034 - das Dach - SA. 16.12.1570

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Ich decke den Tisch ab, trage den Rest der Suppe zum Herd, stelle glücklich die neue Lampe auf den Tisch, kann zum ersten Mal bei gutem Licht das Wams ganz ausbreiten und mir anschauen, wie meine Arbeit aussieht, was noch zu tun ist. Es fehlen nur noch die Schlitze auf dem Rücken, aber ich habe auch nur noch eine knappe Woche Zeit. Während meine Finger fleißig die Nadel durch den feinen Stoff ziehen und Stich für Stich das gelbe Muster auf dem roten Samt entstehen lassen, denke ich darüber nach, wie sehr die letzten vier Wochen mein Leben verändert haben.

Äußerlich ist ja alles beim Alten geblieben. Ich bin die Witwe Anna Adam in meiner gammeligen Kate, mit drei kleinen Kindern, sticke für den größenwahnsinnigen Lehnsverwalter, vertrete meinen Stiefsohn in der Dorfehrbarkeit und friere ansonsten in meiner Kate vor mich hin. Jetzt kriege ich bald noch ein ausgebessertes Dach und einen dummen Knecht dazu. Aber innerlich und ganz im Verborgenen – bin ich die Waise Anna, die sich auf einmal nicht mehr so verlassen, übersehen und verloren fühlt. Ich bin die treue Wächterin über eine verlorene Seele, die sich nur ganz vorsichtig zurück ins Leben traut. Ich bin eine Gesprächspartnerin für tiefe Gedanken und Gefühle. Ich bin nicht mehr nur die Frau von und die Mutter von – ich bin ich und werde geachtet.

Das ist so neu und seltsam! Hannes beschenkt mich auf eine Weise, die ich zuletzt von meiner Ziehmutter, der Freifrau von Lenthe erfahren habe. Ich weiß überhaupt nicht, was ich mit meinen Gefühlen anfangen soll. Ich habe nun jahrelang als Magd und dann als Ehefrau von Jakob Adam hier den kleinen Hof geführt und die wachsende Schar von Kindern versorgt. Ich habe irgendwann aufgehört, mich zu sehnen, zu träumen, zu wünschen. Ich gehe ins Gebet, ich sorge für meine Kinder, ich tue meine Pflicht und gebe mein Bestes. Nun ist auf einmal Hannes da, und ich habe noch nie einen so rücksichtsvollen und aufmerksamen Menschen erlebt.

Ich lasse meine Stickarbeit sinken und schaue zum Dachboden hinauf. Es ist doch erst vier Wochen her, dass er hier zur Tür hereingestürmt ist und sich in meinen Misthaufen gegraben hat. Ich habe ihn auf meinen Dachboden geschliffen und einfach die weitere Aufgabe, ihn zu versorgen, angenommen. Nachdem er dann aufgewacht war, habe ich plötzlich erleben dürfen, wie es ist, beachtet und geachtet zu werden.

Wie von selbst erhebe ich mich, greife nach meiner wundervollen neuen Lampe, gehe zum Stallgang und steige die Leiter hinauf. Oben angekommen lasse ich den Lichtschein über den Dachboden und in alle Ecken wandern. Ich staune, wie umsichtig Hannes war. Denn er hat nicht alles runtergeschafft. Ein paar Lumpen liegen in einer Ecke, das Stroh hat er auf einen Haufen neben der Luke geschoben. Die Männer, die hier morgen früh anrücken, werden einen ganz normalen Dachboden vorfinden.

Ich lasse den Schein der Lampe weiter wandern. Da blitzt plötzlich etwas auf im Licht. Ich trete näher heran und suche nach etwas Glänzendem. Tatsächlich – in der Ritze zwischen zwei Brettern steckt etwas. Ich muss ziemlich mit den Fingern pulen, bis ich den Gegenstand habe. Es ist der Ring mit dem blauen Stein, der Hannes heruntergefallen war. Wie gut, dass ich den entdeckt habe. Wenn den einer der Bauern gefunden hätte bei den Arbeiten am Dach – das wäre gar nicht gut gewesen. Das hätte ich nie und nimmer erklären können. Hastig stecke ich den Ring in meinen Beutel am Gürtel und steige die Leiter wieder hinunter.

Als sich der Tag dem Ende zuneigt, esse ich den Rest der Suppe, fühle mich warm, satt und wohl. So satt war ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Und das beschert mir gleich noch eine ruhige Nacht dazu, denn auch das Peterle wird so richtig satt und schläft tatsächlich die ganze Nacht durch.

SO. 17.12.1570

Kaum dämmert der Morgen herauf, wird Peter wach. Er hat nun lange geschlafen und ist sehr hungrig. Ich schaukele ihn einen Moment und melke dann schnell die erste Ziege, um Peter seine Morgenmilch geben zu können. Dann ziehe ich mich an, melke auch die andere Ziege, schaue nach Eiern beim Federvieh und beginne, Tee, Getriedebrei und wieder eine Suppe zu kochen. Als es draußen richtig hell ist, höre ich Schritte. Gleich darauf klopft es, und als ich die Tür öffne, stehen die Männer des Dorfes davor, beladen mit fertig gebundenen Strohbündeln, Werkzeug und Seilen.

Ich bitte sie herein. Einige steigen auf den Dachboden, um sich die Schäden zu besehen. Von draußen höre ich es poltern und weiß, dass nun Steine über den First geworfen werden, damit Sicherheitsseile übers Dach gespannt werden können. Leitern werden angelegt, und die Männer unterhalten sich laut durch die schadhaften Stellen im Strohdach. Vor allem die Seiten über dem Wohnraum, die Richtung Dorf gehen, haben einige undichte Stellen. Die Männer ziehen das faulige Stroh heraus und beginnen, mit frischen Bündeln die Stellen wieder zu schließen. Das gammelige Stroh wandert hier herunter auf meinen Misthaufen.

Hannes haben sie nicht aufs Dach gelassen. Sie haben ihm eine der Sicherungsleinen in die Hand gedrückt, und da steht er nun treu und sichert Klaas, der behende auf dem Dach herumturnt. Jorge ist unten bei Hannes und erklärt ihm geduldig, was da grade passiert. Immer wieder taucht einer der Männer bei mir auf, um sich die Finger an einem Tee zu wärmen. Sie bleiben nicht zu lange auf dem Dach, wechseln sich häufig ab, damit sich keiner Erfrierungen holt oder gar aus Schwäche abstürzt. Ich sitze derweil am Tisch und sticke, versorge die Männer oder nähre das Peterle. So geht der Tag rum.

Als die Dämmerung hereinbricht und es merklich kälter wird, sind die ersten Lücken ausgebessert. Doch nun muss es für heute gut sein. Denn es ist Sonntag, es ist der dritte Advent. Der Pastor hat extra wegen meines Daches den Gottesdienst auf den Abend geschoben.
Er sagt immer:"In der Bibel steht, das Gesetz ist für den Menschen da, und nicht der Mensch für das Gesetz."
Und so hat er auch diesmal gemeint, dass bei dem guten Wetter das Dach vorginge und wir um so heiliger singen könnten, wenn es dunkel sei und die Kirche wunderschön von Kerzen erleuchtet.

Zufrieden und dankbar zieht die Dorfgemeinschaft gemeinsam in die Kirche ein, die Kinder recken die Hälse, als der Pastor nun die dritte Kerze auf dem Altar anzündet. Und wir alle sind dankbar für diese Woche. Für die überstandene Heimsuchung durch Zoll und Lehnsverwalter, für die glückliche Heimkehr der Reisenden, für die besonderen Geschenke vom „Pastor" und für das bevorstehende Fest zur Geburt Jesu, auf das wir uns alle in diesem Jahr besonders freuen. Hannes steht ganz hinten bei den anderen Knechten, mit leuchtenden Augen. Und ich weiß, wie glücklich er ist, dass er nun so etwas wie eine neue Heimat gefunden hat. Eine Gemeinschaft, in der er zu Hause sein darf. Auch wenn er noch immer nicht weiß, wer er ist.

MO. 18.12.1570

Am nächsten Morgen rücken die Männer wieder vor der Adamskate an, klettern auf meinen Dachboden, auf mein Dach, rufen Kommandos, stolpern bei mir zur Türe herein, um sich einen Moment aufzuwärmen, und verschwinden wieder in der Kälte. Zwei von ihnen haben sich außerdem daran gemacht, die Löcher in der Lehmflechtwand neben meiner Schlafpritsche neu mit Lehm zu verputzen. Gegen Mittag kommen sie in schneller Folge herein, um nacheinander etwas Warmes zu essen. Danach habe ich einen Moment Ruhe und kann das Peterle nähren.

Plötzlich höre ich einen lauten Schrei, der mir durch Mark und Bein geht, es poltert und rutscht auf dem Dach, Kommandos werden gebrüllt, ich höre auch die Stimme von Hannes, sehr klar und herrisch. Dann ist es still draußen.

Einen Augenblick später stürmt Klaas zur Tür herein.
„Es ist nichts passiert. Hannes war schnell genug!"
Dann rennt er wieder raus. So schnell ich kann, lege ich Peter ab und folge ihm. Hannes klemmt – mit zwei der Sicherungsseile in den Händen – unter der Dachkante und sein Gesicht ist schmerzverzerrt.     Die Wunde!     Zwei Männer stehen unter ihm, um ihn aufzufangen, während die Männer, die an diesen Sicherungsseilen hängen, auf der anderen Seite des Daches grade herabgeholt werden. Plötzlich lässt die Spannung auf den Seilen nach, und Hannes plumpst in die Arme seiner stützenden Helfer.

Hannes ist käsebleich im Gesicht. Kaum hat er die Hände frei, fasst er sich an die rechte Schulter und schaut mich stumm an. Jorge, der ihn mit aufgefangen hatte, schaltet recht schnell und bringt ihn ins Haus und auf mein Lager. Alle anderen schwätzen durcheinander oder kümmern sich um die beiden, die auf der anderen Seite abgerutscht waren. Ich öffne Hannes Hemd und schaue nach seiner Wunde.     Hoffentlich ist die nicht wieder aufgerissen durch den Ruck und die Anstrengung!
„Gott sei Dank, Hannes!"
Schnell packe ich seine Schulter wieder ein, damit niemand die grade erst verheilte Wunde sieht.
„Bleib liegen. Du hast offensichtlich für heute dein Teil getan!"

Hannes will wieder aufstehen, aber nun kommt auch Jorge herein und sieht ihn nur streng an.
„Du hast grade zwei Männer gerettet, Hannes. Tausend Dank! Aber jetzt bleibst du liegen! Geh kein Risiko ein!"
Erschöpft lässt sich Hannes zurückfallen, schließt die Augen und gestattet mir, ihn zuzudecken.

Nach und nach kommen alle Männer in meine Kate, die dadurch richtig voll wird, und setzen sich an meine Tafel.
„Was ist denn um Himmels Willen passiert?"
Bauer Holtmann ist bleich im Gesicht.
„Ich stand neben Hannes, und dann bin ich ausgerutscht und hab vor Schreck das Seil fahren lassen. Sofort kamen die Männer oben ins Rutschen. Aber Hannes hat einen beherzten Sprung getan und mein Seil noch erwischt. Weil er nun allein das Gegengewicht für zwei Männer war, wurde er ruckartig gegen die Dachkante gezogen. Aber da konnte er sich so einklemmen, dass die beiden auf dem Dach nicht weitergerutscht sind. Wer weiß, was denen noch passiert wäre, wären sie ohne Sicherung heruntergefallen!"

Kurz fühle ich Stolz auf Hannes, der sich so gleich an seinem zweiten Tag den Dank des gesamten Dorfes gesichert hat. Und dann überfallen mich Erinnerungen und Gefühle, die ich inzwischen verarbeitet glaubte. Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild meines Mannes, der mir tot in die Kate getragen wird – nachdem er von einem Dach gefallen war. Der Anblick war furchtbar gewesen, und schon sind all die Ängste wieder da. Ich schwanke etwas. Jorge sieht das, versteht und führt mich sofort zum Tisch.
„Setz dich, Anna."
Er wendet sich an Klaas. „Holst du bitte meine Frau?"

Ich bin dankbar. Wie oft habe ich nach dem furchtbaren Unfall vor einem Jahr bei seiner Frau Irmel gesessen und geweint, weil ich so am Ende war und einfach nicht mehr weiter wusste. Sie hatte immer gute Worte, eine Umarmung und eine Tasse Tee für mich, wenn ich wieder ganz besonders verzagt war. Und auch jetzt ist Irmel sofort da und nimmt mich einfach in die Arme.

Irmel hat vorher den kleinen Jasper zum Vogt geschickt, eh sie herübergelaufen ist. Nun kommt der Drebber auch noch in meine Kate, hört sich die ganze Geschichte an und fällt dann eine Entscheidung.
„Ihr seid gestern und heute recht weit gekommen. Und soweit ich das beurteilen kann, wird sich das Wetter noch ein paar Tage halten. Stopft also jetzt nur noch das eine Loch, hört dann für heute auf, geht nach Hause und erholt euch von dem Schreck. Wir können dankbar sein, dass Hannes so geistesgegenwärtig reagiert hat."

 Murmelnd verlassen die Männer meine Kate, stopfen das eine Loch, räumen draußen noch kurz auf und gehen dann alle nach Hause. Irmel greift sich den Tragekasten mit dem Peterle und geht auch. Bald danach dämmert Hannes weg und schläft die Anstrengung und den Schreck weg. Und ich sitze auf meiner Bank am Tisch und starre ins Leere.
„Gütiger Gott, hab Dank, dass alle heil und am Leben sind!"

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3.2.2020

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