Schlusstakt: Die Ruine der Alten

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52. Tas' Saru 2146 n.n.O.

Es sickerte kaum Licht durch die Spalten der alten Ruine und so blieb ihr Inneres trist und trübe. Das, was Ricco am meisten dabei störte, war der eingeschränkte Sichtbereich. Doch es würde schon gehen. Solange nur genug Licht da war, um durch die Räume zu kommen.

Hinter sich hörte er das leise Platschen der anderen, die sich nach ihm aus dem Wasser zogen. Während Ricco wartete, taxierte er aufmerksam die eiförmigen Wände des Raumes und ließ den einzigen Durchgang nicht aus den Augen. Es war unwirklich, hier nach einer Lösung zu suchen. Immerhin war die alte Ruine schon seit Ewigkeiten ein Teil des Schwarmreviers – als wäre das eigene Haus plötzlich gefährlich geworden. Doch wenn er ehrlich war, sollte es nicht überraschend sein. Das Relikt der Alten lag nicht einmal im Süßwasser, sondern ein gutes Stück hinter der Meeresmündung und keiner wusste, was genau sie eigentlich je gewesen war. Also war es vielleicht doch mehr, als hätte man unwissentlich eine Waffe im Haus gehabt, mit der die Kinder Puppenspiele spielten – bis es irgendwann gefährlich wurde.

Der Vergleich holte den Krieger zurück in die Gegenwart und wieder lauschte er, ob er mehr hörte, als das Echo, das irgendwo in den stillen Räumen der alten Ruine verhallte.

Doch leider waren die Räume nicht still.

Neben den Geräuschen der kleinen Gruppe, die gerade an Land kam, schien das Echo noch etwas zurückzutragen. Ein leises Wimmern. Ihm lief es kalt den Rücken herab. Ricco lauschte, versuchte mehr in dem trüben Halbdunkel zu erkennen. Oder war das alles Einbildung seiner überspannten Nerven?

Schritte hinter ihm.

Aus Reflex drehte er sich um, stellte sicher, dass da genau die Personen waren, die er hier erwartete: Senga, die ihren Vater suchte. Varona mit Suriki, die sich nicht nur Senga, sondern auch dieser sonderbaren Ruine der Alten verpflichtet fühlte. Und Zac, der Senga trotz allem nicht allein lassen wollte, als Unterstützung für handfestere Schwierigkeiten. Gedanklich schickte Ricco ein Dankesgebet zu Saru, dass er Varon und so vielen anderen das Mitkommen ausreden konnte. Das war schwer gewesen – vor allem nachdem Varon allen anderen die Bilder in Luciens Geist zeigte. Wie sich der Junge immer wieder mit Meermenschen getroffen, ihren Gesängen gelauscht und unzählige Pläne geschmiedet hatte. Rachepläne.

Nicht nachdem klar war, dass Lucien auch Markus zum Strand gelockt hatte, sodass auch er die Meeresmonster kennenlernen konnte. Und wie er sie kennenlernte, wie sie flüsterten und säuselten, dass sie ihm helfen würden, seine Tochter zurückzubekommen – und dass sie Lucien versprachen, seine Schwester zurückzubringen... Nur ein paar Kleinigkeiten sollten sie dafür tun. Und die Ruine. Immer wieder sangen sie von der Ruine.

Deshalb waren sie jetzt hier.

Entschlossen packte Ricco seinen Dolch fester und ging zu dem einzigen Ausgang dieses Raumes. Da war es wieder. Das Wimmern. Obwohl alles in ihm, ihn anschrie weiterzueilen, blieb er im Durchgang stehen, zwang damit auch die anderen zum Stehenbleiben.

„Was ist?", zischte Senga neben ihm. Auch sie wollte weiter. Doch als der Rotschopf sich ungeduldig an Ricco vorbeidrängen wollte, zuckte seine Hand nach vorn, hielt sie zurück.

„Vorsicht. Wir wissen nicht, was uns erwartet."

Im Augenwinkel sah er Zac nicken, der sich wie selbstverständlich zu seiner Rechten positionierte, sodass Varona und Senga in zweiter Reihe warten mussten, als sie langsam in den angrenzenden Raum eintraten. Leer.

Nichts außer runde, eiförmige Wände, die mit der nie verblassenden Schrift der Alten überzogen waren. Genauso der nächste Raum und der Übernächste. Nur das Wimmern war lauter geworden, nicht mehr zu überhören. Er spürte, wie es alle anderen in die Richtung des Geräusches zog. Doch da Ricco sich keinen Schritt schneller bewegte, als die Vorsicht gebot, blieben sie alle in seiner Nähe, gehorchten seiner Tempovorgabe.

Diese Disziplin löste sich in Luft auf, als sie sich dem Herzstück der Ruine nährten. Sonst war der Raum genauso leer wie die anderen. Aber als jetzt der Eingang zum Ruinenzentrum in Sicht kam, kroch ein schwaches, blaues Leuchten daraus hervor und tauchte den Boden unter der Tür in ein fahles, unheiliges Licht.

Ricco stockte.

Da sollte kein Leuchten sein. Er wusste das. Alle wussten das. Jeder war aus dem ein oder anderem Anlass heraus schon bei der Ruine gewesen. Und niemals hatte irgendjemand irgendetwas von einem blauen Licht erzählt.

Suriki zischelte leise auf Varonas Schulter und aus dem Augenwinkel sah er, wie sie den Drachen beruhigend tätschelte.

Dann gab er sich einen Ruck. „Zac und ich gehen zuerst. Ihr kommt entweder nach oder macht euch aus dem Staub und holt mehr Hilfe."

„Aber-", setzte Senga an, während ihre Augen unsicher an dem unheimlichen Licht klebten. Sie wollte da nicht hin. Niemand wollte das. Aber irgendwer musste herausfinden, was da war. Und Ricco hatte beschlossen, dass Zac und er diese irgendwer sein würden. Also nickte er Senga zu und drehte sich um.

Als er mit Zac durch die Tür trat, war er geblendet. Blinzelnd wandte er sich von dem leuchtenden Boden in der Mitte des Raumes ab und versuchte, die Wände zu fixieren. Doch auch das brachte nichts, denn die Inschriften in diesem Raum leuchteten fast so grell wie das Licht in der Mitte. Hoffend, dass kein Angriff kommen möge, blieben die beiden Männer wo sie waren und blinzelten gegen die Helligkeit an. Doch es vergingen quälend viele Herzschläge bis sich ihre Augen langsam an das alles beherrschende, blaue Licht gewöhnten.

Nach und nach schälte sich ihre Umgebung aus der Helligkeit heraus und Ricco erkannte, dass in der Mitte des Raumes eine Art gläserne Kugel in der kleinen Mulde lag, die sonst immer leer gewesen war. Und aus dieser Kugel strahlte Licht, schien von den Wänden absorbiert zu werden und die Formen und Zeichen an der Wand aufzuladen bis diese ebenso hell schienen. Magie. Es war faszinierend und erschreckend zugleich.

Aber noch erschreckender waren die Schemen an der Wand.

„Papa!"

Sengas Kreischen klirrte in Riccos Ohren. Er griff nach der jungen Frau, doch seine Hände fassten ins Leere, als Senga an ihm vorbei rannte, hin zu eine der Gestalten an der Wand – genauso rothaarig wie sie. Mit einem Fluch auf den Lippen, lief er ihr hinterher. Aber sie war schneller, kniete schon neben dem Schatten und tastete mit fahrigen Händen seinen Hals ab.

„Er lebt", flüsterte sie. Ihre Stimme überschlug sich vor Angst und Erleichterung. „Papa? Papa!"

Mittlerweile kniete auch Varona neben dem Mann und tastete ihn mit kundigen Händen und besorgten Gesicht ab, während Suriki zischelnd immer wieder den Kopf drehte, als suche er etwas. Die vier Gestalt rührten sich kein Stück. „Er lebt", bestätigte Varona Sengas Aussage. „Gerade noch. Er ist völlig ausgetrocknet und geschwächt."

Während Ricco Varona lauschte, waren er und Zac näher zu den anderen Schatten getreten, die wie Perlen einer Kette aufgereiht nebeneinander an der Wand saßen. Jetzt, wo er mehr sah, erkannte Ricco, dass alle atmeten. Das war aber auch das einzige Lebenszeichen. Sonst zuckte keine der vier Gestalten auch nur mit einem Muskel. Alle starrten in die Ferne, als wären ihre Körper zwar hier, aber ihre Gedanken sehr weit weg. Nur eine stieß von Zeit zu Zeit ein leises, klägliches Wimmern aus, ohne jedoch einen genauen Punkt zu fokussieren – die Augen so leer, wie die der anderen. Sie alle hätten ebenso gut Puppen sein können, die man da an der Wand zum verrotten zurückgelassen hatte.

Vielleicht war es auch so.

Bei dem Gedanke drehte sich Ricco der Magen um. Und noch mehr, als er sich zu der Gestalt am Boden herabbeugte. Es war eine alte Frau, die sicher schon an die achtzig Winter erlebt hatte.

„Warum hat jemand eine alte Frau hierher gebracht?", flüsterte Zacs Stimme neben ihm und sprach das aus, was Ricco sich selbst auch fragte.

„Vor allem: Wer bringt eine alte Frau hierher?", ergänzte der Krieger die Frage seines Freundes.

Doch dann zog sein Blick weiter über jede einzelne dieser vier Gestalten. Sie waren alle alt. Marcus war alt. Wären die roten Haare und Sengas Entsetzen nicht, er hätte diesen alten, gebrechlichen Mann, der da an der Wand lehnte, niemals mit dem willensstarken, kämpferischen Menschen in Verbindung gebracht, den er noch vor nicht einmal fünf Zyklen das letzte Mal gesehen hatte.

„Bei Vaskis' verrottenden Zahnstümpfen...", murmelte er entsetzt. „Was bedeutet das?"

Über die vier regungslosen Körper hinweg warf Varona ihm einen Blick zu, der fast so leblos schien, wie die Gestalten an der Wand. „Sie haben es aktiviert. Ich hätte nie gedacht, dass sie den Schlüssel dazu haben. Dass er überhaupt noch existiert."

„Zu was, Varona?", zischte Zac angespannt. Mittlerweile hatte er sich neben eine der alten Frauen gehockt und musterte sie wachsam. Doch genauso wenig wie Ricco konnte er sich dazu durchringen, eine von ihnen zu berühren.

„Und wer?"

Stille. Dann holte Marcus so rasselnd und tief Luft, dass alle zusammenzuckte. „Die Waffe, die die Alten hier versteckt haben. Senga. Es tut mir so leid. Ich-"

„Papa. Psst!", flüsterte der Rotschopf, obwohl es mehr wie ein verzweifeltes Wimmern klang. Doch Markus drückte die Hand seiner Tochter und suchte ihren Blick. „Es tut mir so leid. Da war ihr Gesang. Die ganze Zeit ... dieser verfluchte Gesang." Seine Stimme war nur ein heiseres Kratzen, doch da alle anderen im Raum den Atem anhielten, war jedes Wort verständlich. „Und dann ... dann brachten sie mich hierher. Mit dieser Kugel. Und – und den Mädchen. Bei den Göttern ... die Mädchen ... was?!"

Die Mädchen? Wieder huschte Riccos Blick zu den drei alten Frauen neben Markus.

„Sie sind am Leben", unterbrach Varona ihn sanft und legte dem alten Mann beruhigend eine Hand auf den Arm. Das ‚noch' verschwieg sie ihm. „Was passierte dann?"

„Sie sagten ... sangen ... wir müssten nur die Kugel in die Vertiefung legen und alle gemeinsam herunterdrücken. Dieser Gesang! Er ist noch immer in meinem Kopf", die letzten Worte waren nicht mehr als ein Schluchzen. Ganz automatisch legte Senga ihren Arm fester um ihren Vater.

Varona nickte langsam. Überhaupt schien die Earis als Einzige sich einen Reim auf all das machen zu können.

„Was weißt du?", stellte Zac schließlich die Frage, die sie alle beschäftigte.

„Meermenschen", antwortete die Earis schließlich leise und sah jedem ihrer kleinen Gruppe ins Gesicht, während Suriki auf ihrer Schulter nervös mit den Flügeln schlug. „Sie haben mit Markus' Hilfe einen Mechanismus in Gang gesetzt, der unter dieser Ruine begraben lag. Ich hatte nicht geglaubt, dass das überhaupt noch möglich ist. Das der Schlüssel dazu überhaupt noch existiert." An diesem Punkt warf sie einen vielsagenden Blick auf die Glaskugel in der Mitte des Raumes. „Aber das spielt keine Rolle mehr. Jetzt ist es zu spät. Einmal aktiviert, kann es nicht mehr rückgängig gemacht werden – das ist der Haken bei allen Waffen, die dieses Volk je erfunden hat. Wenn sie ausgelöst werden, laufen sie durch, wofür auch immer sie konzipiert wurden."

Ricco schluckte. „Und für was wurde diese Waffe hier konzipiert?"

„Für das Auslösen einer Sturmflut. Sie wird kommen. Und mit ihr die Meermenschen."



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