Kapitel 2.2 - Varona

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43. Jir'Lore, 2145 n.n.O

Zwei Tage später konnte ich nicht leugnen, dass ich Varon recht geben musste: Ich mochte Varona. Und wenn ich mir den Rest des Schwarms ansah, war ich da keine Ausnahme. Jeder mochte Varona. Tatsächlich schien sie wirklich alle zu kennen und mit jedem vertraut zu sein. Also das komplette Gegenteil von mir, die ich eigentlich niemanden wirklich kannte und erst recht mit niemandem vertraut war.

Das wurde mir jedes mal klar, wann immer irgendjemand an uns vorbei schwamm und Varona mit einem Kopfnicken grüßte – und dann seltsamerweise auch mich. Das hatte zuvor kaum noch jemand mehr getan, vielleicht machte das die Anwesenheit der Earis vor der sie nicht schlecht dastehen wollten. Ich wusste es nicht. Aber jahrelang anerzogene Höflichkeit ermahnte mich, die knappen Grüße mit einem Kopfnicken zu erwidern. Doch diese Geste war mittlerweile so ungewohnt, dass ich gestern Abend mit einem steifen Nacken eingeschlafen war. Es könnte natürlich auch weiterer Muskelkater von Riccos Training sein, aber irgendwie glaubte ich das nicht.

Das Schlimme war, dass die Nackenschmerzen nicht weggingen. Und so rieb ich mir am folgenden Tag zum dutzendsten Mal und ohne nennenswerten Erfolg über meine Schultermuskulatur, während ich versuchte einen Badeanzug zu nähen. Es war das erste Projekt, das ich hier allein schneidern durfte – von der Planung, des Aussehens und des Schnittes bis hin zum Vernähen des Säume, alles in eigener Verantwortung. Darüber war ich tatsächlich etwas aufgeregt und wollte es so gut wie möglich machen. Da hätten Nackenschmerzen nicht ungünstiger kommen können.

Frustriert rieb ich mir abermals über die Schultern, drückte meinen Rücken durch und blickte nach oben – direkt in Varonas Gesicht. Ein spitzer, erschrockener Laut entkam mir, der zum größten Teil vom Wasser erstickt wurde – der Rest stieg als stumme Luftblasen nach oben. Wie hatte sie sich nur so anschleichen können?

Varona grinste mich fröhlich an und streckte die Hand nach meiner Schulter aus. >>Komm mit! Wir haben noch ein bisschen zu üben!<<

>>Aber-<<, protestierte ich und dachte an meinen Badeanzug, doch Varona wedelte diesen Einwand beiseite und sah mich streng an. >>Du musst dich mehr auf deine Wand konzentrieren! Ich seh schon wieder alles, was du denkst!<<

Hastig konzentrierte ich mich, was nicht so einfach war, weil ich ihr nebenbei zuhörte, aber auch das musste ich schließlich lernen.

>>Der Badeanzug hat Zeit bis morgen. Du willst es doch lernen, oder? Ich hab schon mit Lisa gesprochen.<<

Zu überrumpelt, um irgendwas anderes zu tun, nickte ich und begann rasch meine Sachen wegzuräumen.


Kurz darauf schwamm ich Varona hinterher ohne die geringste Ahnung zu haben, wohin es eigentlich ging. Unschlüssig starrte ich auf ihren Fisch Suriki, der dicht neben mir schwamm, als würde er mich bewachen wollen. Doch auch das gab mir keinen Aufschluss über unser Ziel. Aber was wollte ich von einem Fisch auch schon erwarten?

Schließlich seufzte ich ungeduldig. >>Varona!<<, rief ich der Earis vor mir zu und sie stoppte, drehte sich um und streckte ihre Hand nach mir aus. Zögernd griff ich danach. Gestern hatte sie mir die Grundlagen gezeigt, die es brauchte, um eine Wand im eigenen Geist aufzubauen. Ich konnte es nicht. Aber irgendwie musste man ja mit dem üben anfangen. Also konzentrierte ich mich und versuchte mein Bestes, während Varona sich nicht einmal ansatzweise die Mühe machte, ihre Gedanken zu verstecken.

>>Wohin schwimmen wir eigentlich?<< Immerhin konnte man diese Übungsstunde ja wirklich an jedem Ort abhalten – schließlich war es im Wesentlichen ein Gespräch führen, währenddessen ich darauf achten musste, meine Mauer aufrecht zu erhalten.

>>Ach, ich dachte wir suchen uns für unser Training heute ein schöneres Fleckchen.<<

Aha – schöneres Fleckchen. Mir fielen nicht viele Orte ein, die sie damit meinen könnte. Und eigentlich hatte ich ja schon das meiste gesehen. Insbesondere nach der Seeführung, die ich ein paar Tage nach meiner Schwarmeinführung von Achs bekommen hatte.

Doch Varona winkte ab und ich wusste, dass sie jeden meiner Gedanken hatte mitverfolgen können. Wieder versuchte ich mehr auf meine Wand zu achten. >>Jaja. Da haben sie dir bestimmt alles Nützliche und Sinnvolle gezeigt.<<

Ohne, dass sie es weiter ausführte, sah ich in ihrem Geist Bilder von verschiedenen wichtigen Orten hier im See: Der dunklen Versorgungstunnel, die einzelnen Arbeits- und Lebensbereiche rund um den Herzplatz, die Perlenzucht kurz hinter der Meermündung, die Fischzucht und so weiter.

Von dem Lore-Stein in der Mitte des Sees und dem Kreis-Eingang aus den drei Lazar-Figuren einmal abgesehen, hätte ich nichts davon als „schön" beschrieben. Überhaupt war „schön" kein Wort, das ich für das Leben hier im See verwenden würde.

>>Sei nicht so pessimistisch! Und achte mehr auf Deine Wand!<<, schallt mich Varona gutmütig und begann, weiter zu schwimmen. Da sie meine Hand noch immer festhielt, folgte ich ihr mehr oder minder zwangsläufig. Aber zugegeben: In ihren Gedanken hatte ich ein geheimnisvolles Glitzern gesehen, das mich neugierig gemacht hatte.


Tatsächlich hatte sie mich wenig später in eine Ecke des Sees gelotst, in der ich bisher nicht gewesen war. Außer das Wrack eines alten Fischerkahns, der hier irgendwann einmal untergegangen sein musste, schien es auch nichts anderes zu geben, als im restlichen See auch: Niedriges Seegras, Steine, Fische, Wasser. Obwohl es schon auffällig war – denn ich hatte nirgends sonst irgendwelche Bootswracks im See gesehen.

Die Neugierde, die ich plötzlich in Varonas Gedanken spürte, ließ mich wieder zu ihr blicken. >>Und?<<, fragte sie. >>Warst Du schon mal drin?<<

Ich schüttelte den Kopf. >>Nein. Sollte ich?<<

Sie blickte mich lächelnd an und zwinkerte mir zu. >>Ja<<

Einen Moment später folgte ich ihr in die Dunkelheit, die „unter Deck" herrschte. Instinktiv griff ich Varonas Hand fester, um sie nicht zu verlieren, während sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen ausbreitete.

>>Keine Angst<<, beruhigte mich die sanfte Stimme der Earis in meinem Kopf, wobei ich spürte, wie sich etwas in ihren Gedanken veränderte, aufflackerte, fokussierte und wieder verschwand, ohne dass ich hätte sagen können, was es genau war.

Was ich aber ganz deutlich sah – war Licht.

Geblendet schloss ich die Augen und blinzelte dann in die kleine rot-goldene Kugel, die matt über Varonas Kopf schimmerte und den ganzen Innenraum in rot-goldenes Licht tauchte. Ich hatte sowas noch nie gesehen. Magie. Das musste die Magie der Eary sein. Spontan hatte ich dutzende Fragen in meinem Kopf, doch mit einem Mal spürte ich doch eine stabile, undurchdringliche Wand zwischen Varona und mir. Und es war nicht meine. Überrascht blinzelte ich zu der Earis hinüber und spürte dennoch ihr aufrichtiges Bedauern durch die Mauer hindurch sickern. >>Ja. Es ist Magie. Doch mehr Fragen darf ich dir zu meinem Volk nicht beantworten.<<

>>Warum nicht?<<, fragte ich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Neugierde. Von den Eary war fast nichts bekannt. Die meisten Menschen bekamen in ihrem ganzen Leben niemanden dieses Volkes je zu Gesicht.

Doch die Earis vor mir lächelte traurig. >>Es ist ein altes Gesetz meines Volkes, das uns schützen soll. Ich darf mich nicht ohne weiteres darüber hinwegsetzen oder ich werde meine Heimatinsel niemals wieder verlassen dürfen.<<

Einen Moment lang fragte ich mich, wie sie überhaupt diesen lachenden Flussmann kennenlernen und in diesem Schwarm landen konnte. Aber die Mauer um ihre Gedanken stand noch immer und ich ahnte, dass jede weitere Frage in dieser Richtung jetzt keinen Zweck hatte. Vielleicht später einmal.

Stattdessen wandte ich den Blick von ihrer kleinen Lichtkugel ab und sah mich in dem kleinen Frachtraum um. Er war nicht sonderlich groß – er bot Platz für fünf oder sechs Flussmenschen – aber die Wände! Es waren drei einzelne Szenen von überlebensgroßen Flussmenschenfiguren. Doch waren sie nicht aufgemalt, wie ich es sonst von anderen Kunstwerken kannte, sondern mit verschiedenfarbigen Perlmuttplättchen in die Wände eingearbeitet. Fasziniert starrte ich auf die Bilder, die das Licht von Varonas beschworener Kugel einfingen, brachen und in bunten Farben zurückwarfen, sodass die dargestellten Figuren selbst lebendig wirkten und ich das Gefühl hatte, sie würden gleich anfangen sich zu bewegen, wenn ich nur einen Moment lang nicht hinschaute.

>>Was – Was ist das?<<, hauchte ich leise und spürte ich Varonas Belustigung in meinem Kopf, doch auch sie bewunderte die Bilder.

>>Kunst<<, sagte sie schließlich. >>Ein Schwarmmitglied, ein Künstler – heute nennen ihn alle nur noch Onkel Nessi – hat das geschaffen, kurz bevor er Verschwunden ist. Das muss schon – puh – vielleicht 15 Jahre her sein.<<

Wieder spürte ich ihre Belustigung in unseren Gedanken geistern. >>Ich weiß bis heute nicht, wie er dem Schwarm und insbesondere Ivory die Zustimmung für das Wrack und diese Menge an Perlmutt aus dem Kreuz leiern konnte. Normalerweise werden Wracks ja entweder geborgen und gegen eine gewisse Summe dem Eigentümer zurückgegeben oder abgebaut und für andere Zwecke verwendet. Und das Perlmutt!<<

Sie brauchte gar nicht weiter zu sprechen. Die schillernde Beschichtung im Innern der Perlenmuscheln waren fast so wertvoll wie die Perlen selbst. Ich konnte nicht einmal erahnen, wie viel das Material für diese Bilder wert sein mochte.

Trotzdem waren sie schön. Das erste Bild zeigte einen einzelnen Flussmann, der unter der Sonne zu schwimmen schien. Das zweite Bild zeigte einen Flussmann und eine Menschenfrau, die ihn an Land half und das dritte Bild zeigte die beiden, nur dass der Flussmann jetzt ein Mensch war und beide auf einem langgezogenem Etwas standen. Vielleicht ein Teller? Oder ein Feld?

>>Was bedeuten diese Bilder?<<, fragte ich und spürte daraufhin nur Varonas Achselzucken.

>>Darüber streiten sich die Leute. Onkel Nessi hat es jedenfalls nicht verraten. Es gibt da viele Meinungen. Ivory zum Beispiel glaubt ja, dass es eine Frau ist, in die er sich verliebt hat. Uhna meint, dass es die Tradition, Menschen zu verschleppen, als falsch anprangert. Und Koral denkt, dass er zeigen wollte, dass Menschen und Flussmenschen gar nicht so unterschiedlich sind.<<

Über den letzten Satz konnte ich mir ein abfälliges Verziehen meines Gesichts nicht verkneifen. >>Ich finde, sie sind schon ziemlich unterschiedlich.<<

>>Ach Senga...<<, seufzte Varona in meinem Kopf. >>Du kannst mir nicht erzählen, dass dir noch nicht aufgefallen ist, für wie viele Dinge, Flussmenschen an Land gehen.<<

Überrascht sah ich Varona an. Ich war seit mehreren Zyklen nicht mehr an Land gewesen und bisher war mir nicht aufgefallen, dass es sich bei den Flussmenschen in meiner Gegenwart anders verhielt. Obwohl ich sie jetzt auch nicht bei jeder Schwimmbewegung beobachtete.

>>Für den Alltag ist es auch nicht so wichtig<<, bestätigte die Earis neben mir und machte mir damit wieder auch ohne Worte deutlich, dass ich meine Mauer vergessen hatte. Hastig konzentrierte ich mich wieder, während Varona weitersprach. >>Beispielsweise wird jeder Flussmensch an Land geboren, als normaler Mensch.<<

Das überraschte mich so sehr, dass ich schon wieder meine Konzentration verlor und mir Varona ein schelmisches Augenzwinkern zuwarf, als ich es schnell von Neuem versuchte. >>Glaub es ruhig. Sie verwandeln sich erst innerhalb ihrer ersten Lebensstunde in Flussmenschen und müssen dann sofort ins Wasser. Oder sie ersticken.<<

Völlig perplex schwieg ich und starrte auf eine ihrer Erinnerungen – mittlerweile hatte Varona ihre Mauer wieder fallen gelassen: Eine alte Flussfrau, die sich unter Wasser in einen Menschen zurückverwandelte. Anscheinend kamen Flussmenschen nicht nur als Menschen ins Leben, sondern verwandelten sich auch im Tot wieder zurück.

Das musste ich erst einmal sacken lassen. >>Warum?<<, fragte ich schließlich leise.

>>Warum?<< Varona lachte. >>Hast du dir Flussmenschen schon mal angesehen? Sie haben eine Schwanzflosse – hüftabwärts. Wo soll denn da ein Kind rauskommen?<<

Das war es eigentlich nicht, was ich meinte. Ich wurde trotzdem rot. Nicht wegen der Offensichtlichkeit ihrer Aussage, sondern weil meine Gedanken von der Geburt abschweiften, hin zu dem, was einer Schwangerschaft zwangsläufig voranging. Hieß das auch, dass zwei Flussemenschen...?

>>Sex?<< Wieder lachte Varona in meinem Kopf und ich verflucht mich innerlich. Ich hatte wieder vergessen, auf meine Mauer zu achten. >>Ja. Dafür müssen sie auch an Land.<<

Aha. Na gut, dass ich das jetzt wusste.

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