Kapitel 5.2 - Guten Morgen liebe Sorgen

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22. Jir'Lore, 2145 n.n.O

>>Ey warte! Das war unfair!<<

Das laute Rufen der Quappen riss mich schlagartig aus dem Schlaf. Ich war wohl doch wieder eingenickt. Zehnmal müder, als vor dem Einschlafen streckte ich meine verkrampften Beine und fühlte mich wie gerädert, während ich träge die nervenaufreibend lauten Unterhaltungen vor meinem Zimmer mit verfolgte.

>>Gar nicht unfair, du bist einfach nur langsam!<<

>>Du hast betrogen, wie es nur Haie tun!<<

>>Nimm das zurück!<<

Es war nicht das erste Mal, dass ich die Beleidigung „Hai" hörte und jedes Mal war die Reaktion reine Empörung gewesen. Ich würde mir diesen Begriff merken. Schließlich konnte man nie wissen, wann man eine gute Beleidigung brauchte.

Resigniert scheuchte ich ein paar Fische auf, die sich vorwitzig in meine Bodensenke geschlichen hatten, um zumindest für einen Moment den ewigen Strömungen des Sees zu entkommen. Aber es war mein Schlafplatz. Und den teilte ich nicht. Innerlich seufzte ich. Ich vermisste auch mein eigenes warmes, weiches Bett. Und meine Decke, die mich gerade morgens immer zum wieder-einkuscheln eingeladen hatte. Hätte ich gewusst, wohin es mich verschlägt, wäre ich dieser Versuchung öfter nachgegangen.

>>Senga? Bist du schon auf?<< Achs' Ruf riss mich aus meinen Gedanken. Da er direkt an mich gerichtet war, hob er sich deutlich von dem allgegenwärtigen Hintergrundrauschen ab, zu dem sich die Rufe mischten, wenn sich Schwarmmitglieder irgendwelche Informationen zuriefen. Am Anfang war das gewöhnungsbedürftig gewesen, denn ich hatte das Gefühl, beständig auf einem Marktplatz zu stehen, wo die Leute sich gegenseitig die verschiedensten Dinge lauthals zuriefen. Doch irgendwann blendete ich es einfach aus, wie ich auch morgendliches Vogelgezwitscher ausblendete. Aber was könnte Zacs Vater von mir wollen? Kurz erinnerte mich dieser Gedanke an Zac und ich schluckte den bitteren Geschmack in meinem Mund herunter.

>>Einen Moment!<< Hastig schob ich diese Überlegungen weg, während Achs geduldig schwieg. Obwohl ich mir sicher war, dass er warten würde, egal wie lange ich brauchte, beeilte ich mich, die schwimmtaugliche, enganliegende Kleidung des Schwarms anzuziehen, denn zum Schlafen mochte ich weite Hemden lieber. Sie erinnerten mich an meine alten Kleidung, obwohl ich rechts und links große Löcher hineingeschnitten hatte, damit meine Seiten-Kiemen nicht durch den Stoff blockiert wurden. Doch da ich seit einigen Tagen angefangen hatte, in der Schneiderei zu arbeiten, war das kein Problem gewesen. Ehrlich gesagt war ich sogar froh darüber. Es gab hier so viel Neues zu lernen. Und Lisa, die Flussbraut, die die Unter-Wasser-Schneiderei führte, war zwar anspruchsvoll, aber immer fair und geduldig, sodass mir die Arbeit sogar mehr Spaß machte, als zu Hause. Vor allem, weil sie mir wegen chronischer Unterbesetzung bereits wirklich schwierigere Aufgaben zuteilte, die mir nicht nur mehr Können abverlangten, sondern mich auch von meinen Grübeleien ablenkte.

Noch ein paar letzten Handgriffen, um meine im Wasser schwebenden Haare zu bändigen, dann schob ich den Seegrasvorhang bei Seite, um mich dem Tag zu stellen.

Angefangen bei Achs.

Als er mich sah, nickte er mir grüßend zu und legte eine Hand auf meinen Ellenbogen, um mit mir zu schwimmen. >>Darf ich dich zum Frühstück begleiten?<<, fragte er höflich und ich nickte automatisch, während ich versuchte, den sanften Druck seiner Hand zu ignorieren. Es war noch immer ungewohnt für mich, dass solche Berührungen zum kommunikativen Alltag zählten und nicht nur engen Vertrauten vorbehalten waren.


Auf dem kurzen Weg zum Herzplatz begegnete uns Phia, die neben Dora herschwamm und gerade unwirsch ein paar ihrer Frauenfische bei Seite wedelte. Zwar war Phia noch kurz vor der Zeremonie sehr offen zu mir gewesen, doch seitdem ich ein fester Teil des Schwarms war, ignorierte sie mich geflissentlich. Ebenso wie Dora, die jedoch schon bei meinem Willkommensgruß sehr merkwürdig gewesen war. Sie hatte kein einziges Gefühl zu mir durchgelassen und stattdessen den Blick nur auf Zac geheftet, der diesen steinern erwidert hatte.

Jetzt nickten die beiden Achs zu und würdigten mich wie üblich keines Blickes.

>>Was haben sie eigentlich gegen mich?<<, murmelte ich unsicher. Jedes Mal, wenn ich ihrer Ignoranz begegnete, beschäftigte mich diese Frage. Und da Achs diesen Gedanken so oder so in meinem Geist lesen konnte, da ich noch immer nicht fähig war, eine „Wand" aufzubauen, konnte ich sie genauso gut laut stellen.

>>Ach – es ist nicht direkt gegen dich persönlich, naja – oder vielleicht doch, zumindest bei Dora<<, antwortete Achs mit einem Hauch von Überraschung.

>>Was ist denn mit Dora? Ich hab nicht ein Wort mit ihr geredet?<<, fragte ich, noch immer verwirrt.

Achs zögerte einen Moment lang, ehe er sich zu einer Antwort durchrang: >>Hm – naja – sie ist Zacerys ehemalige Partnerin.<<

Fassungslos blieb ich mitten im Wasser stehen und starrte ihn an. >>Zacs Ex?<< Völlig überrumpelt schüttelte ich den Kopf. Das erklärte einiges, doch gegen eine spontane Neugierde konnte ich mich dennoch nicht wehren. Woran es bei ihnen wohl gescheitert war?

>>Das fragst du Zac besser selbst<<, beantwortete Achs meine nicht-gestellte Frage und innerlich grummelte ich. Hätte er meine Gedanken nicht gelesen, hätte er nie gewusst, dass ich überhaupt über diese Frage nachdachte. Gleichzeitig mit diesem Gedanken, spürte ich von Achs' Seite her ein leises Bedauern über seine vorschnelle Reaktion. Doch wir beide gingen nicht weiter darauf ein. Stattdessen wechselte er rasch das Thema: >>Und Phia findet es nicht gut, wie du mit Zacery umspringst.<<

Ich starrte ihn an. >>Wie ich mit ihm umspringe?<<, echote ich leise und ungläubig und konnte kaum glauben, was ich da hörte. Das machte mich fassungsloser, als die Tatsache, dass Dora Zacs Exfreundin war. >>Ich habe niemanden entführt!<<

In meinen Gedanken spürte ich so etwas wie ein Seufzten. >>Ich sage ja nicht, dass es richtig war, was er getan hat<<, setzte Achs vorsichtig an. Augenblicklich verspannte ich mich. Es klang nach einem „Aber" und ich wollte es nicht hören. Trotzdem sprach er weiter, während sein Blick mich ernst fixierte: >>Dein Verhalten setzt ihn ziemlich unter Druck, um nicht zu sagen: Du machst ihn zum Gespött des Schwarms.<<

Bei diesen Worten durchzuckte mich ein Hauch von schlechtem Gewissen, den ich jedoch energisch bei Seite drängte. Dann hätte Zac mich nicht entführen sollen. Als ich spürte, wie Achs ansetzte, noch etwas zu sagen, unterbrach ich ihn hastig: >>Es tut mir leid – aber ich möchte nicht über Zac reden<< Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, zusammen mit allen Gedanken, die ich wieder und wieder beiseite schob, um nicht komplett zu zerbrechen.

Wieder sah er mich lange an. Schließlich nickte er. Erleichtert entspannte ich mich, da dieses Gesprächsthema wohl fürs Erste überstanden war. Stattdessen begann Achs mit etwas wesentlich Unverfänglicherem: Essen.

Tatsächlich gab es hier in einer Ecke des Herzplatzes eine Art Großküche, die in den frühen Morgenstunden öffnete und spät am Abend schloss, sodass jeder sich etwas zu Essen holen konnte, wann immer er oder sie Hunger hatte. Auch das war etwas, an das ich mich erst hatte gewöhnen müssen: Alle bekamen das gleich gute oder schlechte Essen. Und je nach dem, wie die Winter waren, hungerten alle oder niemand. Zur Zeit musste glücklicherweise niemand hungern und so auch nicht wir.

Also holten wir uns gemeinsam mit einigen anderen unser Essen. Dabei nickte ich Sirek zu, einem etwas fülligeren Flussbräutigam, der mir mit einem neutralen Lächeln meine Portion reichte. Wie immer achtete ich sorgfältig darauf, ihn nicht zu berühren, um seine Stimme nicht in meinem Kopf hören zu müssen. Ich hatte angefangen, jegliche Form von Körperkontakt zu hassen, seit jeder durch bloße Berührung eine Gedankenverbindung zu mir aufbauen konnte. Sie alle konnten in mir lesen, wie in einem Buch. Und manche wunderten sich wirklich, warum ich lieber auf Abstand ging.


Da musste ich wieder an den Vorsatz denken, den ich letzte Nacht gefasst hatte. Meine Nachricht. Dieses Gespräch mit Achs heute morgen war schon fast wie ein Wink der Götter. Eine bessere Gelegenheit würde ich nicht bekommen. Also atmete ich innerlich tief durch und schloss wieder zu ihm auf.

>>Achs – darf ich dich etwas fragen?<<, wagte ich einen zögerlichen Anlauf, nachdem ich vorsichtig einen meiner Paddelfüße nach seinem ausgestreckt hatte, um eine Gedankenverbindung herzustellen. Ich hatte diese Geste öfter bei anderen gesehen, deren Hände gerade voll mit Essen waren. (Aufgrund der beinahen Schwerlosigkeit unter Wasser gab es nur Gerichte, die man gut mit den Händen essen konnte, heute gefüllte Kartoffeln.)

Achs wiederum zwinkerte mir aufmunternd zu und nickte. >>Aber immer doch!<<

Ich musste mich einen Moment beruhigen und das Chaos in meinen Gedanken ordnen, ehe ich fortfahren konnte. >>Ich wollte fragen, ob es möglich ist, meinem Vater eine Nachricht zu schicken? Dass ich lebe und-<<

Mehr konnte ich nicht sagen, da mir der Gedanke an Papa wieder die Kehle zuschnürte. Doch mehr musste ich auch nicht sagen, denn Achs sah sowieso alle Gefühle und Überlegungen in meinen Gedanken: Dass ich Einzelkind war und keine Mutter hatte. Wie eng meine Beziehung zu Papa war und welche Sorgen ich mir um ihn machte.

Eine gefühlte Ewigkeit verging, ehe Achs endlich antwortete, wobei er jedes Wort sehr gründlich zu überdenken schien. >>Senga. Das ist schwierig. Ich verstehe, warum du diesen Brief schreiben willst, wirklich. Aber ich bin nicht in der Lage, es dir zu erlauben oder zu verbieten.<<

>>Aber-<<, setzte ich an, doch Achs hob seine Hand, um mich zu unterbrechen.

>>Traditionsgemäß steht der Kontakt zu Menschen außerhalb des Sees nur vollwertigen Schwarmmitgliedern zu. Das bist du nicht, noch nicht. Aber der Schwarm kann darüber entscheiden, ob er für dich eine Ausnahme macht.<<

>>Aha<<, antwortete ich ratlos und spürte Achs' Lächeln in meinen Gedanken.

>>Der gesamte Schwarm trifft sich immer am Tag nach der Neumondnacht zur Mittagszeit. Dann wird über Fragen diskutiert und abgestimmt, die alle betreffen. Zu diesem Treffen kann dich Zacery mitnehmen und dein Anliegen im Schwarm vortragen. Und ja: Es muss Zacery sein, kein anderer. Schließlich hat er dich zu uns gebracht.<<

Natürlich hatte er meinen Widerwillen, der sich bei der Aussicht Zac um etwas bitten zu müssen, sofort gespürt. Trotzdem ließ er sich ein aufmunterndes Schulterklopfen nicht nehmen. >>Sprich mit ihm, Senga. Einigt euch. Er ist nicht so schlimm.<<

Ich blinzelte ihn blöd an, während ich wirklich versuchte, all die Schimpfwörter in meinem Kopf zurückzuhalten, die ich für Zac hatte. Achs konnte ja nichts für seinen Sohn und dessen Entscheidung, mich zu entführen.

>>Senga.<<, murmelte Achs beschwichtigend. >>Ich weiß, wie Zac ist. Manchmal neigt er zu impulsiven und undurchdachten Handlungen, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt. Aber das macht keinen schlechten Mann aus ihm.<<

>>Schön, dass du meine Entführung als „undurchdachte Handlung" beschreibst<<, murrte ich ohne es wirklich böse so zu meinen. Die meisten, die diesen Umstand meines Hierseins mitbekamen, wirkten zwar betreten, bezogen aber keinerlei Stellungnahme dazu. >>Empfandest du deine Entführung auch so?<<

Immerhin war er Uhnas Flussbräutigam. Fast wäre ich neugierig gewesen, wie die zwei sich kennengelernt hatten. Doch Achs plötzliche Zurückhaltung machte mich stutzig. >>Was?<<, fragte ich leise.

>>Naja – ich für meinen Teil bin freiwillig hier<<, wieder zögerte er. Dabei spürte ich deutlich, wie unangenehm Achs das Thema war. Aber irgendjemand musste mich wohl aufklären und so resignierte er schließlich. >>Genau genommen, sind das eigentlich alle. Denn seit ein paar Jahrzehnten hat sich unser Schwarm zunehmend darauf verlegt, unsere – äh – Partner nicht zu verschleppen, sondern sie zu überzeugen. Jemanden tatsächlich zu entführen ist zumindest hier- Wie soll ich sagen? eher unüblich.<<

Ich schwieg. Das musste ich erst einmal sacken lassen. Das erklärte einige Reaktionen, die kamen, wann immer ich erwähnte, nicht gerade freiwillig hier zu sein. Sie waren alle nicht begeistert, dass Zac mich so geholt hatte. Und gleichzeitig sprach es niemand offen an. Sie schützten einen Entführer, obwohl sie es nicht gut hießen. Ich wusste nicht, ob ich über diese Erkenntnis lachen oder weinen sollte.

>>Senga<<, murmelte Achs beschwichtigend. >>Wir schützen keinen Entführer. Wir schützen einen der Unseren. Das ist es, was ein Schwarm, was eine Familie, tut.<<

>>Aber-<<

>>Und was immer Du jetzt denkst: Du gehörst auch zu uns. Du musst es nur wollen.<<

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