Kapitel 7.2 - Alte Schulden

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33. Jir'Lore, 2145 n.n.O

Einfallen.

Ein anderes Wort gab es dafür nicht. Ohne irgendeine schützende Wand, die ich um meinen Verstand herum hätte aufbauen können, überspülte mich Els' Wille wie eine Flutwelle. Ich spürte ihn überall, sogar unter meiner Haut. Panisch versuchte ich mich herauszuwinden oder um Hilfe zu rufen. Doch sein Wille blockierte meinen Geist, brachte mein Rufen zum Schweigen, bevor ich auch nur daran denken konnte. Bis jetzt hatte ich nicht einmal gewusst, dass mit der Gedankenverbindung solche Gewalt möglich war.

>>Perlen!<<, befahl mir die Stimme des Flussmanns und reflexartig warf mein Geist mir alle Assoziationen dazu entgegen. Wie ich selbst vorsichtig Löcher hineingebohrt hatte. Wie ich sie als Zierde in eine Hose eingenäht hatte. Wie ich sie in einer kleinen Schachtel neben mir stehen hatte...

Sein stählerner Wille griff nach diesen Erinnerungen, zerrte sie zu sich und wühlte weiter.

Die Vorratstunnel. Ein Höhlensystem, das in die felsigen Wände an der Westseite des Sees eingegraben war. In der dort herrschenden Dunkelheit wurden Vorräte aller Art gelagert – auch die Perlen. Triumphierend griff Els nach dieser Erinnerung.

Verzweifelt versuchte ich mich aus seinem Griff zu lösen und ihn gleichzeitig irgendwie aus meinem Geist auszuschließen. Doch ich wusste nicht wie und er hielt mich an beiden Armen fest, während er mir immer neue Worte entgegenschleuderte.

>>Schwarmgröße<<

Ich sah den riesigen Kreis aller Teilnehmer der letzten Schwarmversammlung vor mir.

>>Quappen<<

Ich hörte sie wieder wie jeden morgen spielen, sah wie sie um die Wette zum Herzplatz schwammen, wo sie von Varon oder einem der anderen Lehrer unterrichtet werden würden.

Nein ... Nicht ... Er durfte nicht!

Aus dem Nichts heraus tauchte Riccos letzte Trainingsstunde in meinem Bewusstsein auf in der wir eine Übung durchnahmen für genau den Griff, in dem Els mich nun unerbittlich hielt.

Und mein Körper reagierte wie er es gelernt hatte.

Noch bevor ich selbst einen klaren Gedanken dazu fassen konnte, hatte ich durch eine Drehung von Hüft- und Handgelenken Els abgeschüttelt.

>>HILFE!!!<<, brüllte ich panisch so laut ich konnte und setzte die ersten Schwimmzüge einer verzweifelten Flucht. >>ELS-<<

Doch da hatte er mich schon wieder gegriffen – er war im Wasser geboren. Niemand konnte einem Flussmenschen davonschwimmen. Ich schrie auf, als er mir die Hände brutal auf den Rücken zog und dort festhielt, um mich so in eine vorgebeugte Haltung zu zwingen, die mich zur weiteren Wehrlosigkeit verdammte. Noch einmal zerrte er an meinen Händen, um seinen Griff zu festigen. Jeder Muskel und jedes Gelenk protestierte dagegen und ich schrie schmerzhaft auf. das Wasser schluckte meine Schreie und sie blieben ungehört.

Els machte sich nicht einmal die Mühe, mir den Mund zuzuhalten. Stattdessen blockierte er meinen Verstand noch fester, damit ich nicht noch einmal um Hilfe rufen konnte, während er weiter mit Begriffen auf mich eindrosch ohne sich mehr als notwendig mit mir zu befassen.

>>Waffen.<<

>>Krieger.<<

>>Verteidungsmaßnahmen.<<

Zu jedem Begriff gab mein verräterischer Verstand Assoziationen zurück, die Els schnell und akribisch durchsah und bei Bedarf weiterverfolgte, in meinen Erinnerungen wühlte bis er fand, was er suchte. Für ihn war ich nichts weiter als ein Nachschlagewerk über den Schwarm. Noch immer wand ich mich verzweifelt, doch umso mehr ich kämpfte, desto schmerzhafter wurde sein Griff. Ich kämpfte trotzdem weiter.

>>Meermenschen<<

Ich zuckte zusammen. Als ich mich daran erinnerte wie Ricco in einer Trainingsstunde von der letzten Auseinandersetzung mit ihnen berichtet hatte. Ein aggressives, gefährliches Volk, das das offene Meer bewohnte und sich die darin schwimmenden Tiere zu nutze machte. Sie waren an das Salzwasser gebunden, genauso wie die Flussmenschen an das Süßwasser. Zuviel Süßwasser machte sie schwach und krank, bedeutete auf Dauer sogar ihren Tod, gleiches galt für Flussmenschen mit Süßwasser. Doch trotz dieser natürlichen Barriere kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen – wenn die Flut das Salzwasser durch die Mündung in den See drückte oder die Ebbe das Süßwasser des Flusses ins Meer spühlte. Desinteressiert ging Els darüber hinweg.

>>Earis?<<

Ich blinzelte überrascht und einen Moment lang tauchten all die Legenden und halbhistorischen Fakten zu diesen seltsamsten aller Bewohnern Karathers aus meinen Erinnerungen auf. Was hatten diese Mythengeschöpfe mit dem Schwarm zu tun? Els ging nicht weiter darauf ein und machte einfach weiter.

>>Gold<<

Gold? Ich wusste gar nicht, dass der Schwarm so etwas besaß. Els glaubte mir nicht und suchte weiter in meinen Erinnerungen. Wie ein Eisenbohrer, der sich langsam durch Fleisch gräbt, bohrte er tiefer und tiefer und zerrte dabei auch die alten Erinnerungen hervor: Jona, der mir eine goldene Kette schenkte, als wir ein Jahr zusammen waren. Ich war so glücklich, dass ich dachte, es würde ewig halten. Papas schwielige Arbeitshände mit den zwei goldenen Eheringen am Ringfinger – sein eigener und der von Mama – die er auch nach all den Jahren nicht ablegen konnte. Der goldene Schein der Irrlichter im Wald bevor ich sie das erste Mal singen hörte. Die Erinnerung an ihren Gesang brachte die vertraute Angst zurück – und die Ratlosigkeit, als ich mich an Nyins Forderung erinnerte, „es" zu vernichten. Was immer, das auch war. Einen Moment lang verweilte Els neugierig bei dieser Assoziation und er verfolgte fasziniert den erzwungen Kuss mit Trell und meine Flucht vor ihm, ebenso wie das Gespräch mit den drei Irrlichtern. Ich wand mich unter diesen hervorgezerrten Erinnerungen. Sie schmerzten mehr als Aris Ohrfeige.

>>Meine Frau hat nichts Falsches getan, du kleine Menschenschlampe<<, zischte Els Stimme plötzlich wütend in meinem Kopf und ich zuckte zusammen. Frau? Ari war seine FRAU? Neben der Panik rollte neues Entsetzen in mir auf. >>Du hättest einfach gehorchen sollen!<< Es war das erste Mal, das er mit mir in sprach und er machte sich nicht die Mühe, eine Wand zwischen uns aufzubauen. So konnte ich seinen Hass und seinen Ekel gegen alle Menschen – gegen mich – spüren.

Da sprang er in meinem Geist zurück zu den Bildern von Jona. >>Dein Freund?<<, zischte die Stimme süffisant in meinem Kopf, während er Stück für Stück die Erinnerungen an ihn hervorzerrte. Unser erster Kuss nach einem Tanzabend. Ein gemeinsames Lachen, nachdem wir eine Schallplatte zusammen aufgestöbert hatten. Unsere ersten intimen Berührungen.

Innerlich schrie und bettelte ich, er möge endlich aufhören. Er hatte schon alle Informationen über den Schwarm. Doch das hier war kein "Kundschafter" mehr. Das hier war Freude an meiner Erniedrigung. Rache für Ari.

>>Was sagt er denn dazu, dass du jetzt mit einem anderen herumluderst?<<, frotzelte Els belustigt und besah sich einen weiteren leidenschaftlichen Moment zwischen Jona und mir. Was ihm sah gefiel ihm. Ich konnte seine Erregung in meinem Geist spüren.

Mir war schlecht.


Und dann ganz plötzlich hörte es auf.

Mit einem Mal war da eine Wand zwischen mir und ihm. Unüberwindbar und sicher. Intuitiv flüchtete mein benommener, misshandelter Verstand tiefer in diese Leere, umarmte das Nichts und die Einsamkeit. Doch ich war nicht allein. Ich war bei Ricco. Es war seine Wand. Er hatte meinen Hilferuf gehört.

Els musste, von meinen Erinnerungen abgelenkt und unaufmerksam gewesen sein, denn Ricco war es gelungen, auf Nahkampfdistanz an ihn heranzukommen. Unnötig zu sagen, dass der tätowierte Krieger diesen Vorteil sofort genutzt hatte, um dem Flussmenschen seine Faust in die Seitenkiemen zu boxen. Während Els zusammensackte, hatte Ricco ihn in eine Art Schwitzkasten genommen. Durch diese Berührung war er nun auch Teil der bestehenden Gedankenverbindung – und seine gedankliche Mauer stand wie ein Felsen zwischen Els und mir. Jetzt war es nicht mehr Els Geist, den ich spürte, sondern Riccos. Und dessen Wut glich einem rasenden Inferno, das sich mit ganzer Kraft auf Els richtete.

>>Wo ist Varon?<<, Riccos Gedanke war ein einziges Brüllen, das gegen Els Verteidigung anrannte. Nun waren es plötzlich die Gedanken des Flussmannes, die angegriffen wurden – und dessen Mauer bröckelte. Bilder rutschten hindurch. Von einem giftigen Stachel und Varon, wie er erst erschrocken zusammenfuhr und dann langsam zu Boden sackte.

Bei diesem Bild schrie Ricco hasserfüllt auf und zog den Schwitzkasten enger um Els Kiemen zusammen, sodass dieser sich vor Schmerz krümmte und endlich meine brennenden Arme losließ. Sofort schwamm ich ein paar Meter weg, ehe ich mich wieder zu den zwei Kämpfenden umdrehte. Da Els jetzt wieder die Hände frei hatte, hatte er es trotz Riccos starker Arme geschafft, sich ihm zu entwinden.

Doch statt seinerseits anzugreifen, drehte er sich um und floh.

Einen Augenblick später sah ich nur noch eine Spur aus hellen Bläschen, dort, wo Els gerade noch geschwommen war, während Ricco ihm außer sich vor Wut hinterher brüllte. >>Du Hurensohn! Danke Vaskis, dass du schneller bist als ich, wenn schon nicht stärker, du feiger Fischficker!<< Das musste im ganzen See zu hören sein.

Dann gab Ricco die wesentlich nüchterne Mitteilung an alle raus: >>Els von den Lore-Flüssen hat Varon angegriffen und Senga misshandelt.<< Einen Moment lang blieben seine dunklen Augen nachdenklich auf mir ruhen und mein Magen krampfte sich zusammen. Jetzt wussten es alle. Wie damals bei den Irrlichtern. Ich würde wieder das „komische, arme Mädchen" sein.

>>Wer ihn ergreift, darf ihn umbringen.<<

Ich starrte Ricco entsetzt an. Dann sackte ich kraftlos zusammen, hätte mich am liebsten irgendwo abgestützt, doch immerhin hielt mich das Wasser in der Schwebe. Meine Hände kribbelten schmerzhaft, was mir erst jetzt bewusst wurde. Els Griff musste ihnen das Blut abgeschnürt haben, doch ich hatte die Taubheit meiner Finger kaum bemerkt. Geistesabwesend rieb ich mir die Handflächen. Ich konnte mich nur schwer auf irgendetwas konzentrieren. Zu sehr fühlte ich mich in meinem Innersten Verdorben und beschmutzt. Ein Gedanke schaffte es trotzdem an die Oberfläche und ich zuckte zusammen. >>Varon!<<

Riccos Kopf ruckte zu mir herum und kurz darauf schwamm er vor mir. >>Keine Sorge – ihm geht es gut<<, beruhigte mich Ricco, während er vorsichtig über meine geschundenen Handgelenke strich. Seine Finger sahen im Kontrast zu den Abdrücken, die Els dort hinterlassen hatte, noch dunkler aus.

>>Von den blauen Flecken wirst Du noch lange etwas haben<<, urteilte Ricco beherrscht, obwohl das nicht über seine Wut hinwegtäuschen konnte. Instinktiv zuckte ich zurück, als ich ihn in meinen Gedanken spürte, denn ich zitterte noch immer. Jetzt nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich. Vorsichtig zog mich Ricco näher zu sich. Doch ich schob ihn weg. Ich wollte nicht mehr angefasst werden. Nie wieder.

>>Senga, es ist gut. Es ist vorbei.<<

Unwillkürlich war da die Angst, dass auch er brutal alles aus mir herauszerren könnte, wie zuvor Els. Nur mit Mühe gelang es mir, meine Panik im Griff zu behalten. Ganz langsam ließ mich Ricco wieder los, wofür ich dankbar war.

>>Aber Varon-<<, rief ich stattdessen wieder und verstand nicht, wie Ricco so ruhig bleiben konnte.

>>Es war ein Schlafmittel.<<

Ich nickte ohne zu verstehen. >>Aber warum sollte ihn nur betäuben und nicht töten?<<

>>Weil wir jeden Mann seines Schwarmes töten würden, wenn sie einen der unseren etwas antäten. Und ihr Schwarm ist weder groß noch mächtig genug, um uns zu widerstehen.<<

Ich glaubte Ricco jedes Wort. Der Ausdruck grimmiger Befriedigung, den er hatte, ehe er sich abwandte, um Varon zu suchen, sprach Bände.

>>Und dieser Schwarm hier ist stark genug für einen Angriff?<<

>>Wir sind stark genug für jeden Angriff. Du gehörst zu uns.<<

Wieder wurde mir kalt. Ricco hatte Els zur Tötung freigegeben. Das war ernst gewesen. Wegen mir. Wenn es tatsächlich jemand tat, würde es eine Racheaktionen geben. Das war einkalkuliert.

Der Gedanke, dass jemand wegen mir sterben könnte war fast so schlimm, wie alles, was Els mir angetan hatte.

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