10 - das Leben der einfachen Leut'

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Fr. 8.12.1570

Sehr früh am Morgen werde ich durch fröhliches Pfeifen von oben geweckt. Auch ich habe gute Laune. Hannes Narrenspiel von letzter Nacht fällt mir wieder ein. Den bangen Moment mit dem Traum scheint er vergessen zu haben. Summend mache ich mich an meine morgendlichen Verrichtungen, miste und melke die Ziegen, gebe dem Peterchen seine Milch. Da kommt mir auch die Erinnerung an den seltsamen Schluss unserer Albereien. Und mit einem Mal ist es ganz einfach.
„Hannes?"
Ich steige die Leiter empor und klopfe gegen die Balken.
„Ja? Guten Morgen!"
Ich steige die letzten Sprossen hinauf und stecke meinen Kopf durch die Luke. Es ist dämmrig, dafür nicht so kalt, aber ich schenke dem weiter keine Beachtung.
„Auch guten Morgen! Hannes, ich habe noch eine Idee zu Eurem 'Beruf'. Wie wäre es damit: Der Pastor bringt Euch untauglichen Burschen von seinem Besitz mit her, weil der Pächter sich weigert, Euch weiter zu beschäftigen. Ihr taugt zu rein gar nichts. Und damit müsst Ihr hier auch gar nichts können."
Augenblicklich fängt Hannes wieder an, so breit zu grinsen wie heute Nacht.
„Wunderbar! Er will mich also doch als Knecht für Euch mitbringen, weil Ihr eben jemand braucht. Und dann stellt sich heraus, dass ich als einzige Begabung den Umgang mit dem Pferd habe. Ich wohne hier, ich bin von Beruf untauglicher Knecht und nur nebenbei Pferdebändiger."
Er strahlt.
„Ach – und natürlich Kindertröster, Erbsenzähler und Dorflehrer!"
Schon wieder müssen wir herzlich lachen.

Ich steige die Leiter wieder hinunter, um die Nachttöpfe neben dem Haus auszuleeren. Doch dann bleibe ich wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Überall im Dorf flitzen die kleinen und großen Kinder durch den frisch gefallenen Schnee und bewerfen sich gegenseitig mit Schneebällen. Ein paar Kinder rollen große Kugeln über den Dorfplatz. Es ist ein einziges Juchzen und Jubeln. Jetzt weiß ich auch, warum es oben so dunkel und wärmer ist. Der Schnee bedeckt das Dach, füllt die Ritzen, durch die es vorher hindurchgetropft und gezogen hat, und hält dabei auch die Kälte ab. Von hinten tritt leise der Hannes an mich ran, lunzt vorsichtig hinaus auf die Dorfstraße, schaut sehnsuchtsvoll zu den Kindern und flüstert.
„Eine Woche noch. Dann darf ich mittun."
Ich spüre einen leisen Schauder meinen Rücken hinunter huschen bei dieser Nähe. Schnell nimmt er wieder Abstand.
„Sehnt Ihr Euch so sehr nach dem Spiel mit den Kindern?"
Seine Augen gehen in die Ferne.
„Ich weiß nicht, ob irgendwo Kinder auf mich warten. Dieser Ludo ist jedenfalls kein Kind mehr. Aber sie sind so unbeschwert. Und speziell Eure, Frau Adam, sind so reine Seelen. Ich glaube, ich verstehe, warum sie Euch sooo wert sind. Auch ich fühle, dass ich alles für sie tun möchte, um sie zu beschützen. Ihnen Freude zu bereiten. Sie stark zu machen für dieses Leben. Dabei kenne ich sie nicht mal zwei Wochen, und das auch nur ganz aus der Ferne, von meinem Aussichtsturm dort oben. Ich weiß ja nicht, warum. Aber ich habe das Gefühl, als hätte ich noch nie vorher gelebt, lerne Leben erst hier wirklich kennen. ... Klingt das verrückt?"

Ich schüttele den Kopf.
„Nein, Hannes. Das klingt nicht verrückt. Wenn ich Euch so zusehe, dann spüre ich schon das Leid durch den Gedächtnisverlust. Aber ich sehe auch, dass die selige Unwissenheit Euren Blick weitet für unser Leben. Für ein Leben, das Ihr normalerweise gar nicht wahrnehmen würdet. Ohne die gewohnte Haltung sieht man mehr."
Still senkt Hannes den Blick und tritt einen Schritt zurück ins Haus. Ich wende mich zu ihm um.
„Ihr werdet nie wieder sein, der Ihr vorher ward. Denn dieses Leben hier verändert Euch. Und ich denke, nicht zum Schlechten. Welches Leben auch immer auf Euch wartet. Es wird reicher sein. Vielleicht auch gütiger. Und bestimmt gerechter. Ich wünsche Euch von Herzen, dass Ihr Euch nicht mehr davor fürchten müsst."
Schweigend steigt Hannes wieder die Leiter hinauf, schweigend bereite ich unser Frühstück und reiche ihm seine Schüssel und seinen Tee hinauf. Schweigend mache ich mich wie immer daran, mein Tagwerk zu erledigen, bevor ich mich ans Herdfeuer setze und weiter am Wams des Verwalters sticke. An seinem leisen Atmen erkenne ich, dass Hannes mal wieder an der Bodenluke liegt und mich beobachtet.

Die Tür geht auf, der Jakob kommt herein und umarmt mich einmal feste.
„Mutter, es hat geschneit! Wir hatten sooooo viel Spaß eben miteinander. Aber nun muss ich zum Müller. Bis später!"

Und schon ist er wieder zur Türe hinaus. Versonnen lächelnd sehe ich ihm nach.
Guter Gott, hab Dank für dieses fröhliche, herzensgute, wundervolle Kind! Diese Kinder sind das beste, was der Jacob Adam mir hinterlassen konnte. Erhalte sie! Gott, gib, dass sie in Frieden leben dürfen und immer einander haben!
Ich beuge mich wieder über mein Stickzeug. Heut ist der 8. Dezember. Also habe ich noch zwei Wochen, um das Wams fertig zu sticken und es nach Gieboldehusen zu bringen. Die Säume an den zahlreichen Schlitzen werden bald fertig sein, aber dann geht es an das Muster, und da wartet noch viel Arbeit auf mich.

„Frau Adam?"
Ich schaue nach oben.
„Ja, Hannes?"
Er hat die Stirn gerunzelt und offensichtlich grade angestrengt nachgedacht.
„Wie kommt Ihr eigentlich nach Gieboldehusen, wenn der Verwalter Euch zur Anprobe zu sich ruft?"
Ich seufze.
„Ich laufe. Ein Weg, gut ein halber Tag. Ist aber schon eine Weile her, denn in der Erntezeit weiß er, dass ich keine Zeit hab, so hatte ich den Sommer über Ruh. Ich bin auch froh drum. In guter Hoffnung sein oder ein Neugeborenes haben – da geht es einfach nicht, für ein bisschen Anprobe fast zwei Tage durch die Gegend zu laufen."
In Hannes Kopf rattert es sichtbar.
„Ihr sollt also am 23. abends dort sein zur Anprobe. Wo übernachtet Ihr denn dann? Und wann seid Ihr zurück?"
Ich seufze wieder.
„Abends probiert er es an. Und er hat immer irgendwas zu beanstanden. Darum arbeite ich Nacht und Morgen durch und bin im Laufe des Vormittages nochmal bei ihm. Dann will er seine Ruh, und ich darf gehen."

Über mir knurrt es, und ich zucke vor Überraschung etwas zusammen.
„Dann nehmt Ihr es also gleichmütig hin, dass Ihr den Heiligen Abend bei egal welchem Wetter laufend auf der Landstraße verbringen werdet! Und dass die Kinder bei der Lene sein müssen statt mit der Mutter zu feiern. Das ist doch Absicht von dem Halunken!"
Zorn schwingt in seiner Stimme mit.
Ich ziehe einen neuen Faden in die Nadel.
„Das kann schon sein, Hannes. Aber ich kann es nicht ändern. Und der Gleichmut hilft mir, an den Mann keine Kraft zu verschwenden. Letztes Jahr am 23. ist mein Jacob Adam im Sturm von seinem Scheunendach gestürzt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es reine Schikane ist, dass er mich an genau dem Tag zu sich beordert. Na und? Ich trauere um meinen Mann, wann und wo ich will. Ich werde viele schöne Kirchen und Wegkreuze sehen, bis ich dort bin. Und bei jedem einzelnen werde ich ganz kurz innehalten und für Jacob beten. Es liegt an ihm, ob er Unfrieden stiftet. Aber es liegt an mir, ob ich mich anstiften lasse. Wenn ich den Zorn nicht in mein Herz lasse, kann ich reinen Herzens vor meinen Herrgott treten."

Eine Zeit lang ist es ganz still in der Kate. Ich sticke meine Säume, und ich spüre dabei fast körperlich, wie Hannes angestrengt denkt.
Schließlich seufzt er.
„Frau Adam, Ihr seid eine Heilige."
Ich lache hell auf.
„Oder eine Märtyrerin? Das ist lächerlich, Hannes. Wirklich. Ich bin Euch dankbar, dass ihr um meinetwillen in heiligen Zorn ausbrecht. Es tut gut! Aber das ist das Leben der einfachen Leute. Es ist oft bitter, vielleicht auch ungerecht. Aber es ist ehrlich und gottesfürchtig. Ich habe dieses Leben nicht gewählt, aber ich habe es angenommen."

Oben raschelt Kleidung. Dann Stroh. Nach dem albernen Abend und der greifbaren Lösung heute früh ist Hannes grade seltsam trübe und grüblerisch zu Wege. Jetzt hat er sich auf sein Strohlager zurückgezogen.
Schreckt er nun doch davor zurück, hier im Dorf offen Einkehr zu halten? Plagt ihn eine Ahnung von wasauchimmer? Vielleicht war ich auch grade zu harsch mit ihm. Es wird hohe Zeit, dass er dort herunterkommt!

Um ihn aufzuheitern, schneide ich ein paar dicke Scheiben vom Brot, streiche Butter darauf und brate uns ein paar Eier. Kurz schaue ich, ob draußen wer in der Nähe ist. Aber der Sonnenstand sagt mir, dass jetzt alle im Dorf um ihre Tische sitzen und etwas essen.
„Hannes? Habt ihr Hunger? Kommt runter, es ist niemand in der Nähe."
Oben raschelt es, poltert, dann steigen bestrumpfte Füße die Leiter herunter. Hannes deckt schnell den Tisch mit den Holznäpfen vom Wandbrett, dann schiebt er sich auf die Bank und schnuppert.
„Hm. Das ist jetzt genau das Richtige!"
Ich stelle die Pfanne auf den Tisch und das Brett mit den Butterbroten, dazu zwei Becher mit Buttermilch. Wir danken für das Essen und greifen zu.
Eine Weile druckst Hannes noch herum, dann gibt er sich einen Ruck.
„Frau Adam, ich möchte mich entschuldigen. Wer bin ich, dass ich Euch anrappele, wenn ich mich über den Verwalter aufrege. Das war nicht Recht. Verzeiht mir bitte."
Sanft greife ich nach seiner Hand und drücke sie kurz.
„Hannes. Schon verziehen. Ihr seid grade nicht Ihr selbst und betrachtet unsere Welt von außen. Und ich war Euch ja gar nicht bös. Ich hab Euch nur gesagt, wie ich es sehe. Vielleicht war auch ich ein bisschen grob."
Mit leichterem Herzen essen wir weiter.

„Und ich freue mich sehr, dass Ihr nun für ein paar Tage rauskommt. Niemand wird Euch kennen dort. Ihr kommt unter Menschen, Ihr werdet mit Klaas und dem Herrn Pastor euren Spaß haben, da bin ich sicher. Vielleicht kommen Euch auch neue Erkenntnisse. Ihr solltet vor der Abreise nochmal zusammen sitzen und planen, wer wann welche Rolle hat, welche Kleidung trägt, was alles besorgt werden sollte, damit Ihr es hier dann unauffällig doch bequem habt. Damit Ihr jederzeit in jede Rolle schlüpfen könnt."
Da fängt Hannes an zu strahlen.
„Ich hab heut morgen schon gedacht, ich würde am liebsten jedem hier im Dorf eine Kleinigkeit schenken, die er oder sie wirklich brauchen kann. Nicht nur dem Oswald Ferz ein neues Schwein. Nur – wie erfahr ich, wer was braucht?"
Ich schüttele lächelnd den Kopf.
„Ein Taugenichts von Knecht kann nicht so freigiebig schenken."
Hannes grinst.
„Durchaus nicht. Aber der hochherrschaftliche Erbe, der kann! Soll doch der Pastor jedem im Dorf aus lauter Erbeglück was zur Weihnacht mitbringen. Ich brauch die Lorbeeren nicht. Ich brauch nur das Strahlen in den Gesichtern."
Nun muss ich lachen.
„Ach, Hannes. Und wer ist hier jetzt der Heilige?"

Sehr viel entspannter und zufriedener steigt Hannes wieder die Leiter hinauf. Ich hingegen beschließe, mal wieder die Lene zu besuchen, sobald mein Jakob vom Müller heimläuft. Fleißig arbeite ich weiter, bis Jakob zur Tür hereinspringt und mir aufgeregt berichtet, dass der Nikolaus der Müllerin Britt nicht Strümpf sondern ein Kind gebracht hat.
„Jedenfalls so irgendwie, denn der Mathis und der Laurenz haben sich unterhalten, dass sie bald ein Geschwisterchen haben werden. Und das kann ja nur der Nikolaus gewesen sein!"
Polternd stoße ich ein paar Holzscheite neben dem Herd um, damit mein Jakob nicht hört, wie sich oben der Hannes das Lachen verkneift.
„Nein, sowas! Denk nur, Jakob. Dann hat der Nikolaus sicher die Botschaft gebracht, damit die Müllerin alles vorbereiten kann für das Kind."
Ich beschließe, Hannes ein bisschen zu quälen.
„Und das Kind bringt dann sicher der Osterhas!"
Breit strahle ich Jakob an, während ich aufstehe und dabei den Schemel geräuschvoll über den gestampften Lehmboden schiebe.
„Weißt du was, Jakob. Ich komm gleich mit, um mit dir gemeinsam der Lene die frohe Nachricht zu bringen!"

Ich ziehe mich wärmer an, packe das Peterchen im Tragekasten auf den Rücken, nehme mein Stickbündel unter den Arm, greife nach Jakobs Hand und gehe zur Tür. Erst, als ich von draußen die Tür zuziehe, werfe ich einen Blick zur Bodenluke und zwinkere Hannes zu, der mir breit grinsend mit dem Finger droht.
„Jakob? Darfst du denn die frohe Nachricht von der Müllerin überhaupt weiter erzählen?"
Jakob nickt eifrig, während er an meiner Hand durchs Dorf hüpft.
„Ja, Mutter. Ich solls der Lene sagen, dass sie zur Müllerin kommt."
Dann habe ich mit der Zeit um Ostern vielleicht gar nicht so Unrecht. Auch wenns nicht leicht werden wird für Britt, weil sie nun doch schon älter ist.
„Dann lauf und erzähl es allen."
Sofort flitzt Jakob los und wahllos in einige Häuser hinein.
Ich möchte nicht wissen, was er nun überall berichtet, nachdem ich ihm vorhin so einen Unsinn erzählt habe ...
Aber ich nutze gleich die Gelegenheit, den Pastor zu informieren, dass Hannes noch ein Treffen zur Reisevorbereitung vorschlägt, weil wir weitere Ideen haben.
„Nur Ihr, der Hannes und der Klaas. Ich bin jetzt bei der Lene. Schlagt einfach vor, wann Hannes kommen soll."
Dann trete ich wieder auf die Dorfstraße, wo mir Jakob aus dem Haus der Ferzens entgegenspringt.
„Frau Mutter, sie freuen sich alle so, wenn ich ihnen sag, dass die Müllerin vom Osterhasen ein Kind bekommt."
DAS kann ich mir lebhaft vorstellen! Sie wissen wahrscheinlich alle nicht, wo sie hinschauen sollen vor „Freude".
„So komm, Jakob. Dann gehen wir jetzt zur Lene."
Ich nehme Jakob bei der Hand, bis wir vor Lenes Tür sind. Wiederum saust mir der Junge davon und erzählt sogleich die Geschichte vom Nikolaus und dem Osterhasen und dem neuen Kindlein. Ich trete hinter ihm in die Hütte und schaue Lene mit großen, warnenden Augen an. Aber sie ist sowieso eine, der man nichts anmerkt, wenn sie es nicht will. Mit völlig ernster Miene hört sie Jakob bis zu Ende zu.
Dann nickt sie.
„Dann werde ich wohl bald mal die Müllerin besuchen gehen, damit es ihr gut geht, bis der Osterhas das Kind bringt."

Jetzt endlich kann etwas anderes Jakobs Aufmerksamkeit erringen, denn Susanna und Lene haben offensichtlich heute aus Lumpen eine Puppe für sie gebastelt. Und die muss sie uns beiden nun natürlich zeigen. Bald schon spielen die Kinder glücklich mit der Lumpenpuppe. Ich dagegen lasse mich bei der Lene am Herdfeuer nieder, sortiere mein Stickzeug, und wir Frauen genießen wieder die konzentrierte Arbeit und die angenehme Plauderei. Als die Kinder grade hinten mit Lenes einzigem Schaf beschäftigt sind, kann ich ihr schnell verraten, dass wir mit Hannes Tarnung ein gutes Stück weiter gekommen sind.

Die Nachricht, dass Britt guter Hoffnung ist, spricht sich im Dorf so schnell rum wie ein Lauffeuer, und wie nebenbei die Bitte von Hannes um ein weiteres Treffen. Der Pastor und Klaas verabreden einfach, zur Nacht zu uns zukommen, dann kann auch ich mitdenken. Und Hurtig wird gleich mitgeführt und steht solang in meinem Stallgang vor dem Verschlag der Ziegen. Als Klaas zur Lene kommt und so tut, als wolle er über die Botschaft vom Nikolaus und dem Osterhas ratschen, gibt er mir den Wink, und so kann ich wieder aufbrechen. Ich verabschiede mich von meinen Kindern und bete im Stillen, dass alle Pläne gelingen und ich tatsächlich in einer Woche meine Kinder wieder bei mir habe.

Hannes freut sich sehr, dass das Planen so schnell weitergehen kann. Nachdem wir etwas zur Nacht gegessen haben, höre ich, wie er oben auf dem Boden das Schlurfen und das schleppende Reden übt. Als dann das Dorf endlich in tiefer Ruhe versinkt, hören wir kurz darauf das Scharren an der Hintertür. Klaas führt Hurtig herein, der von Hannes freudestrahlend begrüßt wird.

Derweil kommt Pastor Crüger auf mich zu, droht mir feixend mit dem Finger und schimpft gespielt.
"Anna Adam, was für heidnische Ideen flößt du deinem armen Sohn ein! Nun denkt er für den Rest seines Lebens, dass die Kinder vom Osterhas kommen. Und nicht Geschenke unseres gütigen Gottes sind."
Wir müssen alle lachen.
„Ach, Herr Pastor. Ich bin mir sicher, dass Jakob nur wenige Jahre noch brauchen wird, um zu begreifen, das es den Osterhas nicht gibt. Und dann versteht er das andere dazu. Oder er fragt bei mir nach, wo denn nun die Kinder herkommen. Ich bin mir sehr sicher, dass ich mich um Enkel nicht werd sorgen müssen, noch darum, dass mein Jakob ein gottesfürchtiger Mann wird."

Ich stelle einen großen Krug heißen Kräutertee und Becher auf den Tisch und hocke mich wieder ans Herdfeuer zum Sticken. Hannes dagegen gibt eine kleine Vorstellung vom Duderstädter Trottel zum besten, dass die Männer sich gar nicht mehr halten können vor Lachen. Hannes berichtet von unsrer Idee über seine Rolle hier. Dann sprechen sie, wer wann wie reist, wo sie sich zusammenfinden jenseits der Grenze, Hannes bittet darum, etwas Dialekt lernen zu dürfen. Der Pastor hat sichtlichen Spaß an seiner Rolle als ein bisschen übergeschnappter Erbe, der sich nicht zurückhalten kann. Aber er sorgt sich doch nun auch um seine Reputation.
„Hannes, Ihr müsst aber nicht all Euer Geld fürs Dorf ausgeben. Nicht, dass vor lauter Geschenken hinterher Euer Beutel ganz leer ist!"
Hannes lächelt.
„Ich verrat Euch, Herr Pastor, dass ich gestern Abend nicht mein ganzes Geld gezeigt hab. Da ist einiges mehr. Ich werd sicher nicht verhungern, wenn ich eines Tages wieder nach Hause finde."

Mit unverhohlener Neugierde schaut der Pastor dem Hannes tief in die Augen, und der schaut völlig gelassen direkt zurück.
„Bitte findet heraus, was jeder Hof hier braucht. Es sollen alle bedacht werden auf eine Weise, die wirklich nutzt, ohne dass der Steuerteufel es ihnen wieder abnehmen kann."
Leise schüttelt der Pastor den Kopf.
„Und ich soll als der edle Spender herhalten?"
Hannes schaut nun bittend zum Pastor.
„Ich ... Ich fühle mich furchtbar hilflos und gefangen. Und gleichzeitig so geborgen hier im Dorf. Ich weiß nicht, ob ich in meinem früheren Leben nicht auch ein Steuerteufel war. Aber ich weiß jetzt um das Leben der Menschen, die das ganze Land ernähren, und kann die Ungerechtigkeiten kaum aushalten. Sorgt Euch nicht um den Inhalt meines Beutels. Bitte, lasst mich machen, dass es allen ein bisschen besser geht. Immerhin füttert das gesamte Dorf grade trotz einer kargen Ernte einen kräftigen Mann und ein großes Pferd mit durch, und manche wissen nicht einmal darum."
„Na gut."
Pastor Crüger seufzt ergeben, und ich danke Gott im Stillen, das er bereit ist, Hannes diesen Herzenswunsch zu erfüllen.
„Dann gebe Gott – um meiner Ehre und Eurer Seele willen -, dass Ihr bald Euer Gedächtnis wieder erlangt und wir allen gegenüber ehrlich sein können."

Ich bin noch einmal dankbar, weil Klaas dem Gespräch nun eine andere Wendung gibt.
„Wie wollen wir es mit den Übernachtungen halten? Wir werden einkehren müssen."
Wieder gibt sich Hannes ganz sicher.
„Wenn wir uns jenseits der Grenze gefunden haben, denke ich mir, ich bin der Herr, denn das zeigt ja meine Kleidung. Ich reise mit meinem Knecht Klaas und einem Pastor ins Thüringische, wir steigen in Gasthöfen ab, und in Duderstadt erledigt mein Knecht einige Einkäufe, während der Pastor seine Erbschaftsangelegenheiten regelt. In welcher Kleidung und wie ich dann dort mit Klaas einkaufen gehe, werden wir vor Ort sehen."
Der Pastor schüttelt den Kopf.
„Die guten Quartiere sind alle am Samstag vorher bereits vergeben. Der Markt zieht viele Händler und Käufer von weit her an. Wir werden erst Dienstag Abend dort eintreffen. Dann wird es schwierig, überhaupt was zu finden. Ich denke, wir sollten zu meinem Bruder gehen. Er wäre mir sehr bös, wenn ich nicht zu ihm käme. Und dafür sollten wir Euch kurz vor der Stadt doch bäuerliche Kleidung anziehen. Denn meinem Bruder müsste ich sonst genau erklären, warum ihr so reich gekleidet seid. Ihr würdet wahrscheinlich mit Klaas zusammen überm Stall schlafen."
Mit einem Grinsen schaut Hannes kurz zu meiner Bodenluke hinauf.
„Es wird mir ein Vergnügen sein!"

„Mein Bruder wohnt am Stadtrand. Von dort aus könnt ihr gemeinsam alle Notwendigkeiten besorgen. Achtet dabei darauf, wie die einfachen Menschen dort gekleidet sind. Dann werdet ihr schon darauf kommen, was ihr Euch kaufen müsst. Solltet ihr kleinere Münzen brauchen, als ihr habt, was ich vermute, dann will ich gerne Einkäufe so tätigen, dass ich dabei die Münzen kleiner tauschen kann. Aber vieles können wir auch erst planen, wenn wir vor Ort sind. Inwiefern wir meinen Bruder einweihen, werden wir ebenfalls dort entscheiden. Er wird sich jedenfalls über meinen Besuch nicht wundern, im Gegenteil, wegen der Erbschaft erwartet er mich ja sowieso."

Hannes ist mit allem einverstanden.
„Dann werde ich die Reise mit meiner eigenen Kleidung antreten. So werden wir auf halbem Wege auch bessere Zimmer im Gasthof bekommen. Kurz vor Duderstadt schlüpfe ich dann wieder in die Kleider vom Bauern Adam. Und dort werde ich mich mit verschiedenen Garnituren für verschiedene Gesellschaftsschichten ausstatten, darunter die Kleidung eines echten Eichsfelder Knechtes."
Klaas wendet noch etwas ein.
„Das Schwein sollten wir aber recht bald kaufen. Am Ende der Woche wird nichts Gutes mehr übrig sein, und wir wollen ja ein wirklich gutes Zuchtschwein ersetzen. Der Verkäufer wird sicher nichts dagegen haben, wenn wir das Tier dann erst am Donnerstagmorgen bei ihm abholen."
Aber der Pastor winkt ab.
„Oh, das ist sicher kein Problem. Mein Bruder hat ein paar Schweine im Stall. Da können wir unseres bestimmt dazustellen. Vielleicht kann er uns auch beraten, bei wem wir kaufen sollten."

Mit einem Mal müssen alle gähnen.
„Nun muss ich nur noch die Gegebenheiten der Grenze kennenlernen, wissen, wo ich gefahrlos hinüber komme, wo wir uns treffen werden ..."
Klaas hebt warnend den Finger.
„Aber nicht selbst des nachts auf Abenteuer gehen, Hannes! Lasst mich das machen. Ich denke, spätestens Samstag Nacht weiß ich alles, was wir wissen müssen."
Die beiden Gäste erheben sich, verabschieden sich, auch von mir, und verschwinden dann mit Hurtig wieder im Dunkel der Nacht. Zufrieden steigt Hannes auf meinen Dachboden.
„Gute Nacht, Hannes."

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7.12.2021

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