042 - innere Not - Di. 2.1.1571

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Doch dann wird der Vogt wieder ernst.
„Hannes? Ich sage das nur ungern. Aber so sehr Ihr Euch hier wohlfühlt. Ihr dürft bitte nicht für immer Eurem alten Leben entfliehen. Es wird nicht möglich sein, Euch hier bis ans Ende Eures Lebens zu verbergen. Wir wollen nicht für immer lügen müssen. Wir können nicht auf ewig einem Feind aus dem Weg gehen, den wir nichtmal kennen. Vielleicht hat er inzwischen aufgegeben und sucht nicht mehr, weil er Euch über alle Berge oder tot glaubt. Aber sicher wissen wir das nicht."
Hannes hat den Kopf gesenkt und den Atem angehalten. Das hatte er nun sicher nicht hören wollen. Aber unser Vogt hat Recht.

Ich lege ihm vorsichtig die Hand auf den Arm.
„Hannes. Ich spüre, dass Ihr der Angst und den Träumen entkommen wollt. Dass Ihr Euch danach sehnt, dass einfach endlich Frieden einkehren möge in Eurer Seele. Aber ich fürchte, unser Vogt hat Recht. Und vielleicht hilft Euch dieser Gedanke: Ich bin mir sicher, dass Ludo sich sehr nach Euch sehnt und noch immer auf Euch wartet. Ich bin mir auch sicher, dass Ludo nicht das Problem war oder ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihr ihn gerne wiedersehen würdet. Kämpft darum. Und ich will Euch mit allem helfen, was Euch an guten Gedanken, Gebeten und Hilfestellung nutzen könnte."

Hannes schließt die Augen und atmet wieder aus. Ich kann seine Antwort kaum verstehen.
„Dank Euch, Frau Adam. Ich weiß das. Ich will Euch alle auch nicht missbrauchen. Ich... Ich werde mir Mühe geben."
Und wieder einmal läuft er davon. Er steht auf, steigt seine Leiter hinauf und vergräbt sich raschelnd auf seinem Strohsack in seinen Decken. Seine Not ist für uns alle mit Händen zu greifen. Und doch dürfen wir nicht nachlassen, ihn zu einer Rückkehr zu ermutigen. Auf Dauer wird er dieses Leben nicht führen können, so sehr er unsere Gemeinschaft genießt. Auch wenn er es liebt, mit seinen Händen zu schaffen – seine Frage nach dem Gebetbuch, sein Hunger nach dem Gottesdienstbesuch in der Zeit seines Eingesperrtseins hier zeigt, wie sehr sein Verstand nach mehr verlangt.

Mit leisen Worten beschließt Vogt Drebber unsere Runde.
„Also. Wir haben eine Lösung für dieses Mal, auch wenn wir nicht wissen, wann das sein wird. Und wir haben Perspektiven für die folgenden Male. Möge Hannes Seele bald gesunden."
Nach und nach brechen unsere Gäste auf und gehen durch die Schneeberge nach Hause. Die Schneemassen haben auch ihr Gutes. Denn niemand kann von seinem Haus aus sehen, wer da grade von wo nach wo die Dorfstraße entlang geht. Wir konnten offen am hellichten Tage unser Treffen abhalten, ohne Misstrauen zu erregen.

Kaum ich die Türe hinter dem letzten Gast geschlossen habe, höre ich Schluchzen von oben. Ich schaue nachdenklich zur Leiter nach oben.     Könnte ich Euch doch nur helfen, Hannes!     Ich bereite uns etwas zu essen und lasse ihn in der Zeit ein bisschen alleine und zur Ruhe kommen. Dann steige ich mit dem Peterle nach oben, lasse den einfach krabbeln und hocke mich neben Hannes auf seinen Schemel.
„Hannes? Seid ihr hungrig?"
Erst schüttelt er den Kopf. Dann dreht er sich aber doch zu mir und erhebt sich endlich. Er hat Tränenspuren im Gesicht. Ich gehe nicht drauf ein. So, wie wir da hocken, essen wir und schweigen dabei. Immernoch stumm reicht er mir seinen Teller, dreht sich wieder um und legt sich hin.

Einem Impuls gehorchend lege ich ihm meine Hand auf die Schulter, neige meinen Kopf, schließe meine Augen und beginne zu beten.
„Gütiger Gott im Himmel. Ich bitte dich für Hannes. Du siehst seine innere Not. Du kennst ihn durch und durch. Du weißt, wer er einmal war, wer er heute ist, wer er eines Tages sein wird. Du kennst sein Herz. Er ist gütig, freundlich, bescheiden und fleißig. Er ist treu denen, die er liebt. Er hat ein riesengroßes Herz für alle Kinder und sehnt sich nach Gerechtigkeit und Frieden. Er leidet unter der unbekannten Bedrohung und unter den düsteren Träumen. Gütiger Gott, ich bitte dich: beschütze seine Seele, bewahre ihm sein reines Herz. Gib ihm Antworten über sein Leben, die ihn frei aufatmen und vorwärts blicken lassen. Sei um ihn in Not und Einsamkeit. Bitte, füll du die Leere, die ich nicht füllen kann. Amen."

Noch einmal drücke ich Hannes Schulter, dann lasse ich ihn allein und steige mit dem Peterle wieder hinunter. Als die Dämmerung hereinbricht, kommen Jakob und Susanna nach Haus. Aber erst gegen Abend kommt Hannes wieder dazu. Er murmelt ein leises „Danke!", geht zum Peterle und spielt mit dem Kind. Er kullert für den Kleinen mit den letzten Kiefernzapfen, lässt die Rassel verschwinden und wieder auftauchen, kitzelt ihn und bringt ihn immer wieder dazu, sein herrlich unbeschwertes Kleinkinderlachen erschallen zu lassen. Nach einer Weile kann er sich wieder aufrichten.

„Ich muss nochmal zu Hurtig, Frau Adam. Ich weiß noch nicht, wie lang ich brauch."
Er zögert einen Augenblick. Dann schaut er mich direkt an, und endlich klingt seine Stimme wieder fest und sicher.
"Noch einmal: danke!"
Und schon hat er seinen Mantel gegriffen und ist aus dem Haus geschlüpft. Ich atme auf. So gefällt er mir schon viel besser. Aber bevor er sich nicht seinem alten Leben gestellt hat, wird er immer wieder so einbrechen und davonlaufen. Es tut mir in der Seele weh, ihn so zu sehen.

In den kommenden Tagen schweigen wir viel. Hannes versorgt Hurtig und den Friesen, der uns anvertraut wurde. Die Kinder genießen seine Anwesenheit und spielen viel mit ihm. Jakob sieht ehrfürchtig zu ihm auf, und Susanna liebt ihn abgöttisch. Sie ist kaum von seinem Schoß zu bekommen, wenn sie müde ist. Er geht oft zu Klaas, Jorge oder Bauer Ferz, um alles zu lernen, was ein guter Knecht können muss. Und manchmal denke ich, dass er mir aus dem Weg geht. Dann wieder sitzen wir bei Lampenschein beisammen, haben fröhliche Mahlzeiten mit den Kindern, singen und lachen viel.

Aber Hannes ist nicht Hannes. Ich kann ihn vielleicht sogar verstehen. Er kann ja schließlich nicht machen, dass er träumt. Und dass diese Träume dann auch noch so sind, dass er daraus vernünftig etwas über sich selbst lernen kann. Seine Seele scheint eine Pause zu wollen. Und wenn wir ihn drängeln, wird es nicht besser. Es steigt nur der Druck in ihm. 


Do. 4.1.1571

Übermorgen ist Steuertag, aber der Schnee liegt unvermindert hoch, und keiner kann so recht glauben, dass dann jemand hierher kommen wird, um uns zu schröpfen. Als schließlich die Kinder im Bett sind, summt Hannes noch leise das Schlaflied mit, dann verschwindet er zügig auf seinen Dachboden. Ich fasse mir ein Herz, steige die Leiter ein Stück nach oben und schaue ihn fragend an. Er sitzt mal wieder im Scheidersitz vor seinem kleinen Tisch. Sein Lämpchen brennt, er hat das kostbare Papier vor sich, den Kohlestift in der Hand. Er starrt auf das Blatt, aber er schreibt nicht, sein Gesicht ist leer.

„Hannes, darf ich einen Moment hinaufkommen?"
Er zuckt zusammen und scheint von sehr weit her aufzutauchen. Er nickt bloß. Also klettere ich die Leiter vollends hinauf und hocke mich auf dem Schemel neben ihn. Ich beobachte ihn eine Weile, wie er so verloren auf das leere Blatt starrt. Dann fange ich leise an zu sprechen.
„Hannes, ich glaube ich muss mich bei Euch entschuldigen, dass ich vorgestern ..."
Sein Kopf fliegt hoch.
„Nein! Wieso? Wofür denn? Ihr habt doch nichts getan!"
Oje!
„Dafür, dass ich mit den anderen zusammen so gedräng..."
Er schüttelt heftig den Kopf.
„Das stimmt doch nicht, Frau Adam! Ihr habt nicht gedrängelt. Der Vogt, Ihr ... habt doch Recht! Ich niste mich hier ein, lasse mir ein Nest bauen, lasse mich pflegen und durchfüttern. Alles tanzt um mich herum wie um das goldene Kalb, dabei bin ich ..."

Ich fahre ihm dazwischen.
„...eine Last? Hannes, ich hätte zum Verwalter gemusst, mit oder ohne Euch. Aber auf jeden Fall mit dem Peterle. Und wir beide würden jetzt tot in irgendeiner Schneewehe liegen, wenn Ihr nicht gewesen wärt. Hättet Ihr nicht darauf bestanden, mich zu fahren. Hättet Ihr nicht gekämpft, bis wir wieder zu Hause waren, ich wäre niemals lebend hin und zurück gekommen bei diesem Wetter. Und Susanna würde auch nicht mehr leben, wenn Ihr nicht drei Nächte lang das Kind herumgetragen hättet. Keine Mutter, und wenn sie noch so liebt, kann alleine drei Tage und Nächte am Stück wach sein. Es ist ein Segen, dass Ihr hier seid."

Wieder schüttelt er den Kopf.
„Ich war doch einfach nur da. Letzten Endes war es Klaas, der uns gerettet hat."
Was für ein Unsinn!
„Hannes, Ihr redet Unsinn, und das wisst Ihr auch. Klaas hat am Schluss den Wagen nach Haus gefahren. Aber vorher habt Ihr einen ganzen Tag mit Umsicht und Verstand und all Eurer Kraft dafür gesorgt, dass wir so weit gekommen sind. Ihr hattet sogar Recht damit, dass sie suchen würden und sich damit selbst in Gefahr bringen. Wer weiß, wie weit Klaas geritten wäre und was ihm dann noch passiert wäre!"
Hannes sagt gar nichts mehr.

„Hannes, hört mir bitte einen Moment lang zu. Ihr seid zermürbt von diesen langen, dunklen Wochen. Ihr seid Euren Träumen genauso ausgeliefert wie Euren Nichtträumen. Ihr könnt nichts tun als abzuwarten, ob sich irgendwann etwas so ändert, dass Ihr doch noch herausfinden könnt, wer Ihr seid. Ihr wollt einfach nur zur Ruhe kommen und dazu gehören dürfen. Und dann kommen wir daher, reden klug und drängen Euch, als könntet Ihr Eure Träume beeinflussen. Das war nicht Recht. Nehmt es bitte als die Hilflosigkeit, die wir genauso empfinden wie Ihr, und vergebt uns unsere Ungeduld. Wir wollten Euch einfach sagen, dass wir Euch wirklich mögen und Euch gerne hier haben und Euch beistehen wollen. Mehr nicht."

Sein Kopf sackt auf seine Brust, er schließt die Augen. Kurz drückt er meine Hand, dann schweigen wir miteinander. Hannes ist verwirrt, erschöpft, und so schweige ich eine ganze Weile mit ihm und halte mit ihm aus, dass seine Seele sich ihm verweigert. Als ich mich schon leise verabschieden und nach unten gehen will, packt er sich plötzlich in bekannter Manier an den Kopf und stöhnt auf. Er krümmt sich und atmet hektisch. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.

Ich lege ihm eine Hand auf den Rücken und warte ab. Irgendwann richtet er sich auf, sein Blick ist nicht mehr leer, er schaut mich an.
„Drei. Es waren drei. Aber das verwirrt mich. Es waren doch bisher immer nur Ludo und Hannes. Warum jetzt drei Jungen?"
Ich schaue ihn geduldig an.
„Es ... Es waren drei Jungs. Und ein Lehrer. Sie haben alle eifrig gelernt. Aber Ludo hatte viel mehr Geduld. Und der Dritte auch. Hannes hat zugehört, weil er musste. Die anderen, weil sie wollten. Irgendwann ist Hannes Blick aus dem Fenster gewandert, voller Sehnsucht. Der Lehrer hat ihn ermahnt. Er solle sich konzentrieren. Er habe die Pflicht, das zu lernen, die anderen würden später für ihn arbeiten, aber er MÜSSE das lernen und verstehen."

Eine Weile ist es still. Ich sehe, wie er sich zwingt, aufrecht zu sein.
„Hannes, könntet ... könntet Ihr aufhören, stark zu sein? Es geht Euch doch damit nicht gut."
Und endlich sackt er weinend in sich zusammen. Wie Jakob, wenn er sich das Knie aufgeschlagen hat, nehme ich Hannes in die Arme und lasse ihn weinen.

Schließlich fasst er sich wieder.
„Habt Ihr erkannt, was die Jungen lernen sollten? Hatte der dritte Junge einen Namen?"
Hannes schüttelt den Kopf.
„Der Lehrer hat geredet, irgendwas. Aber er war nicht zu verstehen. Ich habe nur diese eine Ermahnung verstanden. Und der dritte Junge ... Das Gesicht war mir vertraut, die ganze Situation war mir vertraut. Er war im gleichen Alter wie Ludo und Hannes. Sie waren miteinander vertraut. Aber ein Name?"
Hannes kneift die Augen zu und konzentriert sich. Doch sein Erinnerungsfenster scheint geschlossen.
„Nein. Kein Name."

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11.2.2020

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