099 - Verschnaufpause - FR. 13.4.1571

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Karfreitag als höchster evangelischer Feiertag ist völlig ausgespart von allen Krönungsfeierlichkeiten. Andächtige Stille senkt sich über die Stadt und das Land. Ein jeder tut Buße und gedenkt des Todes Christi am Kreuz. Auch ich gehe zur Beichte und denke laut vor dem Pastor und leise im Gebet nach über das, was mein Leben mir im letzten halben Jahr zugemutet und geschenkt hat, über all meine Schwächen, die mir dabei offenbar geworden sind, bringe meine Zukunftspläne vor Gott und bitte um seinen Segen dazu. Ich erbitte Vergebung für alles Leid, dass durch mein Handeln oder Unterlassen entstanden ist, und erflehe mir Jesu Beistand, damit ich in Zukunft in der Lage bin, umsichtiger und weiser zu entscheiden und zu handeln, zum Wohle der mir anvertrauten Menschen.

Und über allem steht: ich muss lernen, meine Bedürfnisse und Ideen nicht so impulsiv auszuleben sondern mit Bedacht zu Werke zu gehen, damit ich nicht mehr so viel Durcheinander veranstalte wie in den letzten Monaten. Ich bereue zutiefst das ganze Leid in den Dörfern, das durch meine übereilte Flucht vor der Verantwortung entstanden ist. Aber ich bin doch auch dankbar, dass letzten Endes mit der Verhaftung von Brudenhusen, Hauser und Stolzer und der Krönung Ludos zum sicherlich besseren Herzog viel Gutes daraus erwachsen ist. Und ich stelle dabei fest, dass es nicht leicht ist, sich selbst im Spiegel seiner Taten zu betrachten und sich Verfehlungen selbst einzugestehen. Aber dass es noch viel schwerer ist, diese auch vor einem Beichtvater laut auszusprechen, sich dem göttlichen Urteil zu stellen.

Ein paar Gedanken behalte ich allerdings für mich, die muss der Beichtvater nicht unbedingt wissen. Anna. Je länger ich darüber nachdenke, desto wirrer wird es für mich. Ich möchte Anna am liebsten überreden, mit den Kindern zu mir zu kommen. Aber es ist ihre Entscheidung. Ich möchte ihr zeigen, wie wundervoll sie ist, sie auf Händen tragen. Aber dann würde ich sie in ihrem Wesen beschneiden, und das ist das Schlimmste, was man ihr antun kann. Ich möchte eine Lösung finden, wie sie Jakob gerecht werden kann, ohne sich selbst dafür völlig hintenan stellen zu müssen. Aber es bleibt ihre Entscheidung. Die ich respektieren muss. Ich sehne mich nach ihr, nach ihrer stillen Weisheit, ihrem Humor, ihrer positiven Ausstrahlung. Aber noch sehe ich keinen Weg.

Den ganzen Vormittag lang hat es geregnet, irgendwie passend zu Karfreitag und Buße. Aber am Nachmittag klärt es auf, und so lasse ich mir Hurtig satteln und reite aus der Stadt zu den Niederungen der Leine. Die Frühjahrshochwasser haben sich weitgehend verlaufen, die Wege sind noch matschig, aber zu Pferde gut zu bewältigen. Ich lasse den Gedanken freien Lauf. Die Seitenarme und Überschwemmungen der Leine erinnern mich an die Rhuma. Das Flüsschen entspringt ja dem Hügel bei Rhumaspring, darum führt die Rhuma keine Massen von Schmelzwasser aus dem Harz. Aber auch so hat in der Gegend genug Schnee gelegen, dass man im Grenzwald jetzt wohl nasse Füße bekommt.

Nach der intensiven Rückschau am Vormittag wandern meine Gedanken nun in die Zukunft. Ich muss meine Einkünfte als Bruder des Herzogs klären, damit ich weiß, wie schnell ich in Gieboldehusen die Modernisierungen vorantreiben kann. Das Waisenhaus fällt mir ein, die Schule, die Befreiung der Bauern. Ich bin neugierig, wie Gunther von Thaden und der alte Adam miteinander klarkommen werden. Das Leuchten in den Augen von Maria und Jochen Hannover, als sie mir erzählt haben, dass die Kinder ihnen vertrauen, war so berührend. Die beiden sind auch schon älter und brauchen in ein paar Jahren eine Ablösung. Aber im Moment sind sie genau die Richtigen für diese Aufgabe.

Wieder bleiben meine Gedanken an der Schule hängen.
Richtig, ich wollte mich nach einem geeigneten Lehrer für meine Schule umschauen. Ich weiß nur nicht recht, wo ich damit anfangen soll.
In Salzderhelden gibt es eine Schule für die Söhne der Adligen, der Räte und der reichen Kaufleute. Vielleicht kann mir dort jemand raten, wie ich suchen soll. In Hildesheim, Göttingen, Hannover und Braunschweig gibt es Gelehrtenschulen, aber das ist mir alles zu weit weg, um dort zu suchen. Ich muss hier fündig werden.

Ich verlasse die Niederungen der Leine und schlage einen großen Bogen, um von der anderen Seite wieder zur Stadt zu gelangen. Die Wege sind hier einigermaßen trocken, und so lasse ich für einen Moment das Denken und Hurtig die Zügel schießen. Es ist ein Genuss, auf einem vertrauten, ausgeruhten Pferd durch die frische Frühlingsluft zu fliegen. Und auch Hurtig scheint den intensiven Auslauf sehr zu genießen. Wir setzen über Hecken und Zäune, landen einmal aus Versehen in einem Haufen Hühner, die panisch gackernd auseinanderstieben, und überholen auf der Landstraße von Uslar herein paar Wanderer, die stehen bleiben und mich freundlich grüßen. Als wir uns von Westen der Stadt nähern, weichen uns ein paar Burschen mit einem beladenen Esel aus. Inzwischen habe ich beschlossen, nach den ganzen Feierlichkeiten in der Schule vorzusprechen und um Hilfe bei der Suche zu bitten.

Konrad begrüßt mich mit breitem Grinsen, als ich in den Schlosshof trabe. Er schaut mir ins Gesicht und klopft Hurtig den Hals."
Das war als Abwechslung wohl dringend nötig."
Ich übergebe ihm die Zügel.
„Sehr. Jetzt habe ich den Kopf wieder frei. Zuviel Stille und Denken auf einmal ist einfach nichts für mich."
Mit einem leichtem Kopfschütteln führt er Hurtig in den Stall, während ich mich ins Schloss begebe.

Ich mache eine kleine Pause und richte mich wieder etwas her, bevor ich mich mit Ludo zum Abendessen treffe. Wir sind allein und haben Zeit zu reden.
„Ich habe beschlossen, Brudenhusen und Hauser noch ein Weilchen schmoren zu lassen. Und ich glaube, es ist ganz gut, wenn Du schon weg bist, wenn ich mich mit ihnen befasse. Karl ist hier, kann als Zeuge fungieren. Du hast überlebt und wirst deiner Wege gehen. Was hältst du davon? Unter Umständen wäre es klug, wenn du mir einige Unterlagen schicken könntest, aus denen der jahrelange massive Betrug hervorgeht. Bist du überhaupt schon soweit, dass du das ganze Ausmaß erkennen kannst?"

„Ich denke, dass Bader und Hannover bis zu meiner Rückkehr die ganzen Papiermassen besiegt haben und mir genauere Zahlen und Umstände werden nennen können. Sie haben sich beide mit Feuereifer in diese Aufgabe gestürzt. Ich kann dir ja dann eine Aufstellung mit ein paar besonders haarsträubenden Beispielen zukommen lassen."
„Ja, ich denke, das wäre gut. Wenn man ihnen mit ihren eigenen Unterschriften vor der Nase rumwedeln kann, sind sie vielleicht nicht ganz so dreist. Wobei mir der Kerkermeister hat melden lassen, dass das ganz große Toben inzwischen einer gewissen Resignation gewichen ist."
Kurz schauen wir uns in stummem Einverständnis über die Ränder unserer Weingläser an.

„Etwas ganz anderes, Ludo. Wie sieht der Tag morgen aus? Sonntag und Montag werden extrem anstrengend sein. Haben wir morgen noch etwas Luft?"
Einen Moment lang muster er mich. Dann lacht er.
„Himmel, was bin ich froh, dass ich dir diese Aufgabe abgenommen habe. Wenn wir beide jetzt auf dem jeweils anderen Stuhl säßen, wäre deine Antwort auf diese Frage mit Sicherheit von jede Menge Unruhe und Ungeduld geprägt."
Ich lächele zurück.
„Da kannst du Gift drauf nehmen. Obwohl – ne, lieber nicht. Sonst muss ich doch noch ran."

Nun lachen wir beide.
„Im Ernst. Ich habe Dir jetzt wochenlang bei all den Vorbereitungen zugesehen, und ich bewundere dich zutiefst. Du bist ruhig, gelassen, interessiert, du gehst auf in dieser Aufgabe. Ich hatte eine Zeit lang ein schlechtes Gewissen, dass du das vielleicht nur mir zuliebe machen könntest. Aber gestern bei meiner Abdankung, da habe ich begriffen, dass du das wirklich willst und in dieser Aufgabe genau an deinem Platz bist. Du glaubst nicht, WIE froh ich über diese Erkenntnis war. Und es wird ja auch Zeit, dass in diesem Land wieder Ruhe und Gewissheit einkehren. Mein Verschwinden und die lange Ungewissheit haben sicher viel Unruhe erzeugt."

„Sehr. Ich konnte einfach nicht ewig verbergen, dass auch ich nicht weiß, wo du steckst. Und ob du noch lebst. Durch deine kurze Nachricht habe ich mir ja erstmal kaum Sorgen gemacht. Aber als Konrad hier ohne dich auftauchte und berichtete, dass dein Verwalter ihn fortgeschickt habe, hatte ich gleich das böse Gefühl, dass da was schief gegangen sei. Je länger die Ungewissheit sich hinzog, desto mehr habe ich mir selbst Vorwürfe gemacht. Aber vielleicht musste ich so unter Druck stehen, um zu begreifen, dass nichts festgemauert ist und wir tatsächlich unseren eigenen Weg gehen müssen."

Kurz zieht sich ein Schmerz über sein Gesicht. Die Erinnerung an seine verzweifelte Suche nach mir wird ihn noch eine Weile verfolgen.
„Wir haben ja sowieso schon die herrschenden Gepflogenheiten durchbrochen, indem Vater beschlossen hat, das kleine Land nicht nochmal zu teilen sondern einem zu geben und den anderen zu seinem Berater zu machen. Dann können wir auch gleich noch die Erbfolge auf den Kopf stellen. Ich habe in den letzten Wochen mit den anderen Welfenfürsten korrespondiert, und sie alle haben sich ... nennen wir es mal ... verwundert einverstanden erklärt."
Ich atme erleichtert aus.
„Das beruhigt mich. Wenn die Großfamilie dahinter steht, ist wirklich alles gesichert."

„Aber um darauf zurückzukommen – was kommt morgen auf uns zu?"
Ludo denkt kurz nach.
„Proben. Und der Fahneneid der Landsknechte und der Stadtwache. Und der Braunschweiger und der Lüneburger Vetter treffen morgen ein."
Er grinst mich an.
„Und du musst nur bei den Proben dabei sein. Beim Fahneneid darfst du dich verkrümeln. Den Vettern wirst Du allerdings nicht entgehen."
Ich würde lügen, wollte ich behaupten, dass ich bei der Antwort nicht erleichtert aufgeseufzt habe.

Wir genießen noch eine Weile die Ruhe vor dem Kamin und leeren die Flasche Wein. Mitten in die angenehm entspannte Schweigsamkeit hinein seufzt Ludo plötzlich zufrieden auf.
„Hannes?"
„Hm?"
„Ich habe gestern nach dem Gottesdienst noch die Pagenstechers besucht."
Sofort fliegt mein Kopf zu Ludo rum. Er strahlt – und ich beginne zu grinsen.
„Lass mich raten. 'ja' und 'ja'. Richtig?"
Ludo nickt nur und schaut versonnen ins Kaminfeuer.
„Dann meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Brüderlein. Ich freue mich aufrichtig für dich."
„Und das Tolle ist – ich weiß, dass sie nicht den Herzog heiraten will – sondern mich."
„Sie wird eine wundervolle Herzogin sein. Würdig, in Mutters Fußstapfen zu treten."
„Ja. Aber erzähl ihr bitte nichts davon. Ich möchte, dass sie ihre eigene Rolle findet und ausfüllt. Eines Tages werde ich ihr das Buch zeigen."
„Keine Sorge. Familiengeheimnisse auszuplaudern wird deine Aufgabe sein."

„Sag mal ... willst du das Buch eigentlich mitnehmen?"
Ich überlege einen Moment lang.
„Ich glaube, ich würde es gerne mitnehmen, um mich noch eine Weile damit zu beschäftigen. Vielleicht lasse ich auch ein paar Passagen abschreiben für mich. Und dann bringe ich es dir – sagen wir mal – zu deiner Hochzeit wieder zurück?"
Ludo nickt nur. Erneut senkt sich einvernehmliches Schweigen auf den Raum, bevor wir uns schließlich zur Ruhe begeben, um an Ludos großem Tag ausgeruht zu sein.

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10.4.2020

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