2.

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„Werte Herren, ich frage Sie, haben Sie denn alle nichts aus der Niederlage vom Naratsch-See gelernt? Wir besitzen zu wenig Reserven für eine solche Offensive!"

„General Kuropatkin spricht wahre Worte! Außerdem verfügen wir über zu wenig schwere Artillerie!"

„Sie sind ein Schwachkopf! Es kann gelingen, auch ohne zusätzliche Reserven, Seine Exzellenz, General Brussilow, hat vollkommen recht!"

„Haben Sie mich gerade einen Schwachkopf genannt, Oberst? Dann kommen Sie her und ich zeige Ihnen, was für ein Schwachkopf ich bin! Niemand beleidigt mich in meiner Ehre als Edelmann!"

Worte, so viele Worte ohne Inhalt. Ein ewiges, sinnloses Gestreite, laut und tosend, aber leer und wenig zielführend, wie eine stürmische See, in der es keine Lebewesen gab. Durch die meterhohen Wellen, die brausend gegen Felsen krachten, versuchte sie, zu verbergen, dass in ihrem Inneren eintöniges Nichts herrschte. 

Nikolais Kopf schmerzte. Seine Sinnesorgane scheiterten daran, die Gespräche in irgendeiner Weise filtern zu können. Es war so viel, so verwirrend. Was hatte er sich nur dabei gedacht, unbedingt an dieser Lagebesprechung teilnehmen zu wollen? Es war vorhersehbar gewesen, dass sich die anwesenden Offiziere nur zanken und sich gegenseitig anschreien würden. Es ging nicht darum, eine gemeinsame Lösung zu finden, geschlossen gegen den Feind vorzugehen, nein, es ging lediglich darum, sich gegenseitig zu übertrumpfen, seine eigenen Pläne mit aller Macht durchsetzen zu wollen und seine Konkurrenten auszustechen. Es war wie beim Ballett. Es gab kein Miteinander, nur ein Gegeneinander.

Der würzige Geruch von Tabak hing in der stickigen Luft und der Rauch zog in Schwaden durch den Raum, der nichts militärisch Schlichtes an sich hatte. Nikolai saß in einem Sessel, der so weich war, dass er sich im Paradies wähnte. Staunend befühlten seine Hände den Seidenstoff der Polster, die mit goldenen Fäden durchwirkt waren. Es war so lange her, dass er derart bequem gesessen hatte, dass er beinahe vergessen hätte, wie sich das anfühlte. Gleichzeitig kam er sich vor wie ein Verräter. Während seine Männer wie Tiere im Dreck hockten, froren und hungerten, hatte er es weich, gemütlich und warm. Er kam nicht umhin, sich zu schämen.

Die anwesenden Offiziere hatten sich um einen riesigen Mahagonitisch versammelt, der beinahe das gesamte Zimmer einnahm und in einem satten Rot-Braun glänzte. Nikolais Augen klebten regelrecht daran fest. Wann hatte er zuletzt etwas Sauberes und Glänzendes gesehen? In der Mitte des Tisches befand sich ein überdimensionierter Lageplan, der die Positionen und Truppenbewegungen der deutschen, österreich-ungarischen und russischen Armeen zeigte. Wobei, eigentlich war die Karte nicht exakt in der Mitte ausgerollt worden. Von der linken Längsseite des Tisches war sie ein paar Zentimeter weiter entfernt als von der rechten und sie war nicht genau parallel zur Kante ausgerichtet. Er starrte schon die ganze Zeit darauf, bis er es nicht mehr aushielt, sich vorlehnte und sie zurecht zog. Hier musste sie noch ein Stück weiter nach rechts, dort ein paar Millimeter nach oben ...

Perfekt. So war es viel besser. Zufrieden ließ er sich wieder in seinen Sessel sinken. Als er aufsah, erntete er die verdutzte Blicke jener Offiziere, die nicht in den Streit verwickelt waren. Er ignorierte sie. Irgendeiner musste in dem ganzen Chaos schließlich für Ordnung sorgen. General Alexei Alexejewitsch Brussilow kam offenbar zu dem gleichen Schluss. Der hochgewachsene, schlanke Mann mit seinem dichten, ergrauten Haar und dem buschigen weißen Schnauzbart schaffte es wie durch ein Wunder, über das Geschrei der Streithähne derart donnernd hinwegzubrüllen, dass ein jeder, einschließlich Nikolai, erschrocken zusammenzuckte.

„Ruhe!"

Sofort kehrte Stille ein. Das Brausen des Sturms ließ nach, brach so abrupt ab, dass sich die plötzliche Ruhe anfühlte wie die lang ersehnte, zarte Berührung einer Frau. Nikolai atmete erleichtert auf. Endlich. Man konnte sogar wieder das aufgeregte Zwitschern des sonnengelben Kanarienvogels hören, dessen mit Blattgold überzogener Käfig in einer Ecke des Raumes stand. Armer kleiner Kerl, dachte Nikolai voller Mitgefühl.

Brussilow hatte sich von seinem Platz erhoben und stand erhaben wie ein König am Kopfende des Tisches. Seine dunklen Augen durchbohrten die Offiziere und ließen sie klein und unbedeutend wirken. Nikolai fiel der Rubinring an seiner linken Hand auf, der im Schein der Lampen tausendfaches Licht versprühte.

„Meine Herren", setzte der General mit tragender Stimme an. „Sie pochen unentwegt auf Ihrer Ehre als Edelmänner, also benehmen Sie sich auch so. Wir sind hier nicht in einer Kneipe."

Die Schuldigen senkten betroffen die Köpfe. Brussilow ließ seinen Blick durch die Runde schweifen.

„Sie fragen sich vermutlich, weshalb ich mir Ihre Auseinandersetzungen so lange angehört habe."

Allerdings, stimmte Nikolai in Gedanken zu.

„Nun, ich wollte, dass Ihnen am eigenen Beispiel die mangelnde Disziplin in der Armee vor Augen geführt wird. Wenn wir etwas an unseren unzähligen Niederlagen ändern wollen, müssen wir zuerst unsere inneren Strukturen kritisch hinterfragen."

Der General wies auf einen Oberst, dessen Uniform so vor Orden und unnötigem Zierwerk strotzte, dass Nikolai sich fragte, wie er sich damit bewegen konnte. Es war jener Mann, der aufgrund der Verwendung des Wortes „Schwachkopf" beinahe ein Duell riskiert hätte.

„Oberst Smirnow, es kann nicht sein, dass Sie seit Wochen immer wieder eine Ausrede erfinden, Ihr Regiment nicht zu Oberst Iwanow nach Süden verlegen zu lassen, nur weil Sie eine persönliche Abneigung gegen ihn hegen. Ich werde diese infantilen Verhaltensweisen in Zukunft nicht mehr tolerieren. Künftig werden sich Befehlsverweigerer vor dem Kriegsgericht verantworten müssen. Das gilt für Sie alle."

„Jawohl, Exzellenz, ich bitte um Entschuldigung", murmelte der Gemaßregelte.

Der General nickte zufrieden. „Kehren wir nun zu dem eigentlichen Grund unseres Treffens zurück. Die Moral der Truppen ist schlecht wie nie und unsere Niederlagen beschämend. Eine große und vor allem erfolgreiche Offensive unsererseits könnte dem entgegenwirken."

„Mit Verlaub, Exzellenz, aber sind Sie wirklich davon überzeugt, dass uns ein Angriff auf einer mehreren hundert Kilometer breiten Front gelingen kann?", gab ein Hauptmann zu bedenken.

General Brussilow lächelte. Trotz seiner unverkennbaren Autorität haftete ihm etwas Warmes, fast Sympathisches an. Seine Augen blitzten aufgeweckt und scharfsinnig, sodass er trotz seines grauen Haares und der Fältchen in seinem Gesicht jünger wirkte als er wahrscheinlich war. 

„Deshalb werden wir Scheinangriffe durchführen, Hauptmann. Der Feind wird dadurch Probleme bekommen, seine Reserven gezielt einzusetzen. Zusätzlich werden wir uns so nah wie möglich an die gegnerischen Stellungen herangraben. Unsere eigene Reserve stellen wir direkt an der Front auf, das erspart uns Zeit."

„Aber Exzellenz!", rief ein älterer Oberstleutnant aus. „Bisher ist noch keiner auf diese Weise verfahren."

„Eben deshalb. Die alte Taktik war zu mühsam und zeitraubend. Es muss sich etwas ändern, wenn wir den Kriegsverlauf zu unseren Gunsten wenden wollen. Unsere alten Strategien sind unser Hauptproblem, davon bin ich überzeugt."

Endlich einmal ein Befehlshaber mit Verstand, schoss es Nikolai durch den Kopf. Im Gegensatz zu den meisten anderen Stabsoffizieren war er Berufssoldat und hatte Ahnung von dem, was er tat. Gerade die hohen Offiziersränge waren ausschließlich von Adeligen besetzt, meist allein deshalb. Größtenteils war das auch in den niederen Offiziersrängen der Fall - Nikolai stellte keine Ausnahme dar - wobei dort für Nichtadelige zumindest der Hauch einer Chance bestand, aufzusteigen. 

Apropos aufsteigen. Nikolai wartete schon die ganze Zeit vergeblich darauf, das Wort ergreifen zu können. Er strebte schon lange eine Beförderung an und er musste die Gunst der Stunde nutzen, sich mit klugen Vorschlägen in das Bewusstsein der höchsten Offiziere zu drängen. Es war wichtig, dass er wahrgenommen wurde. Er frage sich allerdings, wie das gelingen sollte, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte. Er wünschte, er würde sich besser auskennen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auch die weitere Planung der Offensive, die Anfang Juni in den Gegenden Galizien, Bukowina und Wolhynien beginnen sollte, stumm zu verfolgen.

Nach kurzer Zeit wurden die Gespräche wieder hitziger. Zwar liefen sie deutlich gesitteter ab als zuvor, aber die Lautstärke schwoll erneut an. Nikolai kam sich vor wie in einem wimmelnden Bienennest, in dem jeder seinen Stachel ausfuhr. Am liebsten hätte er sich die Hände auf die Ohren gepresst. Unruhig trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, während sein Puls dumpf gegen seinen Brustkorb hämmerte. Er begann zu schwitzen. Gab es auf dieser Welt denn keinen einzigen ruhigen Ort mehr?

 Nervös huschten seine Augen von einem Offizier zum anderen. Er nahm jede winzige Veränderung in der Tonlage wahr und hörte sie in tausendfacher Verstärkung. In seinen Ohren summte es unangenehm. Allmählich setzte ein Brodeln in ihm ein, das sich zusammen mit seiner Wut darüber, dass er seine Karriere hier nicht voranbringen konnte, zu einer explosiven Mischung vermengte, die nurmehr einen kleinen Funken benötigte, um in die Luft zu gehen. Dieser Funken erglomm bald.

Ein Leutnant, etwa in Nikolais Alter, verrückte die Militärkarte, sodass sie nicht mehr haargenau in der Mitte war. Das konnte nicht wahr sein, er hatte der Zerstörung an der Front für wenige Stunden entfliehen wollen, stattdessen sah er sich erneut damit konfrontiert. Vollkommen außer sich schoss Nikolai aus seinem Sessel und brüllte: „Was fällt Ihnen ein, Leutnant? Ich habe die Position der Karte eben erst korrigiert und Sie bringen alles durcheinander!"

Zum zweiten Mal an diesem Abend rissen die Konversationen schlagartig ab. Die komplette Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn und der Leutnant starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Sein Mund stand offen und er setzte mehrmals zum Sprechen an, schien aber nicht zu wissen, was er sagen sollte.

„Bitte, was?", brachte er nach einer gefühlten Ewigkeit hervor. Er klang völlig perplex.

Die Blicke, die auf Nikolai gerichtet waren, brannten sich schmerzhaft in seine Haut ein. Sein Gesicht begann zu glühen und er biss sich auf die Zunge, um sich daran zu hindern, noch einmal etwas Unüberlegtes von sich zu geben. Es war ihm schon wieder passiert. Er hatte die Beherrschung verloren, weil irgendetwas nicht seinem Sinn für Ordnung entsprach – mit der Ausnahme, dass es an diesem Tag in der Gegenwart seines höchsten Vorgesetzten geschehen war, nicht in der seiner Männer. Nikolai wagte es nicht, General Brussilow anzusehen. Obwohl er am liebsten im Erdboden versunken wäre, zwang er sich, aufrecht und stolz zu stehen. Mit aller Würde, die er aufbringen konnte, rang er sich ein „Verzeihung" ab und nahm Platz.

„Wie ist Ihr Name, Leutnant?"

Die Frage stammte von Brussilow. Nikolai versteifte sich. Das war es. Eine Beförderung konnte er nach diesem Zwischenfall vergessen.

„Nikolai Fjodorowitsch Orlow, Exzellenz."

Er legte eine übertriebene Portion Respekt in seine Stimme, in der Hoffnung, das retten zu können, was noch zu retten war. Wie hatte er so dumm sein können?

„Nun, Nikolai Fjodorowitsch, der Wein muss Ihnen zu Kopf gestiegen sein. Sie sollten weniger davon trinken."

„Jawohl, Exzellenz."

Nikolai hatte keinen Wein getrunken.

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