Kapitel 7: Alte Zeiten

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Es gab einen Moment in meiner Kindheit, an welchen ich mich immer noch sehr gut erinnern konnte. Das erste Weihnachten, welches Oskar und ich zusammen verbracht haben. Ich war damals um die zehn, elf Jahre alt gewesen. Eigentlich war es ein schöner Abend – bis zu dem Zeitpunkt, an dem Oskar mit seinem Vater zu uns gestoßen ist.

Oskars Mutter habe ich bis heute nur ein paar Mal gesehen. Soweit ich weiß, litt sie damals an einem Drogenproblem, welches natürlich nie vor ihm und seinem Vater Peter angesprochen wurde. Peter und Oskars Mutter lebten zu diesem Zeitpunkt schon länger getrennt.

Als Kind habe ich nicht immer alles verstanden, doch heute weiß ich, dass Oskars Leben einen schweren Start gehabt haben muss. Ich hingegen hatte eine „perfekte Familie". Zwei Eltern, die sich immer gut um mich gesorgt haben, und sich kaum gestritten haben. Klar gab es auch zwischen ihnen ab und zu eine Auseinandersetzung. Aber im Grunde genommen hatten wir die meiste Zeit ein angenehmes Zusammenleben.

Jenen Weihnachtsabend war sowohl Oskar als auch ich, dazu gezwungen, gemeinsam zu verbringen. Ich weiß noch, dass ich versucht habe, das Beste daraus zu machen, was sich als unmöglich herausstellte.

In diesem Jahr hatte ich einen Teddybären bekommen, welcher einen Charakter aus meiner damaligen Lieblingsserie darstellen sollte und sogar ein paar Sätze sagen könnte. Es war ein total niedlicher Bär, der sogar immer noch bei mir zuhause sitzt. Allerdings nicht in meinem Bett, so wie früher, sondern in meinem Schrank.

Von dort holte ich ihn immer mal wieder heraus, wenn ich mich in meiner kleinen Wohnung einsam oder traurig fühle. So lächerlich es klingt, aber wenn ich auf seinen Bauch drücke und die Worte „Hab dich lieb", höre, dann fühle ich mich immer gleich viel besser.

Oskar hatte natürlich nichts besseres zu tun, als mich für mein Geschenk aufzuziehen. „Ach wie süß, das Kleinkind hat einen Teddy bekommen", hat er kommentiert. Damals ist es eine Aussage gewesen, die mich sehr gekränkt hat, besonders, weil ich nicht wusste, was ich kontern sollte.

Tatsächlich konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, was Oskar an diesem Abend geschenkt bekommen hat. Ob er vielleicht sogar gar nichts bekommen hat? Ich bin mir nicht sicher.

Es ist schon so lange her, und doch ist es ein Gedanke, der mich nicht loslässt, als wir gemeinsam in dem Café sitzen und uns Kuchen bestellen. Bis jetzt hatte ich mich damit abgefunden, dass es keinen Grund für Oskars gemeines Verhalten mir gegenüber gibt. Doch wenn ich nun genauer darüber nachdenke, bin ich mir sicher, dass es einen Grund hat. Nur zu gerne würde ich den dunkelhaarigen Mann, der vor mir sitzt, fragen, doch ich traue mich nicht.

Stattdessen blicken wir schweigend auf die Speisekarte, welche vor uns liegt, bis Oskar sich zu Wort meldet: „Wenn du möchtest, können wir die Karte auch umdrehen, damit du sie nicht verkehrt lesen musst", schlägt er vor und ich winke ab. „Schon gut, ich weiß sowieso schon, was ich möchte."

Er sieht mir direkt in die Augen und ich versinke in dem Anblick seiner wunderschönen blauen Augen. Obwohl es eigentlich ein unangenehmes Gefühl in mir auslösen sollte, breitet sich eine angenehme Wärme in mir aus. Warum Oskar Kluge, warum musst genau du so etwas in mir auslösen? Verzweifelt seufze ich und unterbreche unseren Blickkontakt. Dabei sehe ich, dass Matt auf uns zu kommt, welcher scheinbar heute Dienst hat.

„Hallo Ester", begrüßt er mich. „Was wollt ihr beiden denn haben?" Er lächelt mir freundlich zu und ich tue es ihm gleich. „Hallo Matt. Ich hätte gerne nur einen Himbeersaft", sage ich, bevor mein Blick wieder auf Oskar fällt, welcher immer noch auf die Speisekarte fokussiert zu sein scheint. „Ich nehme dann eine Cremeschnitte, bitte", meint Oskar und Matt nickt, nachdem er sich unsere Bestellungen auf einem kleinen Block notiert hat.

„Mehr möchtest du nicht? Nur einen Himbeersaft?", will er wissen, als der Kellner sich von unserem Tisch entfernt und ich nicke. Der ganze Stress in den letzten Tagen hatte mir ganz schon auf den Magen geschlagen und ich hatte kaum noch Appetit. Das Letzte, was ich heute gegessen habe, war ein halbes Sandwich, welches ich mir in der Früh in einem Supermarkt gekauft habe. Nachdem mir etwas übel davon geworden ist, bin ich nun etwas abgeneigt davon, etwas zu essen.

„Ich habe keinen Appetit", behaupte ich. Oskar mustert mich mit einem misstrauischen Blick, schien aber zufrieden mit meiner Antwort zu sein, denn er wechselt plötzlich das Thema. „Wie geht es deinem Vater?"

Die Frage nach meinem Papa kommt etwas unerwartet, und ich weiß zuerst nicht so recht, was ich antworten soll. „Es geht ihm gut", antworte ich dann und ich nehme ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen war. „Das ist schön."

„Und deinem? Wie geht es Peter?", will ich wissen und er sieht mir wieder direkt in die Augen. „Er ist schwer krank und wird bald sterben", erzählt er trocken und ich glaube sogar ein klein wenig Freude in seinen Worten wahrzunehmen. Überrascht über diese Nachricht mustere ihn. Sein Gesichtsausdruck gleicht nicht dem einer trauernden Person.

„Das tut mir leid, Oskar. Wirklich", sage ich und er schüttelt den Kopf. „Das muss dir nicht leidtun. Du kannst ja nichts dafür. Und außerdem ist es für mich sowieso eine Erleichterung, wenn er nicht mehr da ist." Seine Worte sind hart und ich kann mich nicht zurückhalten und frage: „Was hat er dir denn schlimmes angetan?"

„Hast du das damals gar nicht mitbekommen?", er sieht mich fragend an und ich schüttle den Kopf. „Um es kurz zu fassen, mein Vater und ich hatten schon immer ein schwieriges Verhältnis. Er hat sich immer einen Sohn gewünscht, der später seine Firma übernehmen wird und ein Mann patriarchaler Gesellschaft wird. All das war ich aber nicht. Ich wollte schon als Kind immer bunte Nägel haben und einmal habe ich mich sogar getraut, meinen Vater zu fragen, ob ich Ballett tanzen gehen darf." Er schmunzelt. „Er hat mir eine Ohrfeige gegeben. Genauso wie als ich mir meine Ohrringe stechen habe lassen. Er wollte mir meine Individualität austreiben, einen 'Mann' aus mir machen und meine femininen Züge haben ihn dabei gestört. Er hat alles Mögliche probiert. Einmal war sogar ein Pfarrer bei uns, der mich von meinem Dämonen befreien sollte." Er lacht und doch erkenne ich den tiefsitzenden Schmerz in seinen Augen.

„Das habe ich noch nie jemandem erzählt", fügt er hinzu und ich blicke überrascht in sein Gesicht. „Ich liebe deine feminine Seite, Oskar", platzt es aus mir heraus, noch bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, was ich überhaupt sage. Doch es ist zu spät und ich kann meine Worte nicht mehr zurücknehmen. „Du liebst sie?" Es scheint so, als hätte ich ihn aus der Fassung gebracht. „Nein, also ja, ich finde einfach, es passt irgendwie zu dir", versuche ich mich herauszureden.

Ich sehe, wie er amüsiert schmunzelt, was auch mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. „Nett von dir, dass du mich aufmuntern willst, Ester", meint er. Die Art, wie er meinen Namen sagt lässt mein Herz einen Herzschlag aussetzten. Er kann so freundlich sein, wenn er will, denke ich mir.

Doch eines will mir nun nicht aus dem Kopf gehen: „Und du wolltest wirklich Ballett tanzen? Wie alt warst du da?" Ich schaue ihn mit meinen großen braunen Augen an. „Natürlich musst du mir nicht antworten, wenn du nicht möchtest", nuschle ich und stütze meinen Kopf mit meinen Händen am Tisch ab. „Ich muss etwa neun gewesen sein", überlegt er und ich nicke. „Das war auch das Alter, in welchem ich ungefähr angefangen habe", stelle ich fest und er seufzt. „Ich weiß. Ich war sogar einmal dazu gezwungen, dir bei einem Vortanzen zuzusehen", sagt er und ich erinnere mich und stelle fest, dass er recht hat.

Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich Ballett getanzt und es die meiste Zeit immer sehr gemocht. Dann habe ich aber meine Motivation daran verloren und aufgehört. Dass es ein Wunsch von Oskar gewesen ist, Ballett zu tanzen, hätte ich nicht erwartet.

„Auf jeden Fall denke ich, dass ich mich, nachdem mein Vater nicht mehr unter uns ist, mich freier entfalten kann, ohne ein schlechtes Gefühl dabei zu haben", kehrt er zum Thema zurück. „Ich habe nie mitbekommen, dass du so unter deinem Vater gelitten hast. Das tut mir echt leid", gebe ich zu. „Du hättest sowieso nichts machen können. Ich bin nur froh, dass sein Spuk nun bald ein Ende hat. Hirntumor im letzten Stadium. Der ist so gut wie tot", meint er und ich komme immer noch nicht klar, dass er so locker und ohne Emotionen über den bevorstehenden Tod seines Vaters reden kann.

Im Gegensatz zu ihm habe ich schon immer eine sehr gute Beziehung zu meinem Vater gehabt. Es vergeht keine Woche, in der er mich nicht anruft und mich fragt, wie es mir geht. Er hat mich schon immer in allem unterstützt, was ich tun wollte. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es gewesen wäre, wenn er das nicht so getan hätte.

Matt kommt mit unseren Bestellungen zurück und stellt mir meinen Himbeersaft vor die Nase. Ich trinke sofort einen Schluck, während Oskar seine Cremeschnitte überreicht bekommt.

„Sie ist wirklich gut. Du hattest recht", stellt er fest, nachdem er von der Torte gekostet hat. „Ich hab es dir ja gesagt", verkünde ich stolz und entlocke ihm damit ein Grinsen.

*

„Eine Frage liegt mir die ganze Zeit auf der Zunge, aber ich fühle mich nicht berechtigt sie dir zu stellen...", sage ich, nachdem wir gemeinsam das Café verlassen haben. Er hat sein Versprechen gehalten, und für uns beide gezahlt. „Keine Scheu. Frag mich ruhig." „Kann es sein, dass du vielleicht... schwul bist?", ich spüre, wie meine Wangen rot werden. Ich schäme mich etwas dafür ihm diese Frage zu stellen und doch interessiert es mich zu sehr, um es bleiben zu lassen.

„Ich halte nichts davon, meiner Sexualität einen Namen zu geben, Ester. Aber denkst du ich hätte dich geküsst, wenn ich schwul wäre?", antwortet er. „Vielleicht. Ich weiß es nicht", sage ich und er schmunzelt wieder. „Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber", rät er mir. „Tue ich nicht", lüge ich und ich bin mir nicht sicher, ob er mir meine Aussage abkauft.

Es dauert nicht lange und wir stehen vor unseren Autos. Es dämmert bereits und der Wagen, welcher uns zuvor zugeparkt hat, ist wie vom Erdboden verschluckt. „Eine Anzeige bekommt der ganz sicher von mir. Gut, dass ich mir das Kennzeichen notiert habe", teilt mir Oskar mit, während er seinen Autoschlüssel zückt und sein Auto aufsperrt. „Du hast dir sein Kennzeichen aufgeschrieben?", frage ich und er nickt. „Du etwa nicht?"

Daran hatte ich tatsächlich nicht gedacht. Allerdings habe ich sowieso nicht vorgehabt, eine Anzeige aufzugeben. Ich war nun froh in mein Auto einsteigen zu können und nach Hause zu fahren. „Bis bald, Ester", verabschiedet sich Oskar und ich tat es ihm gleich.

Während ich durch die Straßen fahre, erhalte ich einen Aruf von meiner Mutter. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und ich nehme ab. „Hallo Mama!" „Hi, Ester", begrüßt sie mich ebenfalls. Ich freue mich darüber, dass sie mich angerufen hat, Immerhin haben wir in der letzten Woche kaum etwas von einander gehört und es wurde wieder Zeit für ein Telefonat.

Sie fragt mich wie es mir geht, und ich gebe ihr eine unehrliche Antwort, denn in Wahrheit fühlte ich mich nicht so als könnte ich Bäume ausreißen. In den letzten Tagen fühle ich mich zunehmend energieloser, da ich bis spät in die Nacht lernte, und mich kaum auf etwas anderes konzentriere.

„Wie ist die Arbeit mit dem Kluge Sohn?", fragt sie und ich merke das sich ihre Stimmlage verdüstert, als sie Oskar erwähnt. Es liegt mir auf der Zunge ihr von meinen neusten Erkenntnissen über ihn zu erzählen, doch ich entscheide mich dazu, davon nichts zu erwähnen.

„Es ist ganz in Ordnung. Er ist zwar noch ab und zu gemein zu mir, aber er wird langsam ruhiger. Aber so oft stoßen wir bei der Arbeit gar nicht aufeinander. Wir sehen uns nur hin und wieder", antworte ich ihr und schäme mich etwas, weil Letzteres gelogen ist. „Dann ist ja gut. Ich hatte schon Angst, Er zieht dich genauso auf wie früher", sagt sie.

„Wie geht es denn eigentlich euch? Dir und Papa?", wechsle ich das Thema. „Uns geht es super! Dein Vater hat letztens mit deinem Cousin darüber geredet, ob er vielleicht 'PePretty' übernehmen möchte, wenn dein Vater in den Ruhestand geht. Sie unterhalten sich jetzt immer wieder darüber und ich denke, dass es gar keine so schlechte Sache ist, wenn die Firma in der Familie bleibt", erzählt sie mir.

Meiner Meinung nach wäre es die Richtige Entscheidung, meinem Cousin Roger die Firma zu überlassen. Er ist wirklich ein gebildeter, organisierter Mann. Natürlich ist er niemals so gut wie mein Vater, aber er würde ihn bestimmt gut ersetzen.

„Ich finde es gut, dass Papa sich langsam Gedanken über seine Pensionierung macht. Er hat immerhin lang genug gearbeitet", meine ich und sie stimmt mir zu.

„Wo ist Papa eigentlich? Er hat mich jetzt schon lange nicht mehr angerufen", stelle ich fest. „Er sitzt gerade noch an seinem Schreibtisch, aber ich werde ihm sagen, dass du nach ihm gefragt hast, sobald er zu mir ins Wohnzimmer kommt", versichert sie mir und ich lächle zufrieden.

Ich würde ihm gerne selber sagen, dass Oskars Vater im Sterben lag, auch wenn ich wusste, dass er nicht mehr wirklich eine Bedeutung für ihn hatte.

*

In der Nacht liege ich noch lange wach und mache mir Gedanken über das Gespräch mit Oskar. Noch nie habe ich ein so persönliches Gespräch mit ihm gehabt. Ich habe ihn nie als einen offenen Menschen wahrgenommen. Viel eher habe ich ihn so eingeschätzt, dass er sehr verschlossen gegenüber anderen Menschen ist.

Durch das Wissen, dass er Ballett tanzen wollte und über all die anderen Sachen, von welchen er mir heute erzählt hat, sah ich ihn nun mit anderen Augen. Hinter dem kaltblütigen gemeinen Oskar steckt ein verletzter Junge, der seinen Willen gegen seinen Vater nicht durchsetzen konnte.

Ich empfand nun Mitleid für ihn. Es ist damals sicher nicht leicht für ihn gewesen, zu sehen, wie ich die Sachen machen konnte, die er machen wollte. Könnte es vielleicht sein, das Neid der Auslöser für Oskars asoziales Verhalten mir gegenüber gewesen ist? Weil ich eine gute Kindheit hatte und er vermutlich nicht?

Es erscheint mir als eine logische Erklärung, und am liebsten würde ich Oskar danach fragen, doch ich weiß, dass ich mich das nicht trauen würde. Obwohl ich ihm mittlerweile schon weit aus privateren Fragen gestellt habe, habe ich noch eine gewisse Hemmung, ihm gegenüber persönliche Fragen zu stellen.

Mir fällt auf, dass die Situation zwischen uns beiden im Moment ziemlich gleich ist wie damals, nur das ich diejenige bin, die Neid verspürt. Natürlich reagierte ich anders darauf, als er damals, denn im Gegensatz zu ihm hegte ich keinen Groll gegen ihn. Vielleicht ist es ja einfach Oskars Art, Neid in Hass umzuwandeln?

Gerade als ich darandenke, dass ich ihm Morgen bei der Arbeit wieder begegnen werde, fällt mir ein, das heute Sonntag ist und ich morgen frei habe. Natürlich freut es mich, dassich nicht arbeiten muss, aber trotzdem hätte ich Oskar morgen gerne wiedergesehen. Besonders jetzt, nachdem er so nett zu mir gewesen ist. Ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Bauchgegend aus, als ich an ihn denke. Auch, wenn ich es immer noch anders lieber hätte, bezaubert mich dieser Mann.

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