140 - Die Aufregung steigt - Do. 12.9.1571

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Am Donnerstag Vormittag werde ich für tausend offene Fragen von den Dörflern gebraucht, und so schnappt sich Vater die beiden Großen und macht mit ihnen einen Spaziergang in den nahen Wald. Jakob und Susanna zeigen ihm so ziemlich jeden einzelnen Baum – der, wo Jakob immer hochklettert, der, wo Susanna immer Veilchen pflückt und die Stelle mit den Walderdbeeren, die Brücke, die Weiden, wo wir die Zweige für unseren geflochtenen Weihnachtsstern geschnitten haben und noch endlos vieles mehr. Erst gegen Mittag kommen sie zurück, und man sieht nicht nur den Kindern an, dass das zum Teil eine echte Kletterpartie war. Vaters Kammerdiener schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und gibt sich dann alle Mühe, seinen Herrn wieder präsentabel zu machen.

Zum Mittagessen sind wir heute bei Ferzens eingeladen. Vater berichtet mir hinterher lachend, dass er wirklich jede Schleife der Rhuma bestaunen und an jeder Blume schnuppern musste.
„Sie haben mir mit soviel Eifer und Freude alles gezeigt, dass ich nun genau weiß, wie es hier bei euch immer war. Als wäre ich dabei gewesen."

Wir sitzen auf der alten Bank, die wieder vor dem Haus steht. Einen Moment schweigen wir.
„Deine Kinder sind wundervoll. Du bist wundervoll. Ich bin so glücklich, wie ich es nicht mehr seit der Hochzeit mit deiner Mutter war. Und übermorgen darf ich dich in die Hände des Mannes geben, der dich aufrichtig liebt und in jedem Atemzug über dein Leben wachen wird. Niemals hätte ich dich zu irgendwas gezwungen. Das habe ich selbst hinter mir. Aber dass du einen Menschen gefunden hast, der deinem Geist und Herzen so nah ist, das ist das größte Geschenk meines Alters."

Still drücke ich seine Hand.
„Und das Glück meines Lebens ist es zu wissen, dass ich nie eine Waise war, weil meine Mutter mich in Liebe groß gezogen und mein Vater auf mich gewartet hat. Als Kind habe ich immer gedacht, ich muss ein hässlicher oder kranker Säugling gewesen sein, weil meine Eltern mich nicht haben wollten. Und ich habe nie verstanden, warum Mutter geweint hat, wenn ich das gesagt habe. Heute weiß ich, dass es ihr unendlich weh getan hat, dass sie mir nicht sagen durfte, dass SIE meine Mutter ist."

Die Bauern sind heute alle seit früh auf den Feldern oder auf den Tennen mit der Ernte, dem Dreschen und vielem anderen beschäftigt. Sogar die beiden Gesellen vom Schmied sind mit eingespannt, denn alle wollen, dass die Arbeit vor Samstag fertig wird, damit alle fröhlich mitfeiern können.Erst gegen Abend kommt dann endlich der völlig verstaubte, müde, abgearbeitete Klaas durchs Dorf, um mich zu begrüßen.

„Klaas, wie schön, dass du kommst. Owei, du siehst so müde aus. Musst du morgen noch mehr arbeiten?"
Klaas nickt mit dem Kopf und verbeugt sich erstmal vor Vater.
„Herzlich willkommen im Dorf, Herr Graf. Anna so strahlen zu sehen, ist das größte Geschenk für uns alle hier."
Kurz geht er an die Regentonne an der Hausecke und wäscht sich Hände und Gesicht. Dann kommt er wieder zu uns, und ich rutsche gleich ein Stück zu Vater hin, damit Klaas neben mir Platz hat.
„Komm, setz dich, du bist müde."
Kurz schaut er Vater an, aber der nickt sofort.
„Setzt Euch. Wenn ich die Erzählungen von Anna und den Kindern richtig verstanden habe, seid Ihr Klaas Rand und einer der verschworenen Retter. Das ehrt Euch sehr."

Irritiert schauen wir beide ihn an.
„Was ist?"
„Warum ... sagt Ihr 'Ihr und Euch' zu mir, hoher Herr?"
Vater lächelt.
„Das ist einfach erklärt. Johann hat in Euren Schuhen gesteckt. Er ist einer von hier geworden. Aber ich bin ein Fremder. Und wenn es Euch schon bei Hannes so schwer fällt, 'du' zu sagen, werde ich Euch ganz bestimmt nicht dazu bringen. Also rede ich genauso respektvoll mit Euch wie Ihr mit mir."
Klaas fällt die Kinnlade runter. Vater schmunzelt.
„Na ... gut. ... Dann ... danke ich Euch für ... den Respekt, den Ihr mir entgegen bringt."
Klaas kann nur stottern bei seiner Antwort, und jetzt muss ich doch herzlich lachen.

Am späten Nachmittag kommen Jakob und Susanna von Cristoph und Evchen heim, und Linde führt das Peterle an der Hand. Jakob eilt auf Vater zu.
„Großvater, schau! Ich habe einen Frosch gefangen!"
Er hält seine geschlossenen Hände hin, und Vater lugt ganz vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch.
„Hm. Große Augen, klebrige Füße. Ich weiß nicht, was das für ein Frosch sein soll."
„Aber Großvater, das ist doch ein Springfrosch! Keiner ist so schwer zu fangen wie dieser. Er kann weiter springen, als Hannes groß ist!"

Linde ist mit Peter bei uns eingetroffen, und der kleine Mann klettert gleich auf meinen Schoß.
„Dann zeig mir Deinen Frosch doch mal richtig."
Gaaaaanz vorsichtig hebt Jakob seine obere Hand ein wenig an, so dass man die großen, glänzenden Augen und die gelblich-graue Haut des Frosches gut erkennen kann.
„Schau Großvater. Seine Haut ist so lustig gesprenkelt."

Dann passiert ganz viel auf einmal. Peter macht einen Hopser auf meinem Schoß und kräht ganz laut.
"Goßa-Papa!"
Mein Vater schaut ihn irritiert an, bis er begreift, dass er gemeint ist. Jakob erschrickt sich durch das plötzliche Krakehlen und stolpert rückwärts. Ein kleiner gelblich-grauer Frosch wittert seine Freiheit und hüpft im hohen Bogen ganz, ganz weit weg. Dabei springt er direkt an Lindes Nase vorbei, die daraufhin aufquietscht und ihrerseits einen Satz nach hinten macht.

Es dauert eine Weile, bis alle Arme und Beine sortiert, alle Schrecken überwunden, Jakobs Trauer vertrieben und unser anschließendes Gelächter abgeebbt ist. Dann nimmt Vater das Peterle von meinem Schoß, setzt ihn zu sich und schaut ihn an.
„Wie hast du mich grade genannt, kleiner Mann? Goßa-Papa?"
Peter hat keine Scheu mehr vor ihm. Und da er immer hört, wie die beiden anderen ihn „Großvater" nennen, er selbst das Wort aber natürlich noch lange nicht aussprechen kann, ist daraus wohl grade „Goßa-Papa" geworden. Also hopst er jetzt auf Vaters Schoß und kräht immer wieder.
„Goßa-Papa, Goßa-Papa, Goßa-Papa!"
Und Vater strahlt, als wäre es das allerschönste Geräusch der Welt.

Klaas hat die ganze Zeit daneben gesessen und uns zugeschaut.
„Es ist schön, dich so glücklich zu sehen, Anna. Es sollte wohl so sein, dass Hannes im November ausgerechnet zu deiner Tür hereingestolpert ist. Nur deshalb konntet ihr einander finden."
Vater strahlt ihn an. Klaas lächelt zurück und erhebt sich dann.
„Und ich glaube, ich gehe jetzt noch in meinen Stall, melken. Denn dann ruft meine Pritsche ganz laut nach mir. Morgen ist noch einmal ein langer Tag, und übermorgen wird gefeiert."
Damit steht er auf, winkt noch einmal den Kindern und schlendert die Dorfstraße entlang nach Hause.

Nach dem gemeinsamen Abendessen stecken wir die drei Kinder in mein Bett, schließen die Fensterläden und setzen uns wieder gemeinsam vors Haus.
„Anna, alle erzählen, dass du so wundervoll sticken kannst. Ich habe dich aber noch kein einziges Mal mit einer Nadel in der Hand gesehen. Ich würde deine Kunst auch gern bewundern."
„Wart einen Moment, Vater. Die Truhe steht bei den Kindern. Da muss ich leise sein."
Ich freue mich über Vaters Bitte. Es stimmt. Ich habe schon viel zu lange keine Nadel mehr in der Hand gehabt. Also schleiche ich in meine Kammer, öffne ganz leise den Kasten und versuche, im Dämmerlicht mein Nadeltuch und eine angefangene Arbeit zu erkennen. Ich greife mir irgendetwas und schleiche mich wieder hinaus.

Ich setze mich wieder neben Vater auf die Bank und wickele das kleine Bündel aus. Ein Schrecken fährt mir durch die Glieder.
„Owei, ich hätte fast vor lauter Hochzeit Jakobs Geburtstag vergessen!"
In der Hand halte ich eine genähte Tasche, die Jakob für seine Schreibtafel und Griffel benutzen kann. Und auf die Klappe dieser Tasche hatte ich angefangen, seinen Namen zu sticken.
„Wann ist denn sein Geburtstag?"
„Morgen!"
„Na, dann mal los, mein Mädchen!"

Zum Glück sind schon drei Buchstaben fertig und einer angefangen. Sofort stichele ich fleißig los, und Vater schaut mir aufmerksam auf die Hände.
„Vater? Könntest du für Jakob am Waldrand ein paar Blumen pflücken?"
Schmunzelnd steht Vater auf und reckt sich.
„Sehr gerne. Jakob wäre sonst enttäuscht. Er hat dir ja auch so wunderschöne Blumen zum Geburtstag gepflückt."
Und schon stiefelt er los. Es dauert eine ganze Weile und dämmert schon, bis er wiederkommt. In der Hand hält er einen wundervollen Strauß mit lauter verschiedenen weißen und gelben Blumen.

Vater holt sich einen Krug voll Wasser und ein scharfes Messer. Dann schneidet er alle Blumen an und steckt sie bunt durcheinander in den Krug. Ich hebe meinen Blick und betrachte sein fertiges Werk.
„Das sieht wunderschön aus. Und Jakob wird es lieben, dass es von dir kommt. Du hast ein gutes Auge dafür."
„Das, mein Kind, kommt daher, dass ich mich all die einsamen Jahre mit irgendetwas beschäftigen musste. Also habe ich eines Tages angefangen, meine Gärtner zu stören und mit Fragen zu durchlöchern."
Zufrieden betrachtet er sein Werk.

Inzwischen ist nicht mehr viel Licht da, und ich bin an den letzten Stichen von Jakobs „Schul"-Tasche. Vater sieht mich an.
„Aber, Mädchen! Was sitzt du da so mit krummem Rücken?"
„So habe ich immer da gesessen, wenn ich im Schein des kleinen Herdfeuers gestickt habe. Und so habe ich auch dagesessen, als Hannes durch meine Tür gestolpert ist."
„Na, da wird es aber wirklich Zeit, dass dieser Zustand ein Ende hat!"

Ich vernähe den letzten Faden und beiße ihn ab. Dann wickele ich die Tasche in ein sauberes Tuch und lege das Bündel zum Blumenstrauß auf unseren Esstisch drinnen.
„So. Nun kann es doch Geburtstag werden!"
Zufrieden sagen wir uns gute Nacht und gehen auch in unsere Betten.

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27.5.2020

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