08: Gassenwissen

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„Dreck", fluchte Raik wieder und schob die Hand in die Tasche. „Lillian? Flüchtiger Mensch mit Feuer-Talismanen. Legt wahllos Brandherde. Feuer im Obergeschoss."

Verstanden. Ich warne die Gäste.'

Die Worte hallten in Siegfrieds Ohren und Geist gleichermaßen wieder. Wie betäubt stand er da und starrte auf das Feuer, spürte den Schmerz in seiner Schulter kaum, während die Hitze um ihn herum zunahm und die Flammen unaufhaltsam weiter wuchsen.

„Komm" Raiks Stimme war hart und forderte widerstandslose Gefolgschaft. Siegfried konnte nicht anders, als hinter dem großen Mann herzulaufen, wie ein Welpe seiner Mutter folgte. Jetzt erst aktivierten sich seine Überlebensinstinkte und seine Beine bewegten sich schneller, trugen ihn durch die dunklen Korridore des oberen Stockwerks. Immer Raiks hellen Anzug hinterher. Aus der Tür hinaus. In die entgegengesetzte Richtung des Flüchtenden. Weg vom Feuer. Die Treppe hinunter.


Als er wieder in den Saal der Feiernden hineinstolperte, drängten sich die Gäste zum Ausgang. Der Raum war fast leer. Ein Teil von Siegfried war direkt beeindruckt. Wie hatte Lillian das so schnell geschafft?

„- Sie ruhig. Bitte verlassen Sie das Gebäude." Gannert stand da und lotste zusammen mit Muskel Adolf die Menschen zu den Türen. Trotz erster Rauchschwaden, die aus den Logen des oberen Stockwerks herunterkrochen, waren die beiden das Abbild ruhiger Gelassenheit. Trotzdem hatte er den Eindruck, dass sie ihm und Raik mit vernichtenden Blicken geradezu durchbohrten. „Bitte beeilen Sie sich. Die Feuerwehr wird gerade informiert."

Siegfried nickte und schob sich mit dem Werwolf ebenfalls Richtung Ausgang. Er konnte kaum glauben, wie ereignislos das alles wirkte. Raik dagegen schien nicht ganz so gelassen. Immer wieder glitt sein Blick über die letzten Menschen um ihn herum. Ob er nach dem Brandstifter suchte? Bisher hatte Siegfried keine Spur von ihm entdeckt.

„Lillian?", murmelte Raik leise, die Hand anscheinend fest um das Telepathie-Armband in seiner Hosentasche geschlossen, denn Siegfried hörte diese Frage parallel laut und deutlich in seinem Kopf.

Ich muss noch was holen und ein paar Räume prüfen. Schau, ob du dem Mann folgen kannst. Treffpunkt beim Orden, Andreasstraße.' Lillian klang angespannt, aber ruhig.

Trotzdem kniff Raik die Lippen zusammen. ‚Ey, lass die dumme Tasche und-'

Das ist nicht deine Sorge', unterbrach ihn Lillian kühl, woraufhin Raik leise seufzte. ‚Vergiss nicht, mit Atmen aufzuhören. Eine Rauchvergiftung-'

Ich bin kein Anfänger', schoss Lillian prompt zurück.

Doch zumindest schien das Raik zu beruhigen, denn er nickt knapp und schob Siegfried weiter aus dem Gebäude heraus. Zeit genug, dass der Hexer einmal über die offensichtlichsten Fragen nachdenken konnte.
‚Lillian', setzte der Hexer schließlich ebenfalls zögernd an, während er einer korpulenten Dame unbewusst auf ihre ausladende Kehrseite starrte. ‚Wie hast du', er unterbrach und korrigierte sich. ‚Haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit, die Menschen zu warnen und zum strukturierten Verlassen des Gebäudes zu bewegen?'

Plötzlich hörte er ein Geräusch in seinem Geist. War das ein Husten? Siegfried konnte es nicht einordnen. ‚Ich habe Gennart und Leib mit viel Verlegenheit und völliger Überforderung erzählt, dass wir drei uns oben in den Logen zu ... einer vergnüglichen Runde getroffen hätten. Mit ganz vielen Kerzen, die wir „dabei" irgendwie vergessen hatten.'

Jetzt war es Siegfried, der hustete.

Vor sich hörte er Raik leise lachen, als sie durch die breiten Türen des Varietés endlich hinaustraten. „Das haben sie geglaubt?"

Ich kann sehr überzeugend sein. Und der Rauch, der dann noch aus den oberen Logen kam, hat für sich gesprochen', antwortete Lillian so neutral, als würde sie über die Qualität eines Wollpullovers reden und nicht über ein höchst skandalöses Verhalten. Wenn das jemand herausfand!

Mit Mühe versuchte der Hexer, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Die meisten Menschen waren noch nicht gegangen, sondern standen in einigem Abstand um das Gebäude herum, während über allem ein neugierig-besorgtes Gemurmel hing. Doch Raik schien davon kaum Notiz zu nehmen. „Fürs Protokoll-", setzte der Werwolf leise an, das Grinsen in seiner Stimme war überdeutlich hörbar. Allerdings wurde er unterbrochen und beendete seinen Satz mit einem gemurmelten „Spielverderberin."

Offenbar hatte Lillian ihn dankbarerweise zum Schweigen gebracht. Doch es wurmte Siegfried, dass sie den Umgang mit dem Kommunikationsarmband so gut beherrschte, dass sie ihr Gespräch mit Raik vor ihm abschirmen konnte – obwohl die drei Talismane eigentlich eine Einheit bilden sollten. Aber wer dreihundert Jahre lebte, hatte wohl viel Zeit, alle möglichen Fähigkeiten zu perfektionieren.

Da änderte Raik ohne Vorwarnung seine Laufrichtung und Siegfried hätte ihn fast in der Menge verloren. So musste er schneller laufen, um Schritt zu halten und landete kurz darauf in einer kleinen Gasse zwischen zwei fünfstöckigen Arbeiterhäusern.

„Gut", murmelte Raik zu wem auch immer, während er die enge Straße musterte. Doch außer ein paar Mülltonnen für die BEMAG und Reihen um Reihen von Fenstern mit fest zugezogenen Gardinen gab es hier nichts. Dann kramte der Werwolf in der Innentasche seines Anzugs und zog das kleine Kästchen mit den Talismanen heraus, das er dem Hexer in die Hand drückte.

Siegfried starrte es an. „Die hab ich ganz vergessen."

„Hm-hm", machte Raik abwesend und begann, sein weißes Jackett auszuziehen. „Die reagieren auf Feuer. Was glaubst du, was passiert wäre, wenn die Flammen damit in Kontakt gekommen wären?"

Der Hexer schwieg einen Moment, während er reflexartig die Anzugjacke von Raik entgegennahm. Daran hatte er nicht gedacht. Er wollte gerade zu irgendeiner neutralen, unverfänglichen Antwort ansetzen, als er stockte und Raik irritiert anstarrte. „Warum ziehst du... ziehen Sie sich aus?"

Tatsächlich war der Werwolf mittlerweile dabei, sein Hemd nach und nach aufzuknöpfen. Als er plötzlich gesiezt wurde, huschte ein augenzwinkerndes Grinsen über sein Gesicht: „Lilly hat dich ganz schön hart rangenommen, was?"

Siegfried zuckte zusammen und konnte sich nicht zu einer Antwort durchringen.

Doch Raik schien ohnehin nicht damit zu rechnen. „Aber bleib ruhig beim Du. Das geht für mich in Ordnung. Und ich glaube, für Lilly gilt das Gleiche."

„Aha", murmelte der Hexer mehr als zweifelnd. „Nur-"

„Hör zu, Junge", setzte Raik an und drückte ihm sein weißes Hemd in die Hand. „Ein „Sie" ist nichts wert, wenn dahinter keine Achtung steht. Respekt gibt 's nur begrenzt geschenkt. Das meiste muss man sich verdienen – und ehrlich? Bisher hast du nicht viel dafür getan, um das bisschen, was du von vornherein hattest, behalten zu können."

Der Hexer richtete sich empört zu seiner vollen Größe auf. „Nur weil ich Fehler gemacht habe-"

Raik verdrehte kurz genervt die Augen und zog sich sein Unterhemd über den Kopf. Die Muskeln, die sich im Halbdunkel der Gasse plötzlich klar abzeichneten, waren fast genauso verunsichernd, wie das leise Knurren des Werwolfs: „Du hast uns beide wie minderwertige Arbeitsmaterialien behandelt. Und auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, was da bei dir und Lilly gelaufen ist – aber irgendwie ist ihr wohl der Kragen geplatzt. Und normalerweise ist sie die Geduldigere von uns beiden." Raik sah ihn vielsagend an, während er dem Hexer sein Unterhemd zuwarf.

Siegfried fing auch das und drapierte es ordentlich über seinen Unterarm, genau, wie schon das Hemd und die Anzugjacke davor. Kurz überlegte der, ob Raik recht hatte – oder ob er nur von der Tatsache ablenkte, dass er sich hier warum auch immer vor ihm auszog.

Ist das nicht offensichtlich?', flüsterte Lillians Stimme plötzlich in seinem Kopf. Sie klang angestrengt. ‚Er will in seine Wolfsgestalt wechseln, um die Fährte des Brandstifter zu finden. Aber als Wolf kriegt er seine Kleidung nicht ausgezogen.'

Siegfried schauderte. ‚Belauschst du uns?!'

Natürlich. Vielleicht hört ihr ja irgendwann mit dem Kaffeekränzchen auf und besprecht was Wichtiges.'

Nur mit Mühe konnte sich der Hexer wieder auf das Gespräch mit Raik konzentrieren und antwortete etwas verspätet: „Ehrlicherweise wirkt sie auf mich nicht sonderlich geduldig." Sollte sie doch denken, was sie wollte, wenn sie eh in seinem Geist rumlungerte. „Eher so, als würde sie dir jeden Moment die Kehle durchschneiden."

Raik war gerade dabei, sich die weiße Anzughose auszuziehen, als er ihm einen langen, abwägenden Blick zuwarf. Dann seufzte er. „Verdient wäre es. Aber sie weiß, dass es nichts bringt."

Ach ja. Da war etwas mit „unsterblicher Werwolf" gewesen. Obwohl Siegfried sich einen Unsterblichen immer anders vorgestellt hatte. Majestätischer. Aber Raik ... naja. Er war eben Raik. „Was ist eigentlich passiert, dass sie so wütend auf dich ist? Als ich den Auftrag bekommen habe, wurdet ihr mir als eine der erfolgreichsten Jäger-Gruppen des Ordens beschrieben."

Einen Moment lang, dachte Siegfried, er wäre zu weit gegangen. Doch dann glitt der Blick des Werwolfs an ihm vorbei, in die Ferne. „Ich habe sie verraten und betrogen", sagte er schließlich leise. „Ich dachte, ich hätte jemand anderen ... erreicht, dass ich diese Person ‚retten' könnte." Raik lächelte müde.

Er hat eine Phönixgetreue angesprungen und gefickt wie ein notgeiler Rüde eine läufige Hündin. Deshalb ist unser Auftrag gescheitert', zischte es wütend in Siegfrieds Kopf.

„Aber es stellte sich heraus, dass ich Maria weder erreichen noch retten konnte. Und das Ende vom Lied war, dass fünfzehn Menschen gestorben sind."

Zwei davon gehörten zu meiner Familie", flüsterte es bitter in Siegfrieds Kopf. „Und das kann sie dir nicht verzeihen?" Ehrlicherweise konnte der Hexer es sogar verstehen.

„Nein", bestätigte Raik seine Aussage mit einem undefinierbaren Blick in die Ferne. „Und ich mir auch nicht."

Wieder Stille. Auch von Lillian, ehe sie seufzte: „Du weißt schon, dass er dir das nur sagt, weil er hofft, dass ich über die Telepathie-Bänder mithöre? Weil er es mir nicht ins Gesicht sagen kann?"

Innerlich verdrehte Siegfried die Augen. „Soweit ich das sehe, gibst du ihm nicht einmal die Gelegeheit, dir überhaupt irgendetwas ins Gesicht zu sagen."

Da flog die weiße Hose auf ihn zu, die der Hexer gerade so auffangen konnte. „Wenn du dich jetzt bitte umdrehen würdest?", riss Raik ihn aus seinem Gespräch mit Lillian – wobei Siegfried nicht den Eindruck hatte, dass die Vampirin noch etwas antworten würde. „Ich mag es nicht unbedingt, wenn mir jemand dabei zusieht. Das ist mir dann doch zu intim."

War ja klar. Der Typ hatte kein Problem damit, sich bis auf die Unterhose vor ihm auszuziehen, aber die Verwandlung ging dann doch zu weit? Trotzdem drehte Siegfried sich brav um. Das war vielleicht auch besser so, denn die Geräusche, die er hinter sich hörte, waren beunruhigend.


Kurze Zeit später blickte er dem Wolf hinterher. Er hatte sich noch einmal ordentlich im Matsch gesuhlt, um unauffälliger und mehr nach Hund auszusehen, ehe er zielstrebig die Gasse verließ und zwischen den Beinen der Schaulustigen verschwand.


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