warm herein fallenden Nachmittagssonne auf der sauberen Oberfläche wider spiegelte. 

Atemlos verfolgte Victoria die momentane Situation,  sie war buchstäblich so nah am Geschehen dran,  dass es ihr war, als würde sich ihr leiblicher Körper tatsächlich unter den vielen eingeladenen Gästen aufhalten. 

Denn das hier gerade eine muntere Feier stattfand, stand völlig außer Frage. 

Unter den Füßen der teuer gekleideten Anwesenden breiteten sich zu allen Seiten schmucke Perserteppiche aus, kunstvoll gewebt und von solch weicher Natur, dass die Kinder darauf tanzten und spielten, als würden sie von Wolken zu Wolken springen. 

Fröhliches Lachen hallte fortwährend durch den Raum, eine Melodie der Unschuld und des Glücks, die sogar Victorias erschöpftes Herz erwärmte. 

In kleinen Gruppen standen hingegen die versammelten Erwachsenen zusammen, vertieft in Gespräche, die von lokaler Politik bis zu den neuesten Gerüchten über die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten reichten. 

Während die Männer sich an der beliebten Beinmode des frühen siebzehnten Jahrhunderts erfreuten, so schwelgten die Frauen stattdessen in ausladende Kleider.  Das prachtvolle Ensemble schien zumeist ergänzt durch kunstvoll hochgesteckte Haare und klimpernder Schmuck.

Sanftes Gemurmel, ab und zu durch herzhaftes Aufziehen unterbrochen, ergänzte das unbeschwerte Gebaren der Kinder, sodass sich an diesem Ort ein faszinierendes Sammelsurium der Geräusche entfaltete. 

Durch die geöffnete Haustüre führte die langsam vor ihren Augen vorbei ziehenden Szene in einen wundervoll gestalteten Vorgarten hinaus, wo beinahe die wahrhaftige Pracht des Anwesens zur Geltung kam.  

Überall reihten sich blühende Blumenbeete, von roten Rosen bis violette Veilchen reichend, wie Perlen an einer Kette ein und vermengt sich zwischendrin mit grünem Gras und zertrampelter Erde. 

Auch hier tummelten sich unzählige Gäste in Hülle und Fülle, es grenzte fast an einem Wunder, dass hier noch niemand umgerannt wurde. 

Etwas vom redseligen Trubel abgelegen, so stand dort ein aufgebahrter Tisch, reichlich gedeckt mit feinem Porzellan und silbernem Besteck. Bei genauerem Hinsehen konnte Victoria auf der hölzernen Oberfläche frisch gebackenen Kuchen, duftende Brötchen und heiß dampfende Teetassen.

Schwer lag die ungnädige Hitze des Sommers in der Luft, doch herab wehende Brisen sorgten glücklicherweise für Erfrischung.

Ein junger Knabe, kaum älter als zehn Jahre, eilte derweilen wie ein Derwisch durch das lichte Grün. Obgleich er sein braunes Haar im Nacken zusammen gebunden trug, so fielen ihm doch ein paar Strähnen immer wieder neckisch ins Gesicht. 

Victoria wurde es augenblicklich ein wenig schwer ums Herz, als sie schon bald begriff, dass es sich bei dem Jungen um einen halbwüchsigen Fabian handeln musste. 

Sein Lächeln wirkte überaus ansteckend, während kindliche Begeisterung in seinen klar schimmernden Augen aufblitzte. In seiner Hand hielt er eine gepflügte Blume sorgsam umklammert, die er wohl nach eingehender Betrachtung sorgfältig ausgewählt hatte. 

Fröhlich pfeifend bahnte er sich einen Weg durch die lebhafte Menge, ehe er schließlich vor einer stattlichen Frau , die ein kleines Baby auf dem Arm trug, zum Stehen kam. Ein dunkelgrünes Kleid schmiegte sich perfekt um den stramm gehaltenen Körper, doch selbst der schönste Stoff auf Erden hätte die sichtbare Strenge in ihrem verkniffenen Antlitz nicht abmildern können.

"Mutter, schau, was ich für dich gefunden habe", rief der Bub freudestrahlend aus, während er ihr die gepflückte Pflanze wie einen kostbaren Schatz präsentierte. 

Doch Konstanze von Lanstein zeigte keine Regung. 

Es war, als würde man einer lebendigen Statue ins Gesicht starren. 

Ihr durchdringender Blick, kalter als ein nordischer Bergsee, senkte sich augenblicklich wie ein Richtschwert auf ihren wartenden Sohnemann nieder.

"Was hast du dir dabei bloß gedacht? Solch dreckige Wildblumen einfach mit deinen feinen Händen aufzuheben! Habe ich dir keinen Anstand bei gebracht? Willst du dich wie ein unflätiger Bauer vom Land benehmen? Nein, dieses ungehobelte Benehmen werde ich dir nicht durchgehen lassen",  zischelte die gekränkt dreinblickende Mutter, ehe sie ihm das offenbarte Geschenk entwendete und sogleich in tausend kleine Stücke zerriss. 

"Geh fort und wasch dich. Trete mir erst wieder vor das Gesicht, wenn dir dein Fehltritt klar geworden ist."

Auf der Stelle schlug seine Freude in tiefe Traurigkeit um, während sich seine Augen mit lichten Tränen der Enttäuschung füllten. 

"Es tut mir leid, Mutter",  flüsterte der Halbstarke geknickt, bevor er sich abwandte. 

Mit lose herab hängenden Schultern floh er durch die belebte Menge, ehe er sich einmal prüfend umsah. Nein, niemand beobachtete ihn mehr. Nachdem Fabians jüngere Version ein paar tiefe Atemzüge eingeholt hatte, stahl sich die kleine Gestalt  schließlich in Richtung des Moors davon, bis er nur wenig später nicht mehr auszumachen war. 

Bevor Victoria die gezeigte Szene überhaupt verdauen und begreifen konnte, wurde sie gleich darauf von der unsichtbaren Kraft in den nächsten Rückblick gezogen. 

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