Kapitel 2.1 - Andere Schwärme, andere Sitten

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10. Jir'Lore, 2145 n.n.O.


Prasselnd ging der Regen nieder und ich blickte sehnsüchtig zur Wasseroberfläche hinauf, die von unzähligen kleinen Wellen in Bewegung gehalten wurde. Trotz des düsteren Wetters war sie fast leuchtend im Vergleich zu der schlammigen Trübe hier am Flussgrund. Kurz fragte ich mich, wie es wohl wäre, würde ich jetzt am Flussufer stehen? Sicher wäre ich nass vom Regen und würde im Wind frieren.

Ich vermisste den Wind in meinen Haaren.

Ich vermisste Sonne auf meiner Haut... Gras unter meinen Füßen... Ich vermisste alles.

Einen Moment lang spürte ich, wie sich wieder einmal Tränen in meinen Augen sammelten und augenblicklich vom Flusswasser fortgespült wurden. Resigniert wandte ich mich ab. Seit wir vor gut sieben Tagen unsere Abmachung getroffen hatten, hatte ich nicht mehr versucht, zu entkommen. Zac wiederum stand zu seinem Wort und ließ mich selbst schwimmen, auch wenn mich das alle Kraft kostete, die ich hatte. Immerhin fiel ich so bei jeder Pause fast augenblicklich in einen erschöpften Schlaf. Von einem permanenten Ganzkörper-Muskelkater, ganz zu schweigen. Aber alles war besser, als diese immerwährende Gedankenverbindung. Wieder sammelte ich Motivation, um mit meinen trägen, froschartigen Schwimmbewegungen weiterzumachen, während ich einmal mehr meine Kleidung verfluchte. Mein Rock, meine Bluse, selbst meine Unterwäsche – es war alles nichts weiter als ein Spielball der Strömung. Sie wurde mal hierhin, mal dorthin getrieben, riss mich mit sich, blockierte meine Bewegungen oder zog nich schwer auf den Grund des Flusses.

Aber ich konnte auch schlecht nackt schwimmen. Es war schon schlimm genug, dass Zac zwei große Löcher in meine Bluse gerissen hatte, direkt auf Lungenhöhe, auf der meine neuen Kiemen saßen, damit ich genug Luft bekam. Das war nur wenige Sekunden gewesen, nachdem er mich ins Wasser getragen hatte. In meiner Panik und dem Gefühl einen Erstickungstod zu sterben, hatte ich es gar nicht mitbekommen.

Mit einem Mal geriet das Wasser um mich herum in Bewegung und einen Augenblick später schwebte Zacs nackte Brust direkt vor meinem Gesicht, sodass meine Augen sich wie hypnotisiert an der Kette mit dem Haifischanhänger um seinen Hals festkrallten – das einzige, was er neben einer Art breitem Gürtel mit einem Messer und einem kleinen Netz für Kleinkram noch trug. Hastig sah ich woanders hin und brachte durch ein paar weitere, ungeschickte Schwimmbewegungen wieder mehr Abstand zwischen uns.

Doch er ignorierte es. Stattdessen schien er zu lauschen, als würde er nach Fischen suchen. Ob er Hunger hatte? Intuitiv wurde ich ruhiger und machte Anstalten, mich wie üblich zum Flussgrund sinken zu lassen, als seine schwimmhautbenetzten Finger mein Handgelenk packten.

Ich zuckte zusammen. Doch sein Griff war unerbittlich und schon spürte ich ihn abermals in meinen Gedanken. Wieder kratzte ein hysterisches Schreien in meiner Kehle, das ich gekonnt unterdrückte – mittlerweile hatte ich Übung darin. Die Verzweiflung blieb trotzdem. Zu wissen, dass ich nicht einmal in meinen Gedanken frei und unbeobachtet war, gab mir wieder ein Gefühl völliger Hilflosigkeit. Krampfhaft biss ich die Zähne zusammen und versuchte erfolglos nichts zu denken.

>>Ruhig jetzt<<, hörte ich Zacs angespannte Stimme in meinem Kopf.

Kurz verstummten sogar meine unartikulierten Protestgedanken. Auf der anderen Seite war es ja bitte nicht meine Schuld, wenn er meine Gedanken las und sich dadurch gestört fühlte. Daraufhin wandte er sein ausdrucksloses Gesicht zu mir und ich konnte nicht anders als ängstlich auf seine grau-blauen Augenflächen zu starren. >>Da kommt jemand.<<

Suchend blickte ich mich um, doch außer trübem Wasser, sich sanft wiegendem Seegras und ein paar umher huschenden Fischchen konnte ich nichts erkennen. >>Bist du sicher?<<

Auf diese Frage schwabbte eine Welle von undefinierbaren Gefühlen zu mir herüber, die man am Besten als „Pffft" beschreiben könnte. >>Ich rede mit ihm, also: Ja, ich bin sicher. Nebenbei: Willst du zuhören? Er fragt gerade nach dir.<<

>>Kann er dann auch meine Gedanken lesen?<< Ich wusste noch nicht einmal aus welcher Richtung dieser ominöse Fremde kam. Zac deutete mit einem knappen Kopfnicken nach rechts. Innerlich seufzte ich. Ob es überhaupt noch etwas gab, das er nicht wusste?

Halt.

Stopp.

Aus.

Nein.

Pfui.

Darüber würde ich jetzt ganz sicher nicht grübeln, sonst gäbe es tatsächlich nichts mehr. Ich zwang mich mit aller Kraft, wieder an das hier und jetzt zu denken oder alternativ Kinderlieder in meinem Kopf zu singen.

Von Zacs Seite spürte ich etwas wie neugieriges Bedauern, ehe er endlich auf meine Frage einging: >>Nein – es ist anders. Er wird nur hören, was du an ihn richten willst.<<

Jetzt erst sah ich in der Ferne so etwas wie eine Bewegung, eher wie ein Flimmern im Wasser. Eigentlich wollte ich nichts riskieren, aber es wäre schön, endlich einmal jemand anderen zu hören. Also nickte ich.

Einen Moment später war eine freundliche, neutrale, fremde Stimme in meinem Kopf. >>Willkommen, Senga von der Krallen-Mündung.<<

>>Äh – Hallo<<, antwortete ich unsicher und ich spürte wie Zacs Griff an meinem Handgelenk etwas fester, mahnender wurde, als er kurz erklärte: >>Die Krallen-Mündung ist mein – unser – Schwarmgebiet<<

Es klang wie ein angespanntes Zischen und in mir regte sich wieder die alte Wut. Niemals würde ich das als mein Zuhause anerkennen! Aber ehe ich noch etwas in dieser Richtung sagen konnte, wandte sich Zac schon wieder an den anderen Flussmensch. >>Danke, Els von den Lore-Flüssen. Ich bitte dich und die deinen um eure Gastfreundschaft und einige Tauschgeschäfte.<<

Ich blinzelte. Der Lore! Dunkel erinnerte ich mich an die Landkarten in unserem Wohnzimmer. Der Lore war der größte Fluss Ceothras – kein Wunder also, dass man ihn nach einem der großen fünf Götter benannt hatte. Immerhin hatte ich nun eine Grobe Vorstellung, wo ich war. Auch wenn es mir nichts nützte, fühlte es sich doch besser an. Jetzt waren die Bewegungen in der Ferne auch endlich nah genug, damit ich Els deutlicher sah. Überrascht stellte ich fest, dass er anders aussah als Zac. Irgendwie hässlicher.

>>Oh, danke<<, flüsterte Zacs Stimme in meinem Kopf.

Noch hässlicher! Zacs Lachen glitt wie ein Kitzeln durch meinen Kopf. Ich ignorierte das geflissentlich und musterte stattdessen Els. Dessen ganze Erscheinung war kleiner und gedrungener, irgendwie fett, was durch seine schmutzige, matt grau-braune Färbung nicht verbessert wurde. Damit konnte er sich bestimmt perfekt im Schlammgrund des Bodens verstecken. Auch seine Flossen schienen weit weniger ausgeprägt, als die von Zac, waren sie doch kleiner, fast stummelig und lagen viel dichter an seinem Körper an.

Schließlich nickte Els von den Lore-Flüssen und unterbrach so meine unfreundlichen Gedanken über ihn – blieb zu hoffen, dass er sie wirklich nicht hörte. >>Es sei dir und deiner Braut gewährt. Mein Schwarm heißt euch willkommen.<<

Zac legte mit unbewegtem Gesicht eine Hand auf die Brust und beugte sich respektvoll vor, während seine andere Hand noch immer mein Handgelenk fest im Griff hielt. >>Mach das nach!<<

>>Was?<< Ich blinzelte ihn verständnislos an.

>>Tu es!<< Sein Befehl war so scharf, dass ich seine Geste tatsächlich unbeholfen imitierte. Ich hasste mich dafür noch bevor ich mich wieder aufgerichtet hatte.

Els schien von unserer Unterhaltung nichts mitzubekommen, zumindest wandte er sich wortlos ab, um voraus zu schwimmen. Sofort packten Zacs starke Hände mich wieder an der Hüfte, um mich mitzuziehen und Els zu folgen. Frustriert und ängstlich wand ich mich in seinen Armen. >>Ich dachte, das hätten wir hinter uns!<<

Es dauerte lange, ehe Zac sich zu einer verbissenen Antwort durchrang: >>Ich will und werde mich nicht blamieren und hinter ihm zurückbleiben. Das habe ich nicht nötig.<<

>>Aha.<< Ich zog die Augenbrauen hoch. Das klappte trotz Strömung ganz gut, auch wenn es niemand sah. >>Seit wann bist du denn so angespannt? Mit meiner Entführung hattest du keine Probleme, aber so ein Flussmensch macht dir Angst?<<

Schließlich seufzte Zac in meinen Gedanken. >>Es ist ein fremder Schwarm.<<

Er sagte es so knapp, als wäre allein die Tatsache, dass es noch andere Schwärme gab, eine persönliche Beleidigung für ihn. Dunkel erinnerte ich mich wieder an Trells Erzählung über Flussmenschen. Hatte er damals nicht gesagt, sie würden sich alle gegenseitig bekriegen? Waren wir jetzt in Gefahr? Und wie groß war eigentlich der Unterschied zwischen zwei Schwärmen? Gab es da verschiedene Kulturen? Hatten Flussmenschen abseits vom Menschen und Fische jagen überhaupt eine Kultur?

>>Du bist ganz schön rassistisch, weißt du das?<<, unterbrach der Flussmensch in meiner Gegenwart meine Gedanken nun wieder leicht amüsiert. >>Es geht mehr darum, einem fremden Schwarm keine Schwäche zu zeigen. Denn deine Schwäche, ist die Schwäche deiner Familie.<<

Wieder einmal ärgerte ich mich darüber, dass er meinen Gedanken nicht fernblieb. Nur mit Mühe ignorierte ich die aufsteigende Wut und versuchte mich stattdessen mit praktischeren Überlegungen abzulenken. >>Warum war das Gespräch mit Els eigentlich so anders? Warum musste ich ihn nicht berühren?<<

>>Ich vergesse immer, wie wenig du weißt.<< Ich spürte ehrliche Überraschung durch meinen Kopf geistern. Na danke, konnte er nicht wenigstens meine Fragen beantworten, wenn er mich schon verschleppte?

>>Nicht so ungeduldig. Ich weiß nur nicht genau, wo ich anfangen soll. Am besten am Anfang. Also: Wie du weißt, kommunizieren wir durch eine Gedankenverbindung, die bei Berührung aufgebaut wird. Das kannst du übrigens noch nicht.<<

>>Ach nein?<<

>>Nein. Du kannst nur mit mir auf diese Weise reden, weil ich dir den Wasserkuss gegeben hab. Andere Flussmenschen kannst du nicht bei Berührung hören.<<

>>Und warum hab ich dann mit Els reden können?<<

>>Weil ich deine Worte an ihn weitergeleitet habe. Nur deine Worte, nicht deine Gedanken. Deshalb konnten wir zwischendurch auch reden, ohne, dass er das hörte.<<

Ich nickte verstehend. Dann lernte ich zwar einen Schwarm kennen, würde aber mit niemandem reden können. Und ich hatte schon auf bessere Gesellschaft gehofft.

>>Da musst du dich noch gedulden, bis wir daheim sind. Mit der Schwarmeinführung kannst du dich dann mit allen normal unterhalten.<<

Ich verdrängte die aufkeimende Hysterie, die diese Worte bei mir auslösten. Ich wollte nicht Teil seines Schwarms werden. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte einfach nur nach Hause. Rasch konzentrierte ich mich wieder auf Zac, um nicht darüber nachdenken zu müssen. >>Aber du hast Els trotzdem nicht angefasst?<<

>>Ja. Das war Rufen. Das ist wie lautes Denken und wird von allen Flussmenschen in einem gewissen Umkreis gehört. Das erleichtert den Informationsaustausch auf Distanz. Es ist unpersönlicher, aber höflicher, wenn man mit Schwarmfremden zu tun hat<<

Wie aufs Stichwort wurde Els vor uns langsamer. Auch Zac drosselte das Tempo, das er mühelos hatte halten können. >>Wir sind da. Der Herzplatz.<<

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