Auftakt: Hör nicht zu

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15. Tas'Saru 2146 n.n.O.

Das erste Licht des Morgens brach sich funkelnd auf der Wasseroberfläche, als Riccos Kopf sie durchbrach und so mit hunderten kleiner Wellen die Ruhe des Sees störte. Ein sanfter Wind wehte über seine nasse, nackte Kopfhaut, sodass er fröstelte. Jedes Mal aufs Neue ließ ihn das überlegen, sich doch noch Haare wachsen zu lassen. Aber dann wären seine Kopftätowierungen nicht mehr sichtbar. Und auch wenn hier keiner außer Varon wusste, was sie eigentlich bedeuteten, fände er das schade. Also doch lieber Frösteln.

Noch während Ricco sich das Wasser aus den Augen blinzelte, sah er sich nach seiner Begleitung um. Endlich hatte er die Earis entdeckt. Mit ausdruckslosem Gesicht stand Varona an der Wasserkante und blickte zum nahegelegen Meer, das sanft hinter dem Deich rauschte.

Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte geglaubt, da stünde eine Statue. Nicht ein einziges Muskelzucken bewegte die hauchzarten, libellengleichen Flügel, die die Earis so vollständig bedeckten, wie die Schuppen eine Schlange. Sie sah so fremdartig aus. Jedes mal, wenn er Varona so sah, musste er sich in Erinnerung rufen, wer da vor ihm stand – ein Teil des Schwarms, eine Freundin.

Mit einem Mal huschte ein Schatten über ihn herüber und plötzlich war wieder Leben und Lächeln im Gesicht der Earis. Einen Moment später streckte Varona ihren beflügelten Arm aus und ein weißer Drache landete so lautlos, wie eine Schleiereule, darauf, ehe er zu ihrer Schulter huschte und sich um ihren Hals schlängelte. Suriki – ob als Fisch oder als Drache war er immer an ihrer Seite.

Dann erst blickte sie in Riccos Richtung und hob die Hand zum Gruß. Es war eine graue Hand, die mit einer ledrigen Haut überzogen war, ähnlich der von Vogelbeinen. Unwillkürlich schauderte es dem Krieger. Trotzdem setzte er sich in Bewegung, um zu ihr ans Ufer zu schwimmen.

„Danke, dass du so früh für mich aufstehst", begrüßte Varonas glockenhelle Stimme ihn, als er am Ufer angekommen war.

Doch Ricco schaffte es nicht zu antworten, denn als seine Lungen registrierten, dass da kein Wasser mehr um ihn herum war, setzte die Anpassung seines Körpers auf Luftatmung ein – und mit ihr kamen die ganzen anderen Veränderungen, die ihn zu einem Menschen machten. Schmerzhafte Veränderungen. Obwohl Ricco das jetzt schon oft genug erlebt hatte, musste er noch immer husten und sich auf seinen Knien abstützen, um nicht ganz zu Boden zu gehen. Das Leben als Flussbräutigam konnte schon scheiße sein.

Es dauerte einen weiteren Moment, ehe er sich etwas Trockenes angezogen hatte und dann neben der Earis ins Dorf lief. Immerhin war er ihr Begleitschutz. Wie jedes Mal, wenn sie diesen Weg antrat, um einem Mann zu helfen, der die Flussmenschen abgrundtief hasste.

„Hältst du es wirklich für klug, noch einmal zu ihm zu gehen?", fragte Ricco schließlich.

Die Earis nickte langsam. „Ich habe Senga versprochen, dass ich nach seinen Verletzung sehe, wenn sie schon nicht selbst gehen darf."

Als Ricco den Namen der jungen Frau hörte, konnte er sich ein missbilligendes Schnauben nicht verkneifen. Nach dem, was letztens passiert war, hatte er nicht mehr sonderlich viel für die junge Frau übrig. „Ist das nicht alles ihre Schuld?"

Seufzend richtete die Earis ihren Blick wieder auf den Weg vor sich, während der weiße Drache auf ihrer Schulter den Krieger jedoch nicht aus den Augen ließ. „Ist es so abwegig, zu seiner Familie zurück zu wollen?"

Ricco verbot es sich, sich davon einschüchtern zu lassen. „Aber so?", beharrte er auf seinen Standpunkt. „Sie hätte nur ein paar Tage warten müssen. Ein paar Tage! Als vollwertiges Schwarmmitglied hätten ihr ganz andere Türen offen gestanden!"

„Ich sage nicht, dass es klug war. Ich sage, dass ich sie verstehe." Die Earis seufzte wieder sorgenvoll und die libellenartigen Flügel, die den Großteil ihres Körpers bedeckten, raschelten leise. „Ebenso wie ihren Vater. Obwohl die Pfade, die seine Gedanken wandern, besorgniserregend sind."

Augenblicklich verspannte sich der Krieger zu ihrer Rechten. „Was meinst du damit?"

„Ich-", setzte Varona an und unterbrach sich, als eine sanfte Melodie, die sich mit dem Rauschen des nahen Meeres verband, vom Wind zu ihnen herüber getragen wurde.

Interessiert blickte Ricco in die Richtung aus der die Musik zu ihnen herüberschallte. Intuitiv streckte Varona die Hand nach seinem Arm aus und schüttelte leicht den Kopf, ehe sie die Hand wieder sinken ließ. „Hör nicht zu, wenn Meermenschen singen", flüsterte sie und ging zielsicher weiter den Weg zum Dorf, weg vom Meer, weg von diesen Geräuschen.

Einen Moment später schloss der Krieger zu ihr auf. „Meermenschengesang? Bist du sicher? Ich wusste nicht, dass sie hier singen. Ich hab sie noch nie gehört."

„Das letzte Mal ist viele Jahre her." Wieder seufzte die Earis beunruhigt. „Es wäre besser, sie würden es bleiben lassen."

Ohne sein Zutun wanderte sein Blick wieder zurück in die Richtung aus der der verlockende, fast schon verspielte Gesang kam. „Stimmen denn die Geschichten?"

Suriki zischte unruhig auf ihrer Schulter. Wie automatisch streichelte Varona ihm den Kopf, als sie antwortete: „Dass sie mit ihrem Gesang Einfluss auf Verstand und Gefühle der Menschen nehmen? Ja. Zumindest, wenn der besungene Mensch nicht weiß, wo er im Leben steht. Und umso lauter man den Gesang hört, desto schwerer ist es, sich diesem zu entziehen."

Abermals trug der Wind die süße Melodie zu ihnen herüber und abermals schüttelte Varona den Kopf und auch Ricco beschlich ein unruhiges Gefühl. „Machst du dir Sorgen?"

Die Earis nickte bedächtig. „Den Gesängen von Meermenschen folgt selten etwas Gutes."


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