Das Meer spricht

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Zuerst dachte ich mir, die Geschichte bräuchte keine Triggerwarnung, da sie zwar von ernsten Themen wie Umweltverschmutzung, Artensterben, etc. handelt, doch sie für ihre Signifikanz nur sehr oberflächlich angeschnitten werden und ich auch den Geschichten, die es wirklich bräuchten die glaubwürdige Ernsthaftigkeit der Triggerwarnung nehmen wollte. Dennoch hat _MaliaFox_ in ihrem Ocean Award eine allgemeine TW ausgesprochen und meine Thematik erwähnt, deswegen erwähne ich, dass es um diese Thematik (Meer- und Umweltverschmutzung, Artensterben, etc) geht und falls ihr sensibel darauf seid, seid euch dessen bewusst und schaut auf euch und wenn euch das Lesen zu sehr aufwählt, hört auf euer Gefühl und hört auf. <3

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Ich trage selbst im Kleinsten Unendlichkeiten in mir. Dabei tue ich nicht viel, außer fließen und abebben. Fließen und abebben. Fließen und abebben. Es ist wirklich erstaunlich, wenn ich innehielte, darüber nachzudenken, wofür ich Raum schaffe. Doch ich halte nie inne, dennoch habe ich ruhigere Phasen und in diesen werde ich den Wundern und Gräueltaten in mir und um mich gewahr. Über diese erzähle ich nun. Meist fließe ich aber dahin.

Flute und ebbe ab. Flute und ebbe ab. Flute und ebbe ...

Ein paar Sonnenstrahlen tanzen auf den Schaumkronen meiner Wellen und erhellen ein Riff in Küstennähe. Früher – ich verwende diesen Begriff sehr freizügig, denn Zeit ist für mich ein Mysterium von den schutzlosen Kurzlebigen erfunden, um sich das Leben hektischer zu machen- früher war dieses Riff voll buntem Leben. Jetzt ist es immer noch lebendig, aber nicht mehr lebhaft. Die Riffgebilde und Steine dort leben, wie es eben Steine und Riffgebilde tun: wartend und unbewegt. Die Fische, Krebse und wie sie alle heißen, meine Lebhaftigen, sind fort. Schon lange oder erst seit Kurzem? Ich bin nicht sicher, doch sie fehlen. Ein Krake, der etwas tiefer lebt, nahe meinem Grund, würde dieses Fehlen wohl als „Vermissen" bezeichnen, auch wenn ich nicht viel mit diesem Begriff anfangen kann.

Ich fließe und ebbe ab. Ich fließe und ebbe ab. Ich fließe und ebbe ab.

Aber ich merke das Ungleichgewicht, seit die Zeitbringer hier immer wieder in Massen kommen, um in mir zu planschen, zu schwimmen und zu tauchen. Wo früher so eine bunte Vielfalt unter Wasser gewesen ist, finden sich nur noch Blau-Grautöne, leere Seesternhüllen, die schon längst verlassen sind und nackte Füße, die darauf treten. Manche von den Zeitbringern stehen auch nur an meinem Küstenrand und seufzen, während sie mich anschauen. Bedauern sie auch das Ungleichgewicht, obwohl sie es gebracht haben? Ich weiß es nicht und hätte gerne den Kraken gefragt, aber der ist in Trauer. Er hat seine Partnerin verloren. Vielleicht weiß er deswegen, was Vermissen ist?

Eine Schote von Delfinen hat mir erzählt, wie es passierte, als sie eines Tages mit meinen Wellen spielten. Tragödien lassen sich leichter verdauen, wenn Delfine sie erzählen. Dann bekommt die Traurigkeit ein Gleichgewicht durch ihr fröhliches Gemüt. Sie erzählten, die Krakendame hätte mit kleinen Flocken gespielt, sie mit ihren Tentakeln umfangen. Je mehr von diesen winzigen Flöckchen sie gefangen hat, desto mehr verstopften ihre Kiemen und ihr Magen, bis sie nichts mehr aufnehmen konnte: weder Nahrung noch Sauerstoff. Langsam verendete sie und mein Krakenfreund fand sie, als es schon zu spät war. Seitdem trauert er und wir reden kaum noch. Aber ich war da für ihn. Bin da, für ihn. So wie ich es immer bin. Für alle.

Ich fließe und ebbe ab. Ich fließe und ebbe ab. Ich fließe und ebbe ab, bis auch dieser Schmerz vergeht.

Doch trotz noch so vieler Fluten und Ebben trage ich mehr und mehr Schlechtes in mir, das so vieles meiner kleinen und großen Unendlichkeiten krank macht. Da es von den Zeitbringern und ihren seltsamen Gefährten, namens Schiffe, kommt, die über meine Wellen brettern, hoffte ich, es sei kurzlebig wie sie. Und vielleicht ist es das auch, aber was für eine todbringende Kurzlebigkeit!

Seit ich existiere, habe ich mich verändert, miterlebt, wie Leben enden und beginnen. Allerdings ist es noch nie so rasant, so scharenweise geschehen, wie seit dem Auftauchen und Eingreifen der Zeitbringer.

Schmierige, dunkle Ölteppiche schimmern kränklich, als das Sonnenlicht drauffällt und riechen und schmecken noch kränklicher. Etliche Wellenweit einer weißen, schweren Insel ohne Wurzeln erwürgen oder ersticken meine lebhaften Gefährten langsam. Als sei das ihr einziger Sinn in diesem Leben. Ich kann nur zusehen ...

Fließen und abebben. Fließen und abebben. Fließen und abebben.

Loswerden scheint unmöglich. Mir und meinen Freunden in und über mir bleibt nur: Anpassen. Das kann ich gut. Ständiges Fließen ist die langsamste, aber konstanteste Form der Anpassung. Vielleicht hilft es was und vielleicht ändern auch die Zeitbringer sich. Dass Veränderungen möglich sind für alle und in allem, glaube ich fest. Wenn ich auch sonst nichts tue, außer fließen und abebben, dann hoffe ich zumindest: auf Veränderung.

Wenn ich etwas mehr Ruhe brauche, richte ich meine Aufmerksamkeit zu meinen tiefsten Tiefen, wo Licht und Geräusche gleichermaßen verschluckt werden. Dennoch brodelt hier ebenso Leben: heiß und glühend aus Vulkanen. Auch hier, wo meine Fließbewegungen nicht hinkommen, ist Veränderung unumgänglich. Sie erzeugt tatsächlich lodernde Hitze, die sich auf mir niederlässt und als erkaltender Magmastein Teil von mir wird.

Ich fahre aus und setze mich ab. Ich fahre aus und setze mich ab. Ich fahre aus und setze mich ab.

Auch unter den Blauwalen habe ich eine Freundin. Vor Kurzem, denke ich, ist sie Mutter geworden. Ihre Suche nach Nahrung ist zwar nun anstrengender, weil sie verantwortlich ist, dass ihr Nachwuchs lernt und nicht stirbt, aber auch ergiebiger, weil sie die Freude des Kleinen sieht, wenn er etwas Erlerntes alleine meistert. Dabei unterstütze ich sie und ich tue es gern, weil ihre Reise mich lebhafter macht, seit das Walkalb mitschwimmt.

Den Gesängen von Neugeborenen lausche ich besonders gern. Ihnen erscheint noch so vieles erstaunlich, das andere Ältere schon nicht mehr wahrnehmen. Die Art, wie sie Alltägliches, das sonst unbemerkt bliebe, verklanglichen ... Ach, es gibt nichts Schöneres, als ein Blauwalkalb über köstliches Plankton oder diese eine Möwe mit fehlender Kralle, singen zu hören.

Das Kalb ist mittlerweile erwachsen und schwimmt mit seiner eigenen Familie eigene, andere Routen. Es singt nicht mehr über jene Möwe, vielleicht, weil es sie nicht mehr gibt oder der Blauwal sie nicht mehr wahrnimmt. Bis zu diesem Tag halte ich vergeblich Ausschau nach dieser Möwe, doch wie ich bereit sagte, Zeit ist mir ein fremdes Konzept und so entgleitet mir, wie oft ich nach ihr sehe. Aber ich weiß, dass es sie gegeben hat und sie einst besungen worden ist.

Besungen, wie ich es werde. Doch daraus mache ich mir meist nicht viel. Was nützen mir sehnsüchtiger Gesang oder melancholische Klimperklänge, wenn so viele meiner Lebhaftigen in und über mir krank sind? Allerdings gestehe ich, dass die traurigen Klänge von singenden Stimmen sich besonders an den Rhythmus meiner Wellen anpassen. Das genieße ich. 

Ich fließe und ebbe ab. Die Stimme schwillt an und wird leiser. Ich fließe und ebbe ab. Die Stimme schwillt an und wird leiser. Ich fließe und ebbe ab. Die Stimme schwillt an und wird leiser, bis sie verstummt.

Und ich erinnere mich, während ich mich verändere.

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