16.

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Ihm wurde immer häufiger Hofgang gewährt und stets folgte auf die anfängliche Freude, an die frische Luft zu kommen, eine Panikattacke, wenn er in seine Zelle zurückkehren musste. Da erkannte er den Sinn hinter all dem, denn er war sicher, dass von Hohenstein genau darauf abzielte. Es war eine besonders grausame Art der Folter, Zuckerbrot und Peitsche, die ihn mehr und mehr zermürbte. Er aß kaum noch, weil seine Kehle wie zugeschnürt war, sodass er keinen Bissen hinunter bekam.

Sein einziger Lichtblick war Otto, der es gelegentlich so einrichten konnte, dass er ihn bewachte, sodass sie sich austauschen konnten, doch Iwans Freund hatte nichts weiter herausfinden können.

„All meine Spuren verlaufen sich im Sand", murmelte Nikolai zerknirscht.

„Von Hohenstein scheint alles andere als dumm zu sein, Herr Leutnant."

Ein Gedanke begann in ihm zu sprießen, der so verrückt war, dass er es kaum wagte, ihn laut auszusprechen, aber mit jedem Schritt, den er tat, wuchs er, sodass er bald keinen Platz mehr in seinem Gehirn fand und Nikolai ihn mitteilen musste.

„Wenn von Hohenstein das Lager so gut wie nie verlässt, muss er hier ein Quartier haben und ich bin sicher, dass sich da so einiges finden lässt."

„Was wollen Sie damit andeuten?"

Ottos Stimme klang beinahe ängstlich. Offenbar ahnte er, worauf Nikolai hinauswollte.

„Meinst du, du kannst dort eindringen?"

„Herr Leutnant...", begann der Soldat schockiert.

„Ja oder nein?"

„Selbst wenn das möglich wäre, das ist zu riskant."

Ein weiterer Gedanke keimte in ihm, der ihn regelrecht fesselte und sein Blut in Wallung brachte. Eine Erregung, die er lange nicht mehr verspürte hatte, ergriff von ihm Besitz und ließ ihn nicht mehr los.

„Und wenn ich es selbst tue?"

„Sie sind ein Gefangener, wie stellen Sie sich das vor?"

„Vielleicht könntest du mir eine deutsche Uniform besorgen."

„Man würde Sie auf den ersten Blick als Gefangenen erkennen, Herr Leutnant. Vor allem der Bart und das ungepflegte Haar würde Sie verraten. Rasieren können Sie sich nicht, denn das wiederum würde von Hohenstein auffallen und ihn alarmieren."

Bei längeren Sätzen wie diesen fiel es Nikolai manchmal noch schwer, Deutsch zu verstehen. Major von Hohenstein sprach ungewöhnlich langsam, sodass er bei ihm keine Probleme hatte, Otto hingegen tat das nicht. Wider Willen musste er Iwans Freund bitten, seine Aussage zu wiederholen. Erst dann begriff er und musste sich eingestehen, dass Otto recht hatte. Es war ein schlechter Einfall gewesen.

„Irgendetwas müssen wir doch tun können", stieß er frustriert hervor. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass es nicht möglich sein sollte, von Hohensteins Geheimnis zu lüften. Er wollte nicht wieder das wehrlose Opfer sein und vor allem wollte er nicht aufgeben, niemals.

Allein aus Prinzip nicht.

Eines Tages, als er dachte, er würde erneut zum Hofgang geführt werden, brachte ihm der Wachsoldat eine Waschschüssel, einen kleinen Spiegel und Rasierutensilien mit und warf sie achtlos auf die Pritsche.

„Rasiere und wasche dich, Major von Hohenstein will dich sehen."

Nikolais Blick huschte zwischen den Gegenständen und dem Soldat hin und her. Was sollte das heißen, der Major wollte ihn sehen? Würde er erneut verhört werden? Warum sollte er sich dafür rasieren? Das war ihm noch nie gewährt worden. Er beschloss, sein Glück nicht zu hinterfragen und machte sich mit übertriebener Hast daran, sich endlich von diesem störenden, demütigenden Bart zu befreien, wobei er Mühe hatte, seine Hände vor Aufregung ruhig zu halten, damit er sich nicht aus Versehen schnitt.

Mit jedem Büschel Haare, das von seinem Gesicht zu Boden fiel, kehrte mehr und mehr sein ehemaliger Stolz zurück. Als er schließlich fertig war, reckte er das Kinn empor und der altvertraute, entschlossene Zug legte sich um seine Lippen. Ergriffen strich er sich mit der Hand über seine zurückgewonnenen Konturen, die hohen, spitz zulaufenden Wangenknochen und die definierte Kieferpartie, für die er oft beneidet wurde. Gewiss, sein Gesicht war bleich und picklig, die Wangen hohl und dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, die auf der wächsernen Haut wie die eines Toten wirkten und sein aschfarbenes Haar war sogar noch eine Spur dünner geworden, dennoch strahlte er wieder eine gewisse Würde aus. Jetzt konnte er dem Major erstmalig auf Augenhöhe begegnen.

Von Hohenstein erwartete ihn vor dem Tor, durch das Nikolai erst vor wenigen Wochen seine Freiheit verloren hatte – jenes Tor, das ihn aus einer Hölle in die nächste geführt hatte.

Es war ein ruhiger Maimorgen, der im völligen Gegensatz zu seinem aufgewühlten Inneren stand. Der Innenhof und die Baracken lagen wie ausgestorben vor ihm, trostlose Klötze in einer trostlosen Welt, eingehüllt in die trotz der frühen Stunde wärmenden, goldenen Strahlen der Sonne, um den Schein, die Illusion zu wahren.

Nikolai straffte die Schultern, versuchte, alles, was er an Stolz und Würde aufbringen konnte, in sein Auftreten zu legen, um seine Unsicherheit und die ewige, nagende Angst zu verbergen, die ihn nie losließ.

Zwei Soldaten flankierten den Major, stumme, reglose, zu Säulen erstarrte Wächter, die Gewehre mit sich führten, als fürchteten sie, Nikolais bloße Anwesenheit könnte ihren Vorgesetzten in Gefahr bringen. Wie absurd.

Von Hohenstein selbst nickte ihm knapp zu.

„Guten Morgen, Leutnant. Ihr Aussehen erinnert wieder an das eines Menschen, sehr erfreulich. Dann kann ich Sie auf einen kleinen Spaziergang mitnehmen."

Nikolai war sich darüber bewusst, dass er den Major anstarrte, als hätte er endgültig den Verstand verloren. Er wollte ihn auf einen Spaziergang mitnehmen? Die Vorstellung war so absurd, dass er beinahe gelacht hätte. Stattdessen musste er an die letzten Worte seines Widersachers denken. Er hatte damit gedroht, dass er die Geduld verlieren würde, wenn er ihm beim nächsten Mal keine Antworten auf seine Fragen lieferte. Jetzt, in genau diesem Moment, war dieses nächste Mal gekommen. Nikolai schluckte mühsam.

„W...W...W..."

Warum, hatte er fragen wollen, aber zu seinem eigenen Schrecken musste er feststellen, dass das Stottern in von Hohensteins Gegenwart wohl doch nicht nachgelassen hatte. Er kniff die Lippen zusammen, als er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss und sich in seinen Ohren staute, bis sie heiß wurden. Nikolai bemühte sich um eine ruhige Atmung und blieb aufrecht stehen, obwohl es sich anfühlte, als würde er jeden Moment zusammensacken. Wut und Frustration überkamen ihn. Er hatte ihm auf Augenhöhe begegnen wollen, das Blatt zu seinem Gunsten wenden, aber nein, er musste ja schon am ersten Wort scheitern! Er zwang sich zu kühler Logik, musste nachzudenken, schlussfolgern.

Was hatte der Major damit gemeint, er würde die Geduld verlieren? Würde er ihn töten? Oder foltern? Oder zuerst foltern und dann töten? Warum tat er das nicht im Lager? Weshalb wollte er dafür einen Spaziergang mit ihm unternehmen?

„Das werden Sie noch früh genug erfahren", antwortete von Hohenstein, als hätte Nikolai eine normale Frage gestellt. Er konnte nicht behaupten, dass ihn diese kryptische Erwiderung beruhigte, im Gegenteil. Wie so oft versuchte er, in den Augen des Majors zu lesen, ihn zu durchschauen und wie immer scheiterte er daran. Von Hohenstein drehte sich um.

„Folgen Sie mir."

Zögerlich setzte sich Nikolai in Bewegung, die beiden Männer, die ihn hergebracht hatten, dicht hinter ihm. Sie traten durch das Tor auf eine Straße, den ein hölzerner Wegpfeiler als Ditfurter Weg auszeichnete, wo gerade ein Arbeitstrupp dabei half, die Straße zu befestigen. Nikolai, von Hohenstein und die vier Soldaten der Eskorte folgten dem Weg nach Westen, wo er nach Quedlinburg führte. Kaum hatten sie die Anlage verlassen, blieb von Hohenstein stehen und wandte sich an die Eskorte.

„Es ist nicht vonnöten, dass Sie uns flankieren. Es reicht, wenn Sie ein paar Meter hinter uns gehen."

Ein rundlicher Mann mit einer ebenso rundlichen Brille in seinem noch rundlicheren Gesicht trat vor und schlug demütig die Augen nieder.

„Verzeihen Sie meine Widerworte, Herr Major, aber der Lagerkommandant hat angeordnet, dass ..."

Von Hohenstein fiel ihm ins Wort. „Mir sind die Anweisungen des Kommandanten bekannt, Soldat. Sie können sich daran halten und meinen Unmut auf sich ziehen oder Sie befolgen meinen Befehl und ziehen stattdessen jenen des Kommandanten auf sich. Ihre Entscheidung."

Major von Hohenstein war wohl der einzige Mensch auf dieser Welt, der solch ruhige, beherrscht gesprochenen Worte wie eine Drohung klingen lassen konnte. Nikolai kam nicht umhin, ihm ob dieses Talents zu beneiden. Besäße er doch dieselbe natürliche Autorität, ohne übertrieben arrogant auftreten zu müssen. Gespannt beobachtete er den Soldaten, der lediglich einen Wimpernschlag lang zögerte, bevor er zurücktrat und seine Männer anwies, Abstand zu halten. Unglaublich.

In einer eleganten und gleichzeitig einladenden Geste bedeutete von Hohenstein Nikolai, an seine Seite zu kommen.

„Trauen Sie sich, Leutnant, ich beiße nur manchmal."

Lieber wäre er so weit wie möglich weggerannt, doch er hatte keine Wahl. Nebeneinander schritten sie den Weg entlang, der zu beiden Seiten von Apfel- und Zwetschgenbäumen gesäumt wurde. Nikolai achtete darauf, in der Mitte zu gehen, wo die Sonne den Boden erreichte. Er brauchte Licht! Nie wieder wollte er von Dunkelheit umgeben sein, wie sie in seiner Zelle vorherrschte. Von Hohenstein dagegen lief die ganze Zeit im Schatten. Ein Zufall?

Verstohlen betrachtete Nikolai ihn aus dem Augenwinkel. In der rechten Hand führte er den Spazierstock mit sich, während die linke galant auf seinem Rücken lag. Sein Gang war eine Mischung aus Schreiten und Marschieren, eigentlich ein Widerspruch, aber anders konnte man es nicht ausdrücken. Ihm war der zügige, selbstbewusste Schritt eines Soldaten zu eigen, gleichzeitig jedoch wirkte er so edel dabei, dass es alles andere als schroff oder gar plump zu nennen war.

Sie liefen eine ganze Weile. Die Sonne kletterte immer höher an dem strahlend blauen Himmel entlang, der sich über eine Landschaft spannte, die aus Wiesen, Feldern und Äckern bestand. Sie kamen an Bauern und Kriegsgefangenen vorbei, die bereits seit einigen Stunden schufteten und schwitzten. Auch Nikolai konnte allmählich eine Pause vertragen. Spaziergang war eine maßlose Untertreibung gewesen, es handelte sich eher um eine Wanderung und er war in keiner guten Verfassung. Das lange Ausharren in der Zelle, seine Anfälle, der Nahrungsmangel ... all das hatte ihn schwach und kraftlos gemacht. Wieder einmal wandte sich sein Körper gegen ihn, verriet ihn zum hundertsten Male, wo er doch einst sein bester Freund gewesen war.

Schließlich erreichten sie eine wildgewachsene Wiese, die nicht so aussah, als würde sie jemand bewirtschaften und bogen auf einen Pfad ein, der, von Bäumen flankiert, aufwärts führte.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich zu einem Wald vervollständigten. Ein Wald! Er hatte nicht geglaubt, dass er je wieder einen zu Gesicht bekommen würde. Seine Augen saugten alles in sich auf, die Farne, die sich im leuchtenden Grün aus der feuchten Erde erhoben, die Pilze, die sich um riesige, massive Baumwurzeln gruppierten, der kleine Bach, der nach unten rauschte und kühle Wassertropfen auf sein verschwitztes Gesicht sprühte. Staunend berührte er die jungen Blätter, die weich über seine Haut strichen, die piksenden Nadeln der Fichten und die knorrigen Baumrinden. Es schien, als würde seine Seele mit jeder Berührung ein kleines Stück heilen.

Mit einem Mal traten ihm Tränen in die Augen und er blinzelte sie hastig weg, peinlich berührt. Nicht auszudenken, wenn das jemand gesehen hätte. Trotz seiner Erschöpfung und der Ungewissheit, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgte, ging er schneller. Er wollte noch mehr sehen, noch mehr spüren, noch mehr riechen und hören. Nach all der Zeit in der Zelle konnte er nicht genug davon bekommen.

Fast wurde er ärgerlich, als er stehenbleiben musste, weil der Major es tat. Scheinbar interessiert betrachtete von Hohenstein den Baum, der vor ihm stand. Er spielte seine Rolle gut. Seine Augen suchten die Buche ab, als wäre er ein echter Kenner, der hier ein besonderes Exemplar vor sich hatte. Nur Nikolai fiel das leichte Zittern seiner Hände auf, seine Haut, die nicht mehr einfach blass war, sondern einen grünlichen Schimmer angenommen hatte, sein Atem, der ebenso mühsam ging wie sein eigener, obwohl von Hohenstein nicht eingesperrt gewesen war und es ihm sicher nicht an Verpflegung mangelte.

Nach kurzer Zeit setzte er sich wieder in Bewegung, als wäre nichts gewesen. 

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