081 - nach Hause - SA. 24.3.1571

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Nachdem Almuth Jansen gegangen ist, stehen Hannes, Karl und ich ganz alleine in der großen Halle. Karl auf der Treppe, Hannes am Fuße der Treppe und ich – einsam und verloren mitten in der riesigen Halle. Nur wenige Meter trennen Hannes und mich – und doch ein Abgrund, den wir nicht überbrücken können. Wir schweigen uns an, und die Stille schneidet mir ins Herz wie ein Messer.

Karl von Pagenstecher schaut sich das mehrere Minuten lang mit an. Dann seufzt er, steigt die wenigen Stufen zu Hannes hinunter und gibt ihm einen Schubs.
„Was habe ich dir in Lütgenhusen gesagt? Wage es nicht, ihr weh zu tun, oder du kannst dir aussuchen, ob Klaas oder ich dich einen Kopf kürzer machen!"
Mit diesen für mich höchst erstaunlichen Worten geht er kopfschüttelnd aus der Halle nach draußen.

Unsicher schaut Hannes mich an, aber ich – fange an zu lachen, weil diese Situation inzwischen genauso komisch wie seltsam ist. Ein Lächeln stiehlt sich in seine Augen und um seine Mundwinkel. Langsam kommt er auf mich zu.
„Anna? Erlaubst du mir, die Hoffnung für uns nicht aufzugeben, bis wir wirklich alle Möglichkeiten und Ideen ausgeschöpft haben? Darf ich versuchen, Dir UND den Kindern UND mir gerecht zu werden? Darf ich bitte Nachforschungen anstellen über Magdalena von Lenthe? Darf ich dich bitten, im Mai mit mir gemeinsam das Waisenhaus zu besuchen und dort nach deinen Spuren zu suchen? Und nach dem Schloss zum Schlüssel? Es ist mir wichtig, dass du das Leben lebst, das zu dir passt. Wenn du keine Nachforschungen willst, dann ist das so. Aber ich ... Es ist nur ein Gefühl, aber ich glaube, es ist wichtig. Lass es mich versuchen."

Intuitiv taste ich mit meiner Hand nach dem Schlüssel unter meiner Kleidung. Hannes ist nun bei mir angekommen und sieht mich abwartend an. Ich bin aber so sprachlos, dass mir erstmal nichts dazu einfällt.
„Warum ... Was hat ... Frau von Lenthe mit mir ..."
„...zu tun? Nach allem, was du mir erzählt hast, Anna, war sie sehr jung, als sie die Leitung des Christophorus-Heimes übernahm. Und du tauchtest gleichzeitig auf. Wie kommt es, dass eine so junge adlige Frau nicht von ihrer Familie verheiratet wird sondern in der Fremde so eine Aufgabe übernimmt? Alle Kinder sind nach der Ausbildung vermittelt worden. Du sagtest, du hattest das Gefühl, sie wolle dich bei sich behalten. Alle Kinder haben bei ihrem Weggang ihre Habe vom Anfang bekommen. Was ist mit deinen Sachen? Können sie etwas über deine Herkunft verraten? Was bedeutet der Schlüssel? Was der Bibelvers im Gebetbuch? Bist du gar nicht neugierig?"

Mir schwirrt der Kopf. Ich habe schon vor so langer Zeit aufgehört, diese Fragen zustellen.
„Ich ... weiß das jetzt nicht, Hannes. Lass mich darüber nachdenken."
Hannes lächelt und nickt.
„Verzeih, dass ich dich damit so überfallen habe. Ich glaube, du möchtest jetzt vor allem eines – nach Hause! Richtig?"
„Ja!"
Mein Seufzer kommt aus tiefstem Herzen.
„Gut, dann sollten wir damit nicht länger warten. Noch ist es Zeit, heute ganz bis nach Lütgenhusen zu kommen. So sehr ich mich nach den Kindern und allen anderen im Dorf sehne – ich kann hier jetzt nicht weg. Ich werde also Konrad mit Dir losschicken. Sicherlich kann er bei Klaas übernachten, bevor er morgen zurückfährt."

Kurz sieht es aus, als krame er in seinem Kopf nach einem weggerutschten Gedanken.
„Ach ja – richtig! Anna, ich werde gleich morgen ins Waisenhaus gehen. Was du mir von deiner Kindheit erzählt hast, und dann von den Veränderungen nach dem Tod der Freifrau von Lenthe – das schreit danach, dass dieses Haus unbedingt eine andere Leitung braucht. Denkst du das auch?"
Ich muss nicht lange nachdenken.
„Oh ja, Hannes. Das wäre wunderbar. Vielleicht kann es dann wieder zu einem Ort werden, an dem junge Menschen Selbstvertrauen bekommen und tauglich fürs Leben gemacht werden."
Hannes nickt.
„Ich glaube auch, dass ich in ihrem Falle kein Auge zudrücken kann. Die Kinder werden Angst vor ihr haben. Ich weiß nur noch nicht, wen ich stattdessen als Leitung einsetzen könnte."

Ich muss nicht lange nachdenken. Jochen und Maria Hannover waren hier die obersten Dienstboten. Sie sind nun alt und könnten einen so großen Haushalt nicht mehr ohne Hilfe führen. Und es gibt ja auch einen ersten Diener und eine Hausdame, die soeben in ihren Stellungen bestätigt wurden. Aber das Waisenhaus? Der Aufgabe werden sie sicher gewachsen sein und die Kinder wirklich lieben.
„Hannes, ich glaube, ich weiß, wen du fragen könntest. Das alte Ehepaar, das in den letzten Wochen über mich gewacht hat, die Hannovers, sind herzensgute Menschen. Sie sind damals mit der Frau Agnes von Minnigerode aus dem Hannoverschen hierher gekommen. Ich glaube, das Waisenhaus mit Liebe und Bedacht zu führen und den Kindern, die jetzt dort sind, Vertrauen ins Leben zugeben, das würde ihnen viel Freude machen. Und ihnen selbst noch einmal das Gefühl geben, nützlich zu sein. Sprich mit Frau Jansen und mit den beiden. Vielleicht ist das deine Lösung."

Seine Augen haben zu leuchten begonnen bei meinen Worten. Er will sein ganzes Herz an diese Aufgabe verschenken, will mit ganzer Seele ein guter, gerechter Lehnsherr sein. Und ich zweifle keinen Augenblick daran, dass er das schaffen wird. Es passt dazu, dass der gedächtnislose Knecht Hannes sich geradezu darum gerissen hat, mithelfen und Sinnvolles tun zu dürfen. Nun hat er sein Gedächtnis und seinen Namen zurück. Nun kann er tun, wonach sein Herz sich sehnt. Mit Umsicht und Sorgfalt stellt er sich den vielen Problemen, die er von seinem betrügerischen Verwalter geerbt hat, und will sie zum Guten führen. Es ist schön zu sehen, wie sehr er eins mit sich ist.

„Danke, Anna. Das ist eine wundervolle Idee. Ich werde die beiden fragen. Sie haben so lange den gütigen Geist der Frau von Minnigerode geatmet, sie werden sicher eine gute Nachfolge von Frau von Lenthe sein. Und du kannst ihnen dabei helfen, indem du ihnen erzählst, wie es früher war."

Stille senkt sich auf die große Halle. Schlagartig wird uns beiden klar, dass wir damit nun endgültig Abschied nehmen müssen für eine lange Zeit. Ich kehre zurück in mein altes Leben in der Kate, mit den Kindern, mit der Armut, mit meinem bescheidenen Glück. Hannes bricht auf in ein ganz neues Leben. Er wird viel arbeiten, viel lernen und viel hin- und herreisen müssen in den nächsten Monaten. Hannes macht einen letzten Schritt auf mich zu und greift meine beiden Hände. Eröffnet den Mund ... und schließt ihn wieder. Uns beiden fehlen die Worte.
„Geh mit Gott, Anna! Und grüße die Kinder."

Dann ist es plötzlich, als wäre er ein anderer Mensch. Höflich legt er mir den Mantel von vorhin um die Schultern, reicht mir seinen Arm, führt mich aus dem Haus, hilft mir in die Kutsche, spricht kurz mit dem Mann auf dem Bock, verbeugt sich ehrfurchtsvoll vor mir – und schweigt. Der Kutscher, den Hannes vorhin Konrad genannt hat, schnalzt mit der Zunge, die Pferde setzen sich in Bewegung und ich muss mich sehr zusammenreißen, mich nicht nach Hannes umzudrehen und zu ihm zurückzustarren, bis ich ihn nicht mehr sehen kann. Bald schon sind wir aus der Stadt heraus Richtung Süden.

Tief in Gedanken sitze ich in der edlen Kutsche des Brudenhusen und lasse mich von Konrad nach Hause kutschieren. Die Wege sind nach der Frühjahrsschmelze wieder einigermaßen trocken, die zwei Pferde sind stark und ausgeruht, und so geht es gut vorwärts. In Rhumaspring lasse ich Konrad anhalten, damit ich mich gleich persönlich beim Bauern Freese und seiner Frau bedanken kann. Ohne ihre Geistesgegenwart wäre ich wahrscheinlich auf der Herfahrt vor drei Wochen erfroren.

Noch bevor ich den Schlag geöffnet habe, ist schon das Dorfvolk zusammengelaufen. In den letzten Jahren und besonders den letzten Wochen war alles, was reich aussah und aus Gieboldehusen kam, eher verdächtig bis gefährlich. Aber schnell erkennen sie mich und heißen mich willkommen. Frau Freese hat sogar Tränen der Erleichterung in den Augen, als ich ihr mit herzlichem Dank und tiefem Knicks ihre Tücher und Decken zurückgebe.

Ich bitte Bauer Freese, seinen Dorfvogt holen zu lassen, und lasse mich dann zu einem Plausch mit Frau Freese nieder. Sehr schnell ist der Vogt da und begrüßt mich. Ich berichte ihm nun, was sich in Gieboldehusen zugetragen hat, dass der Lehnsherr da ist, dass die beiden Tunichtgute verhaftet sind, dass nun alle Gefahr gebannt ist und der Lehnsherr sich Ende April oder Anfang Mai persönlich allen Menschen in seinem Lehen vorstellen wird. Ich sehe, wie ihm eine Last von den Schultern fällt. Die drei Vögte hatten viel Sorge auszuhalten in den letzten Wochen. Ich erkläre ihm also die Vorgänge der letzten vier Monate.

Seine Augen werden immer größer dabei.
„Der Verwalter wollte seinen Herrn ermorden lassen??? Und das, obwohl er der Herzog ist???"
Fassungslos schüttelt er den Kopf.
„Tja, das ist ein gutes Beispiel für 'gerissen', aber nicht 'schlau'. Er hat wohl gemeint, wenn der Lehnsherr 'unterwegs verloren' geht, dann ist er als Verwalter so unentbehrlich, dass er immer so weiter machen kann. Dass er niemals damit durchkommen würde, wenn der Herzog persönlich einfach so verschwindet, und dass er natürlich einen neuen Lehnsherrn bekommen würde, so weit hat er nicht gedacht. Nun werden die beiden des Hochverrats beschuldigt. Das wird nicht gut ausgehen für sie."

„Und was wird der hohe Herr tun? Als Herzog kann er doch wieder nicht hier sein."
„Der Herzog wird zunächst hier ein paar Tage lang Ruhe hineinbringen und den alten Verwalter übergangsweise zurückholen. Dann wird er nach Hause reiten und abdanken. An Ostern wird sein Bruder zum Herzog gekrönt, und er selbst wird hierher kommen, um hier zu leben. Nach all dem, was er als Knecht Hannes in den letzten Monaten erlebt hat, sehnt er sich danach, den Menschen hier Gerechtigkeit und Frieden und Sicherheit zu geben. Ich soll ausrichten, dass er um Listen bittet, wer hier lebt, wer vor Antritt des Brudenhusen was besessen hat, wer seine Freiheit verloren hat. Er möchte sich ein genaues Bild des Unrechts machen."

Der Vogt atmet noch einmal tief durch.
„Das sind wirklich gute Neuigkeiten. Hab Dank für diese Kunde. Und jetzt fahr heim, Anna Adam. Deine Kinder warten auf dich!"

...........................................................
21.3.2020

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro