026 - zwischen Hoffen und Bangen - MO. 11.12.1570

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Bestimmt eine Stunde lang reite ich langsam durch die Morgendämmerung. Nur ganz allmählich lichtet sich der Bodennebel. Raureif hängt in den kahlen Ästen der Büsche am Wegrand. Als sich schließlich ein paar Sonnenstrahlen durch die trübe Suppe kämpfen, glitzern die Eiskristalle und verzaubern die Landschaft um mich herum. Auf dem gefrorenen Boden hinterlassen die Hufe kaum Spuren.

Meine Gedanken jedoch hängen immernoch bei Klaas. Konnte er heile und unentdeckt aus dem Wald herauskommen? Oder wurde er verwundet, vielleicht verfolgt? Erwischt? Wenn alles nach Plan gelaufen ist, hockt er inzwischen in des Pastors Küche, wärmt sich auf, genießt ein ausgiebiges warmes Frühstück, das ihn stärken soll für die Reise, und berichtet lachend, wie er den Zöllnern ein Schnippchen geschlagen hat.     Wenn er den beiden Männern entkommen konnte ...

Vereinzelt komme ich an einsamen Gehöften vorüber, dann umgehe ich ein Dorf. Am Dorfrand erkenne ich eine verkohlte Ruine, die wohl mal eine Scheune war. Das muss also das Dorf Rüdershusen sein, von dem der Pastor gesprochen hat. Bei dem trüben eisig kalten Wetter scheinen sich aber alle Menschen in ihren Häusern verkrochen zu haben. Nicht einmal sehe ich jemand draußen. Und so hoffe ich, dass mich auch niemand hört und später auf Befragen von dem Hufschlag eines Pferdes berichten kann. Hinter dem Dorf wende ich mich nach Osten und suche den Weg. Bald schon finde ich ihn an einer hohen Hecke entlang verlaufen. Nun zuckele ich im Schritt auf Hurtig den schmalen Karrenpfad entlang.

Zwei Stunden nach meinem Aufbruch am Waldrand taucht etwas großes Dunkles vor mir aus dem Nebel auf. Beim Näherkommen kann ich erkennen, dass hier der Pfad auf eine breitere Landstraße trifft, die nach rechts weiter in Thüringische führt und nach links zu der Grenzstation, die ich umgangen habe. Gegenüber am Straßenrand steht eine große Scheune. Unser Treffpunkt.

Ich schaue mich um, ob mich wer sieht, öffne leise den Riegel und schiebe das Scheunentor so weit auf, dass ich Hurtig hineinziehen kann. Im Dämmerlicht erkenne ich in einer Ecke einen Stapel Heuballen und binde dort Hurtig so an, dass er fressen kann, und sattele ihn ab. Ich reibe ihn trocken und lege ihm die beiden Decken wieder auf. Unschlüssig stehe ich neben dem Pferd, das glücklich fremdes Heu in sich hineinmampft, und frage mich, wie ich nun die bange Wartezeit herumkriegen soll, ohne vor Sorge verrückt zu werden. Inzwischen müssten sie aufgebrochen sein. Aber die Kutsche ist nicht so schnell, die Zollbeamten werden besonders wachsam sein nach dem seltsamen Morgen und die beiden müssen ja auch den ganzen Weg bis hierher fahren. Bis so zwei, drei Stunden kann es also noch dauern.

Da die vergangenen Nächte mit vielen Plänen und wenig Schlaf gefüllt waren, beschließe ich endlich, etwas davon nachzuholen. Ich wickele mich in meinen warmen Mantel und wühle mich in der Nähe von Hurtig ins Stroh.     Hoffentlich kommt hier heute Vormittag keiner her, um etwas zu tun oder zu holen.

Kaum habe ich die Augen zugeklappt, überfallen mich jedoch wieder die kreisenden Gedanken. Und als ich dann doch endlich in unruhigen Schlaf hinübergleite, holen mich wieder die Stimmen von Hannes und Ludo ein. Ich sehe im Dunklen eine gesichslose Masse von Menschen, die stumm verharren, während zwei Jungen – still an einem frischen Grab verharren. Die Masse rückt immer näher. Da schwingt sich der eine auf ein Pferd und prescht davon, während der andere eine Hand nach ihm ausstreckt und ihm hinterher ruft:"Hannes! Komm nach Hause!"

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, als ich mit schwerem Atem aus diesem Traum hochfahre. Ich schüttele mich, aber Ludos Stimme lässt sich nicht aus meinem Kopf vertreiben. Ich konnte nicht erkennen, wessen Grab das war, noch wer die Masse an schweigenden Leuten war. Aber es ängstigt mich, und so wandere ich eine lange Zeit unruhig um den vor sich hin dösenden Hurtig herum. Schließlich hänge ich mich an seinen Hals, vergrabe meine Hände in seiner Mähne und atme tief seinen vertrauten Geruch ein. Das Tier ist ganz ruhig und verhilft nach und nach auch mir, innerlich wieder ruhig zu werden.

Allerdings hat nun die Sorge um Klaas wieder einen Platz in meinem Kopf, und das macht mich bald verrückt.     Was mache ich eigentlich, wenn der Pastor gar nicht kommt? Weil er sich allein nicht traut? Oder weil er oder alle beide wegen des Vorfalls nicht über die Grenze gelassen werden? Dann muss ich hier über Nacht bleiben, wie wir es verabredet haben. Und wenn ich am nächsten Tag einfach weiterreise, habe ich die Sorge um Klaas im Gepäck. Ein Brief von Johann Crüger an seinen Bruder wird dort mein Auftauchen vollständig erklären, so dass ich Hilfe zu allem bekommen werde. Sollten Klaas und der Pastor später kommen, werden wir uns dort auch finden. Aber eine vernünftige Erklärung dafür, dass ich dann alleine als Knecht im Dorf auftauche, will erst noch gefunden werden. Gebe Gott, dass wir diese Notlösung nicht brauchen werden!

Hurtig hat eine Weile vor sich hin gedöst. Nun ist er wieder wach geworden, und das stetige Mahlen seiner Kiefer, während er das Heu frisst, beruhigt allmählich auch mich ein wenig. Dennoch fühle ich mich weiterhin auf die Folter gespannt, weil ich nicht weiß, was los ist. Immer wieder lausche ich durch das große Scheunentor, ob draußen auf der Straße jemand läuft, reitet oder fährt. Etwas rechts vom Tor ist ein Brett lose. Durch den Spalt kann ich ein Stück der Straße und der Kreuzung einsehen. Als ich die Räder einer Kutsche rollen höre, eile ich zu meinem Ausguck und spähe hinaus.

Ein tiefer Schrecken fährt mir in die Glieder. Ein Karren mit fünf Uniformierten macht kurz im Windschatten der Scheune Pause. Ein Sechster ist beritten und nun abgestiegen. Ich lausche.
„So, Lauer. Nun berichte er nochmal, was heute in der Frühe passiert ist, weswegen er uns hier hinaus in die Kälte gejagt habt."
Der Angesprochene berichtet, leider sehr leise und demütig, von dem Vorfall an der Grenze am Morgen. Ich verstehe nur die Hälfte, muss also meine eigenen Schlüsse ziehen. Worte wie „Wald" und „Schuss" fallen. Der Befehlshaber der kleinen Truppe nickt ab und zu oder knurrt.

Dann kann ich seine durchdringende Stimme wieder hören.
„Er ist also von seinem Kontrollweg abgewichen, dem Schuss gefolgt, hat den Grubenhagener Zöllner im Wäldchen getroffen. Er hat dann gemeinsam mit dem gesucht, aber niemand finden können. Daraufhin hat er sich aufgemacht, mich zu verständigen."
Der Mann nickt nur.
„Gut. Dann fahren wir jetzt zum Grubenhagener Zollhaus und stellen fest, ob sich heute Vormittag noch etwas ergeben hat. Je nachdem werden wir dann beiderseits die Grenze absuchen nach Spuren von Grenzgängern. Er wird nach Rüdershusen reiten und zu erfahren suchen, ob dort jemand gesehen wurde. Dann stoße er direkt über die Äcker zum besagten Wald vor, und wir treffen uns dort. Ich bin es so leid, dass immer ich die Vorfälle zu melden habe. Es heißt, in dem Dorf jenseits der Grenze lebten die harmlosesten Geschöpfe auf Gottes Erdenboden. Aber allmählich glaube ich denen kein Stück mehr!"

Innerlich wie äußerlich stehen die fünf Zöllner stramm vor dem Zorn ihres Vorgesetzten.
„Jawohl, Herr Kommandant!"
Dann setzen sich der Reiter auf dem Karrenweg und die anderen auf der Landstraße wieder in Bewegung. Der Kommandant lehnt sich mit verbissener Miene auf seinem Kutschbock zurück. Auch ich stehe vor Schreck stramm hinter meiner Bretterwand. Wenn Klaas normal nach Hause gefunden hat, könnte er bereits mit dem Pastor über die Grenze sein. Dann sitzen die beiden harmlos in der Kutsche, können bei einer eventuellen Begegnung mit diesem Grummelbär einen Zollschein vorweisen und dürften nicht aufgehalten werden.

Dennoch kann es im Dorf Ärger geben, wenn die Grubenhagener Seite genauso scharf auf einen Erfolg ist. Und meine Spuren, die vom Waldrand über die Äcker zum Dorf führen, könnten Wasser auf die Mühlen gießen. Dann wird es in der nächsten Zeit hier an der Grenze ungemütlich werden, und dann muss ich am Freitag seeeeehr gut schauspielern, damit sie mich einfach so rüber lassen.     WENN der Klaas normal nach Hause gekommen ist – ob er dann so schlau ist, im Dorf nichts von dem Vorfall mit dem Schuss zu erzählen? Sonst macht sich Frau Anna die ganze Woche Sorgen um uns! Und wenn der Zoll dort nach einem Schmuggler sucht, auch.

Vor Sorge und Verwirrung und Anspannung strubbele ich mir die Haare und knurre einmal laut. Hurtig hebt den Kopf und schaut mich an, als wolle er fragen, was los sei. Wieder renne ich nervös im Kreis, bete, dass meine und Hurtigs Spuren auf dem gefrorenen Boden nicht lesbar sind. Auf dem Karrenweg vom Dorf hierher jedenfalls war der Schnee der letzten Tage schon völlig platt gelaufen. Und begegnet ist mir in der ganzen Zeit niemand. Ich kann nur hoffen.

Als die Sonne schon im Zenit steht, liegen meine Nerven blank. Das Geräusch von Kutschenrädern von der Grubenhagener Seite her lässt mich wie ein Pfeil von der Sehne zu meinem Guckloch schnellen. Endlich! Wie verabredet öffne ich das Scheunentor einen Spalt breit, Klaas hält den Karren an, hilft dem Pastor herunter. Ganz offen für jedermann sichtbar treten die beiden in die Scheune ein und reden laut darüber, dass sie sich ein wenig aufwärmen wollen. Mir fällt vor lauter Erleichterung eine ganze Wagenladung Steine vom Herzen
Und kaum ist Klaas zum Tor herein, fallen wir uns in die Arme und sagen wie aus einem Munde:"Gott, sei Dank! Du lebst!"

Johann Crüger steht schmunzelnd daneben und wartet ab, bis ich die Arme wieder frei habe, um auch ihm die Hand zu geben und ihn zu begrüßen. Dann holt Klaas kurzerhand den ganzen Karren in die Scheune, damit auch des Drebbers Pferd Elias sich etwas aufwärmen und fremdes Heu fressen kann. Während die beiden sich niederlassen und wir alle etwas essen, berichte ich, wie es mir ergangen ist.

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26.1.2020

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