011 - Ungeduld - DO. 30.11.1570

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Hannes scheint einen inneren Schalter umgelegt zu haben. Hat er bisher nur geschlafen, so ist er nun seit zwei Tagen den ganzen Tag wach, dämmert ab und zu aus Langeweile, starrt viel durch die Dachbodenluke zu mir herunter und grübelt vor sich hin. Es tut ihm nicht gut, dass er hier so zu Untätigkeit gezwungen ist.
Darum fragt er mich schon bald, ob er helfen, mir irgendeine Arbeit abnehmen kann. „Und wenn es Frauenarbeit ist, Frau Adam. Lasst mich irgendwas tun!"
Ich lächele über seinen Eifer. „Es gibt hier durchaus genug Arbeit für einen Mann zu tun. Mein Jakob Adam ist nun fast ein Jahr tot, und mit den kleinen Kindern kann ich manches einfach nicht so anpacken. Vieles nehmen mir die Nachbarn ab – und manches bleibt eben liegen. Aber Ihr seid verwundet. Grobe Arbeit mit beiden Händen könnt Ihr noch gar nicht tun. Habt doch bitte noch etwas Geduld."

Manchmal, während ich meiner Hausarbeit nachgehe, liegt er bäuchlings oben am Rand der Luke und schaut mir zu. Dann fragt er mir Löcher in den Bauch, was ich da tue, warum ich es so und nicht anders tue, will wissen, wie man was macht. Einmal sagt er, er möchte das Melken lernen. Dann wieder steigt er am Abend die Leiter runter und gesellt sich zu mir.

Wann immer ich Stickarbeit vom Verwalter bekomme, arbeite ich gewissenhaft. Aber wenn etwas an Garn oder kleine Stücke Stoff übrig bleiben, so halte ich doch etwas davon zurück. Darum habe ich auch dunkelblaues und weißes Garn da, das ich brauche, um den feinen Mantel von Hannes zu flicken. Hannes schaut mir auf die Hände, lobt meine feinen Stiche und unsichtbaren Nähte. Schon bald scheuche ich ihn die Leiter wieder hinauf, damit er nicht entdeckt wird.

Es ist seltsam. Es scheint, als müsste ich ihn nun von einem auf den anderen Tag eher bremsen als pflegen. Nun wird er Geduld lernen müssen, während er zu seiner eigenen Sicherheit auf meinem kleinen, zugigen Boden eingesperrt bleibt. Und das fällt ihm ganz offensichtlich sehr, sehr schwer. Er tigert stundenlang oben im Kreis, murmelt immer wieder die Namen aus seinem Traum, starrt aus der winzigen Dachluke Richtung Wald und fragt mich immer wieder aus über die Nacht seines Auftauchens hier. Gleichzeitig geht er nie darauf ein, wenn ich Andeutungen mache, dass er aus besseren Kreisen stammen könnte.

Die nächsten Tage bringen viel Arbeit. Der 1. Advent steht vor der Tür, kündigt die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus an, und dann wird Weihnachten sein. Und am Tag vorher noch – wie an jedem ersten Samstag eines Monats – steht uns der Steuereintreiber des Verwalters ins Haus. Bis dahin muss noch viel geschehen im Dorf. Heut ist Schlachttag und Backtag. Es ist der Vorbote für die besinnliche Fastenzeit. Und so rühren alle Menschen im Dorf eifrig die Hände. Die Männer schlachten ein Schwein, einem jeden Haushalt wird der Anteil zugewiesen, es wird geräuchert, gepökelt, Wurst Räucherhaus wird eingeheizt. Die Frauen schaffen beisammen, was sie haben zum Backen, in den Trögen wird der Teig geknetet, Brote geformt. Der Ofen im Backhaus am Dorfplatz raucht, während Brot, Kuchen und allerlei Gebäck entstehen, um für die einzige Abwechslung dieses Winters vorzusorgen. Wir Frauen arbeiten gemeinsam, tratschen, singen auch und haben viel Freude.

Die Kinder ziehen in den Wald, sammeln Zapfen und immergrüne Zweige und schmücken mit der Pfarrfrau das Portal der Kirche und den Altar. Die Kleineren sind ganz aufgeregt und fragen immer wieder, wie lange es noch dauern wird bis Weihnachten. Und wann die Proben fürs Weihnachtsspiel beginnen werden. Der blinde Jasper sitzt in der warmen Kirche und erzählt den Kleinen Geschichten vom Advent und vom Jesuskind. Weil das aufgeregte Fragen kein Ende nehmen will, überlegt er einen Moment.
Als er die Stimme des Pastoren hört, hat er eine Idee. „Herr Pastor? Wieviele Kerzen stehen auf unserem Altar?"
Der Pfarrer kommt zu ihm herüber. „Es sind vier, Jasper. Warum?"
Der Blinde lächelt. „Das trifft sich gut. Wie wäre es, Herr Pastor, wenn ihr nicht sofort alle Kerzen anzünden wolltet. Ihr könntet an jedem Adventssonntag eine Kerze mehr anzünden. Und so könnten diese neugierigen kleinen Nasen hier immer schnell sehen, wie lang es noch bis zur Weihnacht ist."
Der Pfarrer überlegt einen Moment. „Ja – doch. Das ist eine Möglichkeit. Ich fange diesen Sonntag an, und an heilig Abend, was dieses Jahr auch ein Sonntag ist, werde ich die vierte Kerze entzünden können."
Er wendet sich an die Kinder. „Würde euch das gefallen?" Die Kleinen nicken eifrig, und so ist es beschlossene Sache.

Am Abend halten sich alle den schmerzenden Rücken. Aber diese gemeinsam verbrachten Tage tun doch besonders im Winter so gut, sind eine schöne Abwechslung zum winterlichen Einerlei. Die Kinder sind ausgetobt vom Spaziergang in den Wald und vergnügt von der Erzählstunde mit Jasper. Ich gebe meinen beiden Großen einen Kuss, bevor ich sie wieder zur Lene schicke. Stolz trägt Jakob das Brot, das wir für sie mitgebacken haben. Ich weiß, dass sie es bei der Lene gut haben, dass auch der Jungbauer Klaas sich gut kümmert. Und dass es auch notwendig ist, um mir mit meinem geheimen Gast den Rücken frei zuhalten. Ich spüre auch, dass es mir einfach gut tut, mich mal ein paar Tage nur um das Peterle kümmern zu müssen. Aber ich sehe dennoch mit etwas Bedauern hinter ihnen her. Ich vermisse sie!

Zu Hause empfängt mich schon wieder Hannes an der Dachluke. Er will wissen, wie der Tag war, und zeigt auch sonst ein reges Interesse an allem, was das Dorf angeht. Er wäre gerne dabei gewesen beim Schlachten, probiert mit Genuss das frische Brot und etwas Gebäck. Wissbegierig versucht er, unser Dorfleben und unsere Arbeit zu erfassen. Er fragt nach der Ernte, den Steuern, schaut sehr irritiert, als ich auf seine Frage nach einer Schule für die Kinder nur laut auflache.
„Was ist daran so seltsam?"

Himmel, in was für einer Welt hat er vorher gelebt?     „Eine Schule für Dorfkinder, am Rande des Nichts? Der Lehnsherr oder Landesfürst, der das möglich macht, muss erst noch geboren werden!"
Der Pastor, der Vogt und ich sind die einzigen hier im Dorf, die lesen können. Der Pastor hat natürlich studiert. Der Vogt kann lesen, weil er als junger Mann im Handelskontor seines Onkels in Herzberg gedient und dort etwas gelernt hat. Ich kann es, weil die Freifrau von Lenthe, die das Waisenhaus geleitet hat, der ziemlich ungewöhnlichen Auffassung war, dass alle Kinder dort erst zur Schule gehen und dann einen richtigen Beruf lernen sollen, bevor sie das Haus verlassen und ins Erwachsenenleben geschickt werden.

Hannes nickt nachdenklich, als ich ihm das erzähle. Dann stutzt er plötzlich.
„Ihr seid im Waisenhaus aufgewachsen, Frau Adam?"
Ich weiß selbst nicht warum, aber nun weiche ich ihm aus.     Genug erzählt, es führt kein Weg mehr zurück in die glückliche Kindheit dort ...
„Ja, bin ich."
Und ich bin heilfroh, dass nun das Peterle nach mir ruft und Hannes deshalb leider von der Luke fortrücken muss, weil ich das Kind nähren will.

Aber mein Gast lässt nicht locker. Als er hört, dass ich Peterle das Schlaflied gesungen habe und das Kind keine Töne mehr von sich gibt, schaut er vorsichtig zur Luke heraus und fragt dann leise weiter.
„Frau Adam. Wenn Ihr ... wenn Ihr ... lesen könnt. Habt Ihr etwas zu lesen hier?"
Er lässt nicht davon ab. Und er weckt eine Sehnsucht in mir, die ich so lange und mühsam unterdrückt habe. Halt stille, liebe Seele. Wärst du nicht von dort vertrieben worden, hättest du nun nicht diese drei wunderbaren Kinder!      „Ja, Herr. Habe ich. Wir haben im Waisenhaus alle zur Konfirmation ein kleines Gebetbuch geschenkt bekommen. Das kann ich euch geben."

Ich greife in meinen Kasten unter die wenige Wäsche, die ich besitze, und ziehe das kleine, ledergebundene Büchlein hervor. Es ist mein kostbarster Besitz. Denn die Freifrau von Lenthe, die jedem und jeder von uns dieses Geschenk gemacht hat, war mir immer wie eine Mutter – und nie die strenge Waisenhausherrin. Sie hat es verstanden, uns trotz unserer Schicksale als Waisen Vertrauen ins Leben mitzugeben, hat uns ermutigt und sich persönlich darum gekümmert, dass alle in eine gute Stellung gekommen sind. Ich vermisse sie sehr.

Ich reiche das Büchlein zur Bodenluke hinauf. Vorsichtig nimmt Hannes meinen Schatz entgegen. Er spürt wohl, dass mir das so wichtig ist. Bald jedoch stellt er fest, dass es längst zu dunkel ist, um darin zu lesen. Ich höre die Enttäuschung in seiner Stimme, als er mich fragt, ob er das Buch oben behalten darf.
„Ich werde es sorgfältig verwahren. Aber dann habe ich etwas zu tun, was meine Seele beruhigt, wenn Ihr aus dem Haus seid."
Bei so viel unausgesprochenem Leid kann ich nicht nein sagen. „Behaltet es oben, seht einfach zu, dass es nicht nass wird. Was der Seele gut tut, soll nicht im Kasten versteckt liegen."

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11.1.2020

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