Auf der Lauer

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Ylvigur lag inzwischen lang ausgestreckt unter den Büschen zwischen Weg und Blutbuchental. Vom Weg aus war er kaum zu sehen, zumal er sich völlig reglos verhielt. Er hatte die Arme überkreuzt und den Kopf so darauf abgelegt, dass er nur die Augen öffnen musste, um das Tal zu überblicken. Im Moment allerdings hielt er sie geschlossen. Er schlief jedoch nicht, sondern ruhte nur und wachte gleichzeitig mit seinen anderen Sinnen, die durch das Leben im Wald bis zu einem Maß geschärft waren, welches sich die Flachlandbewohner niemals träumen lassen würden.

Als nach einigen Stunden Schritte auf dem Weg zu hören waren, erschrak er nicht und rührte sich auch nicht. Nase und Ohren sagten ihm, wer da kam und da er denjenigen bestens kannte, machte er sich keine Sorgen.

Der Neuankömmling hatte kein Problem, Ylvigur auszumachen. Er ging direkt auf den richtigen Busch zu, kniete nieder und schob sich fast geräuschlos neben den jungen Mann. Der öffnete die Augen und sagte träge: „Gut, dass du kommst, Rando."

„Ich wäre auf jeden Fall gekommen, auch wenn sich Raifa keine Sorgen gemacht hätte. Du meinst, wir haben jetzt endlich die Gelegenheit, den Umtrieben in unserem Wald ein Ende zu setzen, ohne die Regeln zu verletzen oder den Pakt zu brechen?"

„Ich hoffe es, ja", antwortete der Freund. „Ich werde jedenfalls genau beobachten, was mit Piroska geschieht."

„Heißt sie so? Piroska? Hübscher Name. Und hübsches Mädchen?"

„Das hast du schon mal gefragt. Was tut das zur Sache?"

„Eigentlich nichts, hast ja recht. Aber ich frage mich ..."

„Frage mich was anderes. Du bist ja schlimmer als Lupa und die schnüffelt doch wirklich genug herum."

Rando kicherte. „Stimmt schon. Aber ich bin nur bei Freunden so neugierig und ich erzähle nichts weiter."

„Gut, das gebe ich zu. Verraten hast du noch nie etwas."

„Also was hast du nun genau vor?" Unvermittelt wechselte Rando das Thema.

„Zunächst mal warte ich ab. Piroska hat das Haus der hohen Dame erreicht – sie nennt sie übrigens Frau Großmutter. Ist aber nicht ihre Oma; das scheint ein Ehrentitel zu sein, den ihr die Leute der Süd-Ost-Fraktion gegeben haben. Wahrscheinlich ist sie jetzt am Putzen und Aufräumen. Ich sah sie schon zweimal vorm Haus Wasser ausschütten und – guck! Wenn man den Jäger ruft ..." Er wies mit dem Kinn auf das Haus der hohen Dame, wie sie in Wilkin ob ihres hoffärtigen Auftretens genannt wurde.

Rando sah zum Haus hinüber, welches trotz der nun herrschenden Dunkelheit für ihn ebenso gut zu sehen war wie für seinen Freund; sie besaßen beide eine gute Nachtsicht. Er bemerkte eine kleine Gestalt, die vor die Tür trat, eine offenbar schwere Wanne in beiden Händen haltend. Sie blickte sich suchend um, ging dann auf eine kahle Stelle im dichten Gras zu und schüttete dort die Wanne aus. Dann richtete sie sich etwas schwerfällig auf, stützte kurz die Hände in den Rücken und bog sich einen Moment nach hinten. Nun nahm sie die Wanne wieder auf und ging zurück ins Haus.

„Das letzte Mal ließ sie die Schultern weniger hängen", konstatierte Ylvigur. „Das arme Ding wird müde."

„Sie scheint eine ziemlich kleine Person zu sein", meinte Rando. „Ist sie überhaupt schon erwachsen?"

„Ist sie! Und sprich sie ja nicht auf ihre Größe an, da drauf reagiert sie sehr empfindlich."

„Ach?" Rando grinste. „Interessant, dass du das so genau weißt. Wie viele Tritte hast du dir schon eingefangen?"

„Einen. Ich hatte schon einen erwartet, als ich ihr etwas vorsang, aber da wurde sie nur rot."

Rando kicherte. „Was hast du denn für Anzüglichkeiten gesungen?"

„Gar keine! Ich habe sie bloß geneckt."

„Dein ‚bloßes Necken' kenn ich! Das ist schuld daran, dass du immer blaue Flecken auf den Schienbeinen herumträgst. Was glaubst du, wieso putzt die Kleine da so eifrig? Die Aschenlauge konnte man ja bis hierher riechen!"

„Ich vermute, die hohe Dame ist sich zu fein dafür. Piroska erwähnte, dass die Mädchen, die ihr regelmäßig die Unterstützung seitens der Süd-Ost-Fraktion bringen, über Nacht bleiben und ihr im Haushalt etwas helfen. So wie sie von der hohen Dame spricht, könnte man meinen, es ist eine hinfällige Alte, die eigentlich zu hilflos ist, um noch allein zu leben."

„Quatsch! Wenn dem so wäre, hätten sie dann die Dörfler nicht längst zu sich geholt?" Ylvigur lachte leise. „Das habe ich sie auch gefragt. So vieles von dem, was mir Piroska erzählt hat, gibt überhaupt keinen Sinn. Und sie scheint das bisher akzeptiert zu haben."

„Bisher?"

„Ja – ich habe den Eindruck, als hätten meine Fragen sie zumindest etwas zum Nachdenken gebracht."

„Ihr scheint euch gut unterhalten zu haben."

„Das ja. Sie ist ein sehr liebes Mädchen,  fröhlich, resolut, tolerant, mitfühlend und voller Wissbegier. Manchmal sehr erwachsen, dann wieder wie ein kleines Mädchen. Durchaus intelligent, aber gleichzeitig von bestechender Naivität. Und überaus tierlieb. Sie meinte sogar, wenn sie einem Wolf begegnen würde, wäre ihr erster Impuls eher, ihn hinter den Ohren zu kraulen als wegzulaufen."

Rando gluckste. „Ist das ihr Ernst?"

„Käme vielleicht einmal auf einen Versuch an", meinte Ylvigur nachdenklich. „Die Maus jedenfalls hat sie gestreichelt."

„Welche Maus? Nein, müh dich nicht, wenn ich weiter frage, verstehe ich nur noch weniger. Sag mir lieber, wie du weiter vorgehen willst."

„Wie gesagt, ich behalte das Haus im Auge. Piroska müsste sich spätestens morgen Mittag auf den Rückweg machen. Wenn das nicht geschieht, werde ich hinuntergehen und sehen, wo sie bleibt. Übrigens ist vor kurzem wieder ein Mädchen verschwunden."

„Wie oft kommen die denn?"

„Alle zwei Wochen, meinte Piroska. Aber die hier verschwand wohl bei einem Raubüberfall. Die Wachen an der Brücke vermuteten erst, es könne Piroska sein und ich würde sie zwingen, mit mir zu gehen. Oder ich trüge sie in der Kiepe herum." Ylvigur feixte plötzlich. „Sie erkannten mich gleich als Wilko. Aber trotzdem sprachen sie einige Schritte abseits mit ihr, damit ich nichts mitbekomme. Es war sehr schwer, nicht zu grinsen, als der Soldat mit ihr flüsterte und ich jedes Wort hören konnte."

„Was für eine Kiepe?"

„Sie haben das arme Mädchen total überladen. Eine meterhohe Kiepe von einigem Gewicht und dazu ein Joch mit Töpfen und Säcken. Ich habe ihr die Kiepe bis hierher getragen. Weiß nicht, wie sie das alleine schaffen wollte, aber sie scheint eine zähe kleine Person zu sein. Und ans Arbeiten gewöhnt. Vor allem wohl darauf, dass man alles auf ihr ablädt."

„Darum lässt sie sich jetzt zum Putzen einspannen!"

„Ja. Ich habe den Eindruck, sie gehört zur ‚Wenn's keiner macht, muss ich eben ran'-Fraktion. Und ist zuviel mit Leuten vom Klan ‚Wenn's ich's lange genug liegen lasse, wird's schon einer machen' zusammen."

„Na, zu dem Klan gehört die hohe Dame ganz sicher."

„Du bist ihr ja schon öfter begegnet als ich. Mich hat sie bei einer Begegnung im Wald nur verächtlich von der Seite angeblickt und meinen Gruß nicht erwidert. Aber ich dachte, sie hat nur schlechte Laune gehabt."

„Nein, ich habe sie nie anders erlebt."

„Seltsame Frau. Hältst du es für möglich, dass sie mit den Vorgängen im Wald etwas zu tun hat?"

„Hm, bis jetzt bin ich nicht auf die Idee gekommen. Eher, dass sie sich denkt, typisch für das niedere Volk, sich so zu benehmen, aber mich geht das ja nichts an. Und sich auch keine Gedanken macht um die Mädchen, die auf den Weg zu ihr verschwinden."

„Ja, das dachte ich auch. Aber was mir Piroska erzählte, klingt so unlogisch, dass ich mir da nun Gedanken mache. Ich verstehe nicht ganz, warum sie überhaupt von den Dörflern so unterstützt wird. Und warum die frohgemut immer wieder junge Mädchen mit Vorräten lossenden, obwohl doch klar sein sollte, dass es gefährlich ist. Piroska erwähnte, dass ihr Freund hat mitkommen wollen und nicht durfte. Angeblich brauchen sie jede Hand im Dorf. Zumindest jede männliche." Ylvigur schnaubte. „Frauen scheinen bei ihnen wenig wert zu sein."

„Wirklich?" Rando klang schockiert. „Aber das ist doch unsinnig!" Er dachte nach. „Aber es erklärt so manches."

„Dachte ich auch. Allmählich wird das Bild immer klarer. Wir wussten viel zu wenig vom Leben der Fraktionen. Mit Piroskas Erzählungen fügen sich die Geschehnisse der letzten fünfzehn Jahre besser zusammen. Ich habe jetzt mehrere mögliche Erklärungen für die Vorgänge und keine davon gefällt mir besonders."

Rando blickte den Freund von der Seite an. „Du verbeißt dich jetzt richtig darin, stimmt's?"

„Oh ja!" Ylvigurs Augen funkelten. „Ich hatte lange nicht mehr soviel Spaß! Es ist wie eine gute Jagd, aber mit Gedanken. Und mit dem Bewusstsein, dass die Beute ihr Schicksal mehr als verdient hat, wenn ich sie zur Strecke bringe!" Unwillkürlich leckte er sich über die Lippen. Rando sah das und deutete es richtig. „Hast du eigentlich Hunger?"

„Und wie!"

„Moment!" Rando nahm den kleinen Rucksack von den Schultern und griff hinein. „Die habe ich noch im Ostwald gefangen." Er hielt Ylvigur einige tote Mäuse hin. Dieser griff sich ein Tierchen und biss ihm ohne weitere Umstände Kopf und Schwanz ab, bevor er sich den Körper in den Mund stopfte. Kauend überlegte er: „Ob die Leute hier wohl böse sind, wenn wir uns ab und zu einige Mäuse genehmigen? Ich meine, sie essen ja selbst keine."

„Ich glaube nicht. Sie jagen die Mäuse zwar, aber nur, weil sie an ihre Vorräte gehen. Und sie halten sich Katzen, damit die die Mäuse töten."

„Das ist gut", Ylvigur spuckte die abgenagten Knochen aus und griff zur nächsten Maus. „Dann muss ich nicht hungern, sollte ich länger hierbleiben."

„Hast du das vor?"

„Eigentlich nicht. Aber es kann sein, dass das nötig ist."

„Versteh ich nicht. Sag mir mal, was dir das Mädchen alles erzählt hat, vielleicht kapier ich's dann."

Während Ylvigur die Mäuse verspeiste, setzte er den Freund von allem in Kenntnis, was auf dem Weg bis zum Wald geschehen war. Und vor allem natürlich, was ihm Piroska anvertraut hatte. Als er geendet hatte, stimmte Rando ihm zu.

„Du hast recht, da ist einiges, dem man auf den Grund gehen sollte. Ich würde ja sagen, es geht uns nichts an, aber wie es aussieht, werden wir da mit reingezogen."

„Und ob", meinte Ylvigur finster. „Erinnerst du dich an die letzte Sommersonnenwende?"

„Als sie dich beinahe erwischt hätten? Wie könnte ich das vergessen! Du hast unglaubliches Glück gehabt!"

„Und an den blonden Jungen, der dabei war?" fuhr Ylvigur fort.

„Oh ja! Der hatte weniger Glück. Warum fragst du?"

„Er war ihr Bruder", Ylvigur wies mit dem Kopf auf das Haus, vor dem gerade wieder Piroskas zierliche Gestalt erschien.

„Heilige Scheiße! Weiß sie das? Hast du ihr etwas erzählt?"

„Nein, natürlich nicht. Dann hätte sie mir noch weniger getraut. Und ich spürte die ganze Zeit, dass sie bei aller scheinbaren Offenheit doch auf der Hut war. Sie wirkt unbedacht und arglos, ist es aber überhaupt nicht. Nur ist sie ziemlich isoliert aufgewachsen. Sie weiß kaum etwas von der Außenwelt. Auch der Wald war ihr ziemlich neu."

„War?"

„Ich hab ihr einiges gezeigt. Sie hatte viele Fragen."

„Da kenn ich noch einen, der immer fragt."

„Hm." Ylvigur ging nicht darauf ein. „Weißt du, was mich am meisten stört bei der ganzen Sache?"

„Sag's mir."

„Piroska trug trotz der Wärme eine Kapuze. Scharlachrot."

„Was genau ist das für eine Farbe? Ich kenne diese Bezeichnung nicht."

„Das weiß ich seit dem letzten Markttag. So ein helles, leuchtendes, gelbliches Rot, wie bei Feuerkäfern oder Dompfaffen. Das, was du mit leicht gebranntem Ocker erzielst."

„Aha. Und was hast das damit zu tun? Oder mit dem letzten Markttag?"

„Ich war mit Tala und Asena dort", fuhr Ylvigur unbeirrt fort. „Und fand dort ein Seidenhemd, das mir außergewöhnlich gut gefiel. Es passte auch. Aber beide Schwestern verboten mir, es zu kaufen."

„Warum das denn?"

„Es war scharlachrot. Und beide versicherten mir, dass es zu meinen blutbuchenfarbenen Haaren verheerend aussehen würde."

„Frauen", stöhnte Rando. „Ich würde darauf nichts geben. Hast du nachgegeben?"

„Frauen sehen die Farben, vor allem rote, differenzierter als wir. Das wissen wir doch schon lange. Und sie sehen eben auch, welche Farben miteinander harmonieren und welche nicht. Das Scharlach muss wohl wirklich furchtbar ausgesehen haben, denn sie gaben absolut nicht nach. Schließlich kaufte Tala das Hemd für ihren schwarzhaarigen Ehemann, damit ich es ja nicht bekäme."

„Jetzt fällt mir ein, die Schwarze, die ich damals traf, trug auch so eine rote Kapuze. War ein toller Kontrast zu ihrem Haar."

„Ehrlich? Das erhärtet meinen Verdacht."

„Welchen?"

„Piroska ist ja ebenfalls eine Frau."

„Das ist mir nicht entgangen. Was fasziniert dich daran so sehr? Bist du heiß auf sie?"

Ylvigur wurde zu seiner eigenen Überraschung rot. Was ihm übrigens zu seinem dunkelroten Haar ebenso wenig stand wie das scharlachrote Hemd. Erst nach einem Moment antwortete er bedächtig: „Ich weiß nicht recht. Sie ist schon ein sehr anziehendes Mädchen. Aber es fühlt sich anders an als sonst. Also – ja, schon irgendwie, aber – nicht ausschließlich, wenn du verstehst, was ich meine."

„Ja, ich glaube schon", Rando grinste. „Aber was ist denn jetzt mit der Kapuze und was hat das damit zu tun, dass Piroska eine Frau ist?" Er hätte das andere Thema gerne noch weiter verfolgt, aber es war nicht nötig, den Freund noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Offenbar wusste dieser selbst noch nicht, was mit ihm war, aber Rando hatte es bereits begriffen. Und ihm war auch klar, dass Ylvigur besser selbst dahinter kam.

„Richtig", der junge Mann war offensichtlich erleichtert, dass Rando wieder zum eigentlichen Thema zurückkam. „Ich denke, dass Piroska ebenfalls einen guten Blick für Farben hat. Aber sie trug diese Kapuze."

„Sie wird ihr eben so gut stehen wie der Schwarzen."

„Ganz sicher nicht!"

„Wie willst du das beurteilen können? Du bist ein Mann! Du kannst wie ich gut färben, aber nicht entscheiden, welche Farben zueinander passen."

„Ganz einfach. Aufgrund ihrer Haarfarbe."

„Häh?"

„Piroska hat die gleiche Haarfarbe wie ich."

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