126 - Glück - SA. 12.5.1571

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Ich bin unendlich verwirrt, glücklich, traurig, neugierig. Vor mir sitzt mein Vater. Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass ich jemals meinen Vater sehen würde. Schon, dass ich bei meiner Mutter aufgewachsen bin, ohne es zu wissen, war ein Schock. Aber hier sitzt er, strahlt von innen heraus und schaut mich unverwand an. Er kümmert sich nicht um meine Kleidung oder meine sonnengebräunte Haut. Er fragt nicht nach Stand und Ehre. Er ist einfach da.

„Wie sehr du deiner Mutter ähnelst. Ihr Brief an dich war ein bunter Strauß an Liebe – für dich und für mich. Danke, dass du ihn mir abgeschrieben hast."
Ich schaue ihm in die alten, aber immernoch klaren Augen. Sie sind grün.
„Mutter hat ja geschrieben, dass ich meine Augen von dir geerbt habe. Und es stimmt. Deine Augen sind auch grün, Vater."
Er lächelt.
„Selbst wenn du keine Heiratsurkunde vorweisen könntest – ein Blick in dein Gesicht und in deine Augen beweist alles. Ich bin so reich beschenkt!"

Er schaut an meine Hand. Ich habe eines der Kleider von Frau Bünte angezogen, das in sanften Grüntönen gehalten ist, und dazu den Ring aus der Schatulle, den Mutter von Vater zur Hochzeit bekommen hat. Vater sieht den Ring und greift nach meiner Hand.
„Der Ring! Hast du ... Hat sie ..."
„Mutter hat mir ein Kästchen vermacht. Darin war alles, was für uns drei einen Wert hat. Geld, Schmuck, dieser Ring. Die Heiratsurkunde, ein Bild von dir, ihr Brief an mich. Und ... Warte."

Ich habe vorsorglich die Schatulle mit herunter gebracht. Ich hole sie von dem Seitentischchen und zeige sie ihm.
„Den Schlüssel dazu habe ich mein ganzes Leben lang um den Hals getragen, ohne zu wissen, zu welchem Schloss er gehört."
Ich öffne die Schatulle.
„Und das hier war auch noch darinnen. Ich habe nichts gelesen. Ich dachte mir, das solltest besser du entscheiden, Vater."
Ich reiche ihm das Bündel mit Liebesbriefen zwischen ihm und Mutter. Ungläubig staunend greift er danach, erkennt, was er in der Hand hält, und beginnt zu weinen. Es dauert eine Weile, bis er sich wieder fasst. Dann zieht er einzelne Briefe aus dem Stapel, um mir daraus kleine Stückchen vorzulesen - zarte Worte tiefer Verbundenheit.

Nach einer ganzen Weile glücklicher Vertrautheit kommt Hannes zu uns zurück und teilt uns mit, dass bald das Abendessen angerichtet sein wird.
„Na, dann muss ich jetzt wohl doch die Treppe raufwackeln, Grubenhagen. In dem Aufzug kann ich mich nicht beim Essen blicken lassen. Aber, sag mal, Anna. Wo sind denn meine drei Enkel? Werde ich sie heute noch sehen?"
Mein Herz macht vor Freude einen großen Hüpfer, während wir uns erheben und mit Hannes in die Halle zur Treppe gehen.
„Sie sind oben, im Spielzimmer. Und du darfst sie gerne ganz viel sehen."

"Von Brabeck, wäre es für euch genehm, wenn die Kinder beim Essen dabei sind, auch wenn sie noch klein sind? Sie sind gut erzogen. Und normalerweise sind auch meine Verwalter anwesend. Aber es liegt ganz bei Euch, Ihr müsst nur wünschen."
Vater schüttelt den Kopf.
„Neinnein, Grubenhagen. Ich will hier nichts durcheinanderbringen. Alles so, wie Ihr es gewohnt seid."
Ich gehe mit Vater die Treppe hinauf. Oben kommt uns sein Diener entgegen, der Vater zu seinem Gemach führt. Ich hingegen gehe ins Spielzimmer und informiere die Mädchen und die Kinder, dass unser Gast nun da ist und wir mit ihm gemeinsam zu Abend speisen werden.

Also machen wir uns zu dritt daran, die Kinder ein wenig zu waschen und ihnen die neuen Gewänder anzuziehen.
„Jakob schaut an sich hinunter und staunt.
„Jetzt sehe ich wirklich aus wie ein Graf!"
Susanna dreht sich im Kreis, mit ausgebreiteten Armen, und freut sich am Schwung ihres Rockes.
„Mutter, ich bin eine feine Dame, wie du!"
Dem Peterle ist es noch egal, in was man ihn steckt. Hauptsache er kann darin rennen und Unfug machen.
"Euer Großvater ist inzwischen da, und wir werden gleich mit ihm zu Abend essen."
Wir gehen noch einmal mit dem nassen Kamm durch alle drei Schöpfe, dann greift sich jede von uns eine Kinderhand und wir laufen los zur Treppe.

Peter will natürlich sofort auf die Stufen lossteuern, aber ich halte ihn schnell fest. Dann probiere ich etwas aus. Ich setze ihn rückwärts, mit dem Blick nach oben, auf die Treppe und zeige ihm, wie er so rutschend die Treppe alleine runterkommt. Immer, wenn er aufstehen will, hindere ich ihn sofort daran. Und nach der halben Treppe kapiert er, dass es ihm lieber ist, selbständig zu rutschen als laufend an meiner Hand zu hängen. Hannes erwartet uns schon in der Halle und fängt schallend an zu lachen, als ihm auf den untersten Stufen der kleine, pralle Windelpopo entgegenrutscht.

Lina knickst und geht. Dafür schnappt sich Hannes die frei gewordene Hand von Susanna und verbeugt sich tief.
„Edle Prinzessin! Es ist mir eine Ehre, Euch zu Tisch zu geleiten."
Susanna schaut ihn mit kraus gezogener Nase an.
„Aber ich bin doch nicht wirklich eine Prinzessin. Ich seh doch nur so aus!"
Hannes geht zu ihr in die Hocke und umarmt sie feste.
„Das weiß ich doch, meine Prinzessin. Aber ich mag dich gar so gern. Also behandele ich dich auch wie eine Prinzessin."
Susanna kichert vergnügt.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören, und so wenden wir uns alle um. Mein Vater kommt bedächtig die Stufen herunter und schaut dabei die ganze Zeit auf die Kinder. Die werden unter dem Blick des alten Mannes etwas scheu. Aber als Vater dann unten bei uns angekommen ist, gehen die beiden Großen doch auf ihn zu, verbeugen sich und knicksen. Jakob nimmt all seinen Mut zusammen.
„Großvater, ich bin Jakob. Das ist Susanna, und das Peterle da muss man immer festhalten, weil er sonst Unfug macht."

Vater treten Tränen in die Augen, als er die beiden an den Händen nimmt und sich uns anschließt auf dem Weg ins Speisezimmer. Wieder sind Linde und ich die einzigen Frauen am Tisch und haben die Kinder zwischen uns. Auch die drei Verwalter Bader, von Thaden und Maier sind anwesend.

Vater setzt sich auf den ersten Stuhl neben Hannes und strahlt quer über den Tisch seine Enkel an. Es wird ein vergnügt verplauderter Abend. Die Kinder werden nach dem Essen ins Bett gebracht, von Thaden und Maier ziehen sich auch zurück. Aber Vater und Bader unterhalten sich prächtig am Kamin. Hannes hält wacker mit, und ich sitze dazwischen und amüsiere mich über die drei Männer. So habe ich Gelegenheit, meinen Vater einfach zu beobachten und in seiner ganz eigenen Art kennen zu lernen.

In den folgenden Tagen verbringen wir alle viel Zeit miteinander. Vater, Hannes, die Kinder und ich spielen, erzählen, gehen spazieren, singen. Vater erzählt mir sehr viel von Mutter, wie er sie kennengelernt hat. Ich erzähle ihm von unserem Leben im Christophorus-Haus. Wir lassen uns mit der Kutsche dort hinfahren, und ich zeige ihm, wo und wie ich aufgewachsen bin. Die Hannovers sind ganz glücklich und freuen sich sehr für mich, dass ich meinen Vater gefunden habe. Die Kinder erzählen auf ihre entzückende Weise vom Leben in unserem Dorf, Jakob zeigt, wie gut er schon schreiben kann.

Wer es nicht besser weiß, könnte meinen, wir seien eine große glückliche Familie. Und doch spüre ich immer wieder Unsicherheit, halte mich zurück, kann mich selbst oft nicht verstehen. Aber das Glück, meinen Vater kennen zu lernen, lässt mir kaum Platz zum Grübeln, und so kann auch ich die meiste Zeit genießen.

Über ein Thema reden wir überhaupt nicht. Wird Vater bleiben oder wieder nach Hause fahren? Wann? Geht er davon aus, dass ich mitkomme? Oder nicht? Wir rühren nicht daran. Bis ich fünf Tage später mit Vater im Schlosspark spazieren gehe.

„Meine liebe Anna. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass wir einander gefunden haben. Zu wissen, dass meine große Liebe ein so erfülltes Leben hatte und als Trost unsere Tochter an ihrer Seite, das ist für mich ein so großes Geschenk! Und was für eine entzückende Familie ich auf einmal habe."
„Das macht mich auch sehr, sehr froh."
„Was willst du denn jetzt mit deinem Leben anfangen, wo du plötzlich weißt, dass du eine Gräfin bist?"

Ich verstumme schlagartig. Da ist sie nun doch, diese Frage.
„Ich ...bin etwas hin und hergerissen. Jakob ist der Sohn eines unfreien Bauern und wird seine Kate und seine Fron erben. Wenn ich in die Stadt ziehe, entwurzele ich ihn seinem Leben, und das ..."
Abrupt bleibt Vater stehen und wendet sich mir zu.
„Mein liebes Mädchen. Du bist erwachsen und hast schon so viele Herausforderungen überstanden ohne mich. Ich habe nicht das Recht, dich mit zu mir zunehmen. Und ich habe nicht das Recht, dir irgendetwas vorzuschreiben. Aber raten darf ich dir doch, oder?"
Ich nicke bloß. Das kommt so plötzlich.

„Der eine Acker, der an der Kate hängt, kann vor irgendjemand bestellt werden. Das muss nicht dein Sohn sein. Und - ja, ich weiß, dass du diesen Sohn nur geerbt hast. Aber es ist nicht zu übersehen – er ist in deinem Herzen dein Sohn und dein Stolz. Und dieser kleine Stolz will mehr, will hinaus, will wissen. Das einzig Wichtige in seinem Leben bist du. Und darum ist es völlig egal, wo du bist. Er wird immer bei dir sein. Löse dich von dem, was war, denn es gilt für dich nun nicht mehr. Und es gibt noch einen anderen Grund. Ich bin nämlich nicht blind. Der Grubenhagen hat mir ja schon einiges geschrieben und inzwischen noch viel mehr erzählt. Anna, dieser Mann betet dich an. Wenn er dich das nächste Mal fragt – dann sag ja!"

„Ach, Vater."
Unwillig schüttelt er den Kopf.
„Nein. Ach, Anna! Das einzige Hindernis zwischen dir und deinem Glück bist du. Nicht Jakob. Nicht deine Kindheit im Waisenhaus. Und ganz bestimmt nicht ich. Nur du. Letzten Endes zauderst du die ganze Zeit herum, weil du deine Freiheit nicht aufgeben willst oder vor irgendetwas Angst hast. Aber ich bin mir sehr sicher, dass du an der Seite dieses Mannes nicht unfrei sein wirst!"
Stumm starre ich auf meine Fußspitzen.
„Und jetzt lassen wir es gut sein. Ich will nicht übermäßig in dich dringen. Wähle weise, liebe Tochter. Aber wähle bald."

Es dauert eine Weile, bis wir wieder normal miteinander plaudern und uns an der schönen Natur erfreuen können. Vater hält Wort. Er erwähnt diese Frage nicht mehr. Wir sind einfach gemeinsam Gäste von Hannes und dürfen uns wie zu Hause fühlen. Ohne, dass ich es merke, wird es für mich immer selbstverständlicher, hier zu sein, im Schloss zu sein, in Gesellschaft zu sein. Bei Hannes zu sein. Und so kann ich nach und nach meine innere Anspannung loslassen.

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7.5.2020

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